Was das Auge bei Long-COVID-Patienten verrät

Gefäßuntersuchungen an der Netzhaut und ein Biomarker für immunologisch vermittelte Durchblutungsstörungen führten Erlanger Forscher auf die Spur einer möglichen Therapie gegen Long-COVID. Nach ersten erfolgreichen Heilversuchen bei insgesamt vier Patienten untersucht ein interdisziplinäres Team von Wissenschaftlern der Universität Erlangen-Nürnberg jetzt in einer Phase-IIa-Studie, ob der Wirkstoff BC 007 eine geeignete Therapie für Menschen mit Long-COVID ist. Maßgeblich beteiligt sind auch Augenärzte. Je länger die SARS-CoV-2-Pandemie andauert, desto mehr kristallisieren sich auch Langzeitfolgen der Erkrankung als gesellschaftlich relevantes Gesundheitsproblem heraus. „Was Menschen noch über Monate nach einer überstandenen COVID-19-Infektion an anhaltenden Symptomen berichten, ist erschreckend“, so Privatdozentin Dr. Bettina Hohberger, Augenklinik, Universität Erlangen-Nürnberg, in einer Pressemitteilung anlässlich des Jahreskongresses der Augenärztlichen Akademie Deutschland (AAD). „Der Handlungsbedarf ist groß.“ Klinisch weist Long-COVID Parallelen zur myalgischen Enzephalomyelitis (ME) auf, die auch als chronisches Fatigue-Syndrom (CFS) bekannt ist. Und im Hinblick auf die Pathogenese gibt es inzwischen einige Hinweise, dass fehlgeleitete Immunreaktionen und Mikrozirkulationsstörungen von Bedeutung sind. Netzhautgefäße spiegeln Durchblutung im Körper Hier kommen nun die Erlanger Ophthalmologen ins Spiel. Sie nutzten das Auge als „diagnostisches Fenster in den Körper“ und konnten die Veränderungen in den kleinen Gefäßen mittels Optischer Kohärenz-Tomographie (OCT)-Angiographie auch am Augenhintergrund von Long-COVID-Patienten darstellen. Tatsächlich korrelierten die retinalen Durchblutungsstörungen sogar mit der Schwere der Erkrankung. Nach den bisherigen Erkenntnissen sind die Ursachen der Mikrozirkulationsstörung bei COVID-19 multifaktoriell. Unter anderem scheinen eine Endothelitis und Gerinnungsstörungen eine Rolle zu spielen. Bei Long-COVID wurden auch morphologische Veränderungen der Blutzellen beobachtet, beispielsweise vergrößerte und deformierte Erythrozyten. Neben verschiedenen anderen Autoimmunphänomenen konnten häufig auch Autoantikörper gegen G-Protein-gekoppelte Rezeptoren (GPCR-AAbs) nachgewiesen werden. Diese greifen beispielsweise an vasoaktiven Adreno- und Endothelinrezeptoren an. Man findet diese funktionellen Antikörper bei einer Vielzahl anderer Erkrankungen, so auch bei ME/CFS, Offenwinkelglaukom und autoimmuner dilatativer Kardiomyopathie. Vasoaktive Antikörper werden ausgebremst Letztere war die erste Indikation, bei der BC 007 getestet wurde. Bei diesem Wirkstoff, der jetzt im Erlanger reCOVer-Projekt (retina COVID-19 Erlangen) bei Long-COVID und außerdem bei ME/CFS näher untersucht wird, handelt es sich um ein DNA-Aptamer. Aptamere sind kurze einzelsträngige Oligonukleotide. Ihre dreidimensionale Struktur erlaubt es ihnen, spezifische Moleküle zu binden. Im Falle von BC 007 sind das die GPCR-AAbs. BC 007 neutralisiert sie. Der erste Patient, dem das multidisziplinäre Team aus Erlangen BC 007 einmalig im Rahmen eines Heilversuchs infundierte, war ein 59-jähriger Glaukompatient mit gravierenden Long-COVID-Symptomen und Nachweis funktioneller GPCR-AAbs gegen verschiedene Zielstrukturen. Schon innerhalb weniger Stunden nach der Infusion besserten sich seine Beschwerden. Seine Konzentrationsstörungen verschwanden, der Geschmacksinn kehrte zurück und er wurde wieder leistungsfähiger. Die Durchblutungsstörung am Augenhintergrund besserte sich deutlich. Und: „Die Autoantikörper waren erfreulicherweise nicht mehr nachweisbar“, so Hohberger. Auch die anderen drei Heilversuche verliefen nach Angaben der Augenärztin erfolgreich, selbst zeitweise Extremitätenlähmungen bei einer 39-Jährigen besserten sich. Quelle: Ärzte Zeitung

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