Wie schafft es SARS-CoV-2, weite Strecken zu überwinden?

Das Coronavirus SARS-CoV-2 kann auch über weite Strecken hinweg übertragen werden. Britische Forscher haben die Bedingungen untersucht, unter denen das geschieht. Das Wichtigste in Kürze zu dieser Studie finden Sie am Ende des Artikels. Im Zuge einer systematischen Übersicht hat sich das Wissenschaftlerteam um Daphne Duval von der UK Health Security Agency, einer für den Gesundheitsschutz und Infektionskrankheiten zuständigen Regierungsbehörde, mit 22 Berichten zu 18 Studien beschäftigt. In allen war es um die Übertragbarkeit von SARS-CoV-2 über längere Strecken – gemeint sind mehr als 2 m, also mehr, als die pandemieüblichen Abstandsregeln verlangen – gegangen, wobei Übertragungen im Haushalt ausdrücklich ausgenommen waren. Die primär infizierten Quellen der Zweitinfektionen waren meist asymptomatische, präsymptomatische oder solche Personen, bei denen die Symptome gerade einsetzten. In den Ergebnissen zeigt sich, dass SARS-CoV-2 in Innenräumen durchaus in der Lage ist, beachtliche Distanzen zu überwinden, wenn die Voraussetzungen dafür erfüllt sind. Dazu zählen insbesondere mangelnder Luftaustausch, inadäquate Belüftung und unidirektionaler Luftstrom. Besonders ungünstig wirkt es sich aus, wenn gesungen wird, etwa bei Proben oder Auftritten von Chören. Duval und Kollegen berichten über zwei COVID-19-Ausbrüche, die mit Infektionen während Restaurantbesuchen in Zusammenhang standen. In einem Fall hatte es genügt, dass die sekundär infizierte Person fünf Minuten lang 6,5 m von der primär infizierten entfernt gesessen hatte. Als plausibelsten Übertragungsweg machten die Forscher den durch Ventilationssysteme hervorgerufenen, von der Primärquelle zu den sekundär Infizierten gerichteten Luftstrom aus. Zwei der analysierten Ausbrüche waren mit Busfahrten assoziiert. Die Übertragungsdistanzen zwischen Primärquelle und sekundär infizierten Passagieren betrugen zwischen 4,5 und 9,5 m, die Rate der sekundären Infektionen, bezogen auf alle Mitfahrer, lag bei 15%. Keiner der Infizierten hatte eine Mund-Nasen-Bedeckung getragen. Ungenügender Luftaustausch und gerichteter Luftstrom wurden nach entsprechenden Experimenten mit Spurengasen in den betroffenen Bussen als Ursache vermutet. Chorgesang als Risiko Weitere Fälle von Innenraumübertragungen gab es in Wohnblocks, wobei Verbindungen über vertikale Luftschächte bzw. Bodenabläufe eine Rolle spielten. Berichtet wurde zudem über Ansteckungen in Quarantänehotels, lebensmittelverarbeitenden Betrieben, Fitnessstudios, Gerichtssälen, Büros und Warenhäusern. Infektionen über eine Distanz von bis zu 15 m sind in Untersuchungen beschrieben worden, die sich mit Ausbrüchen nach Auftritten oder Proben von Chören befassten. In Verbindung mit Gesang waren auch hohe Ansteckungsraten von bis zu 87% zu verzeichnen. Laut Duval und Mitarbeitern ist es wahrscheinlich, dass die singende Primärquelle eine erhöhte Menge von Aerosol erzeugt hat und der Gesang so zur Ansteckung beitrug. Die vorliegende Übersicht unterliegt teils erheblichen Einschränkungen. Szenarios, in denen keine Übertragung stattfand, wurden nicht berücksichtigt, was ein Publikationsbias begründet. Allgemein und insgesamt lässt sich nicht sagen, in welchem Ausmaß sich Ansteckungen über weite Strecken hinweg ereignen und welchen Beitrag sie zu den Übertragungsraten im Alltag leisten. Die meisten der untersuchten Ausbrüche traten zudem zu einer Zeit auf, da die allgemeine Immunität, sei es durch überstandene natürliche Infektion oder durch Impfung, noch gering war. Unklar ist daher, ob sich die Befunde auf die heutige Situation übertragen lassen. All dessen eingedenk halten Duval et al. fest, dass eine Übertragung von SARS-CoV-2 über große Distanzen nachweislich stattfindet. „Unterstrichen wird dadurch die Notwendigkeit, die Gefahr in Innenräumen zu entschärfen, besonders durch den Betrieb einer adäquaten Belüftung.“ Das Wichtigste in Kürze Frage: Kann SARS-CoV-2 auch über Distanzen übertragen werden, deren Maß die in der Pandemie empfohlenen Abstandsregeln überschreitet? Antwort: Ja. In Innenräumen haben nachweislich Übertragungen stattgefunden, in denen die primär infizierte Person mehrere Meter von den sekundär Infizierten entfernt war. Bedeutung: Um die Gefahr der Übertragung über weite Strecken in Innenräumen zu senken, ist für eine ausreichende Belüftung zu sorgen. Einschränkung: Welchen Anteil Ansteckungen über weite Strecken hinweg an den allgemeinen Übertragungsraten haben, lässt sich nicht sagen.

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