NMOSD: Haben die alten Immuntherapeutika ausgedient?

Neue zielgerichtete NMOSD-Therapeutika drängen auf den Markt. Die Wirksamkeitsnachweise sind solide; zu den älteren Medikamenten fehlen sie weitgehend. Ob eine Ablösung oder doch eher eine Ergänzung von alt durch neu ansteht, ist kontrovers. Zur Behandlung von NMOSD steht laut Prof. Ingo Kleiter, Marianne-Strauß-Klinik, Berg, Uni Bochum, eine breite Palette an Substanzen zur Verfügung, die an unterschiedlichen Angriffspunkten des Immunsystems ansetzen. Zu den älteren relativ unselektiv wirkenden Substanzen wie Azathioprin (AZA), Methotrexat (MTX), Mycophenolatmofetil (MMF) oder Prednisolon, sind Kleiter zufolge im Lauf der letzten Jahre hoch wirksame selektive Immunsuppressiva hinzugekommen. Einige haben nun Marktreife erreicht, etwa der gegen Komplementfaktor C5 gerichtete Antikörper Eculizumab, der seit 2019 zur Behandlung Aquaporin 4(AQP4)-positiver NMO zugelassen ist. Auch der Anti-CD19-Antikörper Inebilizumab, der als B-Zell-depletierende Substanz in dieselbe Kategorie fällt wie der Anti-CD20-Antikörper Rituximab (RTX), hat bereits Phase III der klinischen Entwicklung passiert und ist seit Sommer 2020 in den USA zugelassen. Ebenso der gegen Interleukin (IL)-6 gerichtete Antikörper Satralizumab, der die Aktivität der CD138-positiven Plasmazellen hemmt und somit auch die Produktion von AQP4-Antikörpern. „Die neuen, spezifisch am Pathomechanismus der NMOSD orientierten Therapien haben in randomisiert kontrollierten Studien (RCT) eine überzeugende Wirksamkeit bei AQP4-positiver NMO gezeigt,“ betont Kleiter. Zudem hätten sie ein gutes bis beherrschbares Sicherheitsprofil. Alle älteren Substanzen sind off label Ältere Substanzen wie RTX, AZA, MMF und der gegen IL-6 gerichtete Antikörper Tocilizumab haben sich Kleiter zufolge zwar bei NMOSD bewährt, allerdings befinde man sich mit diesen Substanzen ohne Ausnahme im Bereich des Off-label-Use, und auch das Stufenschema zur Immuntherapie der NMOSD, wie es in der aktuellen Ausgabe des vom Kompetenznetzwerk MS herausgegebenen Qualitätshandbuch MS / NMOSD [www.kompetenznetz-multiplesklerose.de] dargelegt ist, kann sich nicht auf Wirksamkeitsnachweise aus RCT stützen. Zudem sei bei der Langzeitanwendung älterer Substanzen wie AZA oder RTX mit potenziell gefährlichen Nebenwirkungen zu rechnen. Umstellung von alt auf neu ist nicht immer nötig Prof. Tania Kümpfel, Neuroimmunologie, Uni München, sieht für die älteren Substanzen nach wie vor einen Stellenwert in der NMOSD-Therapie. Bei stabil Eingestellten wäre beispielsweise eine Umstellung nicht immer sinnvoll. Ein unbestreitbarer Vorteil der älteren Substanzen sei deren über viele Jahre hinweg gut dokumentiertes Sicherheitsprofil. Eine Aufklärung der behandelten Person über den Off-label-Status sei aber immer obligat. AZA oder MMF, eventuell in Kombination mit Steroiden, könne man weiterhin bei negativem oder unklarem AQP4-IgG-Status in Erwägung ziehen und gegebenenfalls auch mit neuen Medikamenten kombinieren. Auch RTX habe sich unabhängig vom AQP4-IgG-Status bewährt und könne bei Bedarf mit klassischen Immunsuppressiva kombiniert werden. Kleine japanische Studie spricht für RTX Die Datenlage zu RTX habe sich, so Kümpfel, kürzlich durch die RIN-1-Studie etwas konsolidiert. An der japanischen multizentrischen Doppelblindstudie nahmen 38 von einer AQP4-positiven NMOSD Betroffene teil. Über den 72-wöchigen Beobachtungszeitraum trat in der Verumgruppe kein Schub auf, in der Plazebogruppe sieben Schübe. Die Schubdifferenz zwischen den beiden Gruppen betrug 36,8% (95% KI: 12,3-65,5; p = 0,0058) [1]. Letztlich könne man, so Kümpfel, die in den RCTs zu neuen Substanzen nachgewiesene Wirksamkeit auch als nachträgliche und indirekte Bestätigung des Therapieprinzips älterer Substanzen mit verwandtem Wirkmechanismus werten. Die Expertin plädiert dafür, alle Therapieoptionen, die alten und die neuen, zugunsten einer individuell angepassten und zeitlich abgestuften Behandlung vorzuhalten. Empfehlung der Redaktion DGN 2020 – das Kongressdossier Neue Ansätze in der Alzheimertherapie und prädiktive Marker, ein Ausblick auf die neue Klassifikation chronischer Schmerz im ICD-11 und was Neurologen zu neuen Krebstherapeutika wissen sollten – zu diesen und weiteren Themen lesen Sie in unseren Berichten vom virtuellen Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. basierend auf: Virtueller DGN-Kongress 2020 vom 4. bis 7. November 2020, Sitzung Neuroimmunologie: Altbewährt oder neu und hochspezifisch – Stellenwert und Zukunft der Immuntherapeutika zur Therapie der Neuromyelitis optica, www.dgnvirtualmeeting.org

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