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Erschienen in: Zeitschrift für Pneumologie 2/2023

Open Access 10.02.2023 | Asthma bronchiale | Leitthema

Neue Leitlinie zur Allergen-Immuntherapie

Was ist für den Pneumologen wichtig

verfasst von: Univ.-Prof. Dr. med. Eckard Hamelmann

Erschienen in: Zeitschrift für Pneumologie | Ausgabe 2/2023

Zusammenfassung

Im Oktober 2022 wurde die neue „Leitlinie zur Allergen-Immuntherapie bei IgE-vermittelten allergischen Erkrankungen“ (AIT; Entwicklungsstufe S2k) vorgestellt. Diese Leitlinie befasst sich umfangreich mit der Wirkungsweise und der Wirksamkeit der subkutanen (SCIT) und sublingualen Immuntherapie (SLIT), den verschiedenen Indikationen und Kontraindikationen sowie dem aktuellen Stand klinischer Studien zu Wirksamkeit und Sicherheit der Therapiepräparate bei den Hauptallergenquellen (Baumpollen, Gräserpollen, Milben und weiteren). Die Fazits und Empfehlungen der Fachgesellschaften, die für die Pneumologie relevant sind, werden im Folgenden in übersichtlicher Form vorgestellt.
Hinweise

Redaktion

C. Taube, Essen
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Im Oktober 2022 wurde die neue „Leitlinie zur Allergen-Immuntherapiebei IgE-vermittelten allergischen Erkrankungen“ (AIT; Entwicklungsstufe S2k) vorgestellt [1]. Diese Leitlinie befasst sich umfangreich mit der Wirkungsweise und der Wirksamkeit der subkutanen (SCIT) und sublingualen Immuntherapie (SCIT), den verschiedenen Indikationen und Kontraindikationen sowie dem aktuellen Stand klinischer Studien zu Wirksamkeit und Sicherheit der Therapiepräparate bei den Hauptallergenquellen (Baumpollen, Gräserpollen, Milben und weiteren). Die Fazits und Empfehlungen der Fachgesellschaften, die für die Pneumologie relevant sind, werden im Folgenden in übersichtlicher Form vorgestellt.

Warum eine Allergie-Immuntherapie?

Die AIT ist die einzige kausale Behandlung allergischer Erkrankungen und wirkt über die Modulation der allergenspezifischen Immunantwort in Richtung Toleranzentwicklung. Dabei kommt es zur Induktion von regulatorischen T‑Zellen, die – vermittelt und angeregt über Interleukin-10 (IL-10, [2]) – die entzündliche/allergische Th2-Immunreaktion auf das Fremdprotein (Allergen) herunterregulieren sowie eine klinische und immunologische Toleranz auslösen ([3]; Abb. 1). Die AIT kann nachweislich das Risiko des Etagenwechsels zum allergischen Asthma bronchiale verringern (Asthmaprävention) und sollte deshalb früh im Verlauf der Allergie eingesetzt werden [4] (Abschn. 3.4.). Wirksamkeit und Evidenz der AIT konnten durch zahlreiche klinische Studien und durch Real-World-Daten belegt werden, in denen auch sekundärpräventive Effekte zu beobachten waren. Durch die App „MASK-air“ (Mobile Airways Sentinel Network) konnte in einer Konzeptstudie des Weiteren gezeigt werden, dass die AIT in der Routinebehandlung allergische Symptome vermindern und die Arbeitsproduktivität steigern kann [5] (Abschn. 3.2.2). Zusätzlich ist die AIT im Langzeitverlauf bei guter Therapieadhärenz deutlich kosteneffektiver im Vergleich zur alleinigen Pharmakotherapie (Abschn. 3.4.) [6].
Neben Real-World-Daten bieten klinische Studien die Grundlage für den Wirksamkeitsnachweis der AIT und werden im Folgenden diskutiert.
Fazit.
„Die allergische Rhinitis und allergisches Asthma bronchiale verursachen gesamtgesellschaftlich beträchtliche direkte, indirekte und intangible Kosten. Die AIT der allergischen Rhinitis und des allergischen Asthmas ist im Langzeitverlauf bei gegebener Indikationsstellung und leitliniengerechtem Einsatz im Vergleich zur alleinigen Pharmakotherapie bei guter Therapieadhärenz deutlich kosteneffektiver. Bei der Wahl des Therapeutikums ist individuell zu entscheiden, wobei hier nach deutschem Sozialrecht Nutzen vor Kosten prioritär sind“ [1].

Welches Präparat sollte man wählen?

Bei der Wahl des richtigen Präparats verweist die Leitlinie darauf, dass die unterschiedlichen Produkte zur AIT (subkutane [SCIT] als auch sublinguale [SLIT] Präparate) aufgrund ihrer heterogenen Zusammensetzung nicht vergleichbar sind, und dass auch die Allergenkonzentrationen nicht vergleichbar sind, da sie durch unterschiedliche Messmethoden ermittelt werden (Abschn. 3.1.). Die Autorenschaft der Leitlinie empfiehlt die Nutzung von zugelassenen oder anderweitig verkehrsfähigen Allergenpräparaten, die eine positive Nutzen-Risiko-Bilanz gemäß den europäischen Richtlinien zeigen.
Empfehlung 1.
Zugelassene oder anderweitig verkehrsfähige Allergenpräparate, die eine positive Nutzen-Risiko-Bilanz gemäß EMA Guidelines zeigen, sollen bevorzugt eingesetzt werden [1].
Zur Zulassung benötigt ein AIT-Präparat gegenwärtig Dosisfindungsstudien (Phase II) und konfirmatorische klinische Prüfungen (Phase III) für die entsprechenden Indikationen und Patientengruppen. Eine Zulassung wird nur erteilt, wenn die Wirksamkeit und Sicherheit gegenüber Placebo nachgewiesen werden konnten. In den jeweiligen Fachinformationen können die Hersteller unter Punkt 5.1 die Ergebnisse zur Wirksamkeit dieser Studien darstellen, und bei zugelassenen Präparaten werden diese Angaben ebenfalls von den Behörden überprüft. Hier bietet sich eine gute Möglichkeit sich über die entsprechenden Studien zu informieren (Abschn. 3.3).
Eine Übersicht über die derzeit verfügbaren AIT-Produkte in Deutschland, Österreich und der Schweiz bieten die Produkttabellen der Leitlinie, die online einsehbar sind (https://dgaki.de/leitlinien/s2kleitlinie-ait/). Diese Übersicht wird halbjährlich aktualisiert und zeigt alle klinischen Studien, die zu den jeweiligen Präparaten verfügbar sind, und unterscheidet sich somit von den bisherigen Übersichtstabellen der alten Leitlinie. Es werden, je nach den 3 Hauptallergenquellen/homologen Gruppen Baumpollen, Gräserpollen und Hausstaubmilben getrennt, folgende Kriterien gezeigt: i) das Jahr der Zulassung falls zutreffend, ferner weiterführende Details der Zulassung, ii) Übersicht zu Studien für Produkte mit aktueller Marktdosis (Phase II- und Phase-III-Studien) sowie Angabe der Publikationen, sofern vorhanden, und iii) Übersicht zu Studien für Produkte im Rahmen der Therapieallergene-Verordnung (TAV; Phase II- und Phase-III-Studien) sowie Angabe der Publikationen sofern vorhanden (Abschn. 4.2.). Erstmals sieht man durch die rote Markierung auch Studien, die den primären Endpunkt nicht erreicht haben, sofern diese Ergebnisse publiziert wurden, was häufig nicht der Fall ist. Aus pneumologischer Sicht ist erfreulich, dass auch Studien mit dem primären Endpunkt „allergisches Asthma“ in den Tabellen aufgeführt sind, jedoch ist nur die Zulassung für die Indikation allergische Rhinokonjunktivitis als Kriterium aus der Übersicht zu entnehmen.
Die Leitlinie beleuchtet im Weiteren umfassend die Studienergebnisse zur Wirksamkeit der AIT bei allergischer Rhinokonjunktivitis oder allergischem Asthma bronchiale, ausgelöst durch Gräserpollenallergie, Baumpollenallergie, Hausstaubmilbenallergie und andere Allergien wie gegenüber Ragweed und Haustieren. Für die Hauptallergenquellen liegen jeweils diverse Nachweise der Wirksamkeit bei allergischer Rhinokonjunktivitis durch eine SCIT oder SLIT bei Erwachsenen vor; Studienergebnisse für Kinder- und Jugendliche sind teilweise nur begrenzt vorhanden.
Für die Pneumologie relevanter, jedoch auch heterogener, sind die Studienergebnisse der AIT zur Wirksamkeit bei allergischem Asthma bronchiale. Die Wirksamkeit einer SCIT gegen Gräserpollen bei saisonalem allergischem Asthma bronchiale ist bei Erwachsenen gut und bei Kindern nur durch wenige Studien belegt. Es liegen weiterhin nur wenige Nachweise zur Wirksamkeit einer SLIT gegen Gräserpollen bei saisonalem Asthma vor, obwohl verschiedene Real-World-Evidenz-Analysen zeigen konnten, dass Betroffene, die eine SLIT erhielten, weniger Asthmamedikamente benötigten und ein vermindertes Risiko für ein neu auftretendes Asthma während einer AIT besteht. Diese Schlussfolgerungen basieren auf einer statistisch signifikant verminderten Erstverordnung von Asthmamedikamenten [7] (Abschn. 4.3.2.).
Empfehlung 3.
Bei gut oder partiell kontrolliertem saisonalen Asthma durch Gräserpollenallergie sollte eine AIT in dieser Indikation bei Erwachsenen und Kindern/Jugendlichen durchgeführt werden [1].
Ähnlich verhält es sich mit der SCIT mit Baumpollen (Betulaceae) bei saisonalem Asthma, die bei Erwachsenen und Kindern nur wenig untersucht ist. Es lassen sich aber auch hier Hinweise für die Wirksamkeit aus Real-World-Analyse-Daten ableiten [8]. Die Studien bezüglich einer Baumpollen-SLIT bei saisonalem Asthma zeigen unterschiedliche Effekte (Abschn. 4.4.2).
Empfehlung 4.
Bei gut oder partiell kontrolliertem saisonalem Asthma, ausgelöst durch eine Betulaceae-Allergie, kann eine AIT in dieser Indikation bei Erwachsenen und Kindern durchgeführt werden [1].
Die Sicherheit und Wirksamkeit der SCIT als auch der SLIT bei Asthma bronchiale, das durch eine Hausstaubmilbenallergie ausgelöst wird, sind bisher am besten untersucht. Die gewählten Endpunkte der klinischen Studien unterscheiden sich erheblich, sodass ein Vergleich der in unterschiedlichen Studien gezeigten Wirksamkeit nicht möglich ist. Es konnte z. B. in einer Studie mit 834 Erwachsenen eine signifikante Reduktion der Asthmaexazerbationen gegenüber Placebo gezeigt werden, wenn eine SLIT-Therapie mit Hausstaubmilbenextrakt bei den Betroffenen durchgeführt wurde [9] (Abschn. 4.6.2). Diese Ergebnisse flossen u. a. in die Leitlinie der Global Initiative for Asthma (GINA) ein. Zusätzlich konnte in weiteren Studien gezeigt werden, dass durch eine SLIT auch eine signifikante Verminderung der Asthmamedikation, eine Verbesserung der Asthmakontrolle sowie eine Verbesserung des Symptom- und Medikamenten-Scores erzielt werden konnte (Abschn. 4.6.2.).
Für Kinder und Jugendliche ist die Datenlage zwar begrenzt, jedoch weisen die Daten auf eine ähnliche Wirksamkeit und Sicherheit wie bei Erwachsenen hin. Die Voraussetzung für eine SCIT oder SLIT bei Patient/-innen mit hausstaubmilbenassoziiertem Asthma ist eine zumindest partielle Asthmakontrolle, unabhängig vom Therapieniveau. Diese sollte im Verlauf der Therapie auch regelmäßig überprüft werden. In höheren Asthmatherapiestufen sollten die Indikation und Durchführung einer AIT von erfahrenen allergologisch tätigen Pneumologen gestellt bzw. begleitet werden (Abschn. 4.6.2.).
Empfehlung 6.
Bei Asthma, welches mit einer Hausstaubmilbenallergie assoziiert ist, kann eine SCIT oder SLIT erfolgen. Voraussetzung hierfür ist eine zumindest partielle Asthmakontrolle, unabhängig vom Therapieniveau. Diese soll auch im Verlauf der Therapie immer wieder überprüft werden. In höheren Asthmatherapiestufen sollte die Indikation für die AIT von hinreichend erfahrenen allergologisch tätigen Pneumologen bzw. Kinderpneumologen gestellt und die Behandlung begleitet werden [1].
Es wird wiederholt durch die Autorenschaft der Leitlinie betont, dass es sich empfiehlt, die Entscheidung für oder gegen ein Präparat auf der Basis der klinischen Studien und der dokumentierten Sicherheit und Wirksamkeit zu treffen, da es auch zu produktspezifischen Unterschieden bei der Bewertung der Wirksamkeit kommt (Abschn. 4.3.).

Durchführung der AIT – SCIT oder SLIT?

Empfehlung 12.
Bei der Indikationsstellung für den Beginn der AIT sollen bestimmte Voraussetzungen geprüft werden und ein klinischer Algorithmus zu fachgerechter Diagnostik und Therapiefestlegung verwendet werden. Hierbei sollen auch Kriterien zur Prüfung der individuellen Eignung des Patienten für die AIT Beachtung finden und der Patient durch ausführliche Information und Aufklärung in die Therapieentscheidung im Sinne einer patientenzentrierten Therapie eingebunden werden [1].
Die Indikation für eine AIT ist laut der Leitlinie (Abschn. 5.2., Tab. 6) gegeben, bei
  • moderater bis schwerer intermittierender und persistierender allergischer Rhinitis/Rhinokonjunktivitis und/oder zumindest teilkontrolliertem allergischem Asthma,
  • mit Nachweis einer korrespondierenden klinisch relevanten Sensibilisierung,
  • und Symptomen trotz symptomatischer Therapie und/oder Maßnahmen der Allergenkarenz,
  • und Wirksamkeitsnachweis der geplanten AIT für die jeweilige Indikation und Altersgruppe.
Auch bei leichteren Symptomen kann eine AIT begonnen werden, um den krankheitsmodifizierenden Effekt der AIT zu nutzen. Symptomlose allergische Sensibilisierungen stellen keine Indikation für eine AIT dar (Abschn. 5.1.).
Die komponentenbasierte IgE-Diagnostik kann zum Nachweis der IgE-Sensibilisierung genutzt werden und besonders bei polysensibilisierten Patienten und Patientinnen hilfreich sein (Abschn. 5.3.).
Eine begleitende pharmakologische Therapie bildet die Grundlage der Therapie der allergischen Rhinokonjunktivitis und des allergischen Asthmas und hat keinen Einfluss auf die Wirksamkeit der AIT. Hierbei kann die Pharmakotherapie aus systemischen Antihistaminika und/oder topischen Steroiden (auch in Kombination mit topischen Antihistaminika) bei der allergischen Rhinokonjunktivitis und aus inhalativen Kortikosteroiden (ICS) allein oder in Kombination mit lang wirksamen β2-Sympathikomimetika (LABA), Leukotrienrezeptorantagonisten (LTRA) oder lang wirksamen Muskarinrezeptorantagonisten (LAMA) beim Asthma bestehen. Es wird ausdrücklich vor i.m.-Injektionen eines Depotkortikosteroids gewarnt, da diese Behandlung mit zahlreichen Nebenwirkungen verbunden sein kann und kein Bestandteil der leitliniengerechten Pharmakotherapie ist (Abschn. 6.1.)
Die Durchführung der AIT sollte von Ärztinnen und Ärzten übernommen werden, die entweder über die (Zusatz‑)Weiterbildung Allergologie (D), Spezialisierung (Ö) in bzw. den Facharzt (CH) für Allergologie oder über ausreichende Erfahrungen mit dieser Therapie verfügen und zur Notfallbehandlung unerwünschter Arzneimittelwirkungen in der Lage sind (Abschn. 6.2.).
Ein weiterer wichtiger Schritt bei der Durchführung einer AIT ist die sorgfältige und ausführliche Patientenaufklärung, die gut dokumentiert werden sollte. Hierfür bietet die Leitlinie Therapieinformationsblätter für die SCIT und die SLIT (Abb. 4 und 5) an. Die Patient/-innen sind vor der AIT über die Durchführung, Art und Dauer der Behandlung, die erwarteten Wirkungen, evtl. Risiken sowie über mögliche Alternativen aufzuklären (Abschn. 6.3.). Die Patient/-innen sollten auch in die Wahl der Applikationsroute einbezogen werden, um die Therapietreue, die für eine erfolgreiche Therapie unerlässlich ist, zu gewährleisten. Es wurde in verschiedenen Übersichtsartikeln gezeigt, dass es keine Unterschiede in der Therapietreue bei der SCIT oder SLIT gibt (Abschn. 6.4.). Es gilt bei der Wahl der Applikationsroute jedoch, verschiedene Faktoren zu berücksichtigen, wie die möglichen Nebenwirkungen und die Mitarbeit des Patienten, ob nun zu Hause im „Selbstmanagement“ oder durch die regelmäßige Verpflichtung zu Arzt‑/Ärztin-Besuchen (Tab. 1, Tab. 7 der Leitlinie). Die jeweilige Durchführung der AIT ist sowohl für SCIT- als auch SLIT-Präparate in den Fach- und Gebrauchsinformationen beschrieben, und es wird empfohlen, nur Präparate mit einem ausreichenden Nachweis der Sicherheit und Wirksamkeit zu verwenden (Abschn. 6.5. und 6.6.)
Tab. 1
Kriterien zur Prüfung der individuellen Eignung eines Patienten für die jeweilige AIT-Applikationsroute [1]
Applikationsroute
Pro
Contra
Subkutan
Ärztliche Applikation (Gewissheit über die Verabreichung)
Regelmäßige Arztbesuche (zeitlicher Aufwand)
Häufige Art-Patient-Kontakte > regelmäßige Überwachung des Verlaufes der AIT, Nebenwirkungen und Grunderkrankung(en) des Patienten möglich
Angstbesetzte Injektionen
Mindestens 30-minütige Überwachungszeit nach der Injektion
Risiko systemischer allergischer Reaktionen (sehr selten)
Risiko lokaler Nebenwirkungen (häufig)
Sublingual
Nichtschmerzhaftes Verfahren
Risiko lokaler Nebenwirkungen (sehr häufig, meist mild und selbstlimitierend)
Durchführung zu Hause möglich (meist erste Applikation beim Arzt mit 30-minütiger Überwachung
Meist tägliche Applikation über längeren Zeitraum notwendig (prä-/kosaisonal, d.h. mehrere Monate oder perennial >tägliches „Drandenken“)
Geringe Anzahl von Arztbesuchen notwendig
Schleimhautkontakt über 2 min und Motivation des Patienten notwendig (insbesondere bei Kindern prüfen)
Sehr geringes Risiko systemischer Reaktionen (geringer als bei SCIT)
AIT Allergen-Immuntherapie, SCIT subkutane Immuntherapie
Sollte die AIT nach einem, spätestens 2 Jahren keinen Erfolg zeigen, sollte die Therapie kritisch überprüft und ggf. ein Präparatewechsel, ein Wechsel der Applikationsart, ein Wechsel von einer präsaisonalen zu einer perennialen Therapie oder sogar der Therapieabbruch erwogen werden (Abschn. 6.2.). Auch hier verweisen die Leitlinienautoren auf die Bedeutung eines Wirksamkeitsnachweises für die entsprechenden Präparate.

Kontraindikationen und Risiken einer AIT

Eine der wichtigsten Kontraindikationen aus pneumologischer Sicht und ein Risikofaktor für systemische Nebenwirkungen bei einer AIT stellt nach wie vor ein unkontrolliertes Asthma dar. Es wird empfohlen, die AIT (sowohl SCIT als auch SLIT) bei Patient/-innen mit einem unkontrolliertem Asthma oder schwergradigem Asthma oder bei Asthma-Patient/-innen mit einer deutlich eingeschränkten Lungenfunktion (Forced Expiratory Volume in 1 second [FEV1] ≤ 70 % des Sollwerts) nicht einzusetzen. Zunächst sollte z. B. durch Intensivierung der Asthmatherapie eine bessere Symptomkontrolle angestrebt werden, bevor eine AIT begonnen wird. Exazerbiert ein Asthma unter AIT, sollte die Asthmatherapie konsequent eskaliert und die AIT erst fortgesetzt werden, wenn eine Kontrolle der Asthmasymptome erreicht wurde (Abschn. 5.6.). Weitere Kontraindikationen für eine AIT sind in Tab. 2 (Tab. 10 der Leitlinie) zusammengefasst:
Tab. 2
Kontraindikationen bei der Allergen-Immuntherapie [1]
SCIT
SLIT
Unkontrolliertes Asthma
Schwerwiegende Systemreaktionen (Grade 4 und 5 nach WAO-Definitionen [10] bei AIT in der Vergangenheit)
Maligne neoplastische Erkrankungen mit aktuellem Krankheitswert
Schwere systemische Autoimmunerkrankungen, Immundefekte, relevante Immunsuppression (aufgrund möglicher eingeschränkter immunologischer Wirksamkeit der AIT)
Unzureichende Adhärenz, schwere psychiatrische Erkrankungen
Unbehandelte, chronische Infektion (z. B. HIV, Hepatitis-C-Virus)
Anamnese entzündlicher gastrointestinaler Erkrankungen (z. B. eosinophile Ösophagitis), akute und chronisch rezidivierende Erkrankungen der Mundhöhle sowie auch offene Wunden
HIV „human immunodeficiency virus“ SCIT subkutane Immuntherapie, SLIT sublinguale Immuntherapie, WAO World Allergy Organization
Es gelten jedoch v. a. die jeweiligen präparatespezifischen Fach- und Gebrauchsinformationen (Abschn. 5.6.). Abschließend wird empfohlen, den jeweils individuellen Einzelfall zu beurteilen, da eine AIT in begründeten Fällen auch bei vorliegenden Kontraindikationen durchgeführt werden kann (Abschn. 5.6.).
Die AIT sowohl mit SCIT- als auch mit SLIT-Präparaten wird bei sachgerechter Applikation, indikationsbezogener Patient/-innen-Selektion und Durchführung als sicher eingestuft.
Bei der subkutanen Applikation sind die meisten unerwünschten Reaktionen leicht bis mittelschwer und lassen sich gut behandeln. Nur sehr selten treten schwere, potenziell lebensbedrohliche systemische Reaktionen bei der SCIT auf, und es wird empfohlen, die Entscheidung über die Fortsetzung der Therapie nach einer schweren Reaktion von einem Allergologen/einer Allergologin bzw. einem/einer in dieser Therapie erfahrenen Arzt/Ärztin unter Abwägung der Risiken bei Therapiefortsetzung, Indikation und der Therapiealternativen gemeinsam mit dem/der Patient/-in zu treffen (Abschn. 7.1.) Für das richtige Vorgehen im Notfall wird des Weiteren die S2k-Leitlinie zum Management anaphylaktischer Reaktionen empfohlen (Abschn. 8).
Bei der SLIT sind die Nebenwirkungen meistens mild und treten v. a. lokal als Schleimhautreaktionen zu Beginn der Therapie auf. Es besteht das Risiko eines frühzeitigen Therapieabbruchs, und es wird empfohlen, neben der sorgfältigen Patientenaufklärung, orale H1-Antihistaminika als Prämedikation zur Reduktion der Lokalreaktionen einzusetzen. Schwere systemische Reaktionen wurden nur in Einzelfällen beschrieben und kommen deutlich seltener als bei der SCIT vor. Da der Patient/die Patientin die SLIT allein zu Hause einnimmt, wird eine sorgfältige und umfassende Aufklärung über die korrekte Durchführung, mögliche Nebenwirkungen, deren Management und Risikofaktoren empfohlen (Abschn. 7.2.).
Es ist zu beachten, dass in Deutschland, Österreich und der Schweiz grundsätzlich eine Meldepflicht beim Auftreten von Nebenwirkungen bei der AIT gilt, und dass die gesammelten Daten Aufschluss über die Sicherheit der Arzneimittel geben und der kontinuierlichen Überwachung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses der Arzneimittel dienen (Abschn. 7.3.)
Empfehlung 14.
Verschiedene Kontraindikationen sprechen gegen den Einsatz der AIT und sollen beachtet werden. Bei der Beurteilung der Kontraindikationen sollen generell die jeweiligen präparatespezifischen Fach- und Gebrauchsinformationen Berücksichtigung finden. In begründeten Einzelfällen ist auch bei Vorliegen der genannten Kontraindikationen unter Abwägung des patientenindividuellen Nutzens und Risikos eine AIT möglich [1].

Fazit für die Praxis

  • Die neue S2k-Leitlinie zur Allergen-Immuntherapie bei IgE-vermittelten allergischen Erkrankungen stellt eine umfassende Übersicht über die wichtigen Aspekte der Allergie-Immuntherapie dar und wurde mit vielen wichtigen Studien aktualisiert.
  • Sie bietet einen Leitfaden für die allergologisch-tätige Ärzteschaft und zeigt aktuelle Entwicklungen auf.
  • Es sind weitere Studien v. a. im Bereich des allergischen Asthmas und für die Patientengruppe der Kinder und Jugendlichen erforderlich, um die bestehenden Lücken zu schließen und eine Versorgung aller von allergischen Erkrankungen Betroffenen zu gewährleisten.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

E. Hamelmann gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden vom Autor keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
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Literatur
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Titel
Neue Leitlinie zur Allergen-Immuntherapie
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Publikationsdatum
10.02.2023
Verlag
Springer Medizin
Erschienen in
Zeitschrift für Pneumologie / Ausgabe 2/2023
Print ISSN: 2731-7404
Elektronische ISSN: 2731-7412
DOI
https://doi.org/10.1007/s10405-023-00493-1

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