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Erschienen in: Zentralblatt für Arbeitsmedizin, Arbeitsschutz und Ergonomie 6/2022

Open Access 14.07.2022 | Adipositas | Übersichten: Arbeitsmedizin

Arbeitsplatzbezogene Gesundheitsbelastungen am Beispiel von Lastkraftwagenfahrer/innen im Fernverkehr

verfasst von: Dr. Fabian Holzgreve, M.A., Andreas Lenk, Paul A. Troebs, Gerhard Oremek, Eileen M. Wanke

Erschienen in: Zentralblatt für Arbeitsmedizin, Arbeitsschutz und Ergonomie | Ausgabe 6/2022

Zusammenfassung

Der Beruf des Lastkraftwagenfahrers im Fernverkehr bringt verschiedene arbeitsplatzbezogene Anforderungen, Belastungen und Gesundheitsrisiken mit sich. So ist das Risiko für Rückenschmerzen durch die Kombination von langer sitzender Haltung und Ganzkörpervibrationen um ein Vielfaches erhöht. Neben physischen Faktoren bürgen auch psychische Faktoren, wie Stress und Schlafqualität, Gesundheitsrisiken für Lastkraftwagenfahrer/innen. Hier spielen beispielsweise zusätzliche äußere Lärm- und Umgebungseinflüsse beim Schlafen in der Schlafkabine im Lastkraftwagen eine wichtige Rolle. Des Weiteren ist der Anteil an Adipositas Leidenden unter Lastkraftwagenfahrer/innen deutlich höher als in der Normalbevölkerung. Lastkraftwagenfahrer/innen verbringen den Großteil des Tages allein und haben wenig Zeit für persönliche Belange. Hierzu zählen neben geregelten Schlafphasen und Arbeitspausen insbesondere die Zeit für Ernährung, sportliche Betätigung und nicht zuletzt Behörden- oder Arztbesuche.

Das Berufsbild des Lastkraftwagenfahrers im Fernverkehr

Im Jahr 2020 wurden in Deutschland 3.656.700 Tonnen [18] Güter über die Straßen transportiert. Im Vergleich mit den Vorjahren lässt sich hier ein stetig steigender Trend festhalten [16]. 2020 waren in Deutschland im gewerblichen Güterkraftverkehr nach Angaben des Bundesamts für Güterverkehr 652.557 Berufskraftfahrer/innen beschäftigt [13]. Frauen sind erwartungsgemäß in diesem Beruf unterrepräsentiert und werden mit 1,9 % der sozialversicherten Angestellten angegeben [35]. 31,5 % der angestellten Berufskraftfahrer/innen waren Ende 2019 älter als 55 Jahre alt [11, 14].
Der Beruf des Berufskraftfahrers ist in Deutschland mit einer dreijährigen dualen Ausbildung verbunden. Zwingende Voraussetzung ist eine Fahrerlaubnis der Klassen C und CE ab dem 18. bzw. 21. Lebensjahr [12]. Das Absolvieren einer Grundqualifikationsausbildung ist Mindestvoraussetzung, darüber hinaus gibt es Zusatzmodule zu Ladungssicherheit, Sozialvorschriften, Erste Hilfe, Eco-Training1 und Gesundheitsfürsorge [14]. Der überwiegende Teil der Lastkraftwagenfahrer/innen auf deutschen Straßen sind keine gelernten Berufskraftfahrer/innen, sondern Quereinsteiger [13].
Berufskraftfahrer/innen im Fernverkehr verbringen den Großteil des Tages allein und haben lange, unregelmäßige Arbeitszeiten, sodass insbesondere im Fernverkehr Schichtbetrieb und Nachtfahrten häufig zu verzeichnen sind. Die grundsätzliche Arbeitszeit sollte hier 48 h nicht überschreiten; in Sonderfällen ist eine Verlängerung auf 60 h möglich. Hierbei muss zwischen Lenkzeit (Dienst am Steuer; 9 h) und auch das Be- und Entladen des Lkw, Wartungen, Reinigungen und Reparaturen differenziert werden. Im Fernverkehr tätige Fahrer/innen sind selten zu Hause, sodass ihnen wenig Zeit für persönliche Belange bleibt. Hierzu zählen neben geregelten Schlafphasen und Arbeitspausen auch die Zeit für ausgewogene Ernährung, sportliche Betätigung und nicht zuletzt Behörden- oder Arztbesuche [6, 40, 44]. Berufsbedingte Belastungen und deren Folgen werden nun im Folgenden ausgeführt.

Psychische Belastungen

Bei den psychischen Belastungen ist an erster Stelle der enorme Zeitdruck zu nennen, unter welchem die Lastkraftwagenfahrer/innen insbesondere im Fernverkehr leiden [73]. Die Speditionen stehen unter einem hohen wirtschaftlichen Druck und versuchen, ihre Betriebskosten möglichst gering zu halten. In Folge dessen sind die Transportfahrten nach einem engen Zeitplan ausgerichtet, an den sich die Lastkraftwagenfahrer/innen halten müssen. Dies führt dazu, dass sich durch den Zeitdruck Stress und eine erhöhte Müdigkeit bei den Lastkraftwagenfahrer/innen einstellt [49]. In einer Befragung von Lastkraftwagenfahrer/innen aus dem Jahr 2002 wurde Müdigkeit als häufigste Gesundheitsstörung genannt [73], was in einer weiteren Untersuchung bestätigt wurde [48]. In einem aktuellen Review [29] werden außerdem eine schlechte Qualität der Ernährung, Bewegungsmangel und eine hohe Prävalenz des Rauchens als verhaltensinduzierte Gesundheitsrisiken benannt. Zudem sei diese Berufssparte noch nicht komplett analysiert.
Auch haben Lastkraftwagenfahrer/innen teilweise unregelmäßige Arbeitszeiten und sind oft tagelang nur auf Autobahnen unterwegs, ohne zwischendurch nach Hause zu ihren Familien kommen zu können. Die Lastkraftwagenfahrer/innen verbringen die meiste Zeit während ihrer Arbeit allein in ihrer Fahrerkabine, sind isoliert und erfahren eine geringe soziale Unterstützung [20, 48, 53].
Als weitere psychische Belastung nennt Ellinghaus [20] das Ungleichgewicht zwischen hoher körperlicher Belastung und gleichzeitig geringer Belohnung im Sinne eines relativ niedrigen Einkommens und die fehlende Anerkennung ihrer geleisteten Arbeit durch Vorgesetzte [20].

Physische Belastungen

Bedeutung des Fahrersitzes

Die Stabilität und die Position des Oberkörpers der Lastkraftwagenfahrer/innen wird während des Fahrens durch den Sitz vorgegeben. So müssen die Fahrersitze zum einen für verschiedene anthropometrische Maße geeignet sein [26], zum anderen ist eine Stützfunktion essenziell, da die Lastkraftwagenfahrer/innen sich in einer statischen Zwangsposition befinden. Unter Busfahrer/innen fand sich unter Fahren ohne einen sogenannten unterstützenden Sitz eine höhere Prävalenz von Rückenschmerzen. Als unterstützend wurden Sitzbeschaffenheiten bezeichnet, die ein Verbiegen, Verdrehen und zur Seite lehnen verhindern und damit insgesamt die Stabilität des Körpers während des Sitzens und auch die Ergonomie erhöhen [2]. Neben eben Genanntem ist die Reduzierung der Vibrationen (Ganzkörpervibrationen) eine elementare Aufgabe der Sitze, da diese zu Rückenschmerzen führen können [19, 38]. Momentan werden branchenüblich passiv luftgefederte Sitze eingesetzt. Fahrersitze mit einer aktiven Federung, einer elektromagnetischen Induktionsbewegung, können die Ganzkörpervibration reduzieren [30]. Hingegen konnte eine Reduktion von Rückenschmerzen durch Verwendung einer aktiven Federung im Vergleich zu passiv luftgefederten Sitzen nicht sicher belegt werden [34].

Einfluss von Ganzkörpervibrationen

Ganzkörpervibrationen, wie sie beim Bedienen von großen Maschinen oder beim Fahren von schweren Fahrzeugen, wie Lastwagen oder Bussen auftreten, führen häufig zu Rückenschmerzen [6, 48]. Vor allem bei älteren Fahrzeugen ohne unzureichende Federung des Fahrersitzes sind die Berufskraftfahrer/innen einem erhöhten Ausmaß an Ganzkörpervibrationen ausgesetzt [31]. Insbesondere in vertikaler Richtung werden die Vibrationen von der Straße über den Lastkraftwagen auf den Sitz und auf den Körper und hierbei vor allem auf die Wirbelsäule übertragen [7]. Als mögliche Folge der Ganzkörpervibrationen werden unter anderem neuronale Entzündungen im Rückenmark genannt, welche sich auch als Rückenschmerzen äußern [81]. Besonders bei langjähriger Exposition kommt es zu einer Zunahme der Intensität der Rückenschmerzen [8]. Des Weiteren geht mit den Ganzkörpervibrationen eine Reihe von Folgesymptomen einher, die sich nicht unmittelbar am Rücken und an der Wirbelsäule abspielen. Hierzu zählt unter anderem Ermüdung [78]. Die Auswirkungen von Ganzkörpervibrationen auf die posturale Kontrolle sind aktuell noch nicht ausreichend untersucht. Dass ein Einfluss auf die Körperstabilität besteht, wird jedoch angenommen [64].

Rückenschmerzen als Folge

Als allgemeingültige Ursachen von arbeitsbedingten Rückenschmerzen werden vorwiegend schwere körperliche Arbeit, eine statische Arbeitshaltung, wiederholtes Biegen, Verdrehen, Schieben und Ziehen, Heben und Tragen sowie Ganzkörpervibration angegeben [37]. Diese eben genannten Risikofaktoren finden sich auch im Berufsbild der Lastkraftwagenfahrer/innen wieder, was die Bedeutung von Rückenschmerzen bei den Lastkraftwagenfahrer/innen betont. In Untersuchungen [41, 79] wurde die Kombination der einzelnen Ursachen hervorgehoben. So geht Sitzen allein nicht mit einer erhöhten Rate von Rückenschmerzen einher. Die Kombination aus Sitzen und Ganzkörpervibration erhöht das Risiko jedoch gleich um ein Vielfaches. Den höchsten prädiktiven Wert für das Auftreten von Rückenbeschwerden hatte die Kombination aus Langzeitvibration und häufigem Heben [42]. Die Lastkraftwagenfahrer/innen sind während des Fahrens einer vertikalen Ganzkörpervibration ausgesetzt, welche über die zeitliche Dauer gesehen zu Schmerzen am Bewegungs- und Halteapparat führt [19, 66]. Insbesondere Schmerzen im Lendenwirbelsäulenbereich (Berufskrankheit 2110), aber auch im Schulter- und Nackenbereich treten auf. In weiteren Untersuchungen [33, 38, 78] konnte ein Zusammenhang zwischen Ganzkörpervibrationen und dem Auftreten von Bandscheibenvorfällen nachgewiesen werden. Einfluss auf die Intensität der Vibrationen haben neben dem Fahrzeug auch der technische Zustand des Sitzes als auch ihr Layout (mechanischer und luftgefederter Sitz), die Vibrationen abfangen und dämpfen sollen.
Der pathogenetische Zusammenhang besteht darin, dass eine kontinuierlich auf den Körper einwirkende Vibration zur Ermüdung und Erschöpfung der paravertebralen und unteren Rückenmuskulatur führt. Tiemessen et al. [77] konnten einen Hinweis eines Dosis-Wirkungs-Musters zwischen der Exposition durch Vibrationen und fahrbedingten Lendenwirbelsäulenschmerzen aufzeigen, jedoch nicht hinsichtlich der 12-Monats-Prävalenz der Lendenwirbelsäulenbeschwerden. Maggnusson [42] analysierte schwedische und US-amerikanische Lastkraftwagenfahrer/innen bezüglich des Auftretens von Rückenschmerzen: Etwa 50 % der Lastkraftwagenfahrer/innen gaben an, an Rückenschmerzen zu leiden. Unterschiede zwischen beiden Ländern, respektive Kontinenten, ergaben sich hierbei nicht; 40 % gaben zusätzlich Nacken‑/Schulterbeschwerden an.
Vergleiche mit der Normalbevölkerung sind in der Literatur [47, 82] großen Schwankungen ausgesetzt. In einer Metaanalyse mit europäischen, nord- und südamerikanischen sowie kleineren afrikanischen Studien werden Prävalenzraten von chronischen Rückenschmerzen von 4,2 % in der Altersgruppe 24 bis 39 Jahre angegeben sowie von 19,6 % der 20- bis 59-Jährigen [47]. Die Prävalenz von chronischen Rückenschmerzen in der Schweizer Gesamtbevölkerung wird mit 23 % angegeben [82]. Somit liegt die Häufigkeit von Rückenschmerzen unter Lastkraftwagenfahrer/innen deutlich über der der Durchschnittsbevölkerung. In den USA sind Rückenschmerzen der häufigste Grund für eine Krankschreibung unter Lastkraftwagenfahrer/innen [5]. Allgemeine muskuloskeletale Funktionseinschränkungen werden unter Lastkraftwagenfahrer/innen mit einer Prävalenz von 78,6 % pro Jahr angegeben. Verglichen hierzu treten diese Beschwerden unter Büroangestellten nur mit 55,5 % pro Jahr auf [51]. Von den eben genannten chronischen Beschwerden sind akute Verletzungen abzugrenzen. Die Prävalenz von Arbeitsunfällen unter Lastkraftwagenfahrer/innen ist in den USA mit 355,4 Verletzungen pro 10.000 Beschäftigte 3,5-mal höher als für andere Berufe. Die Traumata betreffen zum Großteil die Arme (26,3 %) und den Rücken (21,1 %), wobei Stürze mit 38,9 % und Kontusionen mit Gegenständen oder der Ausrüstung (33,7 %) die Hauptmechanismen der Unfälle waren [17].
Eine andere Berufsgruppe, die ebenfalls hohen berufsbedingten Belastungen ausgesetzt ist und die über eine über die Normalbevölkerung höhere Prävalenz an Muskel-Skelett-Erkrankungen beschreibt, sind Zahnärzt/innen und Zahnmedizinische Fachangestellte [25, 28, 36, 5457, 59, 60, 62]. Dies bestätigt die Datenbank „Occupational Information Network“ des US-Arbeitsministeriums [32], die detaillierte Informationen über Berufe enthält. Der Vergleich von 974 Berufsgruppen bezüglich der 6 Gesundheitsrisiken – (1) Exposition gegenüber Schadstoffen, (2) Exposition gegenüber Krankheiten und Infektionen, (3) Exposition gegenüber gefährlichen Bedingungen, (4) Exposition gegenüber Strahlung, (5) Risiko kleinerer Verbrennungen, Schnitte, Bisse und Stiche sowie (6) Zeit im Sitzen – identifiziert die Berufsgruppe von Zahnärzten/innen und Zahnmedizinischen Fachangestellten als die gesundheitsschädlichste Berufsgruppe. Wobei als die größten Gesundheitsrisiken in dieser Berufssparte, Exposition gegenüber Schadstoffen, Krankheiten und Infektionen sowie prolongierte Arbeitszeit im Sitzen aufgeführt wurden. Unter den 27 gefährdetsten Berufen sind viele medizinische Berufe (wie z. B. Radiolog/innen [3, 50], Krankenschwester/-pfleger in der Intensivpflege [1, 27] oder Arbeitnehmer/innen im tiermedizinischen Bereich [74]) zu finden, aber auch Flugbegleiter/innen und Piloten [65, 67, 80].

BMI und Adipositas

Ein weiterer relevanter Aspekt ist die Prävalenz von Adipositas unter Lastkraftwagenfahrer/innen, die in mehreren großen Studien nachgewiesen wurde [21, 24, 43, 70, 76]. Rosso [70] konnte belegen, dass in Italien 21,4 % der Lastkraftwagenfahrer/innen einen BMI > 30 kg/m2 hatten. Als Referenzgruppe zitierte Rosse eine Studie von Gallus [22], in welcher eine Prävalenz von Adipositas unter Arbeitern für Nordwestitalien mit 7,8 % angegeben wird. Für US-Fahrer/innen wurde Adipositas (BMI > 30 kg/m2) einer Studie von Thiese [76] mit über 80.000 Fahrer/innen zu Folge mit mehr als der Hälfte (53,2 %) der Untersuchten angegeben. Für Deutschland konnte in einer Untersuchung mit 308 Lastkraftwagenfahrer/innen ein durchschnittlicher BMI von 26,6 kg/m2 nachgewiesen werden – bei 61 % lag der BMI bei > 25 kg/m2, bei 11,7 % > 30 kg/m2 und damit etwas höher als in vorher genannter italienischer Untersuchung [46]. Zur differenzierten Betrachtung von Adipositas unter Lastkraftwagenfahrer/innen erfolgt der Vergleich mit der deutschen Gesamtbevölkerung. Im Journal of Health Monitoring des Robert-Koch-Instituts wurde Anfang 2017 für die männliche deutsche Gesamtbevölkerung im Alter von 18 bis über 65 Jahre bei 61,6 % ein BMI von > 25 kg/m2 bescheinigt, womit sich die Prävalenzrate vorher genannter Studie mit dem Lastkraftwagenfahrer/innen deckt [72]. Für die deutsche Allgemeinbevölkerung gibt es detaillierte Zahlen zum BMI nach Altersdekaden geordnet. Mensink [45] konnte belegen, dass der BMI im Laufe des Lebens kontinuierlich ansteigt. So beträgt der durchschnittliche BMI in der Altersgruppe 18 bis 29 Jahre 24,5 kg/m2 und steigt in den nachfolgenden 10 Lebensjahren auf 26,8 kg/m2, 27,6 kg/m2, 27,9 kg/m2 und liegt in der Gruppe der 60- bis 79-jährigen im Schnitt bei 28,8 kg/m2. Exemplarisch wurde der BMI der männlichen Bevölkerung genannt, da der Beruf des Lastkraftwagenfahrers ein überwiegend männlich dominierter Beruf ist [15]. Als Gründe für die Entwicklung von Adipositas werden das lange Sitzen allein in der Fahrzeugkabine, die häufig einseitige und hochkalorische Ernährung sowie deutlich weniger Sport angegeben [53]. Des Weiteren findet sich bei den Lastkraftwagenfahrer/innen auch während der Arbeitstage ein hoher Alkoholkonsum, zum Teil bis hin zum Alkoholabusus [69]. Darüber hinaus gibt es einen Zusammenhang zwischen den jährlich gefahrenen Kilometern, der Arbeitszeit und der Entwicklung von Adipositas. Ursache hierfür ist am ehesten der vermehrte Konsum hochkalorischer Nahrung (Fast-Food) während der Tour im Gegensatz zu geregelten Mahlzeiten in der Häuslichkeit. Ebenso gibt es eine negative Korrelation zwischen Bildungsniveau und Adipositas [70]. Neben den gesundheitsschädlichen Auswirkungen des Übergewichts im Hinblick auf die Entstehung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und deren Folgeschäden konnte in einer Untersuchung von Anderson et al. [4] gezeigt werden, dass Lastkraftwagenfahrer/innen mit steigendem BMI auch ein höheres Risiko zur Verursachung eines Verkehrsunfalls tragen. Die Gründe hierfür, warum der BMI Einfluss auf die Unfallrate hat, sind nicht genau bekannt [4, 76]. Ebenfalls steigt mit Zunahme weiterer kardiovaskulärer Risikofaktoren das Risiko, einen Verkehrsunfall zu erleiden [68]. Die Prävalenz der kardiovaskulären Risikofaktoren lag unter US-amerikanischen Lastkraftwagenfahrer/innen deutlich über der der Allgemeinbevölkerung. Bluthochdruck 17,7 vs. 26,3 %, Diabetes 3,9 vs. 14,4 %, Zigarettenrauchen 23,8 vs. 50,7 % und Übergewicht 22,8 vs. 68,9 % [9, 75]. Neben bereits aufgeführten Folgeschäden konnte auch belegt werden, dass eine zunehmende Anzahl von Berufsjahren und ein steigender BMI zu einer Abnahme des frontalen und sagittalen Haltungsschwankens führt [63]. Ferner zeigt sich, dass sie im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung hinsichtlich des Gleichgewichtsverteilungsmusters prozentual mehr auf dem Vorfuß stehen und auch die Links-Rechts-Ratio asymmetrischer ist (rechts > links; [58, 61, 71]).

Arbeitszeiten und Schlaf

Der mobile Arbeitsplatz mit sehr flexiblen Arbeitszeiten, der den Wechsel von Tag- und Nachtarbeit mit vorgeschriebenen Ruhezeiten erforderlich macht, führt häufig zu einem kumulativen Schlafdefizit [21]. Der Schlaf während eines Arbeitsturnus findet in der Regel in der Schlafkabine des Lastkraftwagens statt und ist aufgrund von Abstellposition des Lastkraftwagens und Umgebung zusätzlich äußeren Lärm- und Umgebungseinflüssen ausgesetzt. Unregelmäßiges und damit für den Körper nicht erholsames Schlafen erhöht zudem die Unfallgefahr [52]. Dass die Schlafqualität von Arbeitsplatzfaktoren abhängig ist, konnte Breackman [10] bei belgischen Lastkraftwagenfahrer/innen belegen. So führt ein strenger Fahrplan, niedrige Arbeitsplatzzufriedenheit und wenig Berufserfahrung zu einem schlechteren Schlaf. In eben genannter Untersuchung wurden 1580 Fragenbögen ausgegeben, von denen letztlich 476 ausgewertet wurden. 27,2 % der Befragten gaben an, eine schlechte Schlafqualität zu haben, 18 % beklagten Tagesmüdigkeit. Hinzu kommen konstitutionelle Faktoren, wie eine hohe Prävalenz von Adipositas, die die Entstehung eines obstruktiven Schlafapnoesyndroms (OSAS) begünstigt. Ebenso war Tagesmüdigkeit mit Alter, Rauchen und niedriger Bildung assoziiert [10]. Ein OSAS tritt unter Lastkraftwagenfahrer/innen einer italienischen Untersuchung zufolge überdurchschnittlich häufig auf [23]. Während die Prävalenz eines OSAS in der Gesamtbevölkerung mit 10–17 % angegeben wird, wurden bei Berufskraftfahrer/innen eine Prävalenz von 35,7 % diagnostiziert. Naheliegend kann hiermit ein deutliches Sicherheitsproblem durch ein erhöhtes Unfallrisiko einhergehen [23].

Strukturelle Defizite im Arbeits- und Gesundheitsschutz bei Lastkraftwagenfahrer/innen im Fernverkehr

Obwohl Lastkraftwagenfahrer/innen unter einer Vielzahl von gesundheitlichen Risikofaktoren leiden, ist für sie der Zugang zu Vorsorgemaßnahmen erschwert [39]. Ein Grund hierfür ist die Tatsache, dass Lastkraftwagenfahrer/innen die meiste Zeit des Tages auf der Autobahn verbringen und meistens weit entfernt von ihrer Heimat unterwegs sind. Damit haben Lastkraftwagenfahrer/innen nicht viele Möglichkeiten, ärztliche Vorsorgemaßnahmen, wie beispielsweise jährliche Gesundheitschecks, durchführen zu lassen [39].
Des Weiteren kommen strukturelle Probleme in dem Transportgewerbe hinzu, welche eine bessere Gesundheitsförderung für Lastkraftwagenfahrer/innen erschweren. Speditionsunternehmen sind gesetzlich dazu verpflichtet, sich an die gesetzlich festgeschriebenen Sicherheits- und Gesundheitsschutzrichtlinien zu halten. Allerdings zeigt sich gerade im Speditionsgewerbe eine schwierige Umsetzung. Dies liegt unter anderem daran, dass es in der Logistikbranche viele Kleinunternehmen mit geringer Arbeitnehmerzahl gibt. Diese Unternehmen können im Unterschied zu größeren Unternehmen keine eigene Gesundheits- und Arbeitsschutzorganisation aufrechterhalten, welche die gesetzlichen Vorgaben zum Gesundheitsschutz umsetzen könnten. Besonders kleine Unternehmen vernachlässigen häufig aus wirtschaftlichen und organisatorischen Gründen die Umsetzung der Sicherheits- und Gesundheitsrichtlinien. Folglich wird der Gesundheitsschutz vernachlässigt, um Kosten einzusparen und um wirtschaftlich konkurrenzfähig zu bleiben [39].

Fazit für die Praxis

  • Lastkraftwagenfahrer/innen im Fernverkehr sind im Vergleich zur übrigen Bevölkerung einer Reihe von zusätzlichen physischen und psychischen Belastungen ausgesetzt.
  • Sie leiden verstärkt an Rückenschmerzen, verursacht durch die Kombination langer sitzender Haltung und Ganzkörpervibrationen, an erhöhtem Stress, einer reduzierten Schlafqualität sowie häufiger an Adipositas.
  • Effiziente Gesundheitsförderprogramme, die die besondere Arbeitssituation von Lastkraftwagenfahrer/innen und die strukturellen Probleme der Logistikbranche berücksichtigen, sollten Gegenstand weiterer Studien sein. Ein zentraler Aspekt sollte die Reduktion von Stress und Zeitdruck sein.
  • Relevante gesundheitliche Risikofaktoren wie Bewegungsmangel, die monotone Sitzposition sowie ungesundes Essen stellen ebenfalls eine große Herausforderung dar. Mit speziellen Gesundheitsförderprogrammen sollte das Gesundheitsbewusstsein unter Lastkraftwagenfahrer/innen spezifisch gefördert werden.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

F. Holzgreve, A. Lenk, P.A. Troebs, G. Oremek und E.M. Wanke geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
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Fußnoten
1
Eco-Training: Schulung für wirtschaftliches und umweltbewusstes Fahren, sowie technische Wartungen.
 
Literatur
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Metadaten
Titel
Arbeitsplatzbezogene Gesundheitsbelastungen am Beispiel von Lastkraftwagenfahrer/innen im Fernverkehr
verfasst von
Dr. Fabian Holzgreve, M.A.
Andreas Lenk
Paul A. Troebs
Gerhard Oremek
Eileen M. Wanke
Publikationsdatum
14.07.2022
Verlag
Springer Berlin Heidelberg
Erschienen in
Zentralblatt für Arbeitsmedizin, Arbeitsschutz und Ergonomie / Ausgabe 6/2022
Print ISSN: 0944-2502
Elektronische ISSN: 2198-0713
DOI
https://doi.org/10.1007/s40664-022-00474-w

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