Zurückhaltung bei Dialyse ohne Nachteil

Früher ist offenbar nicht besser, wenn es um den Start der Dialyse bei Patienten mit Nierenversagen geht. Nach Daten aus den USA könnte sogar das Gegenteil der Fall sein. Das Wichtigste in Kürze zu dieser Studie finden Sie am Ende des Artikels. Um zu studieren, wie sich bei terminaler Niereninsuffizienz der Zeitpunkt des Dialysebeginns auf das Überleben auswirkt, haben Ärzte aus Kalifornien sich eine Besonderheit des amerikanischen Gesundheitssystems zunutze gemacht. Ehemalige Soldaten können dort entweder über Veterans Affairs (VA) oder über Medicare versorgt werden. Letzteres ist ein System mit Einzelleistungsvergütung, VA dagegen ein integriertes Versorgungssystem ohne finanzielle Anreize z. B. für eine Dialyse. Dieser Unterschied zwischen VA und Medicare macht sich in der Dialysehäufigkeit bei terminaler Niereninsuffizienz bemerkbar – und bietet damit „Gelegenheit für ein natürliches Experiment“, wie die US-Ärzte in JAMA Internal Medicine schreiben. Medicare-Patienten erhalten häufiger Dialyse Die Mediziner um Manjula Kurella Tamura (VA Palo Alto Health Care System) haben retrospektiv die Daten von 11.215 Veteranen im Alter ab 67 gesichtet, bei denen zwischen 2008 und 2011 ein terminales Nierenversagen (eGFR < 15 ml/min x 1,73 m2) diagnostiziert worden war. Fast alle Exsoldaten waren Männer (98,8%), das mittlere Alter lag bei 79 Jahren; 3974 wurden über Medicare, 7241 über VA versorgt. Innerhalb von zwei Jahren nach der Diagnose des Nierenversagens wurde eine Dialyse bei 82% der Medicare-Patienten (davon 5% Peritonealdialyse), aber nur bei 53% der VA-Patienten (davon 3% über das Bauchfell) begonnen. Nach Adjustierung von Risikofaktoren entsprach dies immer noch einem Unterschied von 28 Prozentpunkten. Dieselbe Differenz ergab sich, wenn unterschiedliche Wahrscheinlichkeiten für die Einleitung einer Dialyse berücksichtigt wurden. Das heißt, die auseinanderklaffenden Dialyseraten ließen sich nicht mit abweichenden Patientencharakteristika erklären. Besonders ausgeprägt war der Unterschied in der Dialysehäufigkeit bei Menschen über 80, mit Demenz oder metastasierten Krebserkrankungen. Höhere Mortalität in Medicare Die Zwei-Jahres-Mortalität nach Nierenversagen betrug 53% in Medicare, aber nur 44% in VA. Die Differenz wurde etwas geringer, wenn man andere Risikofaktoren mitbetrachtete, belief sich dann aber immer noch auf fünf Prozentpunkte, nach Abgleich der Dialysewahrscheinlichkeit waren es acht Prozentpunkte. „Entgegen der landläufigen Meinung schlug sich die häufigere Einleitung einer Dialyse in Medicare nicht in einem verbesserten Überleben nieder“, heißt es in der Publikation. Eine Nichtüberlegenheit einer frühen Dialyse hatte sich zuvor schon in der IDEAL-Studie gezeigt (Cooper B et al. N Engl J Med 2010): In der bisher einzigen randomisierten kontrollierten Studie hatte es im Hinblick auf die Mortalität keinen Unterschied gemacht, ob mit der Nierenersatztherapie ab einer GFR von 10 oder von 7 ml/min/1,73 m2 begonnen worden war. "Anlass zu Bescheidenheit" Zwei Nephrologen von der Universität in San Francisco, die die aktuelle Studie in JAMA Internal Medicine kommentieren, sehen in der bisherigen Datenlage „einen Anlass zur Bescheidenheit“: „Solange wir auf weitere randomisierte Studien warten, müssen wir anerkennen, dass wir derzeit nicht wissen, was der beste Kompromiss für jeden Patienten ist.“ Diese Bescheidenheit fordern die Kommentatoren ausdrücklich auch von denjenigen, die bislang überzeugt sind, dass eine konservative Therapie für bestimmte, z. B. gebrechliche Patienten eindeutig die bessere Wahl sei. Notwendig sei eine wohlüberlegte gemeinsame Entscheidungsfindung von Nephrologen und Patienten – und die Korrektur von finanziellen Anreizen, die die Gefahr bergen, dass die Patienten früher an die Dialyse kommen, als es für sie optimal ist. Das Wichtigste in Kürze Frage: Wie steht es um Dialyserate und Mortalität von US-Veteranen mit terminaler Niereninsuffizienz, die von zwei unterschiedlichen Gesundheitsdienstleistern versorgt werden? Antwort: Patienten von Medicare, einer Versorgung mit Einzelleistungsvergütung, hatten im Vergleich zu Patienten im Veterans Affairs Health Care System mit integrierter Versorgung eine absolut um 28% höhere Dialyserate, aber auch eine um 5% höhere Mortalität. Bedeutung: Ein früher Dialysebeginn ist nicht immer von Vorteil. Einschränkung: Die Daten wurden retrospektiv ausgewertet, Verzerrungen sind nicht auszuschließen. Fast alle Patienten waren Männer.

Springer Medizin

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