In Deutschland sind rund 430.000 Medizinische Fachangestellte (MFA) in Arztpraxen beschäftigt [
1]. Obwohl die Ausbildung inzwischen als beliebtester Ausbildungsberuf unter Frauen gilt [
2], ist es für ambulante Praxen schwer, offene Stellen zu besetzen [
3]. Eine im Rahmen einer im Jahr 2021 durchgeführten Sonderbefragung des ZI (Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland) zur „Personalsituation in Praxen der vertragsärztlichen und -psychotherapeutischen Versorgung“ ergab, dass in den Jahren 2019–2020 in fast 40 % der befragten Praxen nichtärztliches Personal (ohne Auszubildende) die Praxis auf eigenen Wunsch verlassen hatte und außerdem in einem Viertel der ausbildenden Praxen die MFA nach Ausbildungsabschluss trotz Übernahmeangebot nicht in der Praxis tätig bleiben wollte [
4]. Ein Drittel der MFA-Auszubildenden brechen die Ausbildung ab, mehr als drei Viertel bereits im ersten Ausbildungsjahr [
4].
Neben der fehlenden öffentlichen Wertschätzung ist die Vergütungssituation der häufigste Grund für Unzufriedenheit und Abwanderung in andere Tätigkeitsfelder [
3,
5,
6].
Das Tarifgehalt für MFA ist im März 2024 durchschnittlich um 7,4 % gestiegen [
7]. Mit dem ab dem 01.01.2025 geltenden Gehaltstarifvertrag kommt es zu einer weiteren Erhöhung der Tarifgehälter um 3,85 % [
8]. Allerdings ist der Gehaltstarifvertrag nur verpflichtend umzusetzen, wenn die/der beschäftigte MFA Mitglied des ‚Verbandes medizinischer Fachberufe e. V. (VmF)‘ und die/der Hausärzt*in (HÄ) Mitglied der ‚Arbeitsgemeinschaft zur Regelung der Arbeitsbedingungen der Arzthelferinnen/Medizinischen Fachangestellten (AAA)‘ ist [
9].
Die Corona-Pandemie zeigte mehr denn je, dass die ambulante ärztliche Versorgung nur mit dem großen Einsatz der MFA zu bewältigen ist [
10,
11]. Einen staatlich finanzierten Corona-Bonus [
12], wie für Pflegekräfte in Kliniken, gab es für Mitarbeitende in Arztpraxen jedoch nicht [
13]. Stattdessen gab es die Möglichkeit von zwar steuerbefreiten, aber rein arbeitgeberfinanzierten finanziellen Sonderleistungen bzw. Zuschüssen [
14].
Im April 2022 wurde im Rahmen der „VeCo-Praxis-Studie“ eine Befragung unter HÄ und MFA in Berlin, Brandenburg und Thüringen zu ihrer Perspektive auf Veränderungen, Bedarfe und Belastungen während der COVID-19-Pandemie durchgeführt. Das Vorgehen ist ausführlich im Studienprotokoll und in der Publikation der Ergebnisse beschrieben [
15,
16]. Entsprechend der zweizeitigen Planung wurde die Befragung im Mai 2023 wiederholt.
Der Fragebogen für die erste Erhebung („Baseline“) enthielt im Wesentlichen Fragen zur hausärztlichen Versorgung während der Corona-Pandemie mit der zusätzlichen Freitextfrage „Was hat Sie während der Pandemie am meisten belastet?“. Diese Frage nutzten insbesondere MFA, um ihre Vergütungssituation sowie das Thema Corona-Sonderzahlungen zu thematisieren. Diese Aspekte wurden in der zweiten Erhebung („Follow-up“) mit zwei Zusatzfragen an HÄ und MFA explizit aufgegriffen.
Ziel war es, in der Folgeerhebung jeweils aus Perspektive von HÄ und MFA zu erfassen, ob in der jeweiligen Praxis Tätige nach Tarif bezahlt werden und ob eine pandemiebezogene Sonderauszahlung erfolgt ist.
Methodik
Die VeCo-Praxis-Studie war Teil des durch das BMBF (Bundesminsterium für Bildung und Forschung) geförderten Strukturaufbaus des Forschungspraxennetzes „RESPoNsE – Berlin, Brandenburg, Thüringen“.
Studienpopulation
In der Baseline-Erhebung wurden an 3974 HÄ in den drei Regionen anonym auszufüllende Fragebögen für HÄ als auch für MFA versandt und im Anschreiben auf die Möglichkeit des Kopierens des MFA-Fragebogens hingewiesen, sodass mehrere MFA teilnehmen konnten [
16]. Den ausgefüllten Fragebogen schickten 657 HÄ und 762 MFA schickten den ausgefüllten Fragebogen zurück. Um die teilnehmenden Praxen zu erfassen, wurden alle angeschriebenen HÄ gebeten, ihre Teilnahme auf einer vorbereiteten Postkarte zu dokumentieren und diese mit ihrem Namen und Praxisstempel getrennt vom Fragebogen zurückzusenden. Der Versand der Follow-up-Fragebögen erfolgte anschließend nur an die Praxen, die an der Baseline-Befragung teilgenommen hatten.
Fragebogenentwicklung
Die Fragebogenentwicklung erfolgte partizipativ mit den Mitgliedern des RESPoNsE-Praxisbeirats und weiteren MFA [
16].
Baseline-Fragebogen
Die Fragebögen für HÄ und MFA waren im Wesentlichen identisch bzw. äquivalent. Neben den demografischen Fragen enthielten sie jeweils fünf Fragen zu Einschätzungen zu verschiedenen Aspekten der Versorgung der Patient*innen und der eigenen Arbeitsbelastung während der Corona-Pandemie in Form einer Likert-Skala (Fragebogen im Anhang). Eine Freitextfrage zu den empfundenen Belastungen während der Pandemie wurde besonders von den MFA gewünscht und deshalb sowohl in den HÄ- als auch in den MFA-Fragebogen aufgenommen. Eine Pilotierung erfolgte durch Mitglieder des RESPoNsE-Praxisbeirats sowie durch weitere MFA.
Follow-up-Fragebogen
Es war geplant, den identischen Fragebogen nach einem Jahr erneut an die Teilnehmenden der ersten Erhebung zu versenden, um Unterschiede im Verlauf der Pandemie zu explorieren. Zum Zeitpunkt der zweiten Befragung im Mai 2023 war die Pandemie jedoch bereits offiziell als beendet erklärt worden [
17,
18], und es war anzunehmen, dass die Praxen inzwischen von einem „Pandemie-Modus“ in einen „Vor-Pandemie-Modus“ zurückkehrten. Daher wurden einige Fragen des Follow-up-Fragebogens angepasst, um diesem Aspekt Rechnung zu tragen (Fragebogen im Anhang).
Ergänzend wurden in der Follow-up-Erhebung zwei neue Fragen aufgenommen, die sich auf die MFA-Vergütung und den gezahlten Corona-Bonus bezogen, um die Freitextantworten der ersten Erhebung aufzugreifen. Die geschlossenen Fragen an HÄ lauteten: „Die MFA meiner Praxis werden bezahlt: nach Tarif; eher untertariflich; eher übertariflich; keine Angabe“, sowie „Die MFA meiner Praxis haben eine Corona-Prämie erhalten: ja, einmalig; ja, mehrmalig; nein“. Die Fragen an die MFA wurden äquivalent formuliert im Sinne von „Ich werde bezahlt …“ bzw. „Ich habe eine Corona-Prämie erhalten …“. Wie schon in der Baseline-Erhebung waren die befragten MFA ausschließlich Mitarbeitende in den Praxen der auch an der Erhebung teilnehmenden HÄ.
Auswertung
Die Analyse quantitativer Fragebogenanteile erfolgte deskriptiv mit IBM SPSS Statistics for Windows (Version 28.0, Fa. IBM Corp, Armonk, NY, USA) unter Angabe der Häufigkeiten gültiger Antworten.
Bivariate Auswertungen erfolgten mittels des Chi-Quadrat-Tests. Freitextantworten wurden inhaltsanalytisch mithilfe des Programms MAXQDA 2020 (VERBI – Software. Consult. Sozialforschung. GmbH, Berlin, Deutschland) ausgewertet.
Ergebnisse
Die Ergebnisse der ursprünglichen Forschungsfragen zur hausärztlichen Versorgung während der Corona-Pandemie aus der Baseline-Erhebung und der der Follow-up-Befragung wurden an anderer Stelle publiziert [
16,
19].
In beiden Erhebungen waren gut zwei Drittel der Befragten weiblich, gut die Hälfte aus Berlin. In der Baseline-Erhebung waren 54,6 % in Einzelpraxis tätig, 16,7 % waren angestellt; in der Follow-up-Erhebung waren dies 60,3 % bzw. 14 %.
Dieser Artikel stellt nun ausschließlich die Ergebnisse dar, die sich auf die Vergütung bzw. Sonderzahlungen für MFA beziehen.
Von den 657 teilnehmenden HÄ (16,5 % der Angeschriebenen) und 762 teilnehmenden MFA der Baseline-Erhebung schickten 327 HÄ (29,5 % der Teilnehmenden HÄ der Ersterhebung) und 369 MFA den ausgefüllten Follow-up-Fragebogen zurück.
Freitextantworten aus der Baseline-Erhebung zum Thema Bezahlung und Corona-Bonus
Auf die Frage, was sie während der Pandemie als besonders belastend empfanden, nannten 33 MFA eine generell zu geringe Vergütung und/oder das Fehlen einer Ausgleichszahlung für die geleistete Mehrarbeit während der Pandemie.
„Dass es immer noch als selbstverständlich angesehen wird, dass wir unsere Arbeit leisten, von uns nie jemand spricht, dass wir zu wenig qualifiziertes Personal haben und viele noch nicht mal tariflich bezahlt werden.“
„Mehrbelastung (Labor, PCR, HB, Impfen) ohne finanziellen Ausgleich.“
Mehrfach genannt wurde auch Frustration darüber, im Gegensatz zu anderen Berufsgruppen nicht zusätzliche staatliche Corona-Zahlungen erhalten zu haben:
„Mangelnde Wertschätzung durch die Politik. Coronaprämie für Verwaltungsmitarbeiter im Homeoffice und nicht für Fachkräfte an der Front.“
„Kein Corona-Bonus. Keine Gleichstellung mit Pflegekräften in den Krankenhäusern!“.
Es gab aber auch Stimmen, die bemängelten, dass HÄ MFA nicht an ihren Zuverdiensten (zum Beispiel durch das Impfen) teilhaben ließen:
„Das ständige Meckern des Chefs, der nicht weiß, woher er das Geld nehmen soll, um uns eine ‚Anerkennung‘ zu zahlen. Mit dem Impfen hat man mal locker 100.000 € zusätzlich eingenommen. Warum werden Ärzte nicht einfach verpflichtet, ihrem Personal diese Leistung ordentlich zu vergüten!!“
Auch 16 HÄ erwähnten in den Freitextnennungen finanzielle Aspekte, die sie als besonders belastend wahrgenommen haben. Neben dem Fehlen eines finanziellen Ausgleichs für HÄ („
Fehlende Vergütung des Aufwandes“), wurde auch vielfach bemängelt, dass es keine staatliche Bonuszahlung für MFA gab und Sonderzahlungen für MFA von den HÄ erbracht werden mussten:
„Wir haben als Hausärzte sicherlich > 90 % aller Coronapatienten betreut – aus unserer Tasche haben wir alle Überstunden + Prämien gezahlt!“
Follow-up-Fragebogen mit Vergleich der HÄ-/MFA-Perspektive auf Vergütung und Bonus
Betrachtet man alle Teilnehmenden (einschließlich derer, die diese Frage nicht beantwortet haben) des Follow-up, so gaben knapp 70 % der HÄ und gut die Hälfte der MFA an, ein tarifliches oder übertarifliches Gehalt zu zahlen bzw. zu erhalten. Da jedoch fast ein Drittel der MFA und ein gutes Fünftel der HÄ diese Frage nicht beantwortete, ergibt sich bei alleiniger Berücksichtigung der abgegebenen Stimmen ein noch größerer Unterschied zwischen den Angaben beider Gruppen: HÄ gaben deutlich häufiger an, übertariflich zu zahlen, während deutlich mehr MFA angaben, untertariflich bezahlt zu werden.
Ein ähnliches Bild ergibt sich für die Auszahlung einer Corona-Prämie: während insgesamt die große Mehrheit der teilnehmenden MFA angab, eine Corona-Prämie erhalten zu haben, gaben mehr MFA als HÄ an, dass es zu keiner Auszahlung einer Corona-Prämie kam (Tab.
1).
Tab. 1
Vergleich der Perspektive von Hausärzt*innen (HÄ) und Medizinischen Fachangestellten (MFA) auf Vergütung und Bonus (Häufigkeiten)
Gehalt der MFA in der Praxis ist … |
Eher übertariflich | 112 (34,3) | 43,4 | 45 (12,2) | 17,7 |
Nach Tarif | 113 (34,6) | 43,8 | 142 (38,5) | 55,9 |
Eher untertariflich | 33 (10,1) | 12,8 | 67 (18,2) | 26,4 |
Keine Angabe | 69 (21,1) | – | 115 (31,2) | – |
Es wurde in der Praxis eine Corona-Prämie an MFA bezahlt |
Ja, einmalig | 69 (21,2) | 23,4 | 117 (31,7) | 33,3 |
Ja, mehrmalig | 209 (63,9) | 70,8 | 199 (53,9) | 56,7 |
Nein | 17 (5,2) | 5,8 | 35 (9,5) | 10,0 |
Keine Angabe | 32 (9,7) | – | 18 (4,9) | – |
Zahlungen von HÄ an MFA abhängig von HÄ-/Praxischarakteristika
Berliner HÄ zahlen nach ihren Angaben eher ein übertarifliches und deutlich seltener ein untertarifliches Gehalt als HÄ in Brandenburg und Thüringen. HÄ in einer Berufsausübungsgemeinschaft zahlen seltener ein untertarifliches Gehalt als HÄ in anderen Praxisformen (Tab.
2).
Tab. 2
MFA-Vergütung in Abhängigkeit von HÄ- bzw. Praxis-Charakteristika
HÄ-Geschlecht |
Weiblich | 42,4 | 44,1 | 13,6 | 177 |
Männlich | 46,2 | 43,6 | 10,3 | 78 |
HÄ-Alter |
Bis 50 Jahre | 34,3 | 47,1 | 18,6 | 70 |
51 bis 60 Jahre | 44,9 | 43,9 | 11,2 | 107 |
Über 60 Jahre | 49,4 | 40,7 | 9,9 | 81 |
Bundesland1 |
Berlin | 52,8 | 41,0 | 6,3 | 144 |
Brandenburg | 32,9 | 48,8 | 18,3 | 82 |
Thüringen | 26,7 | 46,7 | 26,7 | 30 |
Praxisart |
Einzelpraxis | 41,3 | 44,7 | 14,0 | 150 |
BAG | 52,4 | 21,6 | 9,5 | 63 |
MVZ | 34,8 | 53,3 | 13,0 | 23 |
PG | 26,7 | 44,2 | 20,0 | 15 |
DEGAM-Mitgliedschaft |
Ja | 42,3 | 50,0 | 7,7 | 52 |
Nein/Keine Angaben | 43,7 | 42,2 | 14,1 | 206 |
HÄV-Mitgliedschaft |
Ja | 49,1 | 40,9 | 10,0 | 110 |
Nein/Keine Angaben | 39,2 | 45,9 | 14,9 | 148 |
Weibliche HÄ zahlten etwas seltener keine Corona-Prämie als männliche Kollegen; in MVZ tätige HÄ zahlten häufiger keine Corona-Prämie als Kolleg*innen anderer Praxisformen (Tab.
3).
Tab. 3
Zahlung einer Corona-Prämie in Abhängigkeit von HÄ-/bzw. Praxis-Charakteristika
HÄ-Geschlecht2 |
Weiblich | 22,6 | 73,1 | 4,3 | 208 |
Männlich | 26,2 | 65,5 | 8,3 | 84 |
HÄ-Alter |
Bis 50 Jahre | 19,5 | 72,0 | 8,5 | 82 |
51 bis 60 Jahre | 18,7 | 76,4 | 4,9 | 123 |
Über 60 Jahre | 33,3 | 62,2 | 4,4 | 90 |
Bundesland |
Berlin | 24,0 | 69,5 | 6,5 | 154 |
Brandenburg | 17,8 | 76,6 | 5,6 | 107 |
Thüringen | 39,4 | 57,6 | 3,0 | 33 |
Praxisart3 |
Einzelpraxis | 23,7 | 71,1 | 5,2 | 173 |
BAG | 12,9 | 81,4 | 5,7 | 70 |
MVZ | 44,4 | 44,4 | 11,2 | 27 |
PG | 31,2 | 68,8 | 0 | 16 |
DEGAM-Mitgliedschaft |
Ja | 22,8 | 70,2 | 7,0 | 57 |
Nein/Keine Angaben | 23,5 | 71,0 | 5,5 | 238 |
HÄV-Mitgliedschaft4 |
Ja | 19,3 | 78,1 | 2,6 | 114 |
Nein/Keine Angaben | 26,0 | 66,3 | 7,7 | 181 |
Unter den an der Follow-up-Befragung teilnehmenden HÄ waren 62 (19 %) Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM) und 127 (38,8 %) Mitglieder des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes (HÄV); Mitglieder in beiden Fachgesellschaften waren 11,6 %. DEGAM- und HÄV-Mitglieder gaben jeweils etwas seltener an, ihre MFA untertariflich zu bezahlen als Nichtmitglieder.
Mitglieder des HÄV zahlten nach ihren Angaben etwas häufiger (97,4 %) eine Corona-Sonderleistung an ihre MFA als Nicht-HÄV-Mitglieder (92,3 %).
Diskussion
Im Rahmen der „VeCo-Praxis-Studie“, die in einer zweizeitigen Fragebogenerhebung unter HÄ und MFA verschiedene Aspekte der hausärztlichen Versorgung und der Perspektive auf den eigenen Beruf sowie Belastungen während der Corona-Pandemie untersuchte, wurde der Fragestellung nachgegangen, ob MFA aus Sicht von HÄ und MFA nach Tarif vergütet werden und ob während der Pandemie eine Corona-Sonderzahlung ausgezahlt wurde.
Dabei gaben mehr als zwei Drittel der teilnehmenden HÄ, aber nur rund die Hälfte der MFA an, nach Tarif oder übertariflich zu zahlen bzw. bezahlt zu werden. Nahezu ein Drittel der teilnehmenden MFA und ein Fünftel der teilnehmenden HÄ beantworteten diese Frage nicht. Eine mögliche Erklärung ist das Antworten nach sozialer Erwünschtheit, da alle ausgefüllten Fragebögen in einem gemeinsamen Rückumschlag zurückgesendet werden sollten und somit die Anonymität der Fragebögen auf Praxisebene nicht gewährleistet war. Es ist deshalb eher von einer Unterrepräsentierung der MFA, die aus ihrer Sicht untertariflich bezahlt werden, auszugehen. Unter den Teilnehmenden, die die entsprechenden Fragen beantworteten, gaben 12,8 % der HÄ, aber 26,4 % der MFA an, untertariflich bezahlt zu werden.
Gründe für die unterschiedlichen Einschätzungen von HÄ und MFA können unterschiedlich interpretiert werden: Denkbar ist bei beiden Professionen eine Unkenntnis der Definition eines Tarifgehalts oder des aktuellen Tarifniveaus [
20]. Dies trifft vermutlich besonders für die angestellten HÄ zu, die ebenfalls an der Befragung teilnehmen konnten. Möglich ist auch, dass manche HÄ zu einem früheren Zeitpunkt nach Tarif bezahlt haben, die Gehälter mit Änderungen des Tarifvertrags aber nicht angepasst haben. Manche MFA werden vielleicht nach Tarif bezahlt, sind aber ihrer Meinung nach nicht ihrer Berufserfahrung und ihrem Einsatz entsprechend eingruppiert [
20].
Unter MFA könnte auch der Eindruck, mit oder ohne Tarif insgesamt zu wenig zu verdienen, das Antwortverhalten beeinflusst haben. In einer Befragung aus dem Jahr 2024 unter überwiegend (aber nicht ausschließlich) in HÄ-Praxen tätigen MFA gaben zwar annähernd drei Viertel der MFA an, nach Tarif bezahlt zu werden, dennoch war nur ein Drittel mit ihrer Vergütung zufrieden [
6].
Eine zurückliegende Online-Umfrage des VmF unter MFA ergab, dass knapp ein Viertel im Jahr 2013 untertariflich bezahlt wurde [
21]. Dies deckt sich ungefähr mit dem Anteil derjenigen MFA, die diese Frage in dieser aktuellen Befragung – zehn Jahre später und trotz Zuspitzung des Fachkräftemangels – entsprechend beantwortet haben. Gleichzeitig zeigte sich in der VmF-Erhebung, dass Mitglieder des VmF eher nach Tarif oder darüber bezahlt werden als Nichtmitglieder. Zu vermuten wäre, dass die Verbandsmitglieder genauer über die Tarifbestimmungen aufgeklärt sind und/oder besser in der Lage sind, ihre Interessen durchzusetzen. In unserer Befragung zeigte sich, dass Mitglieder der ärztlichen Verbände DEGAM und HÄV nach ihrer Ansicht etwas häufiger ihre Mitarbeiter*innen nach Tarif oder darüber bezahlen als Nichtmitglieder. Auch hier wäre eine bessere Kenntnis über das Tarifgefüge und Möglichkeiten von Sonderzahlungen denkbar.
Insgesamt sind in unserer Erhebung aber (von beiden Gruppen) sowohl eine Vergütung nach Tarif oder darüber sowie auch eine oder mehrere Corona-Sonderzahlungen angegeben worden. Laut der Sonderbefragung des ZI aus dem Jahr 2021 zahlte in den Jahren 2020 und 2021 fast ein Drittel der vertragsärztlichen Praxen nach eigenen Angaben Sonderleistungen, und fast die Hälfte gewährte zusätzlich Sachleistungen, wie zum Beispiel Fahrtkostenerstattungen. Nach der ZI-Befragung wurden in den Jahren 2019 bis 2020 pro Praxis insgesamt durchschnittlich rund 8800 € für zusätzliche Aufwendungen an das Personal ausgegeben [
4].
Angesichts des bereits vorhandenen und sich weiter verschärfenden Personalmangels in den Praxen müssen Gründe für Berufsunzufriedenheit beleuchtet werden. Neben Aspekten wie Qualifizierungs‑/Entwicklungsmöglichkeiten, Anerkennung und Wertschätzung sowie Arbeitsbedingungen stellt die adäquate Vergütung den wichtigsten Faktor dar [
5,
6]. Eine bessere Bezahlung für MFA ist daher unabdingbar. Zu beachten ist jedoch, dass bereits jetzt die Zunahme der Aufwendungen für Personal über dem Wachstum der Gesamteinnahmen der Praxen liegen [
22]. Die Personalaufwendungen erhöhten sich laut ZI im Jahr 2021 um 9,5 % und im Jahr 2022 erneut um 9,1 % pro Praxis (alle vertragsärztlichen Praxen) [
23]. Die Personalkosten stellen in den Praxen lt. ZI (57,8 % im Jahr 2022) und dem statistischen Bundesamt (59 % im Jahr 2022) den größten Kostenanteil dar [
24]. Allerdings fallen auch steigende Mieten, zunehmende Energie- und sonstige Betriebskosten, Wartung und Instandhaltung sowie die Inflation stärker ins Gewicht [
22,
23,
25]. Eine gesicherte Gegenfinanzierung ist daher eine wichtige Forderung [
26].
Limitationen
Die präsentierten Ergebnisse basieren auf zusätzlichen Erhebungen bzw. Auswertungen, die nicht Teil der ursprünglichen Fragestellungen des VeCo-Praxis-Projekts waren. Die entsprechenden Fragen der Follow-up-Befragung wurden auf der Grundlage von Freitextantworten in der Baseline-Erhebung entwickelt, um explorativ diesen zusätzlichen Aspekt zu adressieren. Dabei wurden im Einklang mit den ursprünglichen Fragen der beiden Befragungen lediglich subjektive Einschätzungen erhoben, kein echter „Ist-Zustand“. Auch die Abweichungen der Antworten von HÄ und MFA aus den gleichen Praxen machen deutlich, dass nicht auf die tatsächlichen Zahlungen geschlossen werden kann. Diese müssten in einer entsprechenden weiteren Studie erhoben werden.
Fazit für die Praxis
-
Eine adäquate Vergütung ist neben der Wertschätzung ein entscheidender Faktor für die Berufszufriedenheit der Medizinischen Fachangestellten (MFA) und damit für die Wahl und den Verbleib im Beruf.
-
Das geltende Tarifgehalt kann und sollte daher eine Richtschnur sein, an der sich bereits die Mehrheit der Hausärzt*innen (HÄ) orientiert.
-
Bei steigenden Kosten in den Praxen ist eine adäquate Bezahlung für HÄ gleichermaßen von Bedeutung.
-
Eine weitere Erhöhung der MFA-Vergütung muss aufseiten der HÄ entsprechend gegenfinanziert sein.
-
Während der vergangenen Pandemie wurden von einer großen Mehrheit der Hausärzt*innen Sonderzahlungen an ihre Mitarbeiter*innen gezahlt.
-
In Zeiten erhöhter Arbeitslast wie während der Corona-Pandemie sollte es selbstverständlich sein, dass die MFA äquivalent zu anderen Gesundheitsberufen eine staatliche Förderung erhalten.
-
Dies muss in einem nächsten Pandemiefall oder anderen Phasen plötzlich anfallender Mehrbelastung angesichts des bereits vorhandenen Mangels an MFA vonseiten der Politik beachtet werden.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Alle beschriebenen Untersuchungen am Menschen oder an menschlichem Gewebe wurden mit Zustimmung der zuständigen Ethikkommission, im Einklang mit nationalem Recht sowie gemäß der Deklaration von Helsinki von 1975 (in der aktuellen, überarbeiteten Fassung) durchgeführt. Von allen beteiligten Patient/-innen liegt eine Einverständniserklärung vor.
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