Long-COVID: Wie Ärzte abrechnen

Viele ärztliche Kolleginnen und Kollegen sind sehr zurückhaltend, wenn es um die Abrechnung höher bewerteter Gesprächsleistungen nach GOÄ geht. Doch COVID-19 bietet hier durchaus Möglichkeiten. Wann ist eine Krankheit „nachhaltig lebensverändernd oder lebensbedrohlich“? Das mag medizinisch hier und da kontrovers zu diskutieren sein – mehr noch aber, wenn es um die Abrechnung geht. Richtig geraten: In dieser Kolumne geht um die Gesprächsleistung nach der GOÄ-Nummer 34. Sie gehört in vielen Praxen zu den Stiefkindern der Abrechnung. Das liegt unter anderem daran, dass die Position von den Versicherungen häufig beanstandet wird. Aber auch daran, dass es relativ komplex ist, diese Leistung korrekt zu dokumentieren. Oft lässt sich die „nachhaltig lebensverändernde oder lebensbedrohende Erkrankung“ anhand der Diagnoseangabe nicht einwandfrei erkennen. Auch versuchen Versicherungen nicht selten, die Berechnung dieser Gebühr auf die Erstdiagnose einer lebensbedrohenden Krankheit zu beschränken. Doch diese Einschränkung ist genauso wenig korrekt, wie die ärztlicherseits teilweise auf belanglose Erkrankungen ausgeweitete Definition der Lebensbedrohlichkeit. Hoher Beratungsbedarf Tatsächlich fühlen sich viele Kolleginnen und Kollegen offenbar abgeschreckt von dem potenziellen Ärger, der mit der Abrechnung der GOÄ-Nr. 34 droht. Das zeigt sich bei der Abrechnungs-Auswertung an der Diskrepanz zwischen der Häufigkeit, mit der diese Leistung im Praxisalltag eigentlich begründet wäre, und der Häufigkeit, mit der diese Leistung tatsächlich auch berechnet wird. Die GOÄ-Nummer 34: Der Leistungstext Erörterung (Dauer mindestens 20 Minuten) der Auswirkungen einer Krankheit auf die Lebensgestaltung in unmittelbarem Zusammenhang mit der Feststellung oder erheblichen Verschlimmerung einer nachhaltig lebensverändernden oder lebensbedrohenden Erkrankung — gegebenenfalls einschließlich Planung eines operativen Eingriffs und Abwägung seiner Konsequenzen und Risiken —, einschließlich Beratung — gegebenenfalls unter Einbeziehung von Bezugspersonen. Anmerkungen: 1. Die Leistung nach Nr. 34 ist innerhalb von sechs Monaten höchstens zweimal berechnungsfähig. 2. Neben der Leistung nach Nr. 34 sind u.a. die Leistungen nach den Nummern 1, 3, 4, 15 und/oder 30 nicht berechnungsfähig. Gerade aktuell in der Corona-Pandemie steigt der Bedarf an Beratungen: „Wie schütze ich mich und meine Familie?“, „Kann ich noch in den Supermarkt gehen?“, „Kann ich noch mit dem Bus fahren?“ – das sind gegenwärtig häufige Fragen aus dem Praxisalltag, die den Beratungsbedarf deutlich machen. Bei privat versicherten Patienten ist bei solchen Gesprächen durchaus an die Gebühr nach GO-Nr. 34 zu denken. Entsprechend der Leistungslegende handelt es sich bei derartigen Gesprächen mit Patienten um die Erörterung einer lebensverändernden oder lebensbedrohenden Erkrankung beziehungsweise um deren Verschlimmerung. Was genau ist gefordert? Zur Berechnung der GO-Nr. 34 sind natürlich die gebührenrechtlichen Rahmenbedingungen zu beachten und zwingend einzuhalten. Vier Erörterungsmöglichkeiten sind in der Leistungslegende genannt: die Feststellung einer nachhaltig lebensverändernden Erkrankung, oder die Feststellung einer lebensbedrohenden Erkrankung, oder die erhebliche Verschlimmerung einer nachhaltig lebensverändernden Erkrankung, oder die erhebliche Verschlimmerung einer lebensbedrohenden Erkrankung. Bedingt durch die Konjunktion „oder“, muss mindestens einer der vier Punkte gegeben sein. In diesem Zusammenhang ist es nützlich, die Diagnoseangabe so zu formulieren, dass eine der oben genannten Voraussetzungen erfüllt ist. Dazu zwei Diagnosebeispiele: „Polyarthrose mit Gehstörung“, „p-AVK mit zunehmender Nekrosebildung“. Damit lassen sich Rückfragen der privaten Kostenträger oder gar Nichterstattung von Rechnungsanteilen mit ziemlicher Sicherheit vermeiden. Da in der Leistungslegende die Einbeziehung der Familienangehörigen oder anderer Bezugspersonen in diese Erörterung formuliert ist, verbietet sich der zeitgleiche Ansatz der Gebühr nach GOÄ-Nr. 4 (Unterweisung und Führung der Bezugspersonen). Eine weitere Besonderheit ergibt sich aus der Verwendung des Begriffes „nachhaltig lebensverändernd“. Dadurch wird die Verwendung dieser Gebühr vordergründig auf gravierende Erkrankungen beschränkt. Es kann sich jedoch durchaus auch eine weniger gravierende Erkrankung nachhaltig auf die gegebenen Lebensumstände eines Patienten auswirken. Und hier kommt jetzt beispielsweise COVID-19 ins Spiel, beziehungsweise in die Diskussion. Eine Infektion mit dem Coronavirus kann durchaus lebensbedrohend oder nachhaltig lebensverändernd sein. Insofern erfüllt alleine schon der Verdacht auf das Vorliegen einer COVID-Infektion die Voraussetzungen für die entsprechende Erörterungsleistung und der Berechnung der Gebühr nach GO-Nr. 34. Das gilt natürlich erst recht, wenn die Diagnose gesichert ist oder gar ein Verdacht auf Long-Covid vorliegt. Die Zeitvorgabe ist zu erfüllen Natürlich ist mit der (Verdachts-)Diagnose alleine noch nicht die Berechnung der Gebühr nach GO-Nr. 34 gerechtfertigt. Zu den Anforderungen gehört zwingend auch der Zeitfaktor von „mindestens 20 Minuten“. „Mindestzeitangabe“ bedeutet einerseits, dass die geforderten 20 Minuten zwingend einzuhalten sind. Dauert die Erörterung andererseits jedoch länger als 20 Minuten, kann die Gebühr nach GO-Nr. 34 nicht mehrfach berechnet werden. Dauert die Erörterung länger als 20 Minuten, so muss der Arzt diesen Zeitaufwand dennoch nicht kostenfrei erbringen. Hier ist im gegebenen Fall der Paragraf 5 GOÄ anzuwenden und ein entsprechend dem Zeitaufwand erhöhter Faktor für die Beratungsleistung anzusetzen. Der erhöhte Zeitaufwand als solches ist dann auch als Begründung für die Anwendung eines gesteigerten Faktors zu nehmen. Zu beachten ist nicht zuletzt, dass die GOÄ-Nr. 34 „innerhalb von sechs Monaten höchstens zweimal berechnungsfähig“ ist – das gilt also unabhängig vom Behandlungsfall und vom Krankheitsfall. Dr. Dr. Peter Schlüter ist Allgemeinarzt in Hemsbach/Bergstraße. Seit mehr als 30 Jahren hält er Abrechnungsseminare für Ärzte. Quelle: Ärzte Zeitung

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