Weniger Krebsdiagnosen in der Pandemie in Deutschland

Im ersten Pandemiejahr ist die Zahl der Krebsdiagnosen in Deutschland deutlich gesunken. Dies könnte in den kommenden Jahren zu einer erhöhten Inzidenz fortgeschrittener Tumoren führen. Auffallend war der Rückgang vor allem in dermatologischen Praxen. Hinweis: Das Wichtigste in Kürze zu dieser Studie finden Sie am Ende des Artikels. Im Frühjahr 2020 hat vermutlich jeder, der nicht dringend zum Arzt musste, einen großen Bogen um Arztpraxen gemacht, und selbst Klinikeinweisungen aufgrund von Herzinfarkten und Schlaganfällen sind kurzfristig drastisch zurückgegangen. Im Laufe des ersten Pandemiejahres hat sich die Situation zum Teil wieder normalisiert, doch gerade bei den häufig als nicht besonders dringend erachteten Krebsvorsorgeuntersuchungen übten sich viele in Zurückhaltung. Ähnliches dürfte auch bei ersten Krebszeichen der Fall gewesen sein: Der dunkle Hautfleck, der nur langsam wächst, musste eben noch etwas warten. Wie stark sich die Pandemie auf die Zahl der Krebsdiagnosen in deutschen Praxen ausgewirkt hat, haben nun Forscher um Professor Karel Kostev von IMS Health in Frankfurt am Main anhand der Datenbank Disease Analyzer eruiert. Sie fanden über das erste Pandemiejahr hinweg einen Rückgang der Krebsdiagnosen in fast allen Haus- und Facharztpraxen. Am stärksten sank die Zahl der Patienten mit neu diagnostiziertem Hautkrebs. 12% weniger Krebsdiagnosen bei Dermatologen Für ihre Analyse konnten die Forscher um Kostev anonymisierte Angaben von 1403 teilnehmenden und als repräsentativ geltenden Arztpraxen auswerten, wobei sie sich auf Praxen von Hausärzten (993), Gynäkologen (234), Dermatologen (91) und Urologen (84) konzentrierten. Empfehlung der Redaktion Gesammelte Beiträge COVID-19 und onkologische Erkrankungen Was ist bekannt über die Wechselwirkungen von COVID-19 und Krebs und was gilt es in der Onkologie zu beachten? Welche Patientinnen und Patienten sind besonders gefährdet? Wie gut wirken die Impfstoffe bei Krebserkrankten und welche Therapieimplikationen ergeben sich aus dem aktuellen Wissensstand? Im Jahr vor der Pandemie, zwischen April 2019 und März 2020, besuchten rund 3,9 Millionen Patienten die Praxen, im ersten Pandemiejahr zwischen April 2020 und März 2021 waren es fast 3% weniger. Bei 139.000 Patienten diagnostizierten die Ärzte im Jahr vor der Pandemie erstmals eine Krebserkrankung, im ersten Pandemiejahr erhielten nur noch knapp 127.000 Patienten eine Krebsdiagnose, das sind rund 9% weniger. Relativ betrachtet – bezogen auf 1 Million Patienten – war die Zahl der Diagnosen im Pandemiejahr aber ebenfalls geringer, und zwar um 6,5%. Also selbst bei den Patienten, die noch in die Praxen gingen, wurde seltener ein Tumor diagnostiziert als im Jahr vor der COVID-19-Pandemie. Am stärksten ging die durchschnittliche Zahl von neu diagnostizierten Krebspatienten pro Praxis bei Dermatologen zurück (minus 12,3%), Gynäkologen verzeichneten einen Rückgang von 7,9%, Urologen von 6,6% und Hausärzte von 7,1%. Ein entsprechendes Bild bot sich auch bei den betroffenen Organsystemen: Krebserkrankungen der Haut minus 12,8%, der Verdauungsorgane minus 8,5%, der Atemwege minus 7,4%, von Kopf und Gehirn minus 7,4%, der männlichen Genitalien inklusive Prostata minus 6,3%, der weiblichen Brust minus 5,3%, der weiblichen Genitalien minus 4,7%. Bezogen auf die Altersgruppen war der Rückgang unter den 40- bis 50-Jährigen am stärksten: Hier gab es im ersten Pandemiejahr 15% weniger Patienten mit einer neuen Krebserkrankung. Für die Forscher um Kostev ist nicht nur die Ärztephobie in der Frühphase der Pandemie ein Grund für die geringere Zahl der Patienten mit einer neuen Krebsdiagnose, teilweise sei auch die Kooperation der Ärzte mit spezialisierten Praxen und Kliniken eingeschränkt gewesen. So wurden weniger Patienten zur Abklärung einer Tumorerkrankung an Fachärzte und Kliniken überwiesen. Die Forscher befürchten, dass der pandemiebedinge Rückgang der Krebsdiagnosen in den kommenden Jahren mehr fortgeschrittene Tumoren zutage fördert und es zu einem Anstieg der Krebssterblichkeit kommt. Das Wichtigste in Kürze Frage: Welche Auswirkungen hat die Pandemie auf die Zahl neuer Krebsdiagnosen in Haus- und Facharztpraxen? Antwort: Über das gesamte erste Pandemiejahr hinweg wurde bei deutlich weniger Patienten ein erster Tumor entdeckt als noch im Jahr vor der Pandemie. Bedeutung: In den kommenden Jahren könnte die Zahl der Patienten mit fortgeschrittenen Tumoren steigen. Einschränkung: Nicht alle Unterschiede waren statistisch signifikant.

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