Umfrage: Geschlechterunterschiede sind für Ärzte ein Thema, für Patienten weniger

Viele Hausärztinnen und Hausärzte können nicht ausschließen, dass sie aufgrund des Geschlechts schon fehlerhafte Diagnosen gestellt haben, sagt eine Umfrage aus. Bei der Bevölkerung ist das Thema noch nicht angekommen. Mehr als die Hälfte der Hausärztinnen und Hausärzte können nicht ausschließen, dass sie schon einmal aufgrund geschlechterspezifischer Unterschiede eine fehlerhafte Diagnose gestellt haben. Das zeigt eine aktuelle Befragung im Auftrag des Versicherers Axa. Nur bei acht Prozent der Befragten hat demnach die geschlechtsspezifische Medizin in der Ausbildung eine nennenswerte Rolle gespielt. Das Marktforschungsinstitut DocCheck Insights hatte Anfang dieses Jahres 300 niedergelassene Allgemeinmedizinerinnen und Allgemeinmediziner sowie Internistinnen und Internisten ohne Schwerpunkt online befragt. Nur 38 Prozent von ihnen ist keine eigene fehlerhafte Diagnose aufgrund geschlechtsspezifischer Unterschiede bewusst. 55 Prozent sind sich dagegen nicht sicher. Es könne aber sein, dass sie aufgrund geschlechterspezifischer Unterschiede eine fehlerhafte Diagnose gestellt haben, geben sie an. Vier Prozent räumen ein, dass sie in der Vergangenheit eine solche fehlerhafte Diagnose gestellt haben. Fünf Prozent haben bei Patientinnen und Patienten, die nach erfolgloser Behandlung durch Kolleginnen und Kollegen in die Praxis gekommen waren, fehlerhafte Diagnosen aufgrund von Geschlechterunterschieden festgestellt. Eine untergeordnete Rolle im Studium Die Marktforscher hatten auch nach der Rolle des Geschlechts bei der Verordnung gefragt. Demnach spielt bei 20 Prozent der Hausärztinnen und Hausärzte das Geschlecht für die Verschreibung und die Vergabe von Medikamenten keine Rolle. 73 Prozent verordnen bei bestimmten Krankheitsbildern oder Arzneimitteln geschlechtsabhängig. Bei sechs Prozent ist das nach eigenen Angaben fast immer der Fall. Während des Studiums oder der praktischen Ausbildung wurden 37 Prozent keine Inhalte und kein Wissen zur geschlechtsspezifischen Medizin vermittelt. Bei 55 Prozent war die geschlechtsspezifische Medizin zwar Thema, aber nur kurz am Rande. Nur bei acht Prozent wurde das Thema ausführlich behandelt. Die männliche Anatomie dominiere bis heute die Lernmaterialien von Medizinstudierenden, und zahlreiche Krankheiten würden anhand typisch männlicher Symptome gelehrt, sagt Carl Stichweh von der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland laut einer Mitteilung. „Wir fordern deshalb die systematische Integration von geschlechtsspezifischen Inhalten in das Curriculum aller Studierenden.“ Nur vier Prozent der Ärzte glauben, dass das Geschlecht keine Rolle spielt Wenn es um die Behandlung geht, spielt für die Befragten das Geschlecht vor allem bei psychischen Erkrankungen eine wichtige Rolle. Diese Krankheitsbilder nannten 75 Prozent. Mehr als die Hälfte sieht auch bei psychosomatischen Erkrankungen (74 Prozent), Herz-Kreislauferkrankungen (73 Prozent) und hormonellen Erkrankungen wie einer Schilddrüsenstörung (58 Prozent) einen Einfluss des Geschlechts. Nur wenige Ärztinnen und Ärzte erkennen bei der Behandlung von Erkrankungen der Lunge und der Atemwege einen Einfluss des Geschlechts (16 Prozent) oder bei Erkältungskrankheiten und grippalen Infekten (acht Prozent). Nur eine kleine Minderheit von vier Prozent geht davon aus, dass das Geschlecht für die Behandlung von Erkrankungen überhaupt keine Rolle spielt. Das „Gender Health Gap“, also das Fehlen einer geschlechtsspezifischen Forschung und Gesundheitsversorgung, ist bei der Mehrheit der Bevölkerung offenbar noch nicht angekommen. Das Meinungsforschungsinstitut YouGov hatte im März 2023 insgesamt 2040 Personen in Deutschland ab 18 Jahren online dazu befragt. Viele Patienten kennen keine geschlechtsspezifische Behandlung Kaum erstaunlich ist, dass nur eine Minderheit (12 Prozent) den Begriff kennt und weiß, was er bedeutet. 14 Prozent haben zwar schon mal von „Gender Health Gap“ gehört, können sich aber nichts darunter vorstellen. 69 Prozent haben noch nie davon gehört, fünf Prozent wissen es nicht oder machen keine Angaben. Bei 65 Prozent der Befragten sind bei einem Arztbesuch Symptome oder Beschwerden noch nie auf das Geschlecht zurückgeführt worden. Elf Prozent haben auf die entsprechende Frage mit „Ja, und es war korrekt“ geantwortet, sieben Prozent mit „Ja, und es war falsch“. 78 Prozent haben nach eigenen Angaben noch nie eine fehlerhafte Diagnose aufgrund ihres Geschlechts erhalten. Bei vier Prozent war das dagegen der Fall. Der Großteil der Menschen sieht bei einzelnen Krankheiten keinen Einfluss des Geschlechts auf Entstehung, Häufigkeit und Behandlung. Mit 22 Prozent können die meisten einen Einfluss bei hormonellen Störungen wie der Schilddrüsenstörung einen Zusammenhang erkennen, 21 Prozent sehen ihn bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen und 20 Prozent bei psychischen Erkrankungen. Dass das Geschlecht bei der Behandlung von Erkrankungen überhaupt keine Rolle spielt, glauben nur 32 Prozent. Axa will auf Missstand aufmerksam machen Das „Gender Health Gap“ und seine Folgen seien eine reale Gesundheitsgefahr, vor allem für Frauen, sagt der Chef der Axa Deutschland Thilo Schumacher. „Für uns als private Krankenversicherung ist das ein inakzeptabler Zustand.“ Mit der Befragung wolle die Axa die Aufmerksamkeit auf das Thema lenken und auch bei Pharmaunternehmen, der Ärzteschaft sowie Patientinnen und Patienten das Bewusstsein schärfen. „Fehlerhafte Diagnosen und Behandlungen aufgrund des Geschlechts sind nicht nur eine Belastung für individuelle Patient:innen, sondern führen auch zu zusätzlichen Kosten für das gesamte Gesundheitssystem.“ Die Axa ist nicht nur über die Axa Krankenversicherung von dem Problem betroffen. Zum Konzern gehört auch die Deutsche Ärzteversicherung. Kommt es aufgrund nicht berücksichtigter Geschlechterunterschiede zu Arzthaftpflicht-Prozessen, ist die Axa auch auf dieser Seite betroffen. Quelle: Ärzte Zeitung

Springer Medizin

Umfrage: Geschlechterunterschiede sind für Ärzte ein Thema, für Patienten weniger

Weiterführende Themen

Facharzt-Training Allgemeinmedizin

Neu im Fachgebiet Allgemeinmedizin

Neues Konzept der Blutdrucksenkung: Nur noch zwei Injektionen pro Jahr?

Pruritus bei Dialysepflicht gibt Auskunft über Prognose

Zufällig entdeckter Koronarkalk hilft bei Risikostratifizierung

LDL-Senkung bei akutem Koronarsyndrom: Leitlinienempfehlung suboptimal?

Update Allgemeinmedizin