Keine Kortikoide bei COVID-19 und Blutkrebs?

Patienten mit hämatologischen Tumoren entwickeln besonders oft schwere COVID-19-Verläufe. Ursache ist offenbar eine Virämie durch zu wenig Immunglobulin. Kortikoide und andere Immuntherapeutika könnten eher kontraproduktiv sein. Hinweis: Das Wichtigste in Kürze zu dieser Studie finden Sie am Ende des Artikels. Krebspatienten entwickeln während einer COVID-19-Infektion häufiger einen schweren Verlauf als Infizierte ohne Tumoren. Dies wird zum einen mit der Schwächung des Körpers durch den Krebs begründet, zum anderen scheinen Chemotherapien das Risiko für einen schweren Verlauf zu erhöhen. Im besonderen Maße sind jedoch Krebskranke mit hämatologischen Malignomen durch eine SARS-CoV-2-Infektion gefährdet: Das Risiko für einen schweren Verlauf ist bei ihnen 50–100% höher als bei Patienten mit soliden Tumoren. Woran das genau liegt, ist jedoch noch weitgehend unklar. Onkologen um Dr. Jean-Marie Michot vom Institut Gustave Roussy in Villejuif bei Paris bringen nun eine Hypogammaglobulinämie und eine damit verbundene Virämie als Erklärung ins Spiel. Die Ärzte haben sich Angaben zu 51 an COVID-19 erkrankten Patienten mit hämatologischen Malignomen aus ihrer Klinik detailliert angeschaut. 26 hatten ein Lymphom, 15 eine akute Leukämie, neun ein Myelom. Von diesen Patienten entwickelten 24, also knapp die Hälfte, einen schweren Verlauf: Sie hatten mindestens 6 Punkte auf der 10-Punkte-WHO-Progressionsskala – solche Patienten müssen nichtinvasiv oder mechanisch beatmet werden. Gammaglobulinwerte nur halb so hoch Patienten mit schwerem Verlauf waren meist älter als diejenigen mit einem leichten oder moderaten Verlauf (65 versus 58 Jahre), zudem zeigten sie bei der Klinikaufnahme niedrigere Werte von Gammaglobulin (4,8 g/l versus 8,2 g/l), aber keine größeren Unterschiede bei der Lymphozytenzahl, den zuvor erhaltenen Krebstherapien oder den einzelnen Tumortypen. Unter Berücksichtigung diverser Begleitfaktoren gab es lediglich einen Zusammenhang mit den Gammaglobulinwerten und der Schwere der COVID-19-Erkrankung. Empfehlung der Redaktion Gesammelte Beiträge COVID-19 und onkologische Erkrankungen Was ist bekannt über die Wechselwirkungen von COVID-19 und Krebs und was gilt es in der Onkologie zu beachten? Welche Patientinnen und Patienten sind besonders gefährdet? Wie gut wirken die Impfstoffe bei Krebserkrankten und welche Therapieimplikationen ergeben sich aus dem aktuellen Wissensstand? Wie die Ärzte um Michot weiter feststellten, war bei Patienten mit wenig Gammaglobulin auch die Viruslast in den nasopharyngealen Abstrichen sehr hoch, zudem dauerte die Virusausscheidung besonders lange. Sie nehmen daher an, dass für schwere Verläufe bei Patienten mit hämatologischen Tumoren weniger der Zytokinsturm als vielmehr eine stärkere Ausbreitung von SARS-CoV-2 ursächlich ist, und diese scheint durch eine humorale Immunsuppression gefördert zu werden. Um das zu prüfen, untersuchten sie bei 21 Patienten retrospektiv Blutproben, bei zehn (48%) ließ sich eine Virämie zum Zeitpunkt der Klinikaufnahme nachweisen. Patienten mit Virämie entwickelten fünffach häufiger einen schweren Verlauf, auch führte die Infektion dreimal so häufig zum Tod wie unter krebskranken COVID-19-Patienten ohne Virämie. Zur Kontrolle analysierten die Ärzte auch Blutproben von COVID-19-Patienten mit soliden Tumoren: Nur 6 von 33 (18%) hatten eine Virämie bei der Klinikaufnahme. Letztlich scheint also eine Hypogammaglobulinämie eine Virämie zu begünstigen, und diese wiederum sorgt für einen schweren Verlauf. „Wir gehen davon aus, dass humoral immunkompromittierte Krebspatienten ein besonderes COVID-19-Management benötigen“, so das Fazit der Ärzte um Michot. Immundämpfende Arzneien wie Kortikoide oder Antizytokine, die häufig gegen den Zytokinsturm bei schweren COVID-19-Verläufen verabreicht werden, seien bei immunkompromittierten Krebspatienten möglicherweise kontraproduktiv. Hyperimmunes Kovaleszentenplasma wäre da vielleicht eine bessere Idee, geben sie zu bedenken. Das Wichtigste in Kürze Frage: Warum haben Patienten mit hämatologischen Tumoren oft so einen schweren COVID-19-Verlauf? Antwort: Ärzte aus Frankreich vermuten, dass solche Patienten häufig zu wenig Gammaglobulin aufweisen. Dies begünstigt eine Virämie und damit einen schweren Verlauf. Ein Zytokinsturm ist danach weniger das Problem. Bedeutung: Ärzte sollten ihre Behandlung eher auf eine Virämie als einen Zytokinsturm hin ausrichten. Einschränkung: Kleine monozentrische Untersuchung.

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