Wenn das Risiko den Nutzen einer Therapie übersteigt, liegt ein Übergebrauch vor. Bei Antibiotika ist das auch wegen unerwünschter Wirkungen und Superinfektionen ein relevantes Problem.
Ein Übergebrauch von Antibiotika ist laut Dr. Dr. Katja de With, Leiterin der klinischen Infektiologie des Universitätsklinikums in Dresden, oft zu beobachten
- bei fraglicher Indikation,
- bei ungesicherter Infektionsdiagnose,
- bei zu langer Therapie und
- bei Unsicherheit in der mikrobiologischen Diagnostik.
Eine unklare Indikation war zum Beispiel der Einsatz von Amoxicillin bei persistierenden Rückenschmerzen. Es wurde angenommen, dass nach Bandscheibenvorfall eine niedrigschwellige Infektion mit Cutibacterium acnes für die Schmerzen verantwortlich sein könnte.
Eine Hypothese ohne Erregernachweis und Evidenz sollte aber nicht Basis für einen Antibiotikaeinsatz sein, betonte de With. Eine doppelblinde, randomisiert-kontrollierte Studie (RCT) fand keinen signifikanten Vorteil einer dreimonatigen (!) Gabe von Amoxicillin (3 x 750 mg p.o.) gegenüber Placebo.
Erfolg mit Antibiotic-Stewardship(ABS)-Programm
Vielfach erfolgt der Antibiotikaeinsatz zu unkritisch. In den USA waren 2010–2011 insgesamt 50 Prozent der Antibiotikaverordnungen bei ambulanter Therapie von Sinusitis, Otitis media, Pharyngitis inadäquat (zum Beispiel wegen eines rein viralen Infekts). Ein Antibiotic-Stewardship(ABS)-Programm reduzierte den Übergebrauch von Antibiotika bei Atemwegsinfektionen.
Den Ärzten wurde eine Therapiealternative vorgeschlagen, eine Therapiebegründung abgefordert oder ein Therapievorschlag eines „Top-Performers“ gemacht. Der Tipp des Top-Performers hatte den größten Effekt: Der Antibiotikaeinsatz sank von 19,9 Prozent auf 3,7 Prozent.
Die unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) von Antibiotika und das Risiko für Superinfektionen werden laut de With stark unterschätzt. So ist zwar inzwischen durch mehrere Rote-Hand-Briefe über die Toxizität von Chinolonen informiert worden. Ihr geht aber die Reduktion des Fluorochinolon-Einsatzes in Deutschland nicht schnell genug.
So werden Fluorochinolone trotz möglicher kardialer UAW wie QT-Zeit-Verlängerungen und Herzrhythmusstörungen oder – teils lang anhaltenden – neuropsychiatrischen Symptomen immer noch relativ oft bei älteren Patienten eingesetzt. Eine geringere Verordnung von Fluorochinolonen und Cephalosporinen ist auch in anderer Hinsicht wichtig: Die Inzidenz einer Durchfallerkrankung durch Clostridium-difficile-Infektion reduziert sich dann deutlich. Diese Superinfektion ist laut de With ebenfalls ein viel zu wenig berücksichtigter Effekt bei Antibiotika-Einsatz.
Eine multizentrische ABS-Qualitätsindikatorenstudie in Deutschland zeigte, dass nur bei 62 Prozent der stationär behandelten Patienten, die Antibiotika wegen Harnwegsinfektionen erhielten, eine positive Urinkultur vorlag, obwohl das in der entsprechenden S3-Leitlinie für Männer und Frauen empfohlen wird. Bei nosokomialen Pneumonien waren nur bei 35 Prozent die in der Leitlinie empfohlenen zwei Blutkultursets erstellt worden. Die sind wichtig, um den Erreger zu sichern und deeskalieren zu können, statt weiter breit antibiotisch zu behandeln.
Überdiagnostik bei Borreliose
Bei der Lyme-Borreliose ist dagegen eher eine Überdiagnostik das Problem. Niedergelassene Ärzte würden viel zu häufig eine Borreliosen-Serologie veranlassen, ist de With überzeugt. Das führe dann in der Regel zu einem zu häufigen und zu langen Einsatz von Antibiotika.
Eine doppelt verblindete europäische RCT zeigte, dass eine zweiwöchige Ceftriaxon-Therapie bei Patienten mit persistierenden Borrelien-assoziierten Symptomen (muskuloskelettale Beschwerden, Missempfindungen, chronische Müdigkeit) ausreichend ist, eine anschließende zwölfwöchige Doxycyclin- oder Clarithromycin/Hydroxychloroquin-Therapie verbesserte die Lebensqualität nicht gegenüber Placebo.
Quelle: Ärzte Zeitung