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07.08.2022 | Online-Artikel

Urlaub mit psychischen Erkrankungen: Die Depression mit im Gepäck

Stress, Überforderung, Reizüberflutung: Was die schönste Zeit des Jahres sein sollte, wird für psychisch Erkrankte häufig zur Belastungsprobe. Was Sie für die reisemedizinische Beratung wissen sollten.

Die Depression reist mit: Darum ist Vorsicht geboten

„Fahr doch mal ein paar Tage weg – der Tapetenwechsel wird schon helfen.“ 68 % der Deutschen glauben laut Deutschland Barometer Depression (2021), dass Urlaub bei Depressionen hilft [1]. Doch Reisen löst keine Probleme, denn die Depression reist mit, so Professor Dr. med. Ulrich Hegerl, Vorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe, über die Ergebnisse der bundesweiten Befragung.

Vielmehr ist hier sogar Vorsicht geboten: Gefühle von Erschöpfung können sich verstärken und „endlich mal ausschlafen“ kann dazu führen, dass sich depressive Symptome verschlechtern [1, 2].

Diese Stressoren machen Depressionserkrankten auf Reisen oft besonders zu schaffen [3]:

  • Erwartungsdruck an den Urlaub und damit einhergehende Frustration
  • unregelmäßiger Tagesrhythmus
  • Anpassungsschwierigkeiten
  • Schuldgefühle im Rahmen der depressiven Symptomatik, die sie darin hindern, die Auszeit genießen zu können


Weitere reisetypische Stressoren für psychisch Erkrankte [4]

  • Klima
  • Reizüberflutung
  • Menschenansammlungen
  • Isolation (Hotelzimmer)
  • Gruppendruckfremde 
  • Sprache
  • Kulturschock

Kokosnuss-Syndrom & Co.: Häufige depressive Störungsbilder

Der Kontrast aus schöner Landschaft und einem grau-schwarzen Selbstbild, das sog. Kokosnuss-Syndrom, kann eine Verschlechterung melancholischer Depressionen zur Folge haben. Reaktive Depressionen im Sinne von Heimweh gehören ebenfalls zu den typischen depressiven Störungen im Kontext einer Reise. Für bipolar affektive Störungen können Reisen mit Zeitverschiebungen aufgrund der chronobiologischen Steuerungsmechanismen problematisch sein [4].

Medikamentöse Depressionstherapie in den Sommermonaten nicht unterbrechen

Um das Risiko für Rezidive zu senken, soll eine vier- bis neunmonatige Erhaltungstherapie mit derselben Dosis, die zur Remission geführt hat, an die Akuttherapie angeschlossen werden – auch wenn die Symptome bereits abgeklungen sind [5]. Somit umfasst die leitlinienkonforme Depressionstherapie meist auch die Sommermonate – einen Zeitraum, der für Betroffene ohnehin oft Linderung bringt und dazu verleitet, die Medikation eigenständig abzusetzen.

Checkliste: Reisemedizinische Beratung bei psychisch Kranken

Allgemein gilt: Psychisch Kranken im akuten Krankheitsstadium sollte davon abgeraten werden, wegzufahren. Sind sie aber gut eingestellt und nehmen ihre Medikation zuverlässig ein, ist eine Reise möglich [2, 6]. Sie sollten aber in jedem Fall im Kontext ihrer Erkrankung reisemedizinisch beraten und vorbereitet werden:

Vorbereitung

  • Die Reise sollte mit ausreichend Vorlauf geplant werden und der oder dem Reisenden eine Übergangsphase ermöglichen [4].
  • Ein Krisenplan kann helfen, im Ernstfall angemessen reagieren zu können. Dieser sollte die Kontaktdaten der ärztlichen Versorgung daheim und am Urlaubsort enthalten [6].
  • Nicht alle Reiseversicherungen greifen bei psychischen oder chronischen Leiden, dies sollte vorab geprüft werden [6].

Medikation

  • Ein englischsprachiger Arztbrief mit Diagnosen und Medikation gehört unbedingt ins Reisegepäck [6].
  • Arzneimittel sollten in ausreichender Menge (plus Puffer) im Handgepäck mitgeführt werden [6].
  • Für bestimmte Länder ist eine Bescheinigung über die Einfuhr bestimmter Medikamente notwendig [6].
  • Bei der Einnahme von Lithium auf eine ausreichende Trinkmenge achten [6].
  • Die Einnahme des Malariamittels Mefloquin* ist bei psychischen Erkrankungen kontraindiziert, da es relativ häufig zu psychischen Nebenwirkungen führt. Ist die Einnahme unumgänglich, sollte zwei bis drei Wochen vor Urlaubsantritt ein Testlauf durchgeführt werden [4].
  • Bei Depotmedikationen sollte die Reise um die Einnahme herum geplant werden [6].
  • Zeitverschiebungen von mehr als zwei Stunden machen eine Anpassung des Einnahmerhythmus der Medikation notwendig. Händigen Sie Ihren Patientinnen und Patienten einen Einnahmeplan für Hin- und Rückreise aus [6].

Nach der Reise

  • Achten Sie gut auf psychopathologische Symptome [6].
  • Psychische Nebenwirkungen von Mefloquin können auch Monate nach dem Absetzen noch auftreten [6].

*In Deutschland nur mittels Parallelimport beziehbar [7].

» Zum Impressum von Bayer Vital

Literatur

[1] Stiftung Deutsche Depressionshilfe. Deutschland Barometer 2021. Unter: https://www.deutsche-depressionshilfe.de/forschungszentrum/id-2021 (abgerufen am 28.06.2022).
[2] Augsburger Allgemeine. Bei Depression nicht in den Urlaub fahren. Unter: https://www.augsburger-allgemeine.de/themenwelten/gesundheit/Gesundheit-Bei-Depression-nicht-in-den-Urlaub-fahren-id21519296.html (abgerufen am 28.06.2022).
[3] Lindner EV. Depression: Warum Urlaub sie verschlimmern kann. Unter: https://www.selfapy.com/magazin/depression/depression-im-urlaub (abgerufen am 28.06.2022).
[4] Laux G. Reisen und psychische Erkrankungen. Flug u Reisemed 2016;23(6):293-297.
[5] DGPPN et al. S3-Leitlinie/Nationale VersorgungsLeitlinie, Unipolare Depression, 2. Auflage Version 1. Stand 2017. AWMF-Reg.-Nr. nvl-005, unter: https://www.dgppn.de/_Resources/Persistent/d53e5967ade4134e444e71973752e10bcaebda79/S3-NVL_depression-2aufl-vers1-kurz.pdf (abgerufen am 28.06.2022).
[6] Harmann L. Unterwegs mit seelischem Übergepäck. Unter: https://www.medical-tribune.de/medizin-und-forschung/artikel/unterwegs-mit-seelischem-uebergepaeck (abgerufen am 28.06.2022).
[7] Deutsche Gesellschaft für Tropenmedizin, Reisemedizin und Globale Gesundheit e. V. Medikamente gegen Malaria mit reisemedizinischer Bedeutung. Unter: https://dtg.org/index.php?option=com_content&view=article&id=223:medikamente-uebersicht&catid=2 (abgerufen am 01.07.2022).

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