Charakteristika des österreichischen Gesundheitssystems
Der Öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD) ist im föderalen Mehrebenensystem Österreichs im Wesentlichen auf der Landesebene verankert. Seine Aufgaben werden im Rahmen der mittelbaren Bundesverwaltung auf Landes- und Bezirksebene wahrgenommen [
29]. In den letzten Jahren trat die historisch gewachsene föderale Heterogenität von Organisation, Aufgaben und Struktur des ÖGD in den Hintergrund und es gewann die bundeseinheitliche Definition von Aufgaben an Bedeutung [
29]. Der ÖGD handelt u. a. als Kontroll- und Aufsichtsorgan in Einrichtungen des Gesundheitssystems und beobachtet mögliche neue Gesundheitsgefahren, die bspw. durch Naturkatastrophen oder neue Infektionskrankheiten entstehen. Weiter führt er Aufsicht über die Ausbildung der nichtärztlichen Gesundheitsberufe [
30].
Die Überwachung und Kontrolle von Infektionskrankheiten ist eine der Hauptaufgaben des
Bundesministeriums für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (BMSGPK). Wahrgenommen wird diese in Zusammenarbeit mit den Bundesländern, der österreichischen
Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) und internationalen Gesundheitsbehörden wie dem Europäischen Zentrum für Seuchenkontrolle (ECDC) oder der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Auf Ebene der Bundesländer liegen diesbezüglich die Kompetenzen für den Infektionsschutz und die Infektionsepidemiologie – inklusive des Kontaktpersonenmanagements und der Umgebungsuntersuchung [
31]. Auf Bezirksebene sind in den Verwaltungsbehörden Gesundheitsämter eingerichtet, in denen Amtsärztinnen und Amtsärzte hoheitliche Aufgaben wahrnehmen. Auf Gemeindeebene werden Aufgaben des ÖGD durch sog. Gemeindeärztinnen und Gemeindeärzte wahrgenommen, die nach landesrechtlichen Vorgaben tätig sind. Amts- und Gemeindeärztinnen und -ärzten obliegen unter anderem auch sanitätspolizeiliche Maßnahmen beim Auftreten von Infektionskrankheiten. Dazu zählen bspw. Maßnahmen der Datenerhebung, der Desinfektion und – soweit notwendig – auch der Quarantäne bzw. Isolation (Epidemiegesetz § 5 Abs. 1, §§ 7–14 u. § 18).
Meldepflichtige Infektionskrankheiten werden über das Epidemiologische Meldesystem (EMS) erfasst [
32]. Für das Monitoring und die Aufbereitung der Daten sind die AGES und die
Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) verantwortlich. Letztere ist ein im Jahr 2006 gegründetes wissenschaftliches Public-Health-Institut, das als führendes Kompetenzzentrum für Bevölkerungsgesundheit, Gesundheitsförderung, Prävention, Versorgungsplanung und Qualität im Gesundheitswesen fungieren soll. Die wichtigste rechtliche Grundlage für die Meldung von Erkrankungen sowie für Regelungen zur Isolierung von Kranken, Krankheitsverdächtigen sowie Ansteckungsverdächtigen bildet das Epidemiegesetz [
32]. Zudem wurde 2017 die Einrichtung eines Expertenpools für medizinisches Krisenmanagement an Standorten der AGES beschlossen, um die überregionale Organisation des ÖGD zu stärken, insbesondere zur „raschen Intervention bei hochkontagiösen Erkrankungen“ (LGBl Nr. 60/2017 Art. 12 Abs. 2).
Strategien und Maßnahmen zur Pandemieeindämmung in Österreich
Nach dem Superspreading-Event (Ereignis, das mit vielen Neuinfektionen einhergeht) in Ischgl, auf das im weiteren Verlauf der Pandemie Hunderte von Infektionen in zahlreichen europäischen Ländern zurückgeführt werden konnten, und aufgrund der im Februar und März 2020 auch in Österreich massiv gestiegenen Infektionszahlen, hat der Nationalrat zum 15.03.2020 das erste Bundesgesetz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 (COVID-19-Maßnahmengesetz – COVID-19-MG) beschlossen. Es ermächtigte zunächst nur das Bundesministerium zu weitreichenden Beschränkungen des öffentlichen Lebens und bildete die gesetzliche Grundlage für die Verordnung von Ausgangs- und Versammlungsbeschränkungen, für die Schließung von öffentlichen Orten und Betriebsstätten und zur Mitwirkung der Polizei bei der Kontrolle und Durchsetzung dieser Maßnahmen (BGBl. I Nr. 12/2020).
Diese Konzentration von Kompetenzen beim Bundesministerium wurde teils harsch kritisiert und im Laufe mehrerer Gesetzesänderungen zunehmend abgeschwächt. So wurde eine beratende „Corona-Kommission“ eingerichtet und das Einvernehmen des Hauptausschusses des Nationalrates bei bestimmten Maßnahmen notwendig, bspw. bei einer vollständigen Schließung von Betriebs- und Arbeitsstätten, öffentlicher Räume und der Verhängung von Ausgangsbeschränkungen. In der Ende September 2020 veröffentlichten Fassung können neben dem Bundesministerium auch die Landeshauptleute und die Bezirksverwaltungsbehörden derartige Maßnahmen ergreifen. Lediglich die Maßnahmen zur Ausgangsregelung sind dem Bundesministerium vorbehalten (BGBl. I Nr. 104/2020 COVID-19-MG). Die Kontrolle der Auflagen wurde den Bezirksverwaltungsbehörden übertragen (ebd. § 9) und das Epidemiegesetz entsprechend angepasst (BGBl. I Nr. 104/2020 Epidemiegesetz § 15 Abs. 5 u. § 43a).
Das COVID-19-MG ist zunächst bis zum 31.06.2021 gültig und darf maximal bis zum 31.12.2021 verlängert werden (ebd. § 12). Es ermöglicht somit einerseits der Bundesregierung weitreichende Möglichkeiten zur Einschränkung des öffentlichen Lebens, jedoch haben die Bundesländer und auch die Bezirksverwaltungsbehörden im Verlauf der Pandemie (wieder) an Einfluss gewonnen und können eigene weitergehende Einschränkungen vornehmen und durchsetzen, wenn sie dies für erforderlich halten.
Zur raschen Eindämmung der Pandemie wurden in der zweiten Märzwoche 2020 Reisebeschränkungen eingeführt und kurz darauf das öffentliche und wirtschaftliche Leben in Österreich weitgehend heruntergefahren. Mit Inkrafttreten des COVID-19-MG am 15.03.2020 war das Betreten öffentlicher Orte, wie bspw. Markt- und Kirchenplätze oder Parkanlagen, weitgehend verboten. Einen Tag später wurden auch Gastbetriebe, Universitäten, Hochschulen und Schulen geschlossen und strikte Besuchsverbote sowie Quarantäneregeln in Pflegeheimen eingeführt. Im Verlauf des April wurden dann zusätzlich die Öffnungszeiten noch geöffneter Einzelhandelsgeschäfte eingeschränkt. Durch die im Vergleich zu Deutschland strengen Maßnahmen konnten die Infektionszahlen in Österreich im Frühjahr 2020 binnen 4 Wochen deutlich reduziert werden. So sank die Zahl der täglichen Neuinfektionen von etwa 800 in der letzten Märzwoche auf unter 50 in der ersten Maiwoche [
33]. Im Gegensatz zu den strikten Einschränkungen des öffentlichen Lebens war das Testgeschehen teils harscher Kritik ausgesetzt. Neben der als zu gering angesehenen Testkapazität wurden lange Wartezeiten, sowohl bei der Coronahotline 1450 wie auch bei den Testergebnissen, beklagt.
Nach einer schrittweisen Öffnung unter Hygieneauflagen und Maskenpflicht im April und Mai 2020 wurden im Zuge der steigenden Fallzahlen im Juni und Juli wieder sukzessive Einschränkungen vorgenommen. Wie in weiten Teilen Europas stiegen die Infektionen im Herbst weiter an und übertrafen die Zahlen vom Frühjahr teils erheblich. Anfang September führte die Bundesregierung ein Ampelsystem ein, welches das Infektionsgeschehen in 4 Stufen auf Bezirksebene abbildet und zur Einleitung entsprechender Maßnahmen anhalten soll. Die Datenlage wird von einer Kommission aus Expertinnen und Experten sowie Politikerinnen und Politikern wöchentlich analysiert und aktualisiert. Die mit der Ampel verbundenen Maßnahmen sind jedoch nur teilweise auf Bundesebene rechtsverbindlich geregelt und die einzelnen Bundesländer behalten sich eigene Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie vor. Hier zeigt sich die wie in Deutschland starke Kompetenz der Länderebene auf dem Gebiet des Infektionsschutzes und der öffentlichen Gesundheit. Bundesweit geltende Maßnahmen können nur durch politische Aushandlungsprozesse erreicht werden und stellen lediglich einen gemeinsamen Mindeststandard dar, von dem die Bundesländer und die Bezirksebene abweichen können.
Während die Bundesländer also einen erheblichen Einfluss auf die zu treffenden Maßnahmen haben, obliegen die Ausführung und Kontrolle zuvorderst der Bezirks- und der Gemeindeebene. Anders als in Deutschland, wo die einzelnen Gesundheitsämter über Testungen entscheiden, gilt in Österreich eine nationale Teststrategie des Gesundheitsministeriums, die festlegt, in welchen Fällen Testungen vorgenommen werden. Das Ministerium entscheidet auch über Art und Länge von Quarantänemaßnahmen. Eine Änderung der Teststrategie ermöglicht seit Ende Oktober 2020 nun zum einen die Nutzung von Antigenschnelltests im Rahmen der Kontaktnachverfolgung, zum anderen die Testung symptomatischer Personen beim Hausarzt, sofern die Praxis an dem freiwilligen Programm mit Kostenerstattung über die Sozialversicherung teilnimmt.
Im Laufe des November 2020 wurden zunächst Museen, Theater, Kinos und Restaurants und anschließend auch fast alle Läden erneut geschlossen und der Unterricht wieder auf Distanzlehre umgestellt. Mit der Anfang Dezember 2020 in Kraft getretenen 2. COVID-19-Schutzverordnung galten zwischen 20:00 Uhr und 6:00 Uhr weitgehende Ausgangsbeschränkungen. Im Gegenzug durften Handel und Gastronomie wieder tagsüber öffnen und Schulen den Regelbetrieb wieder aufnehmen. Weiterhin begann Österreich Corona-Massentests, um erneut Kontrolle über das Infektionsgeschehen zu gewinnen.
Probleme und Kritik an der Pandemieeindämmung in Österreich
Eine Umfrage in Behörden aus dem Frühjahr 2020 deutet darauf hin, dass es bis zu diesem Zeitpunkt nur wenige Probleme beim Umgang mit der Pandemie gab. So gingen die Befragten davon aus, dass die Herausforderungen sehr gut zu bewältigen seien. Als Erfolgsfaktoren wurden interne und externe Strukturveränderungen, z. B. Personalumschichtungen sowie der Netzwerkausbau und eine intensivere Zusammenarbeit mit Ehrenamtlichen und der Privatwirtschaft, benannt [
33]. Dies wandelte sich im Herbst jedoch mit dem starken Anstieg der Infektionszahlen auf über 5000 Neuinfektionen pro Tag Ende Oktober und über 8000 am Ende der ersten Novemberwoche [
34]. Seit Anfang November zeigte auch das Ampelsystem ein flächendeckend hohes Infektionsrisiko (BMSGPK 2020). Bereits im September und Oktober wurde von zu langen Wartezeiten bei Testergebnissen [
35] und Problemen bei der Kontaktnachverfolgung [
36‐
38] berichtet. Zum Ende Oktober 2020 scheint sich die Situation weiter zu verschärfen. So berichten mehrere Medien, dass die Kontaktnachverfolgung mit dem verfügbaren Personal kaum noch zu leisten sei [
36‐
38].