Komorbiditäten beim Typ-1-Diabetes (T1D) können physischer und psychischer Form sein. Psychische Komorbiditäten umfassen Essstörungen, Insulinmanipulation, Angststörungen und Depressionen. Der vorliegende Beitrag behandelt physische, organspezifische Komorbiditäten, die einerseits assoziierte Autoimmunerkrankungen umfassen und andererseits die Haut, das Gewicht und Längenwachstum sowie die Knochen und Gelenke betreffen können.
Autoimmunerkrankungen
Die Assoziation zwischen T1D und anderen Autoimmunerkrankungen ist gut bekannt [
1]. Ein gemeinsamer genetischer Hintergrund, wahrscheinlich kombiniert mit bestimmten Trigger-Faktoren, dürfte verantwortlich sein. Die beiden häufigsten assoziierten Autoimmunerkrankungen bei Kindern und Jugendlichen mit T1D sind die Autoimmunthyreoiditis und die Zöliakie [
2]. Selten können auch Antikörper gegen die Nebennieren oder Parietalzellen der Magenschleimhaut nachgewiesen werden [
2].
Autoimmunthyreoiditis
Eine unbehandelte Hypothyreose kann zur Verschlechterung des Lipidprofils führen
Da die Erkrankung meist asymptomatisch ist, empfehlen die ISPAD Consensus Guidelines 2018 ein Screening auf assoziierte Schilddrüsenerkrankung (Infobox
1; [
2]). Bei diagnostizierter Autoimmunthyreoiditis sollten eine Laborkontrolle alle (3 bis) 6 Monate und auch regelmäßige sonographische Kontrollen der Schilddrüse durchgeführt werden. Eine unbehandelte Hypothyreose kann zur Verschlechterung des Lipidprofils im Sinne einer Konzentrationserhöhung von Cholesterin, Low-Density Lipoproteins (LDL) und Triglyzeriden führen [
2].
Zöliakie
Das Risiko für eine Zöliakie ist invers mit dem Alter bei T1D-Manifestation assoziiert
Autoimmungastritis
Parietalzellantikörper (PCA) sind Marker einer Autoimmungastritis und gegen die H
+/K
+-ATPase der Magenbelegzellen gerichtet. Die chronische Zerstörung der Protonenpumpe führt durch verminderte Säureproduktion und verminderte Eisenresorption zur Eisenmangelanämie. Parietalzellantikörper inhibieren auch die Sekretion des „intrinsic factor“, was mit einem Vitamin‑B
12-Mangel und mit einer perniziösen Anämie einhergehen kann [
13].
Die Prävalenz der PCA bei Kindern und Jugendlichen mit T1D beträgt zwischen 5,3 und 7,5 % [
13,
14]. Ärzte/Ärztinnen sollen bei Vorliegen eines unklaren Eisenmangels, einer perniziösen Anämie und/oder von gastrointestinalen Symptomen an das mögliche Vorliegen einer Autoimmungastritis denken. Ein generelles Screening wird nicht empfohlen [
2].
Weitere assoziierte Autoimmunerkrankungen
Weitere assoziierte Autoimmunerkrankungen, die im Zusammenhang mit T1D beschrieben sind, sind die juvenile rheumatoide Arthritis, die Sarkoidose, das Sjögren-Syndrom und chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (CED; [
2,
15]).
Ärzte und Ärztinnen, die Kinder und Jugendliche mit T1D betreuen, sollen bei entsprechenden Symptomen auch an das Vorliegen dieser seltenen Autoimmunerkrankungen denken und entsprechende Abklärungen durchführen.
Wachstum und Entwicklung
Die Dokumentation von Gewicht und Länge mithilfe von Perzentilenkurven sowie der Pubertätsentwicklung anhand der Tanner-Stadien ist essenzieller Bestandteil in der Langzeitbetreuung von Kindern und Jugendlichen mit T1D.
Zum Zeitpunkt der Manifestation wurde ein beschleunigtes Längenwachstum beobachtet [
16,
17]. Die Ursache ist unklar. Bei Patienten mit schlechter metabolischer Einstellung wurde in einigen Studien ein Abfall des Längenwachstums beobachtet [
17], während Patienten mit einer besseren metabolischen Einstellung ein normales Wachstum aufwiesen. Kinder mit T1D haben erhöhte Spiegel des „human growth hormone“ (hGH) und erniedrigte Spiegel des „insulin-like growth factor 1“ (IGF-1). Der vermehrte Einsatz von physiologischeren Therapien, wie Insulinpumpen- und Basisbolustherapie, hat physiologischere Insulinspiegel zur Folge. Dies hat zu einer Verbesserung der hGH-IGF-1-Achse und zu besseren Endlängen, unabhängig von der glykämischen Kontrolle, geführt [
2].
Frühzeitiges Handeln bei übergewichtigen Kindern und Jugendlichen mit T1D ist essenziell
In der Pubertät – v. a. bei Mädchen, die in der Pubertät an T1D erkranken und mit intensivierten Therapien behandelt werden – wird häufig eine vermehrte Gewichtszunahme beobachtet [
2,
18]. Ursächlich könnte eine zu hohe Insulindosis sein, die in der Pubertät zwar meist notwendig ist, aber nach Beendigung der Pubertät wieder reduziert werden muss. Mädchen mit T1D weisen somit ein höheres Risiko für Übergewicht und für die Entwicklung von Essstörungen auf [
2].
Bei Kindern und Jugendlichen mit T1D und Übergewicht besteht eine erhöhte Prävalenz von kardiovaskulären Risikofaktoren (Hypertonie, Dyslipidämie). Eine Studie, die Daten aus vielen internationalen Diabetesregistern verglichen hat, konnte zeigen, dass bei Kindern und Jugendlichen mit T1D eine höhere Rate an Übergewicht und Adipositas, im Vergleich zum gesunden Vergleichskollektiv, vorliegt [
19]. Deshalb sind das Monitoring des Gewichts sowie frühzeitige therapeutische Maßnahmen bei Übergewicht und Adipositas essenzielle Bestandteile in der Betreuung von Kindern und Jugendlichen mit T1D.
Bei übergewichtigen Mädchen besteht außerdem ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung eines polyzystischen Ovarsyndroms (PCOS). Eine zusätzliche Therapie mit Metformin bei Mädchen mit T1D und PCOS konnte die Serumandrogenspiegel gegenüber einer Placebogruppe deutlich reduzieren [
2].
Hautveränderungen
Lipodystrophien
Regelmäßiges Überprüfen der Haut von Kindern und Jugendlichen mit T1D gehört zur Langzeitbetreuung
Hautirritationen infolge von „continuous glucose monitoring“ und Insulinpumpentherapie
Das „continuous glucose monitoring“ (CGM) und die Verwendung der Katheter bei Insulinpumpentherapie können zusätzliche Risiken für Hautirritationen darstellen. Dies hat besonders bei Kleinkindern eine große Bedeutung, da sie eine kleinere Hautfläche zur Verfügung haben. Eine mangelhafte Desinfektion beim Kathetersetzen und längere Liegedauer des Katheters bergen ein Risiko für Infektionen und Abszesse. Dem kann durch gründliches Desinfektion und regelmäßiges Wechseln des Katheters (mindestens alle 3 Tage) vorgebeugt werden.
Bei Verwendung von CGM kann es zu Hautirritationen (Ekzeme oder auch Kontaktallergien auf Sensor und/oder Pflaster und/oder Kleberstoffe) kommen. Patienten sollen deshalb instruiert werden, die Sensorstellen zu rotieren.
Bei allergischen Reaktionen können transparente Pflaster oder Hautschutzfilmsprays zum Einsatz kommen. Ekzeme können laut den Guidelines der ISPAD mit Hautpflegemitteln und topischen Steroiden therapiert werden [
2].
Vitiligo
Diese erworbene Pigmentierungsstörung ist durch den Verlust von Melanozyten charakterisiert. Das resultierende klinische Bild sind depigmentierte weiße Flecken oder die Leukodermie. Die Vitiligo tritt bei rund 1–7 % der Kinder und Jugendlichen mit T1D auf, im Vergleich von 0,2–1 % in der Normalbevölkerung. Bis dato gibt es keine effektive Therapie. Patienten sollen darauf hingewiesen werden, dass sie die Sonne meiden und Sonnencremes verwenden sollen. Da Patienten mit Vitiligo häufig einen Vitamin-D-Mangel aufweisen, soll der Spiegel gemessen werden und, falls notwendig, eine Supplementation erfolgen [
2].
Necrobiosis lipoidica diabeticorum
Unabhängig von der Qualität der Stoffwechseleinstellung treten diese Hautveränderungen bei Jugendlichen mit einer Prävalenz von 0,06–1,6 %, auf. Es handelt sich um eine atrophische Dermatitis, meist im Bereich der beidseitigen Schienbeine. Sie ist charakterisiert durch kleine rundliche, rötliche Papeln, die sich zu größeren scharf begrenzten Plaques entwickeln; zentral erscheinen sie gelblich; teilweise kommt es zu Ulzerationen. Die Ätiologie ist unklar, eine Mikroangiopathie könnte eine ursächliche Rolle spielen. Die Therapie ist herausfordernd und inkludiert initial topische Steroide, bei Nichtansprechen evtl. intraläsionale oder systemische Steroide, jedoch mit variablen Erfolgen. Manche Autoren berichten über positive Effekte bei einer Verbesserung der Stoffwechselkontrolle [
2].
Eingeschränkte Beweglichkeit der Gelenke („limited joint mobility“)
Für diese nichtschmerzhafte Bewegungseinschränkung der Gelenke („limited joint mobility“, LJM) wurde früher der Begriff Cheiroarthropathie verwendet. Sie ist mit der Diabetesdauer und der Stoffwechselkontrolle assoziiert. Es handelt sich um eine Veränderung des Weichteilmantels der Gelenke, die mit den Metakarpophalangeal- und proximalen Interphalangealgelenken des kleinen Fingers beginnt und sich auch auf die anderen Fingergelenke ausbreitet. Die Patienten können die Hände in den Fingergelenken nicht strecken („prayer sign“). Die LJM wird nur mehr bei 4 % der Jugendlichen mit T1D beobachtet. Der 4‑fache Rückgang der Prävalenz zwischen den 1970er- und 1990er-Jahren ist wahrscheinlich auf die Verbesserung der metabolischen Einstellung zurückzuführen [
2].
Knochen
Der T1D ist mit einer Osteoporose und einem erhöhten Frakturrisiko assoziiert, obwohl es nur wenige Daten für junge Patienten mit T1D gibt. Ein abnormes Knochenwachstum (Knochendichte und -qualität) bei Patienten mit T1D dürfte multifaktoriell sein. Komorbiditäten, wie Zöliakie oder Hypothyreose, können die Knochengesundheit zusätzlich negativ beeinflussen, wobei das Ausmaß im Kindes- und Jugendalter noch unklar ist.
Komorbiditäten bei T1D können die Knochengesundheit zusätzlich beeinträchtigen
Deshalb sollten Osteodensitometrien bei Risikopatienten (zusätzliche Zöliakie, Hypothyreose, dunkle Haut) mit langer Diabetesdauer im späten Jugendalter in Betracht gezogen werden. Ein Screening auf Vitamin D‑Insuffizienz sollte speziell in Risikogruppen durchgeführt werden und bei Bestätigung eines Vitamin D-Mangels sollte laut Guidelines substituiert werden [
2].
Zahngesundheit
Kinder und Jugendliche mit T1D haben, v. a. bei schlechter Stoffwechseleinstellung, ein erhöhtes Risiko für Zahnprobleme wie Gingivitis, Karies und orale Infektionen. Ursachen sind ein reduzierter Speichelfluss durch hohe Blutzuckerwerte und der vermehrte Bedarf an Süßigkeiten zur Therapie der Hypoglykämie. Deshalb sollte der regelmäßige Zahnarztbesuch Teil der Präventionsmaßnahmen sein, und Kinder, Jugendliche und deren Eltern sind diesbezüglich aufzuklären [
2].
Fazit für die Praxis
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Beim Typ-1-Diabetes (T1D) treten sowohl physische als auch psychische Komorbiditäten auf.
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Die beiden häufigsten assoziierten Autoimmunerkrankungen bei Kindern und Jugendlichen mit T1D sind die Autoimmunthyreoiditis und die Zöliakie, die oft asymptomatisch sind. Daher sollten regelmäßige Screeninguntersuchungen durchgeführt werden.
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Regelmäßige Messungen von Körperlänge und -gewicht und die Beurteilung der Pubertätsentwicklung sind empfohlen. Einerseits können schlechtes Wachstum und eine verzögerte Pubertätsentwicklung bei schlechter Stoffwechselkontrolle auftreten oder auch ein Hinweis auf eine begleitende Hypothyreose oder Zöliakie sein. Andererseits kann es unter der Insulintherapie zu einer vermehrten Gewichtszunahme kommen.
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Der Blutdruck soll regelmäßig kontrolliert werden, um kardiovaskuläre Komplikationen frühzeitig zu detektieren und zu therapieren.
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Die Haut sollte regelmäßige v. a. im Bereich der Injektions- bzw. Katheter- und Sensorstellen untersucht werden.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Für diesen Beitrag wurden von der Autorin keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
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