Fehldiagnose Autoimmunenzephalitis: Diese Befunde sind Warnsignale

Selbst in spezialisierten Zentren stellt sich der Verdacht auf eine Autoimmunenzephalitis nicht selten als Irrtum heraus. Bei welchen Befunden dringend Alternativdiadiagnosen in Betracht gezogen werden sollten, offenbart eine Studie aus den USA. Das Wichtigste in Kürze zu dieser Studie finden Sie am Ende des Artikels. Die Autoimmunenzephalitis ist eine seltene Erkrankung, pro eine Million Menschen und Jahr tritt sie etwa drei- bis neunmal auf. Weitaus häufiger sind Erkrankungen, die aufgrund einer ähnlichen Symptomatik mit einer Autoimmunenzephalitis verwechselt werden können, etwa toxische Enzephalopathien, funktionelle oder degenerative neurologische Erkrankungen oder primär psychische Störungen. Laut einem Forschungsteam aus den USA kommt es selbst in Spezialkliniken nicht selten vor, dass die Anfangsdiagnose Autoimmunenzephalitis revidiert werden muss. In einer Studie haben die Forschenden zusammengetragen, welche Erkrankungen hinter der Fehldiagnose stecken und welche Befunde dazu verleiten. Zwischen 2014 und 2020 musste in den Spezialambulanzen von sechs renommierten US-Kliniken bei 107 von 393 Patienten und Patientinnen eine AIE-Diagnose korrigiert werden. In den meisten Fällen ging man stattdessen von einer funktionellen neurologischen Störung (25 %), einer neurodegenerativen Erkrankung (21 %) oder einem psychischen Leiden (18 %) aus. Bei 16 % der falsch Diagnostizierten konnte die neue Diagnose definitiv gesichert werden (z. B. Astrozytome, Lymphome, HIV-Leukenzephalopathie). Bis die korrekten Diagnosen gestellt wurden, vergingen im Median 16 Monate. Schleichender Beginn, keine Anzeichen für Neuroinflammation Charakteristisch für die Autoimmunenzephalitis ist, dass Symptome wie Gedächtnisausfälle, Wesensveränderungen oder psychiatrische Auffälligkeiten sich subakut entwickeln. Von den irrtümlich diagnostizierten Patienten hatten dagegen 48 % einen schleichenden Krankheitsbeginn über mehr als drei Monate hinweg. Die Mehrzahl hatte auch keine MRT- oder Liquorbefunde, die auf eine Neuroinflammation hinwiesen: Im MRT fanden sich nur bei 18 % Hinweise auf eine Enzephalitis; eine Liquorpleozytose wiesen 19 % auf. Insgesamt erfüllten 72 % der Patienten und Patientinnen nicht die Kriterien für eine Autoimmunenzephalitis. Bei 39 % wurden Autoantikörper gegen TPO nachgewiesen, Autoantikörper gegen neuronale Antigene fanden sich bei 46 % im Serum, aber nur bei 8 % im Liquor. Empfehlung der Redaktion Neurologische Diagnostik – Themenseite Auf dieser Themenseite steht der Aspekt der neurologischen Diagnostik im Fokus. Sie finden CME-Übersichtsarbeiten, Kasuistiken und mehr. Der Faktor, der am stärksten zu den Fehldiagnosen verleitet hatte, war nach Einschätzung der jeweiligen Kliniken die Überinterpretation von unspezifischen Antikörpern im Serum (in 50 % der Fälle). Als ebenfalls sehr häufige Ursache wurde die Fehldeutung von funktionellen, psychiatrischen oder (unspezifischen) kognitiven Problemen genannt (38 %). Bei Red Flags nach Alternativdiagnosen suchen Angesichts der Beobachtung, dass bei der Mehrzahl der Patienten und Patientinnen die Diagnosekriterien für eine Autoimmunenzephalitis nicht erfüllt waren, rät die Studiengruppe um Eoin Flanagan von der Mayo-Klinik in Rochester, die Kriterien strikter zu befolgen, um Fehldiagnosen zu verhindern. Insbesondere sollten einige „red flags“ den Verdacht auf eine alternative Diagnose lenken, dazu zählten z. B.: Schleichender Beginn der Symptome Multimorbidität als mögliche Ursache kognitiver Defizite Untersuchungsergebnisse vereinbar mit funktioneller neurologischer Störung Kopf-MRT ohne Befund Liquor ohne Entzündungszeichen TPO-Antikörper Niedrige GAD65-Antikörper-Titer im Serum NMADR-Antikörper im Serum, aber nicht im Liquor Das Wichtigste in Kürze Frage: Welche Erkrankungen werden aus welchen Gründen als Autoimmunenzephalitis fehldiagnostiziert? Antwort: Von 107 irrtümlich mit einer Autoimmunenzephalitis diagnostizierten Personen hatte die Hälfte funktionelle neurologische oder psychiatrische Störungen. Hinweise auf eine Fehldiagnose waren schleichender Krankheitsbeginn und fehlende Zeichen einer Neuroinflammation in MRT und Liquor. Oft hatte die Überinterpretation von unspezifischen Serum-Antikörpern zu der Fehldiagnose verleitet. Bedeutung: Bei Vorhandensein bestimmter „red flags“ sollten Alternativdiagnosen zu einer Autoimmunenzephalitis geprüft werden.

Springer Medizin

Fehldiagnose Autoimmunenzephalitis: Diese Befunde sind Warnsignale

Weiterführende Themen

Neu in den Fachgebieten Neurologie und Psychiatrie

Niedriger diastolischer Blutdruck erhöht Risiko für schwere kardiovaskuläre Komplikationen

Demenzkranke durch Antipsychotika vielfach gefährdet

Parkinson-Therapie im Wandel – aktuelle Leitlinie im Fokus

Weniger postpartale Depressionen nach Esketamin-Einmalgabe