„Alarmierende Unterdiagnostik der chronischen Niereninsuffizienz“

Das Vorliegen einer Niereninsuffizienz mit deutlich verringerter Filterfunktion (Stadium 3) wird weltweit und speziell auch in Deutschland offenbar dramatisch unterschätzt. Wie die REVEAL-CKD-Studie nahelegt, bleiben hierzulande möglicherweise über 80% der Betroffenen mit entsprechenden eGFR-Werten über Monate ohne Diagnose und damit auch ohne die erforderliche Therapie. Das Wichtigste in Kürze zu dieser Studie finden Sie am Ende des Artikels. Bei einer chronischen Niereninsuffizienz (CKD, chronic kidney disease) kommt es sehr darauf an, frühzeitig zu intervenieren, um ein Fortschreiten, schlimmstenfalls bis hin zum Nierenversagen, zu verhindern. Wie sehr es mit der Erkennung selbst fortgeschrittener Stadien im Argen liegt, zeigen Daten aus einer multinationalen Beobachtungsstudie. Demnach haben in Deutschland 84,3% der Erwachsenen mit labordiagnostischen Hinweisen auf eine chronische Niereninsuffizienz im Stadium 3 innerhalb der Nachbeobachtungszeit (in diesem Fall gut sechs Monate) keine entsprechende Diagnose erhalten. Einschätzung auf Basis der eGFR Die REVEAL-CKD-Studie basiert auf insgesamt sechs Patientendatenbanken aus Deutschland, Frankreich, Italien, Japan und den USA. In Deutschland handelte es sich um den „IQVIATM Disease Analyzer“, ein Informationssystem der Gesundheitsberichterstattung des Bundes (GBE). Das deutsche Team unter der Leitung von Markus P. Schneider vom Universitätsklinikum Erlangen extrahierte daraus Daten zu 90.902 Patienten und Patientinnen. Davon lagen allerdings nur in 26.767 Fällen die erforderlichen Messwerte vor. Geschaut wurde in der Studie speziell nach Personen, bei denen zwei Messungen im Abstand von mehr als 90 Tagen eGFR-Werte zwischen 30 und 60 ml/min/1,73 m2 ergeben hatten (entsprechend den KDIGO*-Kriterien). Wie sich herausstellte, hatten insgesamt mehr als zwei Drittel ein Stadium 3a (eGFR zwischen 45 und 60 ml/min/1,73 m2) und bis zu einem Drittel bereits 3b (eGFR ≥ 30 bis < 45 ml/min/1,73 m2) erreicht, bei einem Durchschnittsalter zwischen 71 und 80 Jahren (in Deutschland: 79 Jahre). Diagnoseverzögerung vor allem bei Senioren Dem Team fiel auf, dass Frauen häufiger unterdiagnostiziert waren als Männer, Personen ohne Begleiterkrankungen häufiger als solche mit Komorbiditäten und Betroffene im Stadium 3a häufiger als solche im Stadium 3b. Studienerstautor Navdeep Tangri von der Universität Manitoba und Kollegen betonen jedoch, dass die Prävalenz einer unerkannten CKD auch bei besonders gefährdeten Patientengruppen, nämlich solchen mit Typ-2-Diabetes oder Bluthochdruck, relativ hoch war. Bei älteren Menschen sei die Wahrscheinlichkeit einer Diagnoseverzögerung außerdem größer gewesen als bei jüngeren (unter 45 Jahren). Insgesamt hätten die Ergebnisse „ernsthafte Versäumnisse“ bei der Diagnose einer fortgeschrittenen Niereninsuffizienz offenbart. Verpasste Chance auf frühe Therapie Dass die CKD im Stadium 3 trotz klinischer Hinweise so oft nicht erkannt werde, sei „höchst alarmierend“, ebenso wie die offenbar geringe Häufigkeit, mit der ein UACR-Test durchgeführt werde. Dieser Test, bei dem der Albumin-Kreatinin-Quotient im Urin bestimmt wird, gilt als verlässliches Anzeichen einer beginnenden Nephropathie. Im „Disease Analyzer“ liegen hierzu keine Informationen vor, in Frankreich waren entsprechende Daten nur in 2% der Fälle verfügbar, in Italien in weniger als 1%. „Verpasste Gelegenheiten für eine frühzeitige Diagnose, prognostische Einschätzung und ggf. Behandlung erhöhen die Gefahr, dass die Erkrankung fortschreitet und es zu Komplikationen wie Nierenversagen und kardiovaskulären Ereignissen kommt“, warnen Tangri und seine Mitforschenden. Ohne entsprechende Diagnose lasse man auch die Gelegenheit verstreichen, frühzeitig wirksame Therapien zu verordnen, die das kardiorenale Risiko im Verlauf einer CKD deutlich senken. Vor allem bei älteren Menschen seien schlechte eGFR-Wert nicht automatisch auf die altersbedingte Abnahme der Nierenfunktion zurückzuführen, mahnt das Team. Es gebe Hinweise aus großen Bevölkerungsstudien, dass eine CKD im Stadium 3 in höherem Alter auch bei relativ geringem Risiko für ein Nierenversagen mit einer erhöhten Mortalität verbunden sei. *Kidney Disease: Improving Global Outcomes Das Wichtigste in Kürze Frage: Prävalenz einer nicht diagnostizierten chronischen Niereninsuffizienz (CKD) im Stadium 3 in Deutschland, Frankreich, Italien, Japan und den USA. Antwort: Laut Informationen aus dem deutschen „Disease Analyzer“ liegt für 84% der Erwachsenen mit einer eGFR zwischen 30 und 60 ml/min/1,73 m2 keine entsprechende Diagnose einer Niereninsuffizienz vor. In Frankreich und Japan sind die Raten noch schlechter (knapp 96% bzw. 92%), in Italien und den USA dagegen besser. Bei Frauen blieb die CKD häufiger unerkannt als bei Männern, und bei Senioren dauerte es länger bis zur Diagnose als bei Jüngeren. Bedeutung: Gelegenheiten zur frühzeitigen Diagnose einer chronischen Niereninsuffizienz sollten besser genutzt werden, um Komplikationen zu verhindern. Einschränkung: Datenbankstudie, gesponsert von AstraZeneca; Fokus auf CKD-Stadium 3; in den Stadien 1 und 2 ist die Prävalenz nicht diagnostizierter Erkrankungen möglicherweise deutlich höher.

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