Jede fünfte Demenzerkrankung durch Zosterimpfung vermeidbar

Vermutlich lassen sich ein Fünftel bis ein Viertel aller Demenzerkrankungen durch eine Zosterimpfung vermeiden. Neue Studien liefern robuste Hinweise auf eine kausalen Schutzwirkung der Impfung, und zeigen auch, wie das Virus Protein im Gehirn verklumpen lässt. Offenbar gibt es eine sehr wirksame und einfache Weise, einer Demenz vorzubeugen: die Impfung gegen Varicella zoster. Sie verhindert nicht nur Gürtelrose, sondern auch eine schädliche Wirkung des Virus im Gehirn. Darauf deutet mittlerweile eine größere Zahl epidemiologischer und experimenteller Studien. Die meisten der epidemiologischen Studien haben aber einen wesentlichen Haken: Menschen, die sich gegen Zoster impfen lassen, unterscheiden sich deutlich von solchen, die es nicht tun: Sie sind körperlich aktiver und achten besser auf ihre Gesundheit, haben offensichtlich also schon vor der Impfung ein geringeres Demenzrisiko. All das wird in administrativen Daten und vielen epidemiologischen Studien nicht wirklich gut erfasst, sodass hier ein Selektionsbias vorliegen könnte. Auf der Alzheimer’s Association International Conference (AAIC) in Philadelphia wurden zwei aktuelle Analysen vorgestellt, welche dieses Problem durch geeignete Kontrollgruppen berücksichtigten. In der einen wurde die Demenzinzidenz von Zoster-Geimpften mit der von Menschen verglichen, die sich gegen Pneumokokken, nicht aber gegen Zoster hatten impfen lassen, in der zweiten diente die Altersgrenze bei der Einführung der Zosterimpfung als Selektionskriterium. Beide Studien kamen zu einem ähnlichen Ergebnis: Menschen mit Zosterimpfung sind erheblich besser gegen eine Demenz gewappnet als solche ohne. Und das scheint tatsächlich an der Impfung zu liegen. Vorteil für rekombinante Vakzine In der einen Analyse haben Forschende um Dr. Patrick Schwab vom Unternehmen GSK die US-Datenbank Optum mit elektronischen Gesundheitsdaten zu rund 100 Millionen US-Bürgern durchforstet. Berücksichtigt wurden solche, die in den Jahren 2007 bis 2023 über 50 Jahre alt waren und in dieser Zeit entweder eine Zoster-Impfung oder eine 23-valente Pneumokokkenvakzine erhalten hatten, aber nicht beides. Über ein KI-basiertes Matching-System adjustierten sie zudem für rund 400 Begleitfaktoren (Alter, Geschlecht, Ethnie, Begleiterkrankungen, Medikation, Demenzrisikofaktoren), sodass sie möglichst ähnliche Personen mit Zoster- und Pneumokokkenimpfung gegenüberstellten. Zudem differenzierten sie zwischen Menschen mit abgeschwächter Lebendvakzine und solchen mit rekombinantem Zosterimpfstoff. Letztlich fanden sie unter Menschen mit Zosterimpfungen eine signifikant geringere Demenzinzidenz als unter solchen mit Pneumokokkenvakzinierung: Am deutlichsten waren die Unterschiede drei Jahre nach der jeweiligen Impfung, hier lag die Demenzinzidenz mit der Lebend-Zoster-Vakzine um 14%, mit der rekombinanten Vakzine sogar um 24% niedriger. Nach fünf Jahren hatte sich der Unterschied etwas abgeschwächt, dann ließ sich nur noch ein Vorteil von 8% mit dem Lebend-Zoster-Impfstoff, aber noch von 20% mit der rekombinanten Vakzine gegenüber dem Pneumokoken-Impfstoff nachweisen. Verglichen worden waren jeweils 382.000 Personen mit der Lebendvakzine sowie 169.000 mit der rekombinanten Vakzine. Ihnen hatte man jeweils die gleiche Zahl von Menschen mit Pneumokokkenimpfung gegenübergestellt. Das Team um Schwab verglich zudem rund 46.000 Menschen mit der rekombinanten Vakzine und ebenso viele ähnliche Personen mit der Lebendvakzine. Bei diesem Vergleich war die Demenzinzidenz mit dem rekombinanten Impfstoff nach drei Jahren um 27%, nach fünf Jahren um 23% geringer, was auf einen recht konsistenten Vorteil des rekombinanten Zosterimpfstoffs deutet. Schwab geht davon aus, dass der bessere Zosterschutz durch die rekombinante Vakzine auch mit dem besseren Demenzschutz zusammenhängt. Da es sich hier aber um rein administrative Daten handelt, könnten unberücksichtigte Faktoren aber noch für Verzerrungen gesorgt haben. Starker Hinweis auf Kausalität In der zweiten Studie machte sich ein Team um Dr. Pascal Geldsetzer von der Stanford University das Alterslimit bei der Einführung der Zosterimpfung in Großbritannien im Jahr 2013 zunutze. Alle, die vor dem 2. September 80 Jahre alt, also vor dem 2. September 1933 geboren waren, erhielten die Impfung nicht mehr. Von den Jüngeren wurde in den folgenden Jahren etwa die Hälfte mit der Lebendvakzine geimpft. Die Forschenden verglichen nun das Schicksal der am Stichtag knapp über 80-Jährigen mit den knapp unter 80-Jährigen in einer großen Versichertendatenbank in Wales. „Letztlich dürfte es zwischen Menschen, die nur zwei Wochen älter sind, keine plausiblen Unterschiede geben“, so Geldsetzer. Diverse Datenvergleiche ließen auch keinerlei Differenzen zwischen beiden Gruppen erkennen, bis eben auf die Wahrscheinlichkeit, die Zosterimpfung zu erhalten und an Herpes zoster zu erkranken. Das Risiko für Verzerrungen darf hier als extrem gering gelten. Wie erwartet, erkrankten die zum Stichtag knapp unter 80-Jährigen später deutlich seltener an Gürtelrose als die knapp über 80-Jährigen, die Effektstärke war ähnlich hoch wie in kontrollierten Studien, erläuterte Geldsetzer. Ein ähnliches Bild ergab sich mit Blick auf die Demenzrate: Nach sechs Jahren war die Inzidenz unter den zum Stichtag knapp unter 80-Jährigen um vier Prozentpunkte niedriger als unter den knapp über 80-Jährigen, bezogen auf die gesamte Population. Daraus ließ sich eine um rund 20% geringere Demenzinzidenz unter den Geimpften berechnen. Der Unterschied war recht konsistent für Zeiträume von 0–12 Monate vor und nach dem Stichtag und hing auch nicht von der Art der Demenzdiagnose (Hausarzt, Facharzt, Antidementiva, Todesurdache) ab. Wurden andere Stichtage gewählt, gab es hingegen keine derartigen abrupten Änderungen der Demenzinzidenz der um den Stichtag Geborenen, sodass als plausibler Grund eigentlich nur die Impfung übrigbleibt, mit einer Ausnahme – möglicherweise änderte die Impfung das Gesundheitsverhalten. Doch dies ließ sich aus den Daten ebenfalls nicht ablesen: Weder bei anderen Impfungen noch beim Krebsscreening oder diversen Medikamentenverordnungen zeigten sich bei um den Stichtag geborenen Menschen irgendwelche erkennbaren Änderungen. Für Geldsetzer bleibt daher als einzige Erklärung die Zosterimpfung. Den Stichtagseffekt sahen die Forschenden auch bei Demenz als Todesursache, sowohl in Datenbanken aus Wales als auch aus England. Schließlich beobachteten sie den Effekt auch in einer Gesundheitsdatenbank in Australien, hier für die Geburt ab dem 2. November 1936, der als Stichtag für die Eignung zur Zosterimpfung galt, die in Australien 2016 eingeführt wurde. Nur für diesen einen Stichtag zeigte sich eine abrupte Änderung der Demenzinzidenz. Bestätigt wird dies durch eine aktuelle Untersuchung mit einer Stichtagsregelung in Ontario in Kanada, hier nicht nur für die Demenzdiagnose, sondern auch für die Inzidenz erster kognitiver Einschränkungen und die Leistung in Kognitionstests. Für Geldsetzer sind das sehr robuste Daten, die auf die Zosterimpfung als Grund für den Schutzeffekt deuten. Varicella-zoster-Virus beschleunigt Proteinaggregation in Gefäßen und Gehirn Bleibt die Frage, wie das Varicella-zoster-Virus (VZV) das Demenzrisiko erhöht. Auf dem Kongress wurden Daten vorgestellt, nach denen virale Rezeptoren wie der Poliovirus-Virus-Rezeptor (PVR) gehäuft bei Personen exprimiert werden, die VZV-seropositiv sind. In einer Proteomanalyse der britischen Datenbank Biobank waren insgesamt sechs Proteine aus viralen Rezeptorpfaden mit einer vaskulären Demenz assoziiert, darunter auch PVR. Für solche Proteine ließen sich wiederum Verbindungen zu Neurodegenerationsmarkern wie NFL und GFAP nachweisen. PVR wird auch bei Alzheimerdemenz verstärkt exprimiert. Es könnte also sein, dass VZV die PVR-Expression steigert und darüber das Demenzrisiko erhöht. Eine Arbeitsgruppe um Dr. Marian Nagel von der Universität in Aurora in den USA sieht hingegen einen direkten Zusammenhang mit der Amyloidaggregation während einer VZV-Infektion. Die Forschenden konzentrierten sich vor allem auf Personen mit einer zerebralen Vaskulopathie während einer solchen Erkrankung. Ihnen war aufgefallen, dass Amylin, eigentlich ein Pankreas-Peptidhormon, während einer aktiven Zoster-Erkrankung hochreguliert wird. Zunächst schenkten sie diesem Befund wenig Beachtung, bis sie bemerkten, dass das Protein sowohl in den zerebralen Gefäßen als auch in Alzheimer-Amyloid-Plaques zu finden ist. Weitere Untersuchungen ergaben erhöhte Beta-Amyloid-Plasma-Werte, die während einer Zosterinfektion stark mit der Amylin-Konzentration korrelierten, sonst jedoch nicht. In Zellkulturexperimenten konnten sie schließlich zeigen, dass VZV-infizierte vaskuläre Hirnzellen sowohl Amylin- als auch Amyloidaggregate bilden, und dies wurde von bestimmten viralen Proteinen verursacht. Diese, so ergaben weitere Versuche, können die Aggregation anderer zelluläre Proteine beschleunigen, aber auch selbst zu Amyloid-artigen Fibrillen verklumpen. Nach solchen Erkenntnissen suchten Nagel und Mitarbeitende gezielt nach Hinweisen auf VZV in Personen mit einer zerebralen Amyloidangiopathie – und wurden fündig: Sie entdeckten in den Gefäßablagerungen erhebliche Mengen an VZV-Antigenen. Nagel vermutet jedoch, dass solche proaggregatorischen Eigenschaften nicht nur VZV, sondern auch andere Viren aufweisen. Entscheiden sei lediglich, ob sie an die empfindlichen Positionen ins Gehirn gelangten. Und genau hierbei kann auch eine VZV-Infektion helfen: Die Viren produzieren extrazelluläre Vesikel, sogenannte Exosomen, die zum einen proinflammatorisch und prothrombotisch wirken, wodurch sie das Infarktrisiko neben der Gefäßschädigung weiter erhöhen. Hauptfunktion der Exosomen scheint aber zu sein, das Immunsystem zu dämpfen und den Viren den Eintritt ins ZNS zu erleichtern, und davon profitieren als Trittbrettfahrer auch andere Viren, wie sich in Tierexperimenten demonstrieren ließ. Letztlich so Nagel, dürfte eine VZV-Reaktivierung bei älteren Menschen mit einem vulnerablen Gehirn dazu beitragen, Gefäße zu schädigen und die Amyloiddeposition im Gehirn zu beschleunigen, und damit lasse sich das Risiko für eine vaskuläre Demenz sowie eine Alzheimerdemenz gut erklären. Quelle: Alzheimer's Association International Conference (AAIC), 28. Juli bis 1. August 2024, Philadelphia, USA. The varicella zoster virus and dementia: a causal link? Patrick Schwab: Recombinant zoster vaccine and reduced risk of dementia: matchedcohort study using large-scale electronic health records and machine learning methodology. Pascal Geldsetzer: The effect of herpes zoster vaccination on the occurrence of deaths due to dementia in England and Wales. Alle Beiträge von der Konferenz der Alzheimer's Association finden Sie im Dossier.

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