Vollspektrum-Cannabisextrakte für eine einfache, orale, langwirksame Therapie

Cannabisextrakte haben sich zu einem unverzichtbaren Bestandteil des therapeutischen Portfolios für Patienten entwickelt, bei denen eine Behandlung mit Cannabinoiden angestrebt wird. Mit dem Vollspektrum-Extrakt THC5:CBD20 steht erstmals eine erstattungsfähige Therapieoption mit dominantem CBD (Cannabidiol)-Anteil zur Verfügung. Der Extrakt eignet sich insbesondere für die Behandlung von Patienten, die eine Therapie mit einem Arzneimittel mit hohem CBD-Gehalt benötigen. Seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften im März 2017 können Cannabisarzneimittel zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden [1]. Seither hat sich die Therapie ausdifferenziert und ist ein wichtiger Bestandteil des Behandlungsspektrums bei vielen Indikationen geworden. Dazu zählen neuropsychiatrische Erkrankungen und Symptome wie Spastik bei Multipler Sklerose, Epilepsie, Angststörungen, Schlafstörungen, Tourette-Syndrom und ADHS. Außerhalb der Neurologie sind chronische Schmerzsyndrome das wichtigste Einsatzfeld. Außerdem sind Cannabismedikamente fester Bestandteil des therapeutischen Spektrums in der onkologischen Supportivtherapie, der Palliativmedizin sowie in bestimmten Konstellationen bei HIV-Infizierten. Mittlerweile gibt es erste Statistiken dazu, welche Patienten in Deutschland Cannabismedikamente erhalten. So wurde das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) im „Cannabisgesetz“ zu einer systematischen Begleiterhebung verpflichtet, um den Einsatz von medizinischem Cannabis in der Versorgung in Deutschland zu dokumentieren. Die Auswertung zeigt das erwartet breite Indikationsspektrum für Cannabisprodukte, mit einem deutlichen Schwerpunkt in den Bereichen chronische Schmerzen und Neuropsychiatrie (Tabelle) [2]. Erkrankung/Symptomatik (Stand: 26.03.2019; n=4.774) Anteil (Doppelnennung möglich) Schmerz ca. 69% Spastik ca. 11% Anorexie/Wasting ca. 8% Übelkeit/Erbrechen ca. 4% Depression ca. 3% ADHS ca. 2% Appetitmangel/Inappetenz ca. 1% Darmkrankheit, entzündlich ca. 1% Tic-Störungen/Tourette-Syndrom ca. 1% Epilepsie ca. 1% Restless-legs-Syndrom <1% Insomnie/Schlafstörung <1% Unruhe <1% Tabelle: Wofür Cannabinoide in Deutschland verordnet werden – Zwischenergebnisse der Begleiterhebung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) Breit gefächerte Wirkungen durch Endocannabinoidrezeptoren Als Heilpflanze ist Cannabis seit über 4.000 Jahren bekannt. Wie genau Cannabisbestandteile wirken, wird erst jetzt intensiver erforscht. THC (Tetrahydrocannabinol) und CBD gelten als Hauptwirkstoffe. CBD hat ein breites Wirkungsspektrum und kann vielfältig eingesetzt werden. Es wirkt unter anderem schmerzlindernd, muskelrelaxierend, angstlösend sowie entzündungshemmend und besitzt zudem neuroprotektive Eigenschaften [3]. Prinzipieller Ansatzpunkt ist das Endocannabinoidsystem (ECS). Dessen Rezeptoren, der Cannabinoid-1-Rezeptor (CB1) und der Cannabinoid-2-Rezeptor (CB2), befinden sich nahezu im gesamten Körper, mit einer besonders hohen Dichte an CB1-Rezeptoren im Gehirn und an CB2-Rezeptoren auf Immunzellen [4]. Das erklärt auch das breite Spektrum der Wirkungen von medizinischem Cannabis [5]. Vollspektrum-Extrakte: gut dosierbar, anhaltend wirksam Cannabinoide sind in unterschiedlichen Darreichungsformen erhältlich, von Cannabisblüten bis hin zu einer breiten Palette an Vollspektrum-Extrakten, die sich in ihrem jeweiligen Anteil an THC bzw. CBD unterscheiden. Neben dem Vollspektrum-Extrakt THC25 (mit 25mg/ml THC) und dem THC10:CBD10 (mit je 10mg/ml THC und CBD), ist das Vollspektrum-Extrakt Tilray THC5:CBD20 mit 5mg/ml THC und 20mg/ml CBD jetzt neu verfügbar, also eine Behandlungsoption mit hohem CBD-Gehalt. Dies könne eine attraktive Option sein für Patienten, bei denen überwiegend – aber nicht ausschließlich – eine Wirkung von CBD gewünscht wird, erläuterte Prof. Dr. Kirsten R. Müller-Vahl, Oberärztin in der Klinik für Psychiatrie, Sozialpsychiatrie und Psychotherapie, Medizinische Hochschule Hannover. CBD-dominante Extrakt-Kombinationen könnten eventuell auch bei neuropsychiatrischen Erkrankungen wirksam sein, z. B. bei Angststörungen. Zu den Vorteilen der Cannabisbehandlung mit Vollspektrum-Extrakten zählten im Vergleich zu Cannabisblüten die einfachere Dosierbarkeit mit länger anhaltender Wirkung und die einfache, orale Anwendung, die kein Vaporisieren erfordere, so Müller-Vahl. Die Extrakt-Behandlung könne deswegen in bestimmten Situationen weniger stigmatisierend als die Blütenbehandlung sein. Cannabis in schmerzmedizinischen und neurologischen Leitlinien Zunehmend findet Cannabis auch Eingang in Leitlinien. So werden in der Leitlinie „Cannabis in der Schmerztherapie“ der Deutschen Gesellschaft für Schmerztherapie (DGS) u. a. chronische Schmerzen, Tumorschmerzen, neuropathische Schmerzen, schmerzassoziierte Schlafstörungen, spastischer Schmerz bei Multipler Sklerose sowie rheumatischer Schmerz als mögliche Einsatzgebiete erwähnt. Betont wird außerdem, dass es keine festen Indikationen gibt, sondern die individuelle Beurteilung stets im Ermessen des behandelnden Arztes liegt. Was die Darreichungsform angeht, werden Fertig- und Rezepturarzneimittel wegen der einfachen Applikation und der guten Kontrollierbarkeit ausdrücklich empfohlen. Von frei verkäuflichen Cannabisprodukten wird abgeraten [6]. Seit 2019 hat auch die S2k-Leitlinie „Diagnose und nicht-interventionelle Therapie neuropathischer Schmerzen“ der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) medizinisches Cannabis in ihre Empfehlungen aufgenommen. Cannabismedikamente können demnach als Off-Label- oder No-Label-Therapie bei Versagen anderer Schmerztherapien im Rahmen multimodaler Schmerztherapiekonzepte eingesetzt werden [7]. Interview mit Prof. Dr. Kirsten R. Müller-Vahl, Hannover „Cannabinoidtherapie ist immer hoch individuell“ Prof. Dr. Kirsten R. Müller-Vahl, Oberärztin in der Klinik für Psychiatrie, Sozialpsychiatrie und Psychotherapie, Medizinische Hochschule Hannover 2020 Photovision-DH – Fotograf Hannover × Wie sieht das für die Cannabinoidtherapie relevante Patientenspektrum bei Ihnen aus? Müller-Vahl: Ich leite als Neurologin und Psychiaterin eine Sprechstunde für Patienten mit Tic-Störungen und Tourette-Syndrom, insofern geht es bei mir primär um diese Erkrankungen. Insbesondere Patienten mit Tourette-Syndrom haben aber oft auch psychiatrische Begleiterkrankungen wie etwa ADHS, Depression, Zwangs-, Angst- oder Schlafstörungen, sodass wir bei diesen Indikationen ebenfalls über Erfahrung verfügen. Wir sehen auch Patienten mit posttraumatischen Belastungs-, Zwangs- und Autismus-Spektrumstörungen und Epilepsie, dagegen keine schmerz- und palliativmedizinischen Patienten. Welche Darreichungsformen von Cannabinoiden nutzen Sie? Müller-Vahl: Wir nutzen das gesamte Spektrum von Substanzen und Darreichungsformen. Wovon wir abraten ist das Rauchen. Kapseln mit öligen Lösungen spielen bei uns wegen der schlechten Dosierbarkeit kaum eine Rolle. Wir arbeiten viel mit Extrakten und auch regelmäßig mit Blüten. Wovon machen Sie die Auswahl abhängig? Müller-Vahl: So lange die Datenlage begrenzt ist, orientieren wir uns an unseren Erfahrungen und an eventuellen Vorerfahrungen der Patienten. Wenn ein Patient bei der Arbeit eine Behandlung braucht, kann das Vaporisieren von Blüten problematisch sein. Was Vorerfahrungen angeht: Wenn uns ein Patient berichtet, er habe Cannabis schon inhaliert und es funktioniere, dann spricht das aus unserer Sicht für eine Inhalationstherapie. Bei älteren Menschen würden wir eher orale Therapien bevorzugen. Auch die gewünschte Effektdauer kann eine Rolle spielen: Ist ein sehr rascher Effekt gewünscht, dann neigt sich die Waage Richtung Inhalation. Wenn die Wirkung länger anhalten soll, ist eine Extrakt-Therapie günstiger. Das ist in jedem Fall eine sehr individuelle Abwägung Wenn Sie mit einem Vollspektrum-Extrakt behandeln wollen, wo von hängt die Entscheidung über den THC- bzw. den CBD-Anteil ab? Müller-Vahl: Speziell bei den Tourette-Patienten sind Vorerfahrungen ein wesentlicher Punkt. Wer sich bereits mit Cannabis erfolgreich selbst behandelt und das gut vertragen hat, bei dem ist ein THC-reicher Extrakt die bessere Wahl. Wer noch nie einen Zug inhaliert hat oder bei wem aus anderen Gründen zu erwarten ist, dass es Verträglichkeitsprobleme geben könnte, bei dem könnte eventuell zunächst mit einem Extrakt mit aus geglichenem Verhältnis von THC zu CBD begonnen werden. Allerdings ist nach unseren Erfahrungen für die Behandlung von Tics ein relevanter THC-Anteil notwendig. Bei psychiatrischen Erkrankungen, etwa Angststörungen, ist das anders, hier ist vermutlich ein hoher CBD-Anteil wirksam. Wieder gilt: Die Cannabinoidtherapie ist immer sehr individuell. Welche Patienten besonders von einem Extrakt mit 5mg/ml THC und 20mg/ml CBD profitieren, wird sich in der klinischen Anwendung erweisen müssen. Das kann bei vielen Patienten hilfreich sein. Wichtig ist auch, immer zu kommunizieren, dass Cannabinoide keine Wundermittel sind. Sie lindern Symptome, bringen sie aber nur selten ganz zum Verschwinden. Und sie können, wie jedes andere Medikament, unerwünschte Wirkungen haben, vor allem Müdigkeit, Schwindel und Benommenheit. Trotzdem sind sie eine große Bereicherung unseres therapeutischen Spektrums, und es gibt erstaunlich viele Patienten, die davon profitieren. Literatur Bundesgesetzblatt 2017 Teil I; Nr. 11 vom 9.3.2017 www.bfarm.de/DE/ Bundesopiumstelle/ Cannabis/Begleiter hebung/_node.html (letzter Zugriff: 13.5.2020) Grotenhermen F, Hanf als Medizin: Ein praxisorientierter Ratgeber. Nachtschatten Verlag, Februar 2016 Sanchez C et al., Cancer Res 2001, 61:5784–5789 Maccarone M et al., Trends Pharmacol Sci 2015, 36:277–296 www.dgspraxisleitlinien.de/ index.php/leitlinien/ cannabis (letzter Zugriff: 13.5.2020) S2k-Leitlinie „Diagnose und nichtinterventionelle Therapie neuropathischer Schmerzen“, AWMFReg.-Nr. 030/114 Impressum „Medizinisches Cannabis: Vollspektrum-Cannabisextrakte für eine einfache, orale, langwirksame Therapie” Literaturarbeit und Interview Bericht: Philipp Grätzel von Grätz, Berlin Artikel gedruckt in Der Nervenarzt 6/2020 und MMW – Fortschritte der Medizin 11/2020 Mit freundlicher Unterstützung der Tilray Deutschland GmbH, Berlin Corporate Publishing (verantwortl. i. S. v. § 55 Abs. 2 RStV): Ulrike Hafner, Tiergartenstraße 17, 69121 Heidelberg Redaktion: Kristin Ullrich Springer Medizin Verlag GmbH Heidelberger Platz 3 14197 Berlin Tel: 0800 7780 777 (kostenfrei) | +49 (0) 30 827 875 566 Fax: +49 (0) 30 827 875 570 E-Mail: kundenservice@springermedizin.de Die Springer Medizin Verlag GmbH ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Nature Geschäftsführer: Joachim Krieger, Fabian Kaufmann Handelsregister Amtsgericht Berlin-Charlottenburg HRB 167094 B Umsatzsteueridentifikationsnummer: DE 230026696 © Springer Medizin Verlag GmbH Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürfen. Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine Gewähr übernommen werden. Derartige Angaben müssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit überprüft werden. PDF: Medizinisches Cannabis - Vollspektrum-Cannabisextrakte für eine einfache, orale, langwirksame Therapie

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