Hausärztliches Telemonitoring bei akuten Erkrankungen am Beispiel von COVID-19 – qualitative Interviewstudie
verfasst von:
Peter Jan Chabiera, Svea Holtz, Susanne Maria Köhler, Kim Deutsch, Zoe S. Oftring, Dennis Lawin, Claus F. Vogelmeier, Nurlan Dauletbayev, Lukas Niekrenz, Michael Dreher, Rainer Gloeckl, Rembert Koczulla, Gernot Rohde, Ferdinand M. Gerlach, Sebastian Kuhn, Beate Sigrid Müller
Weltweit wurde in der COVID-19-Pandemie Telemonitoring zur Betreuung von COVID-19-Erkrankten eingesetzt. Im Projekt COVID-19@Home wurde ein Telemonitoringkonzept unter anderem im hausärztlichen Setting implementiert.
Ziel der Arbeit
In diesem Artikel werden Erfahrungen, Barrieren und förderliche Faktoren der Implementation des Telemonitoringkonzepts aus hausärztlicher Sicht dargestellt.
Material und Methoden
Patientenseitig wurde eine App mit bis zu 5 Messgeräten zur Bestimmung der Vitalparameter verwendet. Die Praxen erhielten Zugriff auf ein Webportal mit Einsicht in Messwerte und Symptome sowie Anbindung an eine Supportstruktur. Die ärztlichen Teilnehmenden wurden zu semistrukturierten Interviews eingeladen, die mittels qualitativer Inhaltsanalyse ausgewertet wurden.
Ergebnisse
Acht Praxen mit 51 Patientinnen und Patienten nahmen teil, 7 der 8 ärztlichen Teilnehmenden willigten in ein Interview ein. Eine telemedizinische Begleitung wurde insbesondere dann als Mehrwert empfunden, wenn sie die Arbeitsbelastung oder die eigene Unsicherheit im Kontakt mit Risikopatientinnen und -patienten verringerte. Zusätzliche Aufgaben durch das Telemonitoring wurden meist außerhalb der Sprechstunden vom ärztlichen Personal durchgeführt. Die Messwerte wurden mindestens täglich überprüft. Datenqualität und -zuverlässigkeit wurden überwiegend als gut wahrgenommen. Die Meinungen zur Anzahl der Messgeräte divergierten jedoch.
Diskussion
Eine Akzeptanz der Hausärzteschaft für Telemonitoring bei einer Akuterkrankung ist dann zu erwarten, wenn die Integration in den Arbeitsalltag gelingt und zielgruppenspezifische, begleitende Supportstrukturen vorhanden sind. Zur Optimierung der Aufwand-Nutzen-Relation sollten in zukünftigen Studien klare Einschlusskriterien für Patientengruppen, die von einer telemedizinischen Begleitung profitieren, definiert werden.
Zusätzliche Informationen (Interviewleitfaden für die Befragung der teilnehmenden Ärztinnen und Ärzte) sind in der Online-Version dieses Artikels (https://doi.org/10.1007/s44266-024-00292-8) enthalten.
Die Autoren Sebastian Kuhn und Beate Sigrid Müller teilen sich die Letztautorenschaft.
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Zusatzmaterial online – bitte QR-Code scannen
Hinweis des Verlags
Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Hintergrund und Fragestellung
Mit dem Ende der Pandemie hat die unmittelbare Präsenz von COVID-19 im hausärztlichen Alltag abgenommen. Die während der Pandemie gesammelten Erfahrungen ermöglichen jedoch, unabhängig von spezifischen Erkrankungen, wertvolle Perspektiven für die Weiterentwicklung der Primärversorgung. Weltweit zeigte sich, dass Telemonitoring, bisher vorrangig bei chronischen Erkrankungen eingesetzt, auch bei der Bewältigung akuter Infektionen eine Rolle spielen kann. Im Projekt COVID-19@Home wurde ein Telemonitoringkonzept unter anderem für das hausärztliche Setting in Deutschland implementiert. In diesem Beitrag wird die mittels semistrukturierter Interviews erhobene Perspektive der teilnehmenden Hausärztinnen und Hausärzte auf das Telemonitoring in der ambulanten COVID-19-Behandlung dargestellt.
Einleitung
Im Zuge der Coronapandemie rückte das Management akuter Infektionskrankheiten ins Zentrum der gesellschaftlichen und medizinischen Aufmerksamkeit. Vorwiegend erfolgte die Betreuung von Personen mit einer COVID-19-Infektion ausschließlich ambulant durch Hausarztpraxen [1]. In der Regel benötigten die Erkrankten außer einer symptomatischen Therapie keine weitere Unterstützung [2], allerdings konnte es besonders bei Hochrisikopatienten zu einer rasch fortschreitenden Verschlechterung der Vitalparameter kommen [3]. Hier galt es, den richtigen Zeitpunkt für eine Einweisung zu erkennen [4, 5]. Nachdem vor der Pandemie chronische Erkrankungen wie die Herzinsuffizienz im Fokus ambulanter Telemonitoringstrukturen standen, wurden seitdem in zahlreichen Ländern Telemonitoringstrukturen auch für Akuterkrankungen wie COVID-19 geschaffen [6‐9].
Analog initiierten wir im Rahmen des Netzwerk Universitätsmedizin (NUM) [10] als Teil des Projektes „egePan Unimed“ [11] die Studie COVID-19@Home. Diese Machbarkeitsstudie („Proof-of-Concept-Studie“) hatte zum Ziel, die intersektorale Zusammenarbeit während der COVID-19-Pandemie digital zu unterstützen. Es wurde untersucht, ob ambulant betreute COVID-19-Erkrankte von der Anbindung an eine Telemonitoringstruktur profitieren und die Routinebehandlung durch das Telemonitoring sinnvoll ergänzt werden konnte. Innerhalb des Projekts wurde die Verwendung des Telemonitorings in Hausarztpraxen, einer Notaufnahme und einer Rehabilitationsklinik mit Fokus auf Long-COVID-Behandlung analysiert. Den teilnehmenden Hausarztpraxen wurde mittels Telemonitoring eine erweiterte Beurteilung des Krankheitsverlaufs ermöglicht. In dieser Publikation wird über die Erfahrungen, Barrieren und förderlichen Faktoren aus Sicht der teilnehmenden Hausärztinnen und Hausärzte berichtet – eine Perspektive, die in internationalen Publikationen zum Thema bislang regelhaft fehlt [12‐15].
Methoden
Studiendesign und Setting
Von Januar bis Dezember 2021 wurde in Frankfurt am Main die prospektive Mixed-methods-Studie COVID-19@Home durchgeführt. Kern der Studie war ein Telemonitoringansatz, bei dem erwachsene COVID-19-Erkrankte mit einem Zugang zur App „SaniQ“ (Qurasoft GmbH, Koblenz, Deutschland, Version 1.x, Modul „Infekt“, Medizinprodukt der Klasse 1 nach Medizinprodukterichtlinie) und 5 digitalen Messgeräten (Pulsoximeter, Blutdruck, Fieberthermometer, Smartwatch, Spirometer) ausgestattet wurden. Damit erhoben Erkrankte im häuslichen Setting täglich über 4–12 Wochen verschiedene Parameter (SpO2, Blutdruck, Temperatur, Herzfrequenz, „peak flow“/FEV1, Schrittzahl). Die Messdaten wurden über eine Bluetooth®-Verbindung an die Smartphone-App übertragen. Zudem füllten Erkrankte täglich einen Symptomfragebogen in der App aus. Die Messdaten wurden über eine datenschutzkonforme Schnittstelle an die Hausärzte übermittelt und konnten per Webzugriff in der SaniQ-Telemedizinplattform eingesehen werden (siehe Abb. 1).
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Um eine praxistaugliche Nutzung zu ermöglichen, wurde den teilnehmenden Ärztinnen und Ärzten freigestellt, wie intensiv (täglich, wöchentlich) und zu welchen Uhrzeiten sie die Plattform nutzten. Lag ein Vitalwert außerhalb eines vordefinierten Bereichs, wurde eine Meldung im Portal „SaniQ Praxis“ angezeigt und automatisiert eine E‑Mail an die Behandelnden versendet. Die Alarmgrenzwerte konnten im Praxisportal angepasst werden. Bei kritischen Werten erhielt die erkrankte Person zudem eine Pushbenachrichtigung oder eine automatisierte E‑Mail. In dieser wurden sie zur Wiederholung der Messung und ggf. Kontaktierung von Hausarztpraxis oder Notdienst aufgefordert.
Rekrutierung
Eine Gelegenheitsstichprobe aus Hausärztinnen und Hausärzte wurde über das Forschungspraxennetz Allgemeinmedizin Frankfurt am Main (ForN; [17]) und über eine bundesweite Mailingliste [18] rekrutiert. Acht interessierte Hausärztinnen und Hausärzte erhielten nach Aufklärung und schriftlicher Einwilligung in die Studie eine Onlineschulung für die webbasierte Telemedizinplattform „SaniQ Praxis“. Die Ärztinnen und Ärzte erhielten für die Studienteilnahme keine Vergütung. Während der Studienteilnahme stand unser Studienteam für organisatorische, das Team der Firma SaniQ für technische Fragen zur Verfügung. Mittels Flyer machten die Hausärztinnen und Hausärzte volljährige COVID-19-Erkrankte auf die Studie aufmerksam. Der Erstkontakt mit den Patientinnen und Patienten erfolgte in der Hausarztpraxis bei der Durchführung eines PCR-Tests. Die Patientinnen und Patienten kontaktierten selbstständig das Studienteam und wurden nach Aufklärung und schriftlicher Einwilligung in die Studie eingeschlossen. Insbesondere wurde darüber aufgeklärt, dass durch das Telemonitoring keine durchgehende Überwachung durch die Hausärztinnen und Hausärzte stattfand, sondern eine bessere Selbsteinschätzung ermöglicht werden sollte. Um eine Heterogenität der teilnehmenden Erkrankten hinsichtlich beispielsweise bestehender Risikofaktoren zu ermöglichen, bestanden abseits der Notwendigkeit einer COVID-19-Infektion keine weiteren Einschränkungen zur Aufnahme von Erkrankten in die Studie.
Datenerhebung
Zur Erfassung der hausärztlichen Perspektive wurden semistrukturierte Telefoninterviews durchgeführt. Der Interviewleitfaden sowie das untenstehend beschriebene Kategoriensystem basierten, neben Fragen zum Studiendesign und -ablauf, auf dem „modified technology acceptance model“ (mTAM; [12, 13]). Dem mTAM wurden Fragen zum individuellen Kontext (z. B. zur persönlichen Haltung zu Telemonitoring), zum organisationalen Kontext (z. B. zur Integration in den Arbeitsalltag) und zum technologischen Kontext (z. B. zur Benutzerfreundlichkeit und Zuverlässigkeit) entnommen. Der Fragebogen enthielt zudem Fragen zur Interaktion mit den Erkrankten und zum wahrgenommenen Nutzen (siehe Zusatzmaterial online). Vor Studiendurchführung wurde der Interviewleitfaden mit einer an der Projektdurchführung nicht beteiligten Person auf Länge und Verständlichkeit getestet. Alle 8 Hausärztinnen und Hausärzte wurden nach mindestens 3‑monatiger Studienteilnahme zu einem Interview eingeladen. Das Einladungsschreiben informierte darüber, dass im Rahmen der Projektevaluation im Interview ihre Erfahrungen mit dem Telemonitoring erfragt würden. Nach Einverständnis wurden die Interviews auf einem Diktiergerät aufgezeichnet. Die vorab geschulten Interviewenden (P.J.C., Medizinstudent im letzten Studienjahr, und S.H., Ärztin in Weiterbildung Allgemeinmedizin) führten die Interviews zwischen April und August 2021 durch.
Datenauswertung
Alle Interviews wurden wortwörtlich transkribiert und von 5 Forschenden (P.J.C., S.H., K.D., Z.O., L.N.) mittels qualitativer Inhaltsanalyse nach Kuckartz in einem induktiv-deduktiven Ansatz analysiert [19]. Zunächst wurde basierend auf den Hauptthemen des Interviewleitfadens ein Codierleitfaden entwickelt. Die Hauptkategorien bestanden zum einen aus den deduktiv entwickelten Kategorien des mTAM, zum anderen aus den vor allem induktiv entwickelten Kategorien zu den Rückmeldungen zum Studiendesign und -ablauf. Jede Hauptkategorie hatte mindestens 2 Unterkategorien zur weiteren Differenzierung der Aussagen (Abb. 2). Die ersten 3 Interviews wurden jeweils von P.J.C., S.H. und einer weiteren, erfahreneren Person aus dem Forschungsteam codiert. Anschließend wurde der Codierleitfaden diskutiert und die Erläuterungen der Kategorien geringfügig angepasst, um ein einheitliches Verständnis der Definition einzelner Kategorien und der Abgrenzung voneinander zu schaffen. Alle Interviews wurden dann von P.J.C. und S.H. und jeweils einer weiteren Person mit dem überarbeiteten Codierleitfaden codiert. Die Auswertenden trafen sich regelmäßig zur Besprechung von Fragen. Zur abschließenden Analyse wurde ein Übersichtsraster erstellt und die Inhalte nach Kategorien zusammengefasst. Für die Datenauswertung wurde MAXQDA 2020 (VERBI – Software. Consult. Sozialforschung. GmbH, Berlin, Deutschland) verwendet. Die COREQ- sowie die STROBE-Checkliste [20, 21] wurden orientierend zur Konzeption des Studiensettings, der Datenerhebung, -auswertung und Publikation verwendet.
Ethik und Registrierung
COVID-19@Home war Teil des Projekts „egePan Unimed“ [11], das eines der 13 Projekte der ersten Förderperiode des „Netzwerks Universitätsmedizin“ [10] war. Die Studie wurde von der Ethikkommission der Goethe-Universität Frankfurt am Main genehmigt (Nr. 20-1023). Von allen teilnehmenden Patientinnen und Patienten sowie Hausärztinnen und Hausärzten wurde eine schriftliche Einverständniserklärung eingeholt. Die Studie wurde im Deutschen Register Klinischer Studien registriert (DRKS00024604).
Ergebnisse
Sechs Hausärzte und 2 Hausärztinnen (Alter 43–68 Jahre) nahmen an der Studie COVID-19@Home teil. Die Verteilung der Patientinnen und Patienten auf die Hausarztpraxen war unterschiedlich (Spanne 1–15 Pat. pro Hausarztpraxis). Fünf Hausarztpraxen betreuten unter 5 Patientinnen und Patienten, wohingegen die restlichen 3 mehr als 10 Patientinnen und Patienten betreuten. Sieben von 8 Hausärztinnen und Hausärzten (88 %) stimmten einem Telefoninterview zu. Die Interviews dauerten durchschnittlich 23 min (Spanne 20–28 min). Sie betreuten telemedizinisch 30 Patientinnen und 21 Patienten (Alter 19–77 Jahre, Mittelwert 48,7 Jahre). Die patientenseitige Abbruchquote vor Ende des vorhergesehenen Messzeitraums betrug 8 % (4 Patienten). Bei 10 Erkrankten (21 %) lag bei Studieneinschluss ein Risikofaktor für einen schweren Verlauf der COVID-19-Infektion vor, bei weiteren 8 Personen (17 %) lagen 2 und bei 3 Personen (6 %) lagen 3 Risikofaktoren vor. Die Patientinnen und Patienten gaben bei Studieneinschluss durchschnittlich 4,2 von 13 möglichen Krankheitssymptomen mit Bezug zu einer COVID-19-Infektion an (Spanne 0–11 Symptome, SD 2,8). Die detaillierten Ergebnisse zu den teilnehmenden Patientinnen und Patienten finden sich in einer separaten Publikation [26]. Die Ergebnisse der Interviews mit den Patientinnen und Patienten befinden sich derzeit im Publikationsprozess.
Nach der Codierung des Interviewmaterials anhand des gebildeten Kategoriensystems wurden die Ergebnisse in der Forschungsgruppe diskutiert und die wesentlichen Kernaussagen herausgearbeitet. Diese wurden in die daraufhin gebildeten 3 Hauptkategorien a) Nutzung des Telemonitorings in der Praxisroutine, b) Qualität und Zuverlässigkeit der Daten und c) wahrgenommener Nutzen des Telemonitorings eingeordnet. Im Folgenden werden die Ergebnisse anhand dieser 3 Hauptkategorien dargestellt. Ankerzitate aus den Interviews ergänzen den deskriptiven Ergebnisbericht (HA = Hausarzt/Hausärztin).
Nutzung des Telemonitorings in der Praxisroutine
Die Hausärztinnen und Hausärzte konnten frei entscheiden, wie sie das Telemonitoringkonzept in ihren Arbeitsalltag integrierten. Die meisten empfanden die Benutzeroberfläche der Plattform als übersichtlich und intuitiv. Einige gaben Schwierigkeiten an, in den ersten Tagen der Studienteilnahme eine geeignete Routine zu finden.
Alle Hausärztinnen und Hausärzte kontrollierten die Daten selbst und delegierten diese Aufgabe nicht an weiteres ärztliches Personal oder medizinische Fachangestellte. Die meisten versuchten, die Vitaldaten und Symptomberichte mindestens einmal am Tag einzusehen, regelhaft außerhalb der Sprechstundenzeiten.
HA 1: „Was […] mir am Anfang schwergefallen ist, […] ist, einfach so ein bisschen eine Regelmäßigkeit zu haben. […] und dann hatte ich es […] für mich so institutionalisiert, dass ich gesagt habe: ‚Okay, einmal am Tag guckst du.‘“
Wenige loggten sich nur dann in die Telemedizinplattform ein, wenn sie eine E‑Mail-Benachrichtigung erhielten oder von einem teilnehmenden Patienten oder Patientin direkt kontaktiert wurden. Auch wurde über die mögliche Erwartungshaltung seitens der Erkrankten berichtet, dass der Hausarzt oder die Hausärztin die erhobenen Daten im Konsultationsgespräch kennt.
HA 3: „Ja, einige erwarten halt schon, dass man die Werte kennt. […] Es war jetzt nicht so, dass die gesagt haben: ‚Ja, haben Sie das denn nicht gesehen?‘ […] Aber wenn die dann vor einem sitzen, die sprechen schon so mit einem, als ob man weiß, was die da gemessen haben.“
Lagen kritische Werte vor, kontaktierten die teilnehmenden Hausärztinnen und Hausärzte die Erkrankten teilweise von sich aus.
HA 2: „Also ist tatsächlich so, dass, sobald die Werte aus der Reihe getanzt sind, dass ich dann angerufen habe. Das war das eine Mal so, als dieser […] Sauerstoffwert an die 92 gegangen [ist], habe ich erst einmal angerufen.“
Regelmäßig wurden die Daten zur klinischen Entscheidungsfindung herangezogen.
HA 5: „Also der Patient sagt, er kriegt so schlecht Luft, und Sie haben super Messwerte, dann sagen Sie: ‚Das ist einfach so, das kommt bei Corona vor. Machen Sie sich mal keine Gedanken. Und nehmen Sie mal das und das und nehmen Sie mal was gegen Fieber und Schmerzen und dann funktioniert das.‘ Das war schon gut.“
Qualität und Zuverlässigkeit der Daten
Die meisten Befragten empfanden die erhobenen Messwerte als zuverlässig, teilweise wurde aber angemerkt, die Datenqualität selbst nicht objektiv einschätzen zu können. Vereinzelt wurden die Messgeräte mit den praxiseigenen Messgeräten verglichen. Kritisiert wurde, dass teilweise auch unplausible Werte, wie eine Herzfrequenz von Null, eingetragen wurden.
HA 4: „Ich kann es ja nicht überprüfen. Ich habe die Daten gesehen, aber ob das gute Daten sind oder schlechte Daten sind, weiß ich nicht […].“
Die Möglichkeit der Datenübertragung per Bluetooth® schätzten die ärztlichen Teilnehmenden sehr.
HA 7: „Dadurch, dass die Geräte über Bluetooth® […] übertragen werden, gibt es keine Übertragungsfehler. […] Das ist das Schöne, dass das sozusagen alles homogen […] in einem System ist […]. Auch haben wir mal bei fraglichen Werten eines Patienten mit unseren Praxismessgeräten kontrolliert und es gab keine nennenswerten Unterschiede in den Messergebnissen.“
Wahrgenommener Nutzen des Telemonitorings
Insgesamt bewerteten Hausärztinnen und Hausärzte den Nutzen des Telemonitoringkonzepts unterschiedlich. Mehrere Personen äußerten sich positiv über das Telemonitoring. Sie gaben eine spürbar verringerte Arbeitsbelastung und ein besseres Zeitmanagement an, da Hausbesuche und Sprechstundentermine reduziert wurden und alle Daten digital verfügbar waren. Ein Hausarzt stellte zudem fest, dass sich seine eigene Unsicherheit bei der Behandlung infizierter Risikopatientinnen und -patienten durch die Nutzung des Telemonitorings verringerte.
HA 5: „Und so brauchte ich aus meiner Praxis nicht raus, brauchte mich nicht in einen Anzug zu quälen. […] In zwei Fällen parallel dazu musste ich das […]. Also das Telemonitoring hat dem Patienten Sicherheit gegeben und mir eine Zeitersparnis.“
Im Gegensatz dazu sahen andere für sich und ihre Arbeitsabläufe keinen relevanten Mehrwert, da mit dem Telemonitoring der Zeitaufwand für Kommunikation und Patientenmanagement insgesamt zugenommen habe. Zudem stellten sie den Mehrwert bei einer COVID-19-Erkrankung infrage.
HA 6: „Und wir haben jetzt auch nicht so den medizinischen Bedarf direkt gesehen, ne? Weil also wir sind auch jemand, der sich nicht scheut, da auch mal einen Hausbesuch zu machen. […].“
Mehrmals wurde die Anzahl der eingesetzten Messgeräte angesprochen. Die Ansichten gingen auch hier auseinander. Während eine Person nur das Pulsoximeter als sinnvoll betrachtete, betonte eine weitere Person den Mehrwert davon, verschiedene Messgeräte einzusetzen.
Mehrere Personen konnten sich vorstellen, das Telemonitoring auch bei anderen Erkrankungen einzusetzen. Insgesamt wurde bemängelt, dass eine Funktion zum direkten Datenimport in die Praxisverwaltungssoftware fehlte.
Diskussion
Wichtigste Ergebnisse
Das Telemonitoring bei COVID-19 durch die Hausarztpraxis konnte erfolgreich in 8 Praxen etabliert werden. Unsere Interviewergebnisse zeichnen jedoch kein einheitliches Bild zur telemedizinischen Begleitung einer akuten Erkrankung wie der COVID-19-Infektion durch die Hausarztpraxis. Während die teilnehmenden Hausärztinnen und Hausärzte recht übereinstimmend die Datenqualität und technische Zuverlässigkeit hervorhoben, gingen die Ansichten zu Nutzen und Zeitaufwand auseinander. Die Meinungen reichten von keinem relevanten Mehrwert, da der Aufwand für Kommunikation und Patientenmanagement zugenommen habe, hin zu einer verringerten Arbeitsbelastung durch reduzierte Hausbesuche und Sprechstundentermine. Hervorgehoben wurde der Nutzen bei der Begleitung von Risikopatientinnen und -patienten. In keinem Fall wurde die Dateneinsicht an weiteres Praxispersonal delegiert. Meistens wurde sie außerhalb der Sprechstundenzeiten durchgeführt. Sowohl zur Implementation und Schulung als auch begleitend sind zielgruppenspezifische Supportstrukturen wesentlich für die Akzeptanz eines Telemonitoringkonzepts.
Vergleich mit der Literatur
Unsere Erkenntnisse decken sich mit Empfehlungen internationaler Arbeitsgruppen zur Implementierung von Telemonitoring für COVID-19 [7, 9]. Diesen zufolge ist eine Akzeptanz durch das Gesundheitspersonal nur dann zu erwarten, wenn die Integration in den Arbeitsalltag gelingt und ein zeitlicher Nutzen resultiert. Für einen reibungslosen Start werden Supportstrukturen und zielgruppenorientierte Schulungen empfohlen, wie sie im Projekt COVID-19@Home vorgehalten bzw. durchgeführt wurden [7, 9, 12, 13]. Trotz Vorhalten von Supportstrukturen zeigte sich allerdings in Studien zum Telemonitoring bei COVID-19 und mehreren chronischen Erkrankungen, dass der Zeitaufwand insgesamt durch das Telemonitoring zunahm und kaum parallel zu den regulären Versorgungsstrukturen abbildbar war [22, 23]. Dies wurde auch durch mehrere Teilnehmende der Studie COVID-19@Home angemerkt.
Internationale Studien weisen darauf hin, dass Telemonitoring bei COVID-19 vor allem bei Erkrankten mit Risiken für einen schweren Verlauf ein positives Aufwand-Nutzen-Verhältnis für die Hausarztpraxis haben kann [15]. Dies deckt sich mit den Rückmeldungen unserer Teilnehmenden. Weitere Forschung ist hier nötig, um solide und eindeutige Einschlusskriterien für den Einsatz festzulegen.
In unserer Studie kamen 5 Messgeräte zum Einsatz, deren Mehrwert von der Hausärzteschaft ambivalent beurteilt wurde. Insbesondere die Bedeutung des Pulsoximeters wurde positiv hervorgehoben. Dies steht im Einklang mit anderen Studien, nach denen der zuverlässigste Marker für eine schwerwiegende COVID-19-Erkrankung der Grad der Hypoxie ist [5]. Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass eine Verringerung der Anzahl der Messgeräte das Aufwand-Nutzen-Verhältnis verbessern kann. Besonders wichtig war unseren Teilnehmenden zudem die direkte Datenübertragung in die Praxisverwaltungssoftware. Dies wird auch international empfohlen [7, 9, 14, 24]. Die Hürden dafür sind hierzulande insbesondere aufgrund fehlender Schnittstellen noch hoch [25].
Stärken und Schwächen
Diese Arbeit ist eine der wenigen, die sich mit der hausärztlichen Perspektive auf Telemonitoring von Akuterkrankungen in der Primärversorgung befasst. Der qualitative Ansatz ermöglichte einen ersten, explorativen Zugang zu Erfahrungen und zum empfundenen Nutzen. Die Teilnahmequote an den Interviews war mit 7 von 8 zufriedenstellend. Einschränkend ist zu sagen, dass die teilnehmende Hausärzteschaft möglicherweise aufgeschlossener gegenüber digitalen Lösungen war als die Grundgesamtheit (Selektionsbias). Patientenseitig waren ältere Erkrankte aufgrund geringerer digitaler Kompetenzen mutmaßlich ohne Unterstützung durch z. B. Angehörige kaum in der Lage, an der Studie teilzunehmen. Möglicherweise waren so die tatsächlich teilnehmenden Patientinnen und Patienten unterdurchschnittlich belastet durch die Infektion. Dies mag wiederum den durch die Hausärzteschaft empfundenen Nutzen des Telemonitorings reduziert haben. Zudem wird in dieser Publikation nur die Perspektive der Hausärztinnen und Hausärzte dargelegt. Es erfolgt kein Vergleich mit der Perspektive der teilnehmenden Patientinnen und Patienten. Diese Ergebnisse werden separat publiziert.
Limitierend ist zudem, dass unsere Studie auf Fragen der Durchführbarkeit und mögliche Anwendungsszenarien fokussierte. Zukünftige Studien sollten auch Fragen zur Kosteneffizienz, Reduktion von Krankenhauseinweisungen oder früheren Erkennung schwerer Krankheitsverläufe untersuchen. Ebenfalls fand die Studie zu einem Zeitpunkt statt, der sich hinsichtlich vorliegender Virusvarianten, Anzahl der stattgefundenen Impfungen und Krankheitsverläufe vom Zustand nach der Pandemie unterscheidet. Dies ist bei der Übertragung der Ergebnisse auf die postpandemische Situation oder weitere Anwendungsbereiche zu berücksichtigen. Hinsichtlich der Messgeräte ist anzumerken, dass diese zwar vereinzelt mit den praxiseigenen Messgeräten verglichen wurden. Es fand jedoch keine objektive Validierung der durch die Patientinnen und Patienten gemessenen Werte statt.
Schlussfolgerungen
Unsere Ergebnisse der Machbarkeitsstudie COVID-19@Home zeigen, dass die telemedizinische Begleitung von COVID-19-Erkrankten in der ambulanten Versorgung durch Hausarztpraxen grundsätzlich umsetzbar ist. Der Einsatz bei COVID-19-Erkrankten ist ein exemplarischer Anwendungsbereich für Telemonitoring im Allgemeinen bei Akuterkrankungen im ambulanten Setting. Um das Aufwand-Nutzen-Verhältnis zu optimieren, sollte zukünftig die Anzahl der je Patient eingesetzten Messgeräte verringert werden. Begleitende Supportstrukturen für Hausarztpraxen und Patientinnen und Patienten sind notwendig, um Telemonitoring in die bestehende ambulante Versorgung zu integrieren. Zudem braucht es weiterführende Studien zu prädiktiv aussagekräftigen Einschlusskriterien für den Einsatz sowie zu Kosteneffizienz und klinischer Wirksamkeit. Eine Übertragung des Ansatzes auf andere akute und chronische Erkrankungen sollte ebenfalls Gegenstand weiterer Forschung sein.
Fazit für die Praxis
Telemonitoring ist in der hausärztlichen Betreuung akut Erkrankter grundsätzlich umsetzbar.
Eine telemedizinische Begleitung wird durch die Hausärzteschaft insbesondere dann als Mehrwert empfunden, wenn sie die Arbeitsbelastung oder die eigene Unsicherheit im Kontakt mit Risikopatientinnen und -patienten verringert.
Datenqualität und technische Zuverlässigkeit scheinen keine wesentlichen Hürden (mehr) für die Akzeptanz eines Telemonitoringkonzepts zu sein.
Zielgruppenspezifische, individualisierte Schulungen und begleitende Supportstrukturen sind essenziell für die Etablierung von Telemonitoring.
Zukünftige Studien sind nötig, um klare Einschlusskriterien für Patientengruppen zu definieren, die von einer telemedizinischen Begleitung profitieren.
Förderung
Die Forschungseinrichtungen von S.H., S.M.K., P.J.C., N.D., L.N., T.E., R.G., R.K., G.R., M.D., C.F.V., F.M.G. und B.S.M. erhielten eine Forschungsförderung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, Förderkennzeichen 01KX2021. Der Förderer hatte keinen Einfluss auf das Studiendesign, die Datenerhebung, die Datenauswertung, Interpretation oder Verfassen des Manuskriptes.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt
P.J. Chabiera war während des Projektzeitraums angestellter Mitarbeiter bei TriNetX Oncology GmbH (ehemals OncologyInformationService e.K.). N. Dauletbayev erhielt den CSL Behring Award „Translational Research on Extracellular Vesicles in COPD“. G. Rohde berichtet folgende wirtschaftliche oder persönliche Verbindungen: Honorare für Vortragstätigkeit von Astra Zeneca, Berlin Chemie, BMS, Boehringer Ingelheim, Chiesi, Essex Pharma, Grifols, GSK, Insmed, MSD, Roche, Sanofi, Solvay, Takeda, Novartis, Pfizer, Vertex; Honorare für Beratertätigkeit von Astra Zeneca, Atriva, Boehringer Ingelheim, GSK, Insmed, MSD, Sanofi, Novartis, Pfizer. S. Kuhn ist Gründer und Geschäftsführer der MED.digital GmbH. B.S. Müller erhielt ein persönliches Honorar für die wissenschaftliche Beratung der Krankenkasse „Die Techniker“ zum Thema Patientensicherheit. S. Holtz, S.M. Köhler, K. Deutsch, Z.S. Oftring, D. Lawin, C.F. Vogelmeier, L. Niekrenz, M. Dreher, R. Gloeckl, R. Koczulla und F.M. Gerlach geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Alle beschriebenen Untersuchungen am Menschen oder an menschlichem Gewebe wurden mit Zustimmung der zuständigen Ethikkommission, im Einklang mit nationalem Recht sowie gemäß der Deklaration von Helsinki von 1975 (in der aktuellen, überarbeiteten Fassung) durchgeführt. Die Studie wurde von der Ethikkommission der Goethe-Universität Frankfurt am Main genehmigt (Nr. 20-1023). Von allen beteiligten Patient/-innen liegt eine Einverständniserklärung vor.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
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