Primärprävention mit 80 Jahren? Klar doch!

Eine erstmalige Statintherapie bei 80-Jährigen könnte die Gesamtmortalität um ein Viertel und die kardiovaskuläre Sterblichkeit um ein Fünftel senken. Darauf deutet eine Analyse unter US-Veteranen. Hinweis: Das Wichtigste in Kürze zu dieser Studie finden Sie am Ende des Artikels. Die Statintherapie bei älteren Menschen wirft noch immer einige Fragen auf: Sollten Ärzte auch bei betagten Patienten noch mit einer Primärprävention beginnen? Oder überwiegen die Risiken den Nutzen? Welche älteren Patienten kommen für die Primärprävention mit Statinen infrage und wie intensiv sollte die Behandlung sein? Solche Fragen werden immer dringender, da der Anteil der Betagten in der Bevölkerung wächst und die meisten Menschen im Alter von 80 Jahren kardiovaskuläre Risikofaktoren aufweisen, zu denen in der Regel auch erhöhte LDL-Werte zählen. Auf der anderen Seite ist die Datenlage zum Nutzen von Statinen in der Primärprävention eher mau und basiert meist nur auf Subgruppenanalysen von kontrollierten Studien. Mittlerweile laufen zwar auch randomisiert-kontrollierte Studien (RCT) zur Statinprävention speziell bei Älteren, etwa STAREE (ab 70 Jahren) und PREVENTABLE (ab 75 Jahren), auf die Resultate wird man jedoch noch einige Zeit warten müssen. In der Zwischenzeit könnte die Auswertung von Praxisdaten Anhaltspunkte über den Nutzen der Primärprävention im Alter geben. Größter Nutzen in den ersten beiden Jahren Vor diesem Hintergrund haben Forscher um Dr. Ariela Orkaby vom Veteranen-Gesundheitssystem in Boston retrospektive Angaben zu rund 327.000 US-Veteranen im Alter von mindestens 75 Jahren analysiert, die bislang noch keine Statine bekommen hatten und bisher nicht mit kardiovaskulären Erkrankungen aufgefallen waren. Ansonsten waren die Forscher wenig wählerisch, so wurden auch Krebspatienten, solche mit Demenz oder anderen Krankheiten einbezogen, um ein möglichst praxisnahes Bild zu erhalten. Sie berücksichtigten jedoch nur ehemalige Militärangehörige, die noch mindestens ein halbes Jahr nach Aufnahme in die Berechnungen am Leben waren. Die Angaben stammten aus einer nationalen Veteranendatenbank und umfassten die Jahre 2002 bis 2012. Die Ex-Militärangehörigen waren zum Beginn der Analyse im Schnitt 81 Jahre alt, zu 97% Männer und zu 91% weiß. Im Laufe der Nachbeobachtungsdauer von knapp sieben Jahren begannen 17,5% erstmals eine Statintherapie, das waren vor allem Personen mit einer Hypercholesterinämie, einer Hypertonie und/oder einem Diabetes, seltener solche mit einer Demenz. Verordnet wurde zu 85% Simvastatin und zu 11% Lovastatin. Während der Nachbeobachtungsdauer starben 63% der Veteranen, insgesamt 16% kamen aufgrund von kardiovaskulären Ereignissen ums Leben. Bezogen auf 1000 Personen starben jährlich 79 Patienten mit und 98 ohne Statine – ein deutlicher Unterschied. Auch kardiovaskuläre Todesfälle wurden bei den Patienten mit Statinen deutlich seltener beobachtet (23 versus 27 pro 1000 Personenjahre). Stellten die Forscher um Orkaby nun jedem Statinpatienten möglichst einen Veteranen gegenüber, der keine Statine nahm, aber dasselbe Alter und ähnliche Begleiterkrankungen sowie kardiovaskuläre Risikofaktoren aufwies (propensity score matching), dann war die Gesamtsterberate bei den Statinpatienten um 25%, die kardiovaskuläre Mortalität um 20% geringer als unter den Kontrollpersonen. Den größten Einfluss auf die Gesamtsterblichkeit stellten die Forscher in den ersten beiden Jahren nach Beginn der Behandlung fest – sie war unter Statinen um 32% reduziert, nach vier Jahren noch um 21% und nach sechs Jahren um 13%. Dies widerspricht Annahmen, wonach sich der Beginn einer Statintherapie bei älteren Menschen nur lohnt, wenn diese noch eine beträchtliche Lebenserwartung haben. Ein ähnliches Muster ergab sich für kardiovaskuläre Todesfälle, auch hier war der Effekt in den ersten Jahren am größten und schwächte sich dann ab, höchst wahrscheinlich aufgrund konkurrierender Todesursachen. Kaum Einfluss auf Herzinfarkt- und Schlaganfallrate Der Nutzen war weitgehend altersunabhängig, auch über 90-Jährige schienen noch von der Statintherapie zu profitieren (minus 20% Gesamtmortalität), ebenso die wenigen Frauen und Nichtweißen unter den ehemaligen Militärangehörigen. Der Nutzen war für Demenzkranke (minus 26% Gesamtmortalität) stärker als für kognitiv Gesunde, keine größeren Differenzen ergaben sich für die meisten der übrigen Komorbiditäten. Kardiovaskuläre Ereignisse traten nach der Adjustierung für Risikofaktoren unter den Statinpatienten zu rund 8% seltener auf als unter den übrigen Veteranen, was sich fast ausschließlich auf eine geringere Rate von Revaskularisierungen zurückführen ließ (minus 11%), dagegen war die Rate von Herzinfarkten und Schlaganfällen praktisch gleich hoch wie ohne Statine. Mit Blick auf die reduzierte kardiovaskuläre Mortalität scheinen Statine danach vor allem die Schwere der Ereignisse zu reduzieren. Wer unter einem Statin einen Herzinfarkt erleidet, hat wohl bessere Überlebenschancen. Letztlich lassen sich die Auswirkungen auf die Gesamtmortalität aber nicht allein mit den kardiovaskulären Vorteilen erklären, offenbar haben Statine darüber hinaus noch einen lebensverlängernden Nutzen. Die Forscher um Orkaby sind etwas vom Ausmaß der Effekte überrascht. In vielen Subgruppenanalysen zu älteren Patienten in RCT war der Nutzen von Statinen deutlich geringer. Dies könne auch daran gelegen haben, dass in RCT vor allem gesündere Ältere ohne ausgeprägte Komorbiditäten eingeschlossen wurden. Offenbar seien die Effekte bei multimorbiden Patienten in der Praxis deutlich größer. Akronyme: STAREE: A Clinical Trial of Statin Therapy for Reducing Events in the Elderly (NCT02099123) PREVENTABLE: Pragmatic Evaluation of Events and Benefits of Lipid-Lowering in Older Adults (NCT04262206) Das Wichtigste in Kürze Frage: Was bringt eine primärpräventive Statintherapie bei Patienten ab 75 Jahren? Antwort: Gesamtmortalität und kardiovaskuläre Mortalität waren unter Statinen in einer retrospektiven Analyse von 327.000 US-Veteranen innerhalb von sieben Jahren um 25% und 20% reduziert. Bedeutung: Von einer primärpräventiven Statintherapie scheinen auch ältere und alte Patienten zu profitieren. Einschränkung: Analyse umfasst praktisch nur weiße Männer, Resultate müssen in kontrollierten Studien bestätigt werden.

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