Checkpointhemmer ohne Vorteile bei wenig fitten Patienten?

Krebskranke mit einem ungünstigen Performance-Status profitieren von Checkpointhemmern nicht stärker als von anderen Therapeutika – dabei bekommen sie weitaus häufiger Checkpointhemmer als Krebskranke, für die solche Arzneien eigentlich geprüft wurden. Hinweis: Das Wichtigste in Kürze zu dieser Studie finden Sie am Ende des Artikels. In klinische Studien werden Krebskranke, deren Selbstständigkeit schon leicht eingeschränkt ist (ECOG-Performance-Status ab 2, Karnofsky-Index 50–60%), und solche mit verminderter Leber- oder Nierenfunktion meist nicht aufgenommen. Ob sich die Resultate der Studien anschließend auf diese Patienten übertragen lassen, ist schwer zu sagen. Eine retrospektive Analyse von Onkologen um Dr. Ravi Parikh von der Universität in Philadelphia spricht dafür, dass dies zumindest für Immuncheckpointhemmer (ICI) bei fortgeschrittenen soliden Tumoren nicht der Fall ist: Patienten, die üblicherweise nicht in klinische Studien aufgenommen werden, lebten mit ICI ähnlich lange wie mit Therapien ohne solche Medikamente. Für die ersten Monate der Behandlung deutet sich sogar eine erhöhte Sterberate an. Kaum Unterschiede beim Gesamtüberleben Das Team um Parikh hat elektronische Krankenakten zu über 34.000 Krebspatienten aus 280 US-Kliniken und -Praxen ausgewertet. Alle Patienten hatten zwischen 2014 und 2019 aufgrund eines NSCLC, Urothel-, Nierenzell oder hepatozellulären Karzinoms (HCC) eine erste systemische Krebstherapie erhalten. Bei allen war ein metastatischer oder rezidivierender Tumor frisch diagnostiziert worden. 27% der Patienten waren studienungeeignet – sie hatten einen ECOG-Performance-Status von 2 oder mehr Punkten, eine Leberdysfunktion oder eine eGFR von unter 30 ml/min. Die allermeisten Patienten in der Gesamtkohorte litten an einem NSCLC (79%), jeweils rund 10% an einem Urothel- und Nierenzellkarzinom, die übrigen an einem HCC. Studienungeeignete Patienten waren im Schnitt etwas älter (71 versus 70 Jahre) und hatten seltener ein NSCLC (76% versus 80%) als studiengeeignete Krebskranke. Empfehlung der Redaktion Monoklonale Antikörper in der Krebstherapie – Themenseite Eine bahnbrechende Erfindung in der onkologischen Therapie stellen Antikörper dar. Auf unserer Themenseite finden sie Berichte zu neuen Wirksamkeitsstudien, zu Nebenwirkungsanalysen sowie lehrreiche Übersichtsarbeiten zu den verschiedenen therapeutischen Antikörpern in der Onkologie. Rund 15% der Patienten erhielten eine ICI-Monotherapie, 12% eine ICI-Kombitherapie und die übrigen eine systemische First-Line-Therapie ohne ICI. Im Lauf der Zeit stieg der Anteil der Patienten mit eine ICI-Monotherapie beständig auf zuletzt 19% bei den studiengeeigneten und 30% bei den ungeeigneten Patienten. Gerade diejenigen Patienten, die üblicherweise von klinischen Studien ausgeschlossen werden, erhielten also vermehrt die neuen Medikamente. Berücksichtigten die Ärzte um Parikh Faktoren wie Alter, Geschlecht, Allgemeinzustand und Tumorcharakteristika, erhielten studienungeeignete Patienten zu 80% häufiger eine ICI-Monotherapie als geeignete Patienten, ungeeignete Patienten mit NSCLC wurden sogar doppelt so oft einer ICI-Monotherapie unterzogen. Betrachteten die Forscher aus der studienungeeigneten Gruppe möglichst ähnliche Patienten, kamen sie auf ein medianes Gesamtüberleben von 9,7 Monaten mit ICI-Monotherapie, 9,3 Monaten mit ICI-Kombitherapie und 8,8 Monate mit Non-ICI-Therapien – die Unterschiede waren aber nicht statistisch signifikant. Schauten sie sich die ersten sechs Monate nach Therapiebeginn an, war die Sterberate unter ICI-Monotherapie signifikant um 19% und unter einer Kombitherapie um 14% erhöht, dafür war sie anschließend um rund 20% reduziert (ICI-Monotherapie), verglichen jeweils mit einer Non-ICI-Therapie. Insgesamt ergab sich also kein Vorteil für eine ICI-Behandlung allein oder in Kombination im Vergleich zu einer Therapie ohne Checkpointhemmmer; nur wer die ersten sechs Monate überlebte, schien davon zu besonders zu profitieren. Fehlende Vergleichsanalyse Die Onkologen um Parikh schließen daraus, dass trotz fehlender Evidenz immer mehr schwer Krebskranke ICI erhalten, die für klinische Phase-3-Studien nicht infrage kommen. Die Ärzte halten dies für ein Zeichen von „desperation oncology“ – den Versuch, schwer kranken Patienten die neusten Therapien zu geben, in der Hoffnung, damit doch noch einen Erfolg zu erzielen. Auf der anderen Seite scheint die im Vergleich zu klassischen Chemotherapien geringere Nebenwirkungsrate die hohe Verbreitung von ICI gerade bei Krebspatienten mit schlechtem Performancestatus zu erklären – weniger Nebenwirkungen bei vergleichbarem Therapieerfolg sind schließlich auch ein gutes Argument. Zuletzt muss bedacht werden, dass Non-ICI-Therapien heute nicht nur Chemotherapeutika sondern auch andere hochwirksame Komponenten wie therapeutische Antikörper oder Kinasehemmer enthalten. Es wäre daher interessant gewesen, die gleiche Überlebensanalyse auch bei den studiengeeigneten Patienten vorzunehmen, dies haben die Onkologen um Parikh trotz der vorhandenen Daten aber unterlassen. Möglicherweise hätten die studiengeeigneten Patienten von ICI ebenfalls nicht stärker als von anderen Therapien profitiert. Das Wichtigste in Kürze Frage: Profitieren Patienten mit fortgeschrittenen soliden Tumoren, die in klinische Studien aufgrund eines schlechten Performancestatus oder Organdysfunktionen üblicherweise nicht aufgenommen werden, von einer First-Line-Therapie mit Checkpointhemmern? Antwort: Solche Patienten leben nach Daten einer retrospektiven Analyse ähnlich lange wie mit Therapien ohne Checkpointhemmer. Bedeutung: Die Resultate klinischer Studien lassen sich nicht einfach auf Patienten mit schlechtem Performancestatus oder Organdysfunktionen übertragen. Einschränkung: Ob studiengeeignete Patienten stärker von Checkpointhemmern profitieren wurde nicht geprüft. Trotz aller Adjustierungen Indikationsbias möglich: Vielleicht bekommen gerade Patienten mit einer sehr ungünstigen Prognose Checkpointhemmer.

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