Leitliniengerechte Behandlung der diabetischen Polyneuropathie

Die Therapie der diabetischen Polyneuropathie ist symptomatisch. Zur Verfügung steht eine Reihe von systemisch wirkenden Medikamenten, wobei Kombinationen effektiver sind als eine Monotherapie. Aber auch lokale und nicht-pharmakologische Verfahren zeigen eine gute Wirksamkeit. Die diabetische Polyneuropathie ist das Stiefkind unter den diabetischen Spätkomplikationen. „Sie ist unterdiagnostiziert und untertherapiert“, so Prof. Dr. Dan Ziegler, Düsseldorf. Die Selbsteinschätzung der Patienten von diabetesbedingten Fußproblemen sei unzuverlässig. Gerade älteren Patienten sei oft gar nicht bewusst, dass sie an einer Neuropathie leiden. Auch werde von Seiten der Ärzte zu wenig nach dieser Komplikation gefahndet und es seien zudem nicht alle Ärzte ausreichend befähigt, die diabetische sensomotorische Polyneuropathie (DSPN) korrekt zu diagnostizieren. Nationale Aufklärungsinitiative: Hohe Dunkelziffer Um die Prävalenz und auch die Dunkelziffer der schmerzhaften und schmerzlosen DSPN und deren Risikofaktoren zu erfassen, wurde eine bundesweite Aufklärungsinitiative (PROTECT-Studie) mit dem Motto „Diabetes! Hören Sie auf Ihre Füße?“ gestartet. Bisher wurden von 2013 bis 2016 bei > 25.000 Standbesuchern (Typ-1- und Typ-2-Diabetiker und Stoffwechselgesunde) 1860 Fußuntersuchungen durchgeführt und zwar von Podologen. Zusätzlich wurden der HbA1c-Wert und der BMI erfasst. „Etwa jeder zweite Untersuchte zeigte Hinweise für das Vorliegen einer DSPN“, berichtete Ziegler. Bei ca. zwei Drittel der Betroffenen war diese schmerzhaft, bei einem Viertel vollkommen schmerzlos. Bei Typ-2-Diabetikern war selbst die schmerzhafte DSPN in der Hälfte der Fälle zuvor nicht diagnostiziert worden, bei schmerzlosen Patienten war dies sogar in über 80% der Fall. Der Anteil der bisher nicht diagnostizierten Fälle war bei Typ-1-Diabetikern mit ca. 50% etwas niedriger und bei den Stoffwechselgesunden mit über 70% etwas höher. Von den Teilnehmern ohne bekannten Diabetes zeigten 36% einen HbA1c-Wert im Prädiabetes-Bereich und bei 4% bestand bereits ein Diabetes. Bei Diabetikern mit DSPN war der HbA1c-Wert höher als bei denjenigen ohne DSPN. Übergewichtige bzw. adipöse Diabetiker hatten häufiger eine schmerzhafte DSPN, ein niedriger BMI war dagegen stärker mit der schmerzlosen DSPN assoziiert. Bei Typ-2-Diabetikern korrelierte die schmerzhafte DSPN mit dem Vorliegen einer pAVK, bei Nichtdiabetikern bestand dagegen eine Korrelation zwischen der schmerzlosen DSPN und einer pAVK. „Die Ergebnisse dieser Aktion zeigen, dass mehr Aufklärung über die Neuropathie notwendig ist“, betonte Ziegler. Bei jedem Diabetiker müsse danach gefahndet werden, und umgekehrt sollte bei einer Polyneuropathie zunächst immer an einen noch nicht diagnostizierten Diabetes gedacht werden. Ansatzpunkte für eine kausale Therapie? Durch entsprechende Studienergebnisse ist gesichert, dass eine optimierte Blutzuckereinstellung den Verlauf einer DSPN günstig beeinflusst. „Dies gilt aber nur für Typ-1-Diabetiker, für Typ-2-Diabetiker konnte dies bisher nicht gezeigt werden“, so Prof. Thomas Forst, Mainz. Dies spreche dafür, dass die Pathogenese der DSPN nicht nur monokausal, also glukosebedingt sei, sondern sich dahinter ein sehr komplexes Krankheitsbild verberge. Neben dem Blutzucker dürften auch Veränderungen im Hexosamin- und Polyol-Pathway eine Rolle spielen, die zu einer vermehrten Bildung von reaktiven Oxidationsprodukten führen. Dazu kommen die Dyslipidämie, die zusammen mit der Hyperglykämie eine vaskuläre Dysfunktion mit endoneuraler Hypoxie induziert, und eine mitochondriale Dysfunktion. „Dieser multifaktorielle Prozess bietet die Chance für pathophysiologisch orientierte kausale Therapieansätze“, legte Forst dar. Dazu gehört die Alpha-Liponsäure, die antioxidativ wirkt. „Eine erste Metaanalyse verschiedener Studien hatte zunächst eine positive Wirkung gezeigt, doch bei der später durchgeführten Nathan 1-Studie konnte kein signifikanter Effekt nachgewiesen werden“, so Forst. Auch die Hemmung des Polyol-Pathway mit Aldose-Reduktase-Inhibitoren, die die vermehrte Bildung von Sorbitol und damit auch Fruktose hemmen, war bisher nach ersten Studienergebnissen nicht erfolgreich. Diese Substanzen wie Ranirestat oder Fidarestat waren entweder ineffektiv oder zu stark mit Nebenwirkungen behaftet. Dagegen scheint die Gabe eines ACE-Hemmers den Verlauf der DSPN günstig zu beeinflussen. Dies lassen zumindest die Daten bei hypertonen Diabetikern vermuten, die als Antihypertensivum einen ACE-Hemmer erhielten. „Bisher ist bei einer möglichen kausalen Therapie kein Durchbruch in Sicht, so dass sich die Therapie im wesentlichen auf die symptomatische Intervention beschränken muss“, resümierte Forst. Was empfehlen die Leitlinien? Ziel der Therapie ist eine zumindest teilweise Analgesie, wobei pharmakologische und nicht-pharmakologische Methoden zur Verfügung stehen. Als First-line-Medikamente werden in den Leitlinien empfohlen: Gabapentin, Pregabalin, Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer wie Duloxetin und Venlafaxin und trizyklische Antidepressiva. Substanzen der zweiten Wahl sind Capsaicin- bzw. Lidocain-Pflaster, Tramadol und evtl. Botulinumtoxin. „Nicht bei allen Patienten gelingt es, den Schmerz um mindesten 50% zu reduzieren“, so PD Dr. Christian Geber, Mainz. Die NNT liege bei sechs bis zehn. Doch auch durch supportive psychologische Verfahren könne die Schmerzbewältigung verbessert werden. Auch werde durch eine Kombination zweier Substanzen der Therapieerfolg gesteigert. Eine solche Kombination wurde im Rahmen der COMBO-DN-Studie (Combination vs Monotherapy of Pregabalin and Duloxetine in Diabetic Neuropathy) in einem randomisierten doppelblinden Design bei über 1.000 Patienten mit DSPN untersucht. Die Patienten erhielten zunächst über acht Wochen eine Monotherapie entweder mit Duloxetin in einer Dosierung von 60 mg oder 300 mg Pregabalin täglich. Die Non-Responder wurden dann über acht weitere Wochen entweder mit der Kombination 60 mg Duloxetin plus 300 mg Pregabalin oder mit einer hochdosierten Monotherapie mit 120 mg Duloxetin bzw. 600 mg Pregabalin täglich behandelt. Beim Vergleich der initialen Monotherapie schnitt Duloxetin mit einer Responderrate von 52% besser ab als Pregabalin mit einer Responderrate von 37%. Die Kombination mit 60 mg Duloxetin und 300 mg Pregabalin brachte bei primären Non-Respondern im Vergleich zu den hochdosierten Monotherapien aber keinen zusätzlichen Gewinn. Ähnlich sind die Ergebnisse bei der Kombination Imipramin plus Pregabalin. „Das wirksame Medikament muss bei jedem einzelnen Patienten durch Erprobung unter Berücksichtigung des individuellen Beschwerdebildes sowie der Nebenwirkungen und Kontraindikationen gefunden werden und jeder Patient benötigt eine individuelle Dosierung, so dass eine sorgfältige Titration erfolgen sollte“, unterstrich Geber. Lokale und nicht pharmakologische Therapieverfahren Doch die systemische Therapie der DSPN ist mit einer Reihe von Problemen und Nebenwirkungen assoziiert. Dazu gehören neben der unzureichenden Wirksamkeit der langsame Wirkbeginn, Arzneimittelinteraktionen, systemische Nebenwirkungen, Compliance-Probleme und die Abhängigkeitsgefahr. „Deshalb sollten auch alternative Therapien zum Einsatz kommen“, so PD Dr. Ovidiu Alin Stirban, Remscheid. Dazu gehören als nicht pharmakologische Therapie die Hochton Elektrische Muskelstimulation und als lokale Therapie das Capsaicin 8% Pflaster. „Die Hochtontherapie ist eine passive Bewegung, die Symptome und Schlaf verbessert“, erklärte Stirban. Damit werde der Zellstoffwechsel angeregt, die Durchblutung gefördert, die Insulinempfindlichkeit verbessert und es komme auch zu einer moderaten Gewichtsabnahme. Nebenwirkungen sind nicht bekannt, doch Herzschrittmacher sind eine Kontraindikation. Die Therapie ist einfach und kann vom Patienten selbst appliziert werden. Sie sollte zwei- bis viermal pro Woche über 30–60 Minuten durchgeführt werden. Capsaicin ist ein in verschiedenen Paprikaarten natürlich vorkommendes Alkaloid. Die einmalige Applikation führt zu Erythem, brennendem Schmerz und erhöhter Sensitivität, mehrfache Applikationen oder eine hohe Konzentration bewirken aber einen Funktionsverlust der Nozizeptoren. „Der Patient muss wissen, dass die initialen Nebenwirkungen über Stunden bis Tage anhalten können“, so Stirban. In einem direkten Vergleich mit Pregabalin habe das Capsaicin 8%-Pflaster genauso gut abgeschnitten wie Pregabalin. Vorteilhaft seien der schnelle Wirkbeginn und die potente Wirkung. Die Therapie sollte alle acht bis zwölf Wochen wiederholt werden. basierend auf: Symposium „Diabetische Neuropathie – Update 2017“, Diabetes Kongress 2017, 25.05.2017, Hamburg

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