Renale Morbidität
In den letzten Jahren konnte gezeigt werden, dass zwar viele kritisch kranke Patienten ein ANV entwickeln [
23], gleichzeitig ist dies bei den meisten Betroffenen nur ein passageres Phänomen.
Eine große Datenanalyse der Veterans Health Administration von Patienten ohne vorbestehende chronische oder terminale Niereninsuffizienz an 17.049 Patienten mit und 87.715 ohne ANV hat die Erholungsraten vom ANV erhoben. Die meisten Patienten erlitten ein ANV im Stadium 1 (91 %), wovon sich innerhalb von 2 Tagen 71 % erholten. Von den Patienten mit ANV entwickelten signifikant mehr eine CNI (31,8 %) im Vergleich zu Patienten ohne (15,5 %,
p < 0,001; [
21]). In der AKI-EPI-Studie zeigte sich ein ähnliches Verhältnis für eine GFR < 60 ml/min pro 1,73 m
2 bei Patienten mit bzw. ohne ANV bei Krankenhausentlassung (32,7 vs. 14,8 %;
p < 0,001; [
23]). Dies konnte durch eine Metaanalyse bestätigt werden, in der die gepoolte Hazard Ratio (HR) für die Entwicklung einer CNI 8,8 (95 %-KI: 3,1–25,5) und für ein terminales Nierenversagen 3,1 (95 %-KI: 1,9–5,0) betrug [
14]. Bei Patienten mit radikaler Nephrektomie, die selbst bereits einen Risikofaktor für eine CNI darstellt [
25], wurde gezeigt, dass jene Kohorte, die postoperativ ein ANV entwickelte, ein 4,24-fach erhöhtes Risiko für eine neu aufgetretene CNI aufwies [
12].
Die Erholungsgeschwindigkeit der Nierenfunktion nach ANV wirkt sich auf das CNI-Risiko aus
Neben dem prinzipiellen Auftreten eines ANV wirkt sich auch die Erholungsgeschwindigkeit der Nierenfunktion deutlich auf das Risiko aus, eine CNI zu entwickeln. Eine rasche Erholung scheint das Risiko für eine CNI signifikant zu reduzieren. So betrug das adjustierte Risiko, eine CNI Grad 3 oder höher zu entwickeln, bei schneller Erholung der Nierenfunktion (innerhalb von 2 Tagen) nur 1,43 (95 %-KI: 1,39–1,48). Eine Erholung innerhalb von 3–10 Tagen war mit einem Risiko von 2,00 (95 %-KI: 1,88–2,12) verbunden, während Patienten, deren Nierenfunktion sich nur langsam erholt, ein Risiko von 2,65 (95 %-KI: 2,51–2,80) für eine CNI aufwiesen [
21].
Ein stattgehabtes ANV erhöht die Wahrscheinlichkeit, langfristig eine Dialyse zu benötigen. In einer Kohortenstudie an insgesamt 62.096 Patienten konnte gezeigt werden, dass es abhängig vom Schweregrad des ANV zu einer deutlichen Zunahme des Risikos kommt, ein terminales Nierenversagen zu entwickeln. Bei Einstufung des ANV nach den RIFLE-Kriterien („risk, injury, failure, loss of kidney function, end-stage kidney disease“) zeigte sich bei Patienten mit RIFLE-Stadium „risk“ eine HR von 2,03 (95 %-KI: 1,56–2,56), bei „injury“ eine HR von 3,99 (95 %-KI: 3,04–5,23) und bei „failure“ eine HR von 10,40 (95 %-KI: 8,54–12,69) für die Entwicklung eines terminalen Nierenversagens [
22]. In einer verlängerten Nachbeobachtung der RENAL-Studie (Randomized Evaluation of Normal vs. Augmented Levels of renal replacement therapy) zeigte sich, dass nach einem dialysepflichtigen ANV auf lange Sicht 5,4 % der Patienten auch weiterhin eine Dialyse benötigen [
19]. Eine ähnliche Inzidenz konnte bei einer Nachuntersuchung von 425 ANV-Patienten, davon 226 mit dialysepflichtigem ANV, gezeigt werden. Hier betrug nach 5 Jahren die Dialyseinzidenz 5 % [
51].
Interessant sind die Ergebnisse von Bell et al., die eine retrospektive Kohortenstudie an 2202 Patienten durchführten, deren Nachuntersuchung 90 Tage nach Beginn des ANV startete und bis maximal 10 Jahre danach dauerte. Hier zeigte sich, dass von 998 Patienten 3,4 % (34 Patienten; 3,6 % der initial mit „continuous renal replacement therapy“ [CRRT] und 2,3 % der initial mit intermittierender Hämodialyse [IHD] behandelten Patienten) im weiteren Verlauf chronisch dialysepflichtig wurden [
2]. Die Arbeit von Wald et al. mit einem Nachuntersuchungszeitraum von im Median 3 Jahren konnte eine unterschiedliche Inzidenzrate für chronische Dialyse abhängig vom initial angewandten Dialyseverfahren zeigen. Bei initial intermittierender Hämodialyse im ANV betrug die Inzidenzrate für chronische Dialyse 8,2 pro 100 Personenjahre und bei initial kontinuierlicher Dialyse betrug sie 6,5 pro 100 Personenjahre [
59].
Einflussfaktoren auf die Erholung der Nierenfunktion
Generell kann davon ausgegangen werden, dass alle Maßnahmen zur Vermeidung des Nierenversagens bzw. zur Protektion der Nierenfunktion zu einer höheren Wahrscheinlichkeit einer Früherholung beitragen. Hierzu zählen unter anderem die Optimierung der Nierenperfusion sowie die Vermeidung von Volumenüberladung, Hyperglykämie(n) und nephrotoxischen Substanzen. Falls deren Einsatz unvermeidlich ist, sollte dieser unter engmaschigen Medikamentenspiegelbestimmungen erfolgen [
17,
30].
Weitere Einflussfaktoren auf die Erholung sind grundsätzlich ein hohes Alter des Patienten sowie Komorbiditäten, wie Hypertonie, Diabetes mellitus und kardiale (Vor‑)Erkrankungen [
2,
17,
36]. Zusätzlich stellen ein höherer Schweregrad der akuten Erkrankung (Simplified Acute Physiology Score [SAPS], Acute Physiology And Chronic Health Evaluation [APACHE]) und eine hämodynamische Instabilität Risikofaktoren für das Ausbleiben oder nur eine partielle Erholung der Nierenfunktion dar [
17,
36].
Ob die Anwendung einer Nierenersatztherapie während des ANV selber bereits zu einer verschlechterten renalen Erholung beiträgt, ist unklar. Manche Daten zeigen in diese Richtung. Eine Interpretation wird jedoch durch unzählige Confounder, die bei solchen Patienten zu berücksichtigen sind, erschwert [
13,
17,
41]. Ebenfalls unklar ist es, ob die Modalität der Nierenersatztherapie, also die Anwendung intermittierender oder kontinuierlicher Verfahren, die Erholung beeinflusst. Einige retrospektive Studien zeigten, dass nach kontinuierlichen Verfahren die Rate an CNI niedriger ist als nach einer Behandlung mit einem intermittierenden Verfahren [
2,
59]. In einer Metaanalyse bestätigte sich dieses Bild, dass bei retrospektiven Beobachtungsstudien die kontinuierlichen Verfahren einen Vorteil zeigten. Dieser Effekt konnte jedoch bei randomisierten kontrollierten Studien nicht bestätigt werden [
52].
Ein hohes Alter sowie Komorbiditäten beeinflussen die Erholung der Nierenfunktion
In Tierversuchen konnte gezeigt werden, dass eine stark protein- bzw. salzhaltige Ernährung die maladaptiven Prozesse verstärken und damit die Erholung der Nierenfunktion einschränken kann [
54,
56]. Andererseits existieren Hinweise dafür, dass Aminosäuren den renalen Blutfluss und die GFR steigern können [
6]. Doig et al. demonstrierten an 474 kritisch kranken Patienten, dass infundierte Aminosäuren eine Steigerung der geschätzten (e)GFR (+ 7,7 ml/min pro 1,73 m
2; 95 %-KI: 1,0–14,5 ml/min pro 1,73 m
2) sowie der Harnmenge (+ 300 ml pro Tag; 95 %-KI: 145–455 ml) bewirken konnten. Für klinische Endpunkte, wie dem Einsatz von Nierenersatztherapie, Mortalität, Beatmungsdauer oder Dauer des Krankenhausaufenthalts, konnte kein Unterschied gezeigt werden [
15,
32].
Frühmortalität
Abhängig vom Schweregrad der akuten Nierenschädigung ist das Mortalitätsrisiko erhöht. Der KDIGO-Klassifikation folgend eingeteilte Patienten wiesen eine Odds Ratio (OR) für eine erhöhte Mortalität von
-
2,19 bei KDIGO 1 (95 %-KI: 1,44–3,35),
-
3,88 bei KDIGO 2 (95 %-KI: 2,42–6,21) und
-
7,18 bei KDIGO 3 (95 %-KI: 5,13–10,04)
auf [
23]. Einen ähnlichen Zusammenhang zeigte bereits eine frühere Analyse für den Zusammenhang zwischen adjustierter Mortalität und ANV-Stadium. Die standardisierten Mortalitätsraten waren für ein ANV der AKIN-Stufe (AKIN: Acute Kidney Injury Network) 1 und 2 (1,17 und 1,16) ähnlich erhöht, bei Stufe 3 zeigte sich ein weiterer Anstieg auf 1,31 [
31].
Auch bereits eine Erhöhung des Kreatinins während des Aufenthalts um lediglich 20 % führte zu einer HR von 1,577 für erhöhte Mortalität. Bei einem Anstieg um mehr als das 1,5-fache vom Ausgangswert nahm die HR auf 1,704 zu [
46]. Auch wenn eine Erhöhung des Kreatinins unabhängig von einer eingeschränkten Nierenfunktion durch viele Faktoren (Alter, Geschlecht, Körpergewicht, Muskelmasse, Medikamente [
4,
16,
45]) bedingt sein kann, sollte die erhöhte Mortalität nicht unbeachtet bleiben.
Spätmortalität
Nach der Krankenhausentlassung bleibt das erhöhte Mortalitätsrisiko bestehen. Insgesamt zeigte sich in einer Metaanalyse von 9 Studien eine gepoolte Gesamtmortalität von 24,2 % (95 %-KI: 3–73,3 %). Im Vergleich zu Patienten ohne ANV hatten diese mit ANV eine gepoolte HR zu versterben von 2,0 (95 %-KI: 1,3–3,1; [
14]).
Betrachtet man die Langzeitmortalität nach einem ANV ist auch hier eine teils beträchtliche Erhöhung zu erkennen. In der bereits erwähnten verlängerten Nachbeobachtung der RENAL-Studie zeigte sich bei einer Nachuntersuchungsdauer von im Median 43,9 Monaten (Interquartilsabstand 30,0–48,6 Monate) bei Patienten mit niedriger Dialyseintensität eine Mortalität von 63 % gegenüber 62 % bei Patienten mit erhöhter Intensität [
19]. Es wurde auch gezeigt, dass bereits ein erstgradiges ANV (nach „propensity score matching“) mit einem reduzierten 10-Jahres-Überleben einhergeht (
p = 0,036; [
44]).
Bereits ein erstgradiges ANV geht mit einem reduzierten 10-Jahres-Überleben einher
Bestätigt wurden diese Ergebnisse durch eine große Nachuntersuchung des Swedish Intensive Care Register an 103.363 Patienten. Hier zeigte sich die höchste 1‑Jahres-Mortalität bei Patienten mit akut-auf-chronischem Nierenversagen (54 %), eine Mortalität von 48,7 % bei Patienten nach ANV und eine geringfügig niedrigere Mortalität bei vorbestehender CNI von 47,6 %. Die 5‑Jahres-Mortalität lag bei Patienten nach ANV bei 61,8 %, bei CNI betrug sie 71,3 % und bei akut-auf-chronischem Nierenversagen 68,2 % [
50]. Bei dieser doch deutlich erhöhten Mortalität spielen unter anderem neben der renalen Komponente auch kardiovaskuläre und neurologische Komplikationen eine deutliche Rolle.