Urinuntersuchung zur Früherkennung schwerer COVID-19-Verläufe?

Eine COVID-19-assoziierte Nephritis ist möglicherweise ein früher Indikator für die Notwendigkeit einer Intensivtherapie. Ärzte der Universität Göttingen haben aus dieser Beobachtung einen Algorithmus zur Risikostratifizierung abgeleitet. Eine Infektion mit SARS-CoV-2 kann nicht nur Lungen und Herz, sondern auch die Nieren in Mitleidenschaft ziehen. Eine Nephritis frühzeitig zu entdecken, könnte sogar dazu beitragen, schwere Krankheitsverläufe vorherzusagen und die Behandlung entsprechend anzupassen. Darauf weisen Ärzte um Prof. Oliver Gross von der Universität Göttingen in „Lancet“ hin. Gross und Kollegen war aufgefallen, dass bei COVID-19-Patienten, die später auf der Intensivstation behandelt werden mussten, erhöhte Konzentrationen von Erythrozyten, Albumin und Leukozyten im Urin nachgewiesen wurden; bei drei dieser Patienten war erst wenige Wochen zuvor eine Urinuntersuchung ohne Befund gewesen. Vor der Aufnahme auf die Intensivstation wurden außerdem niedrige Antithrombin-III-Spiegel (26–62%, Referenz > 70%) und schwere Hypalbuminurien (Serumalbumin 1,4–1,9 mg/dl, Referenz 3,4–5,0 mg/dl) festgestellt, Zeichen eines erhöhten Risikos für Thrombosen und Lungenödeme. Bei COVID-19-Patienten auf Normalstation war der Urin dagegen unauffällig; Antithrombin III lag im Normbereich, Serumalbumin über 2,5 mg/dl. Algorithmus für alle COVID-19-Patienten Die Nephritis ist den Göttingern Ärzten zufolge wahrscheinlich durch eine Infektion von Nierenzellen mit SARS-CoV-2 verursacht. Der Rezeptor für das Virus, membranständiges ACE2, wird auch von Podozyten exprimiert. Die schlechte Prognose von COVID-19-Patienten mit Nephritis führen sie auf ein Capillary-Leak-Syndrom zurück, das in Hypervolämie, Atemversagen und Tod münden kann. Gross und Kollegen haben deswegen einen Algorithmus entwickelt, mit dem ein drohendes Kapillarleck-Syndrom frühzeitigt erkannt und präventiv behandelt werden kann: Bei allen Patienten mit COVID-19-Verdacht/-Nachweis soll der Urin auf Leukozyten, Albumin und rote Blutkörperchen untersucht werden. Wenn keiner der Werte auffällig ist, kann von einem geringen Risiko für eine Dekompensation ausgegangen werden. Die Urinuntersuchung wird dann alle drei Tage wiederholt, bis der Patient gesund ist. Sind bei der Wiederholung zwei von drei Parametern erhöht, soll der Patient auf Anzeichen eines Capillary-Leak-Syndroms getestet werden: Serumalbumin < 2,0 mg/dl und Antithrombin III < 70%. Sind beide Kriterien erfüllt, besteht ein hohes, trifft eines zu, ein intermediäres Risiko für die Notwendigkeit einer Intensivbehandlung. Capillary-Leak-Syndrom rechtzeitig abwenden Bei Patienten mit mittlerem und hohem Risiko sollen die Untersuchungen täglich wiederholt werden. Um das Risiko durch interstitielle Ödeme, Kreislaufversagen, reduzierte Plasmaproteinbindung vieler Medikamente und Thrombosen zu reduzieren, wird geraten, präventive Maßnahmen in Betracht zu ziehen. Wenn sich der Zustand des Patienten weiter verschlechtert, soll, um die Volumenüberladung in den Griff zu bekommen, frühzeitig an eine Nierenersatztherapie gedacht werden. Die Göttinger Ärzte hoffen, dass sie mit Hilfe des Algorithmus „intensivpflichtige Verläufe antizipieren, die Allokation von Patienten zu speziellen Therapien verbessern und präventive und lebensrettende Strategien gegen das Capillary-Leak-Syndrom einleiten können“. Voraussetzung ist, dass der Algorithmus sich zur Vorhersage komplizierter COVID-19-Verläufe bewährt. Dies wird seit Ende April in einer deutschen Multicenterstudie überprüft. Empfehlung der Redaktion Webinar mit Prof. Dr. Jürgen Floege 18.05.2020 | COVID-19 | Webinar | Nachrichten "SARS-CoV-2 liebt die Niere" – Nephrologische Implikationen und Komplikationen von COVID-19 Die Niere ist nicht nur bei schwerer COVID-19-Infektion sekundär betroffen, sondern SARS-CoV-2, so mehren sich die Erkenntnisse, infiziert die Niere auch direkt: Das Virus befällt Tubulusepithelzellen und Podozyten. Wie sich diese Schädigung äußert, wie sie wiederum das Infektionsgeschehen befeuern kann und welche Schlüsse hinsichtlich Diagnostik und Therapie sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt ableiten lassen, erläutert der Nephrologe und Vizepräsident der DGIM Prof. Dr. Jürgen Floege.

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