Dialyse im hohen Alter: zu viel Paternalismus?

Dialyse oder konservativ? Eine Entscheidung, die bei Hochbetagten nicht nur von der Überlebensprognose abhängen sollte. Entsprechende Score-Berechnungen sind unzuverlässig. Entscheidend ist die subjektive Bedürfnislage des Patienten. „Stellen Sie sich vor, da kommt eine 84-jährige Patientin mit einer GFR von 8 ml/min zu Ihnen. Ansonsten aber eine fitte, ältere Dame mit einigen hydropischen Dekompensationen in der Anamnese. Sie ist mit Gehstock noch recht mobil. Soll man der Patientin zur Dialyse raten?“. Ein durchaus typischer Fall, den Frau Professor Ute Hoffmann (Regensburg) ihren Kollegen auf dem Kongress präsentiert. Das primäre Entscheidungskriterium ist sicher die Überlebenszeit. Doch die ist nur schwer zu prognostizieren. Zwar ist belegt, dass ein 85-jähriger Patient mit einer GFR im Bereich von 9–12 ml/min durch die Dialyse eine durchschnittliche Lebensverlängerung von 10 Monaten rechnen kann (Dialyse 21, konservativ 11 Monate). Bei einer GFR < 6 ml/min steigert der Dialyseeinsatz dagegen die Lebenserwartung um 17 Monate (mit Dialyse 24, konservativ 7 Monate) (1). Doch das gilt nur bei ansonsten »gesunden« Patienten, wie der Frau im Beispiel. Natürlich würde man ihr die Dialyse nahelegen. Doch solche Konstellationen sind im Alltag eher die Seltenheit, berichtet Ute Hoffmann. Gravierende Komorbiditäten wie Demenz und Herzinsuffizienz, erschweren meist die Entscheidung. „Zwar gibt es mittlerweile Score-Systeme, die Begleiterkrankungen, Laborwerte und anamnestische Daten berücksichtigen. Doch leider haben die nur eine Sensitivität von 75%“, berichtet die Regensburger Nephrologin. Zudem schwanken die errechneten Überlebenszeit-Benefits zwischen den verschiedenen Scores um bis zu 100%. Es hat also einen Grund, dass diese Berechnungen bis heute keinen Eingang in die klinische Praxis finden. Der ärztliche Rat zur Dialysetherapie beim hochbetagten multimorbiden Patienten basiert weiterhin auf der persönlichen Erfahrung und dem »Bauchgefühl« des Nephrologen. Und das trügt offenbar viel zu oft, befürchtet die Expertin. „Wir wissen heute, dass etwa ein Drittel der 75-jährigen und fast die Hälfte der 85-jährigen Patienten mit terminaler Niereninsuffizienz eine Dialyse ablehnen (2). Wir kennen auch ihre Motive“, so Hoffmann. Entscheidend ist der Wunsch, mobil und selbstständig in der Häuslichkeit verbleiben zu können und nicht mehr ins Krankenhaus zu müssen. Die Symptombelastung spielt bei der Therapiepräferenz eher eine untergeordnete Rolle, gibt sie zu bedenken. Dass viele dieser Patienten trotzdem an der Dialyse landen, liegt für Frau Prof. Hoffmann vor allem an der Qualität der Aufklärungsgespräche. „Offenbar wissen viele Nephrologen gar nicht, was ihre Patienten tatsächlich wollen“. Befragt man Nephrologen nach ihrer Einschätzung, welche Aspekte für ihre Patienten ausschlaggebend sind, zeigt sich Erstaunliches: Die Vermutung der Ärzte stimmt nur in einem Drittel der Fälle mit den Patientenwünschen überein (3). Maßgeblich ist aber meist die Meinung des Arztes. Literatur (1) Tamura, Manjula Kurella, et al. "Dialysis versus medical management at different ages and levels of kidney function in veterans with advanced CKD." Journal of the American Society of Nephrology 29.8 (2018): 2169-2177. (2) Clayton, Philip A., et al. "Relationship between eGFR decline and hard outcomes after kidney transplants." Journal of the American Society of Nephrology 27.11 (2016): 3440-3446. (3) Ramer, Sarah J., et al. "Health outcome priorities of older adults with advanced CKD and concordance with their nephrology providers’ perceptions." Journal of the American Society of Nephrology 29.12 (2018): 2870-2878. Quelle: 12. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie 2020, Berlin. Seminar: Konservative Maßnahmen, Referat: Wenn weniger möglicherweise mehr ist - Nierenversagen, aber keine Dialyse, Ute Hoffmann, Regensburg

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