Atopische Dermatitis (AD) ist eine häufige chronische Hauterkrankung, die eine lebenslange Belastung der Lebensqualität darstellen kann. Trotz hocheffektiver Behandlungsmöglichkeiten gibt es noch einen erheblichen Anteil betroffener Personen, die keine adäquate medizinische Behandlung erhalten. Deshalb ist es wichtig, auch unkonventionelle Methoden wie Online-Suchmaschinenanalysen zu nutzen, um einen holistischen Überblick über die Interessen und Bedürfnisse der Bevölkerung zu bekommen. Dabei ermöglichen Suchmaschinenanalysen, sowohl regionale als auch zeitliche Trends zu identifizieren.
Hintergrund
Die AD ist eine chronische Hauterkrankung, deren Prävalenz in den letzten Jahrzehnten zugenommen hat, wobei Kinder häufiger betroffen sind als Erwachsene [
17,
23]. In Deutschland beträgt die Prävalenz bei Erwachsenen zwischen 1,3 und 3,7 % [
10,
21]. Bei AD, die durch starken Juckreiz und wiederkehrende ekzematöse Läsionen charakterisiert ist, kann die Lebensqualität von Betroffenen enorm eingeschränkt sein [
7,
23]. Die psychosoziale Belastung kann sich nicht nur in Depressionen oder suizidalen Gedanken äußern, sondern auch in einem reduzierten Glücksempfinden [
6,
7,
14,
23].
Die Krankheit stellt zudem eine finanzielle Belastung dar. Die in Europa durchschnittlichen selbst getragenen Kosten für die Gesundheitsversorgung betragen rund 927,12 € pro Jahr pro betroffener Person, wobei die erheblichen Aufwendungen für Produkte des täglichen Bedarfs, wie z. B. Pflegecremes, nicht inbegriffen sind [
28]. Diese hohen Ausgaben sind unter anderem ein Resultat der Nichtinanspruchnahme medizinischer Leistungen, wodurch Betroffene keine adäquate Therapie erhalten können [
13], obwohl durch die Zulassung von modernen Therapien die Behandlung von Menschen mit mittelschwerer bis schwerer AD signifikant verbessert werden konnte [
6,
24].
Um sich über gesundheitliche Themen unabhängig vom Arztkontakt zu informieren, ist das Internet eine der wichtigsten und am meisten genutzten Quellen [
1]. Nicht nur Betroffene, sondern auch deren Angehörige suchen online nach Informationen, um sich beispielsweise über Therapieansätze zu informieren [
6]. In Deutschland nutzten 2020 ca. 94 % der über 13-jährigen Bevölkerung das Internet, und mit ca. 90 % ist Google die am häufigste verwendete Suchmaschine [
2,
5]. Durch diesen hohen Marktanteil eignen sich die Daten dazu, das Interesse der Bevölkerung zu verschiedenen Aspekten einer Erkrankung zu untersuchen. Frühere Studien konnten z. B. Korrelationen zwischen dem Suchvolumen von Hautkrebs mit Registerdaten zeigen oder nationale und internationale Interessenunterschiede bezüglich Juckreiz identifizieren [
9,
20,
27].
Ziel dieser Studie war es, die Suchanfragen zu AD in Bezug auf Häufigkeit, Interessenschwerpunkt und zeitliches Auftreten in allen deutschen Bundesländern zu untersuchen, um mögliche regionale Unterschiede zu identifizieren.
Methodik
Studiendesign
Es wurde eine retrospektive longitudinale Studie durchgeführt, die mithilfe des Google Ads Keyword Planner das AD-Suchvolumen zwischen Januar 2017 und Dezember 2020 untersucht. Google Ads wurde ursprünglich implementiert, um Marketingkampagnen zu optimieren, jedoch wurde das Tool immer häufiger auch für wissenschaftliche Fragestellungen genutzt [
19,
27]. Die für die jeweilige Fragestellung ausgewählten Keywords werden in das Tool eingepflegt, welches dann eine Liste mit assoziierten und relevanten Keywords (einzelne Wörter oder Phrasen) inklusive deren Suchvolumen liefert. Dabei entspricht das Suchvolumen den Suchanfragen, die pro Monat bei Google generiert werden. In dieser Studie wurden die Begriffe „Neurodermitis“ und „atopische Dermatitis“ dazu verwendet, um das dazugehörige Suchvolumen in allen Bundesländern zu untersuchen. Die Region- und Spracheinstellungen wurden so festgelegt, dass nur Nutzer berücksichtigt wurden, die in den jeweiligen Regionen lebten/sich auf hielten, die die Produkte auf Deutsch verwendeten und die eine deutsche IP-Adresse nutzten. Da für die Studie keine personenbezogenen Daten, sondern öffentlich frei zugängliche Daten verwendet wurden, waren weder ein Ethikvotum noch eine Einwilligungserklärung notwendig.
Klassifizierung
Alle identifizierten Keywords wurden zunächst qualitativ untersucht und durch ein induktives Vorgehen wurden 10 verschiedene Interessenschwerpunkte identifiziert: (1) Allgemein (z. B. „Neurodermitis“), (2) Differenzialdiagnose (z. B. „Ist Neurodermitis Schuppenflechte?“), (3) Einflussfaktor (z. B. „Atopisches Ekzem Schwangerschaft“), (4) Information (z. B. „Hilfe bei Neurodermitis“), (5) Lebensabschnitt (z. B. „Atopisches Ekzem Baby“), (6) Lokalisation (z. B. „Neurodermitis Gesicht“), (7) Pflege (z. B. „Handcreme bei Neurodermitis“), (8) Symptom (z. B. „Neurodermitis Juckreiz“), (9) Therapie (z. B. „Neurodermitis Behandlung“) und (10) Verträglichkeit (z. B. „Neurodermitis Kosmetik“). Die Kategorie Therapie wurde zudem in weitere Unterkategorien wie beispielsweise: (a) Allgemein (z. B. „Atopische Dermatitis Medikamente“), (b) Biologika (z. B. „Biologicals Neurodermitis“), (c) Cortison (z. B. „Cortisonsalbe bei Neurodermitis“), (d) Hausmittel (z. B. „Hausmittel Neurodermitis Gesicht“), (e) Lichttherapie (z. B. „Phototherapie Neurodermitis“), (f) Marken/Produkte, (g) Naturheilkunde (z. B. „Neurodermitis Naturheilmittel“) und (h) neue Therapien (z. B. „Neurodermitis neue Behandlung“) gegliedert. Suchbegriffe wurden mehreren Kategorien zugeordnet, sofern sie mehrere Kriterien erfüllten.
Statistik
Das Suchvolumen wurde pro 100.000 Einwohner berechnet und deskriptiv ausgewertet [
18]. Um zu untersuchen, ob es zeitliche Trends (zwischen den Jahren und zwischen den Jahreszeiten) gab und ob das Suchvolumen in den Bundesländern unterschiedlich war, wurden einfaktorielle Varianzanalysen (ANOVA) mit einem Bonferroni-post-hoc-Test verwendet. Bei Verletzungen der Annahmen wurde die Welch-ANOVA mit einem Games-Howell-post-hoc-Test berechnet. Ausgenommen der Stadtstaaten wurde der Zusammenhang zwischen der Anzahl an Suchanfragen und verschiedenen Variablen (z. B. soziodemografische Merkmale, Bevölkerungsdichte, Ärzte je Einwohner) mithilfe der Korrelation nach Pearson untersucht [
2,
4]. Die Stadtstaaten wurden in der Analyse nicht berücksichtigt, da sowohl die urbane als auch die ländliche Bevölkerung betrachtet werden sollten. Für die räumliche Darstellung wurden die digitalen Geodaten des Bundesamtes für Kartographie und Geodäsie mithilfe eines freien Open-Source-Geographischen-Informationssystems (QGIS Version 2.14.22, QGIS Entwicklungsteam, 2016, Minden, Deutschland) dargestellt [
3]. Die statistische Auswertung wurde mit SPSS 26 (IBM Corporation, Armonk, NY, USA) durchgeführt.
Diskussion
Ziel dieser Studie war es, die Online-Suchanfragen zu AD in Bezug auf Häufigkeit, Interessenschwerpunkt und zeitliches Auftreten in allen deutschen Bundesländern zu untersuchen, um potenzielle regionale Unterschiede zu identifizieren. Mit einem Anstieg von mehr als 70 % gab es einen extremen Zuwachs an Suchanfragen, v. a. in 2020. Fast die Hälfte des Suchvolumens machten allgemeine Anfragen aus, obwohl die meisten Keywords der Kategorie Lokalisation zugeordnet wurden. Das Suchvolumen pro 100.000 Einwohner war signifikant höher in Bundesländern mit weniger Einwohnern wie Bremen und Hamburg als in Baden-Württemberg, Bayern und NRW.
Insgesamt wurden fast 15 Mio. Suchanfragen zu AD registriert. Somit wurden mehr Anfragen als zu Juckreiz (rund 14 Mio.) gefunden, jedoch weniger als zu Hautkrebs (knapp 20 Mio.) [
15,
26]. Wird jedoch berücksichtigt, dass Juckreiz nicht nur ein häufiges Symptom von AD, sondern auch von Psoriasis und Skabies ist [
26] und dass die Prävalenz von nichtmelanozytärem Hautkrebs sehr viel höher ist als die von AD [
20,
21], scheint das Suchvolumen von AD verhältnismäßig sehr groß zu sein. Es wurden zwar unterschiedliche Jahre betrachtet, dennoch lässt sich vermuten, dass Betroffene mit AD ein höheres Verlangen haben, sich online über ihre Erkrankung zu informieren, da die Erkrankung oft chronisch oder chronisch rezidivierend ist. Dieses Bedürfnis scheint durch die COVID-19-Pandemie noch einmal deutlich größer geworden zu sein, was ein Resultat davon sein könnte, dass weniger Menschen dermatologische Leistungen in Anspruch genommen haben [
22]. Aufgrund der zunehmenden Anzahl an Suchanfragen während der letzten Jahre kann es umso wichtiger werden, vermehrt auch unkonventionelle Maßnahmen wie Internetsuchdaten zu nutzen, um einen holistischen Überblick über die Interessen und Bedürfnisse einer Bevölkerung zu erhalten. Mit diesen Ergebnissen könnten Informationskampagnen zielgerichtet angepasst werden, was einen positiven Effekt auf das Gesundheitsbewusstsein haben kann und somit entscheidend zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung beitragen kann [
8,
11].
Ähnlich wie bei anderen Studien war der Großteil des Suchvolumens durch allgemeine Suchen bedingt [
12,
15,
20]. Gemessen an der Anzahl an Keywords war in dieser Studie das Interesse an AD bei Babys und Kindern fast 5‑mal so hoch wie bei Erwachsenen, was in etwa die berichtete höhere Prävalenz bei Kindern widerspiegelt [
17,
23]. Hingegen konträr zur Literatur war die Verteilung der Suchanfragen zu bestimmten Lokalisationen. Während Suchanfragen zu Füßen und Beinen, die als häufig betroffene Körperstellen berichtet wurden, seltener waren, war der Anteil an Suchanfragen zu Lokalisationen im Gesicht mit 60 % doppelt so hoch wie in der Literatur beschrieben [
16]. Dies deutet auf einen höheren Leidensdruck sowie den Wunsch nach weiteren Informationen hin, sobald das Gesicht betroffen ist, und demnach sollte bei der medizinischen Versorgung besonders darauf geachtet werden. Zudem waren in dieser Studie fast 10 % der Anfragen zu Pflege und Therapie. In beiden Kategorien waren die häufigsten Suchanfragen zu bestimmten Marken/Produkten, was dafür spricht, dass Menschen nach zusätzlichen Informationen von AD-Produkten suchen [
5]. Auffällig war zudem, dass der Anteil an Suchbegriffen bezüglich Hausmitteln fast 4‑mal so hoch war wie der von neuen Therapieoptionen, was beispielsweise auf die Therapieunzufriedenheit von Menschen in Behandlung oder den Informationswunsch von Menschen ohne Kontakt zum Gesundheitssystem hindeuten könnte [
6,
13,
22]. Außerdem scheinen viele Menschen noch nicht ausreichend über die neusten, effektiven Therapiemethoden aufgeklärt zu sein [
6], was wiederum hinderlich für eine adäquate Gesundheitsversorgung ist. Dementsprechend sollten Möglichkeiten gefunden werden, Betroffene, die z. B. nach Hausmittel zur Behandlung der AD suchen, mit wissenschaftlichen sowie evidenzbasierten Informationen zu versorgen. Mögliche Ansatzpunkte könnten hierbei häufig genutzte Online-Plattformen oder Suchmaschinen sein.
Im Gegensatz zu früheren Studien konnte keine Korrelation mit der Prävalenz festgestellt werden [
2,
12,
20]. Außerdem ließ sich keine Assoziation mit dem Frauenanteil oder dem sozioökonomischen Status feststellen, sondern lediglich mit dem Durchschnittsalter und der Anzahl an Ärzten je Einwohner [
4]. Dennoch sind die Ergebnisse dabei hilfreich, die Interessen in den Regionen zu studieren. In den größeren Bundesländern scheinen v. a. Leute über allgemeine Suchanfragen zunächst an Informationen zu gelangen, weshalb es sinnvoll erscheint, dass Leuten möglichst direkt vertrauenswürdige und evidenzbasierte Webseiten angezeigt werden [
20]. In weiteren Studien wäre es interessant zu untersuchen, ob innerhalb der Bundesländer ein Unterschied im Nutzungsverhalten zwischen der Land- und Stadtbevölkerung zu beobachten ist.
Limitationen
Es gibt einige Limitationen. Bei dieser Analyse wurden nur Menschen berücksichtigt, die Google verwenden. Zudem nutzen jüngere Leute das Internet häufiger [
1]. Dies kann einer der Gründe sein, warum das Suchvolumen pro 100.000 Einwohner in Stadtstaaten deutlich höher war als in größeren Bundesländern wie Bayern, wo viele ältere Leute in ländlichen Regionen leben. Da Google innerhalb des Bundeslands keine Informationen darüber liefert, wo und von wem (z. B. Alter, Geschlecht) die Anfragen generiert wurden, ist nicht ersichtlich, wie viele Suchanfragen von Betroffenen, Angehörigen, Medizinstudierenden, ärztlichem Personal, Pharmafirmen, Gesundheitsämtern oder sonstigen Personen durchgeführt wurden. Obwohl davon auszugehen ist, dass im Gesundheitswesen tätige Personen ihr Wissen größtenteils über andere Kanäle wie z. B. PubMed beziehen, wollen diese wahrscheinlich dennoch wissen, welche Webseiten über Google zu finden sind, um Betroffene adäquat beraten zu können. Dementsprechend könnte die Heterogenität der Bundesländer die Ergebnisse beeinflusst haben.
Schlussfolgerung
Trotz der Limitationen ist die Analyse von Suchmaschinendaten eine geeignete Methode, die Interessen und Bedürfnisse einer großen Bevölkerungsgruppe zu untersuchen, die im klinischen Alltag nicht in gleicher Weise sichtbar sind. Die Studie konnte zeigen, dass die Anzahl an Suchanfragen bereits 2017 schon sehr hoch war, aber besonders während der COVID-19-Pandemie enorm angestiegen ist, was zum einen die immer größer werdende Bedeutung des Internets als Informationsquelle verdeutlicht und zum anderen das hohe Informationsbedürfnis von Personen mit AD unterstreicht. Die gewonnenen Erkenntnisse könnten genutzt werden, um Informationskampagnen besser an die Zielgruppe anzupassen, um so die Gesundheitsversorgung zu verbessern. Da besonders viele allgemeine Anfragen beobachtet wurden, die keinen Aufschluss über das weitere Suchverhalten geben, sollte dieses in zukünftigen Studien genauer untersucht werden. Zudem sollte untersucht werden, ob viele Menschen bereits vor dem Arztbesuch das Internet für die Informationsgewinnung nutzen, ob das Suchverhalten durch einen ärztlichen Kontakt beeinflusst wurde und ob die Anzahl an Suchanfragen durch ein größeres Angebot von Neurodermitisschulung in den nächsten Jahren stagniert oder sogar wieder sinkt.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
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