Die Gefährlichkeit von ambulant erworbenen Pneumonien (CAP) wird vielfach unterschätzt. Das gilt für junge wie für alte Patienten.
„Ach, der hat ja nur ´ne Pneumonie!“ – diese Einstellung gibt es. Aber: „Man kann daran sterben, auch als junger Mensch“, warnte Prof. Dr. Tobias Welte aus Hannover beim Pneumologie-Kongress in München. Die ambulant erworbene Pneumonie (CAP – community-aquired pneumonia) ist die häufigste Infektionskrankheit weltweit. Knapp 70 Prozent der Patienten müssen stationär behandelt werden. Die Sterblichkeit bei Hospitalisierung liege bei 10-20% erklärte Welte, derzeitiger Präsident der European Respiratory Society (ERS). Zwar tritt die CAP überwiegend bei älteren Menschen auf, prinzipiell sei das aber in jedem Alter möglich. Die Therapie muss sich am zu erwartenden Erreger sowie am individuellen Risikoprofil orientieren. Der Pneumologe verdeutlichte diese Prinzipien sowie weitere Aspekte der Erkrankung anhand von drei Kasuistiken.
Mutter steckt sich bei der Tochter an
Er schilderte den Fall einer 38-jährigen Frau mit Asthma bronchiale, das mit einer Kombination aus inhalierbarem Steroid (ICS) und Betamimetikum gut kontrolliert war. Die sechsjährige Tochter hatte eine Woche vor Vorstellung der Frau in der Klinik-Ambulanz eine Otitis media. Zunächst ging die Frau, die sich erkältet fühlte, zum Hausarzt. Dieser diagnostizierte eine Pneumonie und behandelte mit Ciprofloxacin. „Es gibt bei Pneumokokken praktisch keine Antibiotika-Resistenzen“, so Welte. Ciprofloxacin wird bei CAP allerdings nicht empfohlen, weil etwa ein Drittel der Pneumokokken als wichtigste Pneumonie-Erreger dafür schlecht oder nicht sensibel sind. Empfohlen wird ein Penicillin-Derivat wie Amoxycillin, alternativ Doxycyclin. Bei richtig dosierter Antibiose bei Pneumokokken-Pneumonie kann innerhalb von 48 Stunden davon ausgegangen werden, dass alle Keime vernichtet sind.
Im geschilderten Fall verschlechterte sich der Allgemeinzustand der Patientin unter dem falschen, und zudem zu niedrig dosierten, Antibiotikum rasch. Mit Hypotension, erhöhten Nierenwerten, einem CRP-Wert von 320 mg/l, Hypoxie und Hypokapnie kam sie in die Notaufnahme der Klinik und schließlich auf die Intensivstation. Die Blutkultur bei linksseitiger Lobärpneumonie bestätigte den Verdacht auf eine Pneumokokkeninfektion. „Pneumokokken sind die wichtigsten Erreger der Otitis media“, erinnerte Welte. Die Erkrankung der Tochter leite damit schon zur Diagnose. Zudem seien ICS ein Risikofaktor für Pneumonien. Unter Betalaktamantibiotika-Therapie wurde die Patientin innerhalb weniger Tage gesund.
Multiresistenter Keim bei multiplen antibiotischen Vortherapien
Als weiteres Fallbeispiel schilderte Welte den Verlauf bei einem 82-jährigen multimorbiden Mann mit zunehmender Verwirrtheit und unproduktivem Husten. Er war wegen Harnwegsinfekten bereits mehrfach antibiotisch vorbehandelt. Fieber hatte er nicht. „Alte Patienten sind in 50% der Fälle nicht mehr in der Lage, Fieber zu entwickeln“, warnte Welte. Fieber sei daher bei alten Menschen kein guter Indikator für eine schwere Infektion. Der CRP-Wert und die Nierenwerte waren deutlich erhöht, die Glukosewerte bei bekanntem Diabetes mellitus entgleist. Bei Aufnahme in der Klinik war der Patient völlig desorientiert. Wolkige Infiltrate im Röntgenbild bestätigten die Diagnose einer schweren Pneumonie bei Hypoxämie und Hypokapnie.
Trotz intensivmedizinischer Behandlung verschlechterte sich der Allgemeinzustand drastisch. Am dritten Tag, der Allgemeinzustand war bereits kritisch, ergab die Blutkultur multiresistente Klebsiella pneumoniae in Blut und Atemwegen, eine ESBL (erweitertes Spektrum-Betalaktamase)-bildende Klebsielle als Ausdruck der Selektion durch die antibiotischen Vortherapien. „Gramnegative Infektionen nehmen zu“, so ein Hinweis des Hannoveraner Pneumologen. Die eingeleitete Primärtherapie war bei dem Mann daher wirkungslos, erst unter Behandlung mit einem Carbapenem erholte sich der Patient langsam.
Am Tag der Entlassung klagte er allerdings über Angina pectoris, es wurde ein Myokardinfarkt diagnostiziert, der interventionell behandelt werden musste. Auch dies müsse man im Hinterkopf behalten, betonte Welte: Bei 20% aller älteren Pneumonie-Patienten bestehen kardiovaskuläre Komorbiditäten wie Vorhofflimmern, Linksherzdekompensation oder kardiovaskuläre Probleme. Auf das Auftreten eines Herzinfarkts, Schlaganfalls oder einer anderen Komplikation muss man also gerade bei alten und geriatrischen Patienten im Zusammenhang einer Pneumonie gefasst sein.
Schwierige Differenzialdiagnose bei geflüchteter Frau
Die dritte Kasuistik Weltes behandelte eine aus Syrien nach Deutschland geflohene Patientin. Wegen eines Atemwegsinfekts wurde der Notarzt zum Flüchtlingsheim gerufen, eine Röntgenaufnahme erfolgte nicht. Sie erhielt Amoxycillin, ohne dass dies eine Wirkung zeigte. Zwei Tage später kam sie in desolatem Zustand in die Notaufnahme: niedriger Blutdruck, hohes Fieber mit Schüttelfrost, Hypoxämie, erhöhte Nierenwerte, abfallende Thrombozyten-Werte.
Bei Geflüchteten müsse immer an die Differenzialdiagnose einer Tuberkulose gedacht werden, so Welte. In asiatischen Hochprävalenzländern sind Ärzte selbstverständlich auf diese Differenzialdiagnose eingestellt. In Deutschland ist die Tuberkulose seit langem selten. Doch das ändert sich gerade: „Ich habe allein in diesem Jahr bereits drei ARDS-(Acute Respiratory Distress Syndrome)Patienten auf der Intensivstation gehabt, die alle verstorben sind.“
Welte: „Es gelten die alten ‚Zauberberg‘-Regeln: Bluthusten, Nachschweiß, Gewichtsverlust, nekrotisierendes Infiltrat im Lungenoberlappen und Kontakt mit einem Tuberkulose-Patienten – das ist Tuberkulose!“ Aber: Die syrische Patientin hatte keine Tuberkulose, zeigte aber doch ein klinisches Bild im Sinne eines ARDS und musste intubiert und beatmet werden. Schließlich benötigte sie sogar eine extrakorporale Membranoxygenierung (ECMO). Die mikrobiologischen Befunde ergaben – nichts. Alle Tests waren negativ. Influenza? „Es war Februar – das Influenza-Screening ist ein Muss!“ Dies sei der häufigste Grund für ein respiratorisches Versagen in der Influenza-Saison. In der CAP-Leitlinie gibt es eine Tabelle mit möglichen Differenzialdiagnosen, die ausgeschlossen werden sollten. „Da sind inzwischen auch viele tropische Erkrankungen dabei.“ So brächten zum Beispiel Thailand-Urlauber den „Lungen-Rotz“ mit, eine Infektion mit Burgholderia pseudomalii.
Bei der syrischen Patientin stellte sich schließlich eine Mykoplasmen-Pneumonie heraus. Diese kann mit Clarithromycin behandelt werden, Welte und seine Kollegen haben die Patientin auf das vergleichsweise stärker bakterizide Moxafloxacin umgesetzt. Die Frau erholte sich langsam, entwickelte auf der Intensivstation allerdings eine Neuromyopathie, die eine stationäre Rehabilitation erforderlich machte.