Sind Hormone beim Hodenhochstand obsolet?

Vor dem Hintergrund einer mangelhaften Kenntnis der Pathophysiologie des Maldeszensus sollten Ärzte den Einsatz von Hormonpräparaten kritisch hinterfragen. Der Regelmechanismus des pränatalen testikulären Deszensus ist bis heute keineswegs geklärt. Obwohl viele Risikofaktoren bekannt sind, bleibt deshalb auch die Ursache des kongenitalen Hodenhochstandes in den meisten Fällen ungeklärt. Wahrscheinlich ist die Kombination verschiedener Faktoren bei entsprechender genetischer Prädisposition notwendig, um einen Deszensus zu verhindern. Viele Fragen unbeantwortet Als Hauptursache wird nach dem heutigen Stand des Wissens weiterhin eine intrauterine Insuffizienz der Hypothalamus-Hypophysen-Gonaden-Achse angesehen. Zahlreiche Fragen in diesem Zusammenhang – wie die Bedeutung der postnatalen Minipubertät für die Umwandlung der unreifen Geschlechtszellen in die Ad-Spermatogonien oder die Ursache des sogenannten erworbenen Hodenhochstandes, der bei primär normotoper Lage, meist nach Vollendung des ersten Lebensjahres spontan auftreten kann – bleiben jedoch bislang unbeantwortet. Gerade vor dem Hintergrund einer eigentlich mangelhaften Kenntnis der Pathophysiologie des Maldeszensus gilt es, den in Deutschland weiterhin unkritischen Einsatz von Hormonpräparaten für diese Indikation kritisch zu hinterfragen. Die Hormontherapie soll zwei Ziele verfolgen: die Induktion des Deszensus des retinierten Hodens, die Stimulierung und Proliferation der Keimzellreifung, um so zur Verbesserung der Fertilität beizutragen. Randomisierte Studien der vergangenen Jahre belegen, dass die Hormontherapie zur Initiierung wenig effektiv ist. Dementsprechend wird in den meisten Leitlinien anderer europäischer Länder ebenso wie in der 2014 neu aufgelegten Leitlinie der amerikanischen Gesellschaft für Urologie (AUA) die Hormontherapie beim Hodenhochstand nicht mehr empfohlen. Normale Vaterschaftsraten Auch im Hinblick auf die Stimulierung der Keimzellreifung und damit auch die Verbesserung des Fertilitätspotenzials bleiben viele Fragen offen. Neuere Untersuchungen weisen darauf hin, dass die Androgene in diesem Zusammenhang möglicherweise eine eher untergeordnete Rolle spielen. Vor dem Hintergrund normaler Vaterschaftsraten bei Patienten nach einer zeitgerechten alleinigen operativen Behandlung eines unilateralen Hodenhochstands, der weiterhin völlig ungeklärten Rolle der Hormone für die Keimzellpathologie und nicht zuletzt der möglichen Nebenwirkungen einer Behandlung mit Hormonen sollte die neoadjuvante Hormontherapie bei allen Formen des unilateralen Hodenhochstands bis auf Weiteres nicht mehr eingesetzt werden. Aufklärung der Eltern! Auch aufgrund der nachgewiesenen Schädigung der Keimzellen bei Anwendung nach dem 12. Lebensmonat ist die Anwendung jenseits des Säuglingsalters kontraindiziert. Bei bilateralen Hodenhochstand ist die GnRH-Therapie bis auf Weiteres optional möglich, jedoch nur nach sorgfältiger Aufklärung der Eltern über mögliche Nebenwirkungen und Risiken. Übrigens: Die immer wieder auftauchende Behauptung, dass durch die Hormontherapie die operative Verlagerung durch Größenzunahme der Samenstrangstrukturen erleichtert wird, entbehrt jeglicher wissenschaftlicher Grundlage. In einem Review aus dem Jahre 2017 kommen die namhaften australischen und dänischen Autoren zu dem Schluss: „There is no current role for hormon treatment in UDT“. Umso erstaunlicher ist es daher, dass die Hormontherapie weiterhin in den deutschen Leitlinien aus dem Jahre 2016 als Behandlungsoption genannt wird. aus: Kongresszeitung zum 71. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Urologie (DGU), 18.–21.9.2019, Hamburg Empfehlung der Redaktion Der DGU-Kongress 2019 – alle Highlights Als Kongressmotto der 71. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Urologie standen die vier Worte „Mensch, Maschine, Medizin“ und „Wirtschaft“. Alle Highlights zum Kongress finden Sie hier im Dossier.

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