Behandlungsabbruch oder Behandlungspflicht?

Bei der Frage "Behandlungsabbruch oder Behandlungspflicht?" entscheiden immer öfter die Gerichte mit. Auch familiäre Interessenskonflikte spielen zunehmend eine Rolle, wie Beispiele aus der Praxis eindrücklich zeigen. Prinzipiell dürfen medizinische Eingriffe nur erfolgen, wenn die dezidierte Einwilligung des Patienten oder seines gesetzlichen Vertreters vorliegt. Was banal klingt, sorgt in der Praxis für erhebliche Komplikationen. Der mutmaßliche Wille eines nicht entscheidungsfähigen Patienten ist letztlich hypothetisch und kreist um undefinierbare Begriffe wie “sinnvoll” und “im unumkehrbaren Sterbeprozess”, die sich in vielen Patientenverfügungen finden. Trotzdem müssen Therapieentscheidungen getroffen werden, gab Rechtsanwältin Andrea Pfundstein (Berufsverband Deutscher Anästhesisten) auf dem DAC 2022 zu bedenken. Betreuungsgerichte Aufgrund der Komplexität der Materie landen solche Entscheidungen zunehmend vor Gericht und sind damit nicht mehr kalkulierbar. Therapieabläufe werden verzögert und das Vertrauen zwischen Ärzten und Angehörigen zerrüttet. Rechtsanwältin Pfundstein mit einem Beispiel: Bei einem 94-Jährigen, offensichtlich einwilligungsunfähigen Patienten mit weit fortgeschrittener Demenz stand ein Wechsel der Schrittmacherbatterie an. Medizinisch ein Bagatelleingriff. Doch die bevollmächtigte Ehefrau lehnte ab. Ihr Mann wollte so etwas sicher nicht mehr. Um sich abzusichern, schalteten die Kardiologen das Betreuungsgericht ein. Unklare Zustimmung Der gerichtlich bestimmte Verfahrenspfleger vernahm, zur Verblüffung aller Beteiligten, bei dem schwer dementen Patienten eine mehr oder weniger geartete Zustimmung zum Batteriewechsel. Gegen den heftigen Protest der Ehefrau, die sich als Vorsorgebevollmächtigte hintergangen fühlte, wurde der Eingriff schließlich durchgeführt. Ein konfliktreicher und für alle Beteiligte sehr unschöner Verlauf. Erstaunlich auch, dass das Gericht den Fall überhaupt angenommen hatte. Schließlich handelte es sich hierbei nicht um einen, wie im Gesetz gefordert, vital indizierten Eingriff. Wirtschaftliches Interesse Doch es geht noch schlimmer: bei einem multimorbiden Patienten stand eine Tracheotomie an. Der lehnte den Eingriff ab und wollte in Ruhe sterben. Die vorsorgebevollmächtigte Ehefrau bekam Panik und bestand auf der OP. Unter dem massiven psychischen Druck seiner Ehefrau knickte der Patient ein und stimmte zu. Zwischenzeitlich hatte die Ehefrau die Konsequenz der Tracheotomie realisiert: ein jahrelanger, kostspieliger Aufenthalt im Pflegeheim. Das Privatvermögen war in Gefahr. Dann die verblüffende Wendung. Es folgt ein vehementer Versuch, den Eingriff im letzten Moment noch zu verhindern. Ein schockierendes Verhalten, das zudem vergebens war. Die Tracheotomie war mittlerweile erfolgt. Der Patient hatte ja zugestimmt. Sachfremde Interessen Fälle wie dieser häufen sich, so die Erfahrung der Anwältin. Es sind nicht immer die Juristen, die den Ärzten das Leben schwer machen. Immer häufiger sind es unausgesprochene wirtschaftliche Überlegungen, die die juristische Maschinerie potentiell in Gang setzen, meint die Nürnberger Anwältin. Empfehlung der Redaktion Deutscher Anästhesiecongress DAC 2022 – das Kongressdossier Meldungen vom Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DAC 2022) – gebündelt im Dossier. Eine Auswahl der Highlights aus dem umfassenden Programm. basierend auf: Sitzung "Grenzen der medizinischen Behandlungspflicht anhand von Beispielen" im Rahmen des Deutschen Anästhesiecongresses (DAC) 2022, 12.-14.05., digital

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