Weniger Atherosklerose im Hirn, aber konstant viele Plaques

Die altersadjustierte Demenzinzidenz sinkt, dies wird oft mit einem besseren vaskulären Status erklärt. Post-mortem-Analysen über fast drei Dekaden hinweg scheinen dies zu bestätigen: In den Gehirnen Verstorbener gibt es immer weniger atherosklerotische Veränderungen. Das Wichtigste in Kürze zu dieser Studie finden Sie am Ende des Artikels. Etwa seit Mitte der 2010er-Jahre wird in Industrieländern altersadjustiert ein überraschender Rückgang der Demenzinzidenz beobachtet. Diese ist im Laufe von zwei Dekaden um etwa ein Viertel gesunken. Dem ging ein altersadjustierter Rückgang von kardiovaskulären Ereignissen voraus, was mit einem gesünderen Lebensstil und einer besseren medikamentösen Kontrolle vaskulärer Risikofaktoren erklärt wurde. Da vaskuläre Faktoren auch das Demenzrisiko steuern, passt es ins Bild, dass 10–20 Jahre nach der positiven Entwicklung in der Herzkreislaufmedizin das Demenzrisiko ebenfalls sinkt – eine Demenz tritt bekanntlich ein bis zwei Dekaden nach dem typischen Herzinfarktalter auf. Allerdings ist es nicht einfach, einen solchen Zusammenhang kausal zu belegen. Letztlich könnten auch andere Ursachen, etwa ein höheres Bildungsniveau oder noch unbekannte Faktoren zur sinkenden Demenzinzidenz beitragen. Ein Team um Dr. Francine Grodstein vom Alzheimer’s Disease Center an der Rush University in Chicago liefert nun belastbare Hinweise, dass tatsächlich die vaskuläre Komponente für die sinkende Inzidenz ursächlich ist. So wurden bei Autopsien von Teilnehmenden aus Kohortenstudien über die vergangenen drei Dekaden hinweg immer seltener Atherosklerosen und Arteriosklerosen in den Hirngefäßen der Verstorbenen detektiert, am Ausmaß der Alzheimerpathologie hat sich hingegen wenig verändert. Gehirne von 1554 Verstorbenen untersucht Grodstein und Mitarbeitende haben Angaben aus zwei Kohortenstudien ausgewertet, bei denen sich die Teilnehmenden bereit erklärt hatten, ihre Gehirne nach dem Tod der Wissenschaft zur Verfügung zu stellen. Sie konnten pathologische Befunde von insgesamt 1554 Verstorbenen über einen Zeitraum von 27 Jahren auswerten. Die Personen stammten aus der 1994 initiierten „Religious Orders Study“ mit älteren Priestern, Nonnen und Klosterbrüdern sowie dem 1997 begonnenen „Rush Memory and Aging Project“ mit älteren und anfangs noch demenzfreien Menschen aus der Region Chicago. Das Team um Grodstein gliederte die Autopsierten entsprechend ihrer Geburtskohorte in vier ähnlich große Gruppen. Im Mittel waren die Personen im Alter von rund 90 Jahren gestorben, die früheren Jahrgänge wurden etwas älter als die späteren (93 versus 87 Jahre), die späteren Jahrgänge hatten vor dem Tod etwas häufiger Hypertonie (67%) und Diabetes (24%) als die früheren (58% und 13%). Trotz der Zunahme solcher vaskulären Risikofaktoren über die Zeit waren die späteren Jahrgänge aber nur rund halb so oft von sklerotischen Veränderungen der Hirngefäße betroffen wie die früheren: Die Gehirne der Geburtskohorten aus den Jahren 1905–1914 zeigten altersstandardisiert zu 58% eine moderate bis schwere Atherosklerose, solche aus den Jahren 1925–1930 nur zu 28%. Analog dazu sank die Arterioskleroseprävalenz von 44% auf 28%. Die Infarktprävalenz schwankte über alle Geburtskohorten hinweg um die 35% – hier gab es keine größeren Differenzen. Für Mikroinfarkte deutete sich hingegen eine Zunahme in den beiden späteren Kohorten an. Personen aus den Jahren 1925–1930 waren zu 40% betroffen, solche aus den Kohorten von 1905–1924 nur zu 27%. Kaum Veränderungen bei demenztypischen Ablagerungen Bei der Alzheimerpathologie ergaben sich über die Kohorten hinweg jedoch keine großen Veränderungen: Etwa 65–70% erfüllten jeweils die diagnostischen Kriterien – sie wiesen moderate bis hohe Beta-Amyloid- und Tau-Ablagerungen auf. Auch die quantitative Analyse offenbarte keine größeren Differenzen: Die früheste und die späteste der vier Kohortengruppen hatten etwas weniger Amyloid im Gehirn als die beiden mittleren, dagegen schienen Tau-Ablagerungen zu den späteren Kohorten hin leicht zuzunehmen. Die Gesamtlast an alzheimerpathologischen Veränderungen blieb jedoch über alle Kohorten hinweg weitgehend konstant. Auch Lewy-Körperchen und TDP-43-Ablagerungen variierten kaum über die Kohorten hinweg. Empfehlung der Redaktion Demenz – Themenseite Wie therapiert man Alzheimerpatienten leitliniengerecht? Warum sind "keiner" und "nein" bei Dementen tabu? Und was tut sich in der Alzheimertherapie-Forschung? Antworten gibt die Themenseite Demenz. Hier finden Sie Übersichten, News, kommentierte Studienreferate und Kasuistiken. Das Team um Grodstein geht davon aus, dass eine bessere vaskuläre Hirngesundheit zu dem beobachteten Rückgang der Demenzinzidenz in den vergangenen Dekaden beigetragen haben dürfte. Interessant ist hier auch der Vergleich mit einer 2017 erschienenen Analyse der „Einstein Aging Study (EAS)“: Sie weist eine sinkende Demenzinzidenz für Geburtsjahrgänge ab etwa 1920 nach. Von diesen hatten im Alter von über 90 Jahren rund 5% eine Demenz, von den im Jahr 1900 Geborenen waren es 10% (siehe Bericht). Dies passt jedenfalls gut zum beobachteten Rückgang der athero- und arteriosklerotischen Veränderungen. Die Forschenden um Grodstein weisen jedoch darauf hin, dass neben dem Wegfall vaskulärer Faktoren auch eine zunehmende Resilienz, etwa durch ein höheres Bildungsniveau, für die sinkende Demenzinzidenz bedeutsam sein könnte. Zudem handle es sich hierbei vielleicht nur um ein vorübergehendes Phänomen: Die steigenden Adipositas- und Diabetesprävalenzen dürfte die Fortschritte bei der Hirngesundheit bald wieder zunichtemachen und den positiven Trend bei der Demenzinzidenz umkehren. Das Wichtigste in Kürze Frage: Wie hat sich die Häufigkeit demenzrelevanter pathologischer Veränderungen im Gehirn in den vergangenen drei Dekaden entwickelt? Antwort: Sklerotische Veränderungen werden in den Hirngefäßen Verstorbener der Geburtsjahre 1925–1930 nur halb so oft detektiert wie bei Verstorbenen der Geburtskohorten 1905–1914. Das Ausmaß an Amyloid-, Tau-, Alpha-Synuclein- und TDP-43-Ablagerungen hat sich jedoch wenig verändert. Bedeutung: Die in jüngster Zeit sinkende Demenzinzidenz lässt sich zum Teil auf eine bessere vaskuläre Hirngesundheit zurückführen. Einschränkung: Als Basis dienten Kohorten mit relativ gesunden älteren Menschen, geringer Männeranteil.

Live-Webinar: Aktuelle Leitlinien bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen

Springer Medizin

Weniger Atherosklerose im Hirn, aber konstant viele Plaques

Weiterführende Themen

Neu in den Fachgebieten Neurologie und Psychiatrie

Demenzkranke durch Antipsychotika vielfach gefährdet

Parkinson-Therapie im Wandel – aktuelle Leitlinie im Fokus

Weniger postpartale Depressionen nach Esketamin-Einmalgabe

Auf diese Krankheiten bei Geflüchteten sollten Sie vorbereitet sein