Appendizitis-Verdacht: Ärztliches Gespür trügt selten

Bei Notfällen mit Appendizitis-Verdacht sollte man ruhig mehr auf ärztliches Gespür setzen, fordert ein Team aus Dublin. In ihrer Studie waren erfahrene Chirurgen und Chirurginnen bei der Einschätzung, ob eine akute Blinddarmentzündung vorliegt oder nicht, am treffsichersten. Aber selbst chirurgische Neulinge schnitten besser ab als gängige Scores. Das Wichtigste in Kürze zu dieser Studie finden Sie am Ende des Artikels. Die Entscheidung, ob ein Patient mit Verdacht auf akute Appendizitis (AA) operiert werden soll oder nicht, beruht immer auf mehreren Faktoren, von der Anamnese über die klinische Untersuchung bis hin zu hämatologischen und radiologischen Parametern. Dass ärztliche Erfahrung in diesem Zusammenspiel eine tragende Säule ist, legt aktuell eine Studie aus Irland nahe. Darin waren chirurgische Oberärzte und Oberärztinnen in fast 85% der Fälle in der Lage, das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Appendizitis allein anhand von klinischen Parametern korrekt vorherzusagen. Beurteilung durch ein Viererteam Die Studie beruht auf der Nachbeobachtung von 180 Patientinnen und Patienten im Alter von median 36 Jahren, die zwischen Dezember 2020 und Mai 2021 mit AA-Verdacht in die Notaufnahme einer Universitätsklinik in Dublin eingeliefert worden waren. Jeweils am Morgen danach wurden sie von einem Viererteam beurteilt, bestehend aus einem leitenden Oberarzt, zwei Fachärzten mit mindestens fünf bzw. mindestens zwei Jahren Berufserfahrung sowie einem Kollegen, der sich noch in der Facharztausbildung befand. Alle vier mussten bereits zu diesem Zeitpunkt angeben, ob sie eine AA vermuteten oder nicht. Im Folgenden bestand die Option darin, die Betroffenen zunächst nur zu beobachten, zum Ultraschall bzw. ins CT zu schicken oder sie direkt einer Appendektomie zuzuführen. Oberärzte mit hervorragender Trefferquote Wie sich herausstellte, hatten die Oberärzte mit einer Trefferquote von 85% am häufigsten richtig getippt. Am schlechtesten schnitten die Assistenzärzte ab, mit 73% allerdings nur knapp hinter den wenig erfahrenen Fachärzten (74%). Von den Kollegen mit mindestens fünfjähriger Erfahrung wurden 82% der Fälle richtig beurteilt. Damit war die diagnostische Genauigkeit bei allen Beteiligten deutlich höher als die von zwei Scores zur Appendizitis-Diagnostik. Lloyd und sein Team hatten zum Vergleich den AIR-Score sowie den AAS-Score eingesetzt. Diese erreichten eine Trefferquote von lediglich 58% bzw. 56%. Das Forschungsteam folgert daraus, dass „ärztliches Gespür und Erfahrung nach wie vor effiziente Werkzeuge in der Appendizitis-Diagnostik“ seien. Unter den Patienten lag der Anteil mit bestätigter AA (per Histologie oder Bildgebung) bei 51%. Wie Lloyd und Kollegen berichten, hatte die Appendizitis-Gruppe im Mittel höhere Leukozytenwerte (13 mg/l gegenüber 12 mg/l) und ein signifikant höheres CRP (71 mg/l versus 41 mg/l). Von den 92 bestätigten Fällen hatte man 26 klinisch diagnostiziert, 18 mittels Ultraschall und 48 per CT. In der Gruppe ohne AA hatten 23 keine Bildgebung erhalten, 27 einen Ultraschall und 42 einen CT-Scan. In fünf Fällen umsonst operiert Bei den 89 Patienten, die einer Laparoskopie unterzogen wurden (offen wurde keiner operiert), erbrachte die Histologie in 84 Fällen den Nachweis einer akuten Appendizitis, mit 64 unkomplizierten Entzündungen der Appendix und 20 Fällen einer perforierten oder gangränösen Appendizitis. In den restlichen fünf Fällen ergab sich intraoperativ und histologisch kein Hinweis auf eine AA. Wie Lloyd et al. betonen, hatte die Op.-Entscheidung in all diesen Fällen allein auf der klinischen Einschätzung (ohne Bildgebung) beruht. Konservativ mit Antibiotika behandelt wurden acht Patienten mit bestätigter AA. Diese waren am Ende der einmonatigen Nachbeobachtung symptomfrei. In Großbritannien gibt es nach Lloyd et al. bereits die Empfehlung, dass ein erfahrener Chirurg oder eine erfahrene Chirurgin routinemäßig in die präoperative Entscheidungsfindung einbezogen werden sollen (laut National Emergency Laparotomy Audit, NELA). Mit diesem Vorgehen, so das Forschungsteam, könne man die Diagnostik beschleunigen, die Rate stationärer Aufnahmen senken und nicht zuletzt den Umfang präoperativer CT-Untersuchungen reduzieren. Letzteres komme vor allem denjenigen entgegen, die gegenüber ionisierender Strahlung besonders vulnerabel seien, also jüngeren Patienten und Frauen im gebärfähigen Alter. Das Wichtigste in Kürze Frage: Wie gut sind die einzelnen Mitglieder chirurgischer Teams bei der präoperativen Einschätzung des Appendizitis-Risikos bei neu aufgenommenen Patienten mit entsprechendem Verdacht? Antwort: Am höchsten (85%) war die Trefferquote bei den erfahrenen Oberärzten und Oberärztinnen, am niedrigsten (73%) bei Kollegen und Kolleginnen in der Facharztausbildung. Damit schnitten jedoch auch Letztere deutlich besser ab als verschiedene Appendizitis-Scores (AIR: 58%, AAS: 56%). Bedeutung: Bei der Beurteilung von Patientinnen und Patienten mit Appendizitis-Verdacht spielt ärztliches Gespür nach wie vor eine große Rolle. Einschränkung: Monozentrische Studie mit relativ geringer Teilnehmerzahl.

Springer Medizin

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