Chronische myeloische Leukämie

Mari-stocker I generated with AI I iStock × Wie lassen sich die verfügbaren Tyrosinkinase-Inhibitoren (TKI) optimal nutzen, um bei chronischer myeloischer Leukämie (CML) das bestmögliche Therapieergebnis zu erzielen? Ein Wechsel sollte bei Bedarf früh erfolgen, um die Prognose zu verbessern und die Chance auf eine therapiefreie Remission zu erhalten. Nach Versagen oder Unverträglichkeit von mindestens zwei TKI konnte mit Asciminib in der ASCEMBL-Studie bei mehr als einem Drittel der Patientinnen und Patienten ein gutes molekulares Ansprechen erzielt werden. Bei guter Verträglichkeit ist die Wahrscheinlichkeit von Kreuzintoleranzen mit anderen TKI aufgrund des besonderen Wirkmechanismus gering. Prof. Dr. Andreas Hochhaus, Jena, erläutert im Interview, warum das vertrauensvolle Gespräch mit den Patientinnen und Patienten so wichtig ist – und welche Gefahren im Fall eines zu späten Wechsels drohen. DIE ASCEMBL-STUDIE Asciminib über 156 Wochen wirksam und gut verträglich Asciminib erweitert in Deutschland seit August 2022 die Therapieoptionen bei chronischer myeloischer Leukämie (CML) [1]. Der an die Myristat-Tasche von ABL1 und ABL2 bindende Tyrosinkinase-Inhibitor (TKI) war in der ASCEMBL-Studie im direkten Vergleich mit dem ATP-kompetitiven TKI Bosutinib im primären Endpunkt überlegen und zugleich besser verträglich [2, 3]. Asciminib wird angewendet zur Behandlung erwachsener Patientinnen und Patienten mit Philadelphia-Chromosom-positiver chronischer myeloischer Leukämie in der chronischen Phase (Ph+ CML-CP), die zuvor mit zwei oder mehr TKI behandelt wurden [1]. Basis der europäischen Zulassung bildete die Studie ASCEMBL mit Patientinnen und Patienten mit Therapieversagen (BCR::ABL1-Transkripte nach Internationalem Standard, IS, ≥1 %) oder Intoleranz gegenüber ≥2 TKI [2]. Sie wurden randomisiert im Verhältnis 2 : 1 der Gabe von Asciminib zweimal täglich 40 mg (n=157) oder Bosutinib einmal täglich 500 mg (n=76) zugeordnet. Die mediane Beobachtungsdauer betrug 3,7 Jahre [3]. Asciminib überlegen wirksam Den primären Endpunkt, eine gute molekulare Remission (major molecular remission, MMR) in Woche 24 (BCR::ABL1-Anteil ≤0,1 %), erreichten Patientinnen und Patienten unter Asciminib mit 25,5 % signifikant häufiger als unter Bosutinib mit 13,2 % (p=0,029; Abb. 1) [2]. Nach 96 Wochen lagen die Ansprechraten bei 37,6 % versus 15,8 % (p=0,001) [2] und zu Studienende in Woche 156 bei 33,8 % versus 10,5 % (p<0,001) [3]. Der Anteil der Patientinnen und Patienten mit einem BCR::ABL1-Anteil ≤1,0 % war unter Asciminib zu allen drei Zeitpunkten mit 43,0–45,1 % mehr als doppelt so hoch als unter Bosutinib mit 19,4 % oder 20,8 %. Verträglichkeit von Asciminib Hinsichtlich den für Bosutinib charakteristischen gastrointestinalen Nebenwirkungen, insbesondere Diarrhö und Übelkeit, zeigte Asciminib durchgehend eine bessere Verträglichkeit. Die Abbruchrate war bei Studienende unter Asciminib mit 50,3 % deutlich geringer als unter Bosutinib mit 89,5 % [3]. Zurückzuführen sei die gute Verträglichkeit von Asciminib auf den besonderen Wirkmechanismus. Denn im Unterschied zu den bis dato verfügbaren ATP-kompetitiven TKI bindet Asciminib an die Myristat-Bindetasche von ABL1 und ABL2 [4, 5]. Off-Target-Effekte wie bei den ATP-kompetitiven TKI wurden für Asciminib nicht beobachtet [1, 4]. Abb. 1: MMR-Rate in der ASCEMBL-Studie: Anteil der Behandelten, die ein gutes molekulares Ansprechen erreichten (modifiziert nach [2, 3]) Springer Medizin Verlag GmbH × Interview mit Prof. Dr. Andreas Hochhaus, Klinik für Innere Medizin II, Hämatologie und Internistische Onkologie, Universitätsklinikum Jena Kriterien für die Therapieentscheidung: Therapieansprechen und Verträglichkeit Patientinnen und Patienten mit CML sprechen oft erst auf Nachfrage über Nebenwirkungen der Therapie. Das vertrauensvolle Gespräch ist deshalb wichtig, um Adhärenzprobleme erkennen und gegebenenfalls frühzeitig eine Therapieumstellung vornehmen zu können. Hochhaus × Welche Empfehlungen geben Sie zum molekularen Monitoring und inwieweit lässt sich damit ein Therapieversagen feststellen? Hochhaus: Zur Quantifizierung der BCR::ABL1-mRNA mittels quantitativer Polymerase-Kettenreaktion (PCR) sollte ein Labor gewählt werden, das nach standardisierten Kriterien arbeitet – und die Proben sollten immer vom selben Labor untersucht werden. Anderenfalls kann es trotz Standardisierung zu Abweichungen kommen. Es sollte auch immer das gleiche Material verwendet werden. In der chronischen Phase der CML empfehlen wir grundsätzlich das periphere Blut. Was den harten Begriff des Therapieversagens betrifft, sprechen wir heute eher von einer Empfehlung zur Umstellung. Denn wir müssen auch den individuellen Verlauf und die Ziele der Patientinnen und Patienten berücksichtigen. Mit einem BCR::ABL1-Anteil ≤10 % nach drei Monaten und ≤1 % nach einem Jahr sind die Zielkriterien aber klar definiert. Werden sie nicht erreicht, ist eine Therapieumstellung zu empfehlen. Nach welchen Kriterien entscheiden Sie sich für einen bestimmten TKI nach zwei Vorbehandlungen? Welche patientenindividuellen Kriterien spielen eine Rolle? Hochhaus: Ob in der ersten oder einer der nachfolgenden Therapielinien: Ich würde innerhalb der jeweiligen Zulassung immer das Medikament mit der höchsten Wahrscheinlichkeit eines Ansprechens bevorzugen. Nach Versagen zweier Vorbehandlungen ist es entscheidend, warum sie versagt haben. War Intoleranz der Grund, wähle ich ein möglichst gut verträgliches Medikament ohne Kreuzintoleranzen zu den Vortherapien. Bei resistenzbedingtem Therapieversagen muss man genau hinschauen, warum die Resistenz entstanden ist. Gibt es zytogenetische Zusatzaberrationen möglicherweise auch außerhalb von BCR::ABL1? Hierzu haben wir hinsichtlich der sich daraus ableitenden Therapiestrategien aber noch keine verlässlichen Daten. Asciminib ist natürlich besonders reizvoll, weil es an einer anderen Stelle angreift als die anderen TKI und sehr viele Mutationen der ATP-Bindungsstelle überwindet – aber auch nicht alle. Deshalb sind die verfügbaren Tabellen wichtig, welcher TKI bei der jeweiligen Mutation am besten passt. Ein alternatives Vorgehen ist bei den wenigen Patientinnen und Patienten erforderlich, bei denen die TKI-Therapie aufgrund von Zytopenien immer wieder unterbrochen werden muss und die normale Hämatopoese nicht regeneriert. Sie sind in der chronischen Phase Kandidaten für eine allogene Stammzelltransplantation – ebenso wie Patientinnen und Patienten mit sehr aggressiven zytogenetischen Zusatzaberrationen. In den ELN-Empfehlungen sind „harte“ Kriterien als Grund für eine Therapieumstellung definiert – etwa ein MMR-Verlust. Welche Rolle spielen „weichere“ Kriterien wie Verträglichkeitsprobleme, die eher im ärztlichen Ermessen liegen? Hochhaus: Ein MMR-Verlust mit Anstieg des BCR::ABL1 kann Zeichen einer Resistenz sein. Deshalb ist eine Mutationsanalyse unverzichtbar. Es erfordert aber auch ein intensives und vertrauensvolles Gespräch mit der Patientin oder dem Patienten zur Adhärenz. Oft werden dann Nebenwirkungen genannt, die vorher nicht geäußert wurden. Sind sie die Ursache mangelnder Adhärenz, ist der Wirkverlust erklärlich – und ich würde die Therapie wechseln, um diese Nebenwirkungen zu verhindern. Was das Nichterreichen bestimmter Therapieziele betrifft, ist ein BCR::ABL1-Anteil ≤1 % nach einem Jahr ein hartes Kriterium. Wird es nicht erreicht, ist eine Therapieumstellung dringend zu empfehlen. Denn je mehr Leukämiezellen sich im Körper befinden, desto höher ist das Risiko, dass sich aufgrund der klonalen Evolution Resistenzen entwickeln. Gleiches gilt für das Zielkriterium von ≤10 % nach drei oder spätestens sechs Monaten. Erfolgt der Wechsel zu spät, kann es zur klonalen Weiterentwicklung der CML bis hin zur Blastenkrise kommen. Als weiches Kriterium für eine Therapieumstellung gelten unter anderem Verträglichkeitsprobleme. Ich würde sie aber ebenfalls unter den harten Kriterien einordnen. Schließlich wollen wir, dass unsere Patientinnen und Patienten die Therapie gut vertragen und eine optimale Lebensqualität haben. Und selbst eine geringgradige Nebenwirkung kann die Lebensqualität beeinträchtigen, wenn sie jeden Tag auftritt. Im Rahmen des Shared Decision Making muss dann gemeinsam mit der Patientin oder dem Patienten besprochen werden, ob die Therapie fortgesetzt werden soll oder ob eine Umstellung gewünscht ist. Manche Patientinnen und Patienten berichten erst dann über Nebenwirkungen, wenn sie von ihrer Ärztin oder ihrem Arzt darauf angesprochen werden [6]. Wie sind Ihre Erfahrungen? Hochhaus: Einschränkungen der Lebensqualität stehen manchmal versteckt im Hintergrund. Eine Patientin oder ein Patient fühlt sich nicht gut, ist ständig müde oder hat jeden Morgen geschwollene Augen – bringt es aber nicht in Zusammenhang mit der Medikation. Ich stelle meinen Patientinnen und Patienten deshalb bei jeder Visite als erstes die Frage: ‚Wie geht es Ihnen?’. Oft kommen solche Nebenwirkungen im Gespräch dann doch zutage. Für das jeweilige Medikament bekannte Nebenwirkungen frage ich direkt ab. Der Wechsel auf ein alternatives Medikament kann die Lebensqualität dann möglicherweise deutlich steigern. Welche Vorteile hat die Umstellung der Therapie bei Verträglichkeitsproblemen? Hochhaus: Je nach Art der Nebenwirkung kann die Umstellung sicherer sein als die Dosisreduktion. Bei sechs verfügbaren TKI mit den bekannten Nebenwirkungsprofilen sollte eine Kreuzintoleranz möglichst vermieden werden. Bei einem Wechsel bestehen gute Chancen, die Verträglichkeit zu verbessern – und die anhaltende oder verbesserte Wirksamkeit können wir mittels PCR schon nach drei Monaten bestätigen. Wie sind Ihre Erfahrungen hinsichtlich einer Therapieumstellung nach Versagen des zweiten TKI? Wie häufig ist der Wechsel erfolgreich? Hochhaus: Ich habe in letzter Zeit sehr häufig Asciminib eingesetzt, und nur sehr wenige Patientinnen und Patienten haben darauf gar nicht angesprochen. Wir wissen zwar aus der ASCEMBL-Studie, dass in Woche 96 etwa die Hälfte der Patientinnen und Patienten nicht das Ziel des BCR::ABL1-Anteils von ≤1 % erreichen. Nach Versagen von zwei TKI ist das aber auch erklärlich. Besonders erfolgreich ist der Wechsel auf Asciminib nach meinen Erfahrungen, wenn er aufgrund von Intoleranzen erfolgt. Denn Asciminib ist eine wirksame und zudem sehr gut verträgliche Substanz. Literatur Fachinformation Scemblix®, aktueller Stand Hochhaus A et al., Leukemia 2023, 37:617–626 Mauro MJ et al., Jahrestagung der American Society of Hematology (ASH), 09.–12.12.2023, San Diego, USA/online, Abstract 4536 Manley PW et al., Leuk Res 2020, 98:106458 Hantschel O, Genes Cancer 2012, 3:436–464 Lang F et al., Kongress der European Hematology Association (EHA), 8.–11.10.2023, Frankfurt a. M. Die Pflichtangaben zu Scemblix® sind abrufbar über den Link https://www.novartis.com/de-de/scemblix Impressum „Präzisionsonkologie bei multiplem Myelom und NSCLC: Die Zukunft der Tumortherapie gestalten“ Literaturarbeit Bericht: Dr. Matthias Herrmann, Berlin Artikel 539922 gedruckt in „best practice onkologie“ Band 19, Heft 9, September 2024 Mit freundlicher Unterstützung der Novartis Pharma GmbH, Nürnberg Corporate Publishing (verantwortl. i. S. v. § 55 Abs. 2 RStV): Ulrike Hafner, Tiergartenstraße 17, 69121 Heidelberg Redaktion: Sabine Jost Springer Medizin Verlag GmbH Heidelberger Platz 3 14197 Berlin Tel: 0800 7780 777 (kostenfrei) | +49 (0) 30 827 875 566 Fax: +49 (0) 30 827 875 570 E-Mail: kundenservice@springermedizin.de Die Springer Medizin Verlag GmbH ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Nature Geschäftsführung: Fabian Kaufmann, Dr. Cécile Mack, Dr. Hendrik Pugge Handelsregister Amtsgericht Berlin-Charlottenburg HRB 167094 B Umsatzsteueridentifikationsnummer: DE 230026696 © Springer Medizin Verlag GmbH Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürfen. Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine Gewähr übernommen werden. Derartige Angaben müssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit überprüft werden. PDF-Download: Memorandum - Chronische myeloische Leukämie

Springer Medizin

Chronische myeloische Leukämie

Expertenmeinung: Wann die Therapie wechseln? Literatur und Interview mit Prof. Dr. Andreas Hochhaus, Jena

Weiterführende Themen

Springer Medizin

Bitte loggen Sie sich ein, um Zugang zu diesem Inhalt zu erhalten

Weiterführende Themen