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Erschienen in: Die Diabetologie 8/2022

Open Access 23.09.2022 | Insuline | Leitthema

Diabetestechnologie abseits von Insulinpumpen und Sensoren

verfasst von: Prof. Dr. med. Markus Laimer

Erschienen in: Die Diabetologie | Ausgabe 8/2022

Zusammenfassung

Zu Diabetestechnologien abseits von Insulinpumpen und Glukosesensoren zählen Verfahren, welche einerseits das Diabetesselbstmanagement und andererseits die medizinische Betreuung, therapeutische Anpassungen und Schulungen durch Diabetesfachpersonen unterstützen. Diabetes-Apps sind in einer großen Anzahl und Vielfalt in den App-Stores für unterschiedliche Systeme verfügbar. Die Funktionalitäten variieren, und nur einige Apps bringen im klinischen Alltag einen Mehrwert im Sinne einer automatisierten Insulindokumentation (in Verbindung mit Smartpens), Insulindosiskalkulation oder Bereitstellung therapierelevanter Informationen bezüglich der Mahlzeitenzusammensetzung. Die seit kurzem am Markt verfügbaren Smartpens entsprechen grundsätzlich konventionellen, wiederbefüllbaren Insulinpens, sind jedoch um die Möglichkeit, die Dosis und den Zeitpunkt einer Insulingabe zu speichern, erweitert. Die dokumentierten Insulinabgaben ermöglichen in Zusammenschau mit den Glukosewerten eine detailliertere Analyse mit Darstellung und Objektivierung von Optimierungspotenzialen. Eine weitere Unterstützung für Menschen mit Diabetes stellen Apps mit hinterlegten Mahlzeitendatenbanken und der Möglichkeit der Mahlzeitendokumentation dar, die auch in der Adipositastherapie verwendet werden. Die technologische Weiterentwicklung der Kamerasysteme und Sensoren von Smartphones führen zudem zu immer genaueren Möglichkeiten einer automatisierten Erkennung der Mahlzeitenzusammensetzung. Bei all der Euphorie über die zunehmenden und mannigfaltigen Möglichkeiten neuer Diabetestechnologien muss der Fokus weiterhin auf deren Bedienungsfreundlichkeit und Anwendbarkeit durch eine möglichst große Anzahl von Personen mit Diabetes gerichtet bleiben. Ebenso muss der Umgang mit durch Apps erhobenen Gesundheitsdaten und cloudbasierten Anwendungen die regulatorischen Standards und damit den Schutz des Individuums erfüllen und v. a. akzeptieren.
Hinweise
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Einleitung

Diabetestechnologie wird allgemein mit Glukosesensoren und Insulinpumpen assoziiert. Mittlerweile haben sich aber rund um die Therapieunterstützung sowohl des Typ-1-Diabetes als auch anderer Formen dieser Stoffwechselerkrankung mehrere Technologien entwickelt und werden auch in der täglichen Praxis der Diabetestherapie eingesetzt.
Technologische Ansätze der Diabetestherapie können einerseits Anwendungen zur Unterstützung des Diabetesselbstmanagements sein (z. B. Insulindosiskalkulatoren, körperliche Aktivität, Ernährung), andererseits Technologie, welche die therapeutische Begleitung und Behandlung von Patient:innen mit Diabetes mellitus durch Fachpersonal unterstützen (telemedizinische Nutzung meist cloudbasierter Softwarelösungen zur Therapieevaluation und -anpassung).
In jüngster Vergangenheit kamen Smartpens mit der Möglichkeit, die Insulindosis und deren Abgabezeitpunkt zu speichern, hinzu. Diese Daten werden an entsprechende Anwendungen gesendet oder übertragen. Wearables wie Fitnesstracker und Smartwatches bieten zusätzlich Möglichkeiten, Aktivitäten und Sport zu dokumentieren, und bieten sich an, in Zukunft noch mehr in das direkte Therapiemanagement von Menschen mit Diabetes mellitus einbezogen zu werden.

Mobile Apps und Anwendungen (Unterstützung des Selbstmanagements und Therapieunterstützung durch Fachpersonal)

Mobile Diabetes-Apps sind in einer großen Anzahl und Vielfalt in den App-Stores für unterschiedliche Systeme verfügbar. Ihre Funktionalitäten variieren, und nur einige wenige bringen im klinischen Alltag einen Mehrwert. Bei den meisten dieser Anwendungen handelt es sich um eine digitale Version des früher schriftlich geführten Diabetestagebuchs. Für eine Erleichterung der Betroffenen sorgen jedoch v. a. Apps mit einem gewissen Grad der Automatisierung in der Protokollierung (s. auch unten, Absätze Datenschutz und Regulatorische Aspekte).
Diabetes-Apps in Verbindung mit Smartpens bieten bereits die zuvor erwähnte Automatisierung in der Dokumentation an. mySugr (kompatibel mit dem NovoPen® 6 und dem NovoPen Echo® Plus) beinhaltet neben einem Dosiskalkulator auch verschiedenen Optionen der Reporterstellung. Für die Smartpens und den Glukosesensor von Medtronic steht die InPen™-App zur lückenlosen Dokumentation und Therapieunterstützung zur Verfügung (s. hierzu unten, Absatz Smartpens).
Sehr hilfreich sind Datenbanken mit Mahlzeitenzusammensetzungen inklusive Kohlenhydratgehalt
Als eine zusätzliche Unterstützung im täglichen Leben mit Diabetes kann die wachsende Anzahl an Datenbanken mit Dokumentation der Mahlzeitenzusammensetzung inklusive Kohlenhydratgehalt angesehen werden. Es bestehen auch anhaltend und zunehmend erfolgreiche Versuche, Smartphones und deren Kameras/Sensoren zur Abschätzung des Kohlenhydratgehalts von Mahlzeiten einzusetzen. Die technologische Weiterentwicklung der Smartphonetechnologie lässt hier auch Fortschritte in der Genauigkeit und praktischen Anwendung von Apps im Bereich Mahlzeitenzusammensetzung erwarten.
Apps zur Unterstützung des Gewichtsmanagements kommt auch im Bereich der Diabetestechnologie ein zunehmender Stellenwert zu. Vor allem seit Kosten für bestimmte Apps als DiGA (digitale Gesundheitsanwendungen) erstattet werden, nimmt deren Relevanz in der Versorgung auch von Menschen mit Diabetes zu. Als erstattete Anwendungen in diesem Bereich seien exemplarisch Oviva und Zanadio erwähnt.

Smartpens

Abseits von Sensoren und Insulinpumpen stellen Smartpens eine technologische Innovation mit großem Potenzial für die Diabetestherapie dar. Sie ermöglichen die automatische Dokumentation der Insulindosis und deren Abgabezeit, aufwendige Eigendokumentationen entfallen somit. Dies gestattet in Zusammenschau mit Daten eines Glukosesensors eine dynamische Analyse der glykämischen Einstellung und Objektivierung von Optimierungspotenzialen (Kohlenhydratschätzung, Insulinabgabezeitpunkt, Dosisanpassung bei bestimmten Aktivitäten, …).
Des Weiteren ergibt sich durch den Einsatz von Smartpens auch die Möglichkeit der Anwendung automatischer Insulindosisberechnungen. Dabei werden durch Algorithmen, unter Berücksichtigung von Glukoseverläufen, vergangenen Insulinabgaben sowie individuellen Einstellungen, personalisierte Dosisvorschläge generiert. Komplexere Systeme können zusätzliche Daten (z. B. mittels Smartwatch gemessene körperliche Aktivität oder fotografierte Mahlzeiten) in die Dosisberechnungen einbeziehen.
Derzeit sind, abhängig vom eingesetzten Smartpen, 2 Arten der Datenübertragung verfügbar
Technologisch sind in Abhängigkeit des eingesetzten Smartpens (Novo Nordisk oder Medtronic) aktuell 2 Arten der Datenübertragung verfügbar. Bei den Smartpens von Novo Nordisk wird die NFC-Technologie (NFC: „near field communication“) angewendet. Diese ist auch vom FreeStyle Libre 1 von Abbott bekannt. Das System hat einen chronologischen Speicher für 800 durchgeführte Injektionen, d. h. das Auslesen muss nicht zwingend durch den Betroffenen selbst erfolgen. Mit dem Smartpen von Novo Nordisk kompatible Apps sind mySugr (Roche), Glooko und die FreeStyle-Libre-App von Abbott.
Beim Smartpen von Medtronic erfolgt die Datenübertragung über Bluetooth. Hier ist die Konnektivität mit der Medtronic-eigenen InPen-App gegeben, die auch zusammen mit dem Medtronic-Glukosesensor (Guardian 4) genutzt werden kann. Ebenso bieten die erwähnten Apps entsprechende Boluskalkulatoren an. Voraussetzung für deren Anwendung sind die Eingabe der entsprechenden Kohlenhydrat- und Korrekturfaktoren sowie die Insulinwirkdauer.
Unabhängig des angewendeten Systems können auch mehrere Pens mit der jeweiligen App bzw. mit einem Patient:in verknüpft werden, was die Flexibilität für Anwendende zusätzlich erhöht.

Datenschutz

Diabetestechnologien, egal ob Insulinpumpen, Sensoren, Smartpens usw., speichern für Patient:innen und betreuende Fachpersonen wertvolle Informationen. Diese gilt es, sicher zu verwahren, aber auch möglichst barrierefrei zur Optimierung der Therapie den unmittelbar involvierten Fachpersonen zur Verfügung zu stellen.
Technologisch gesehen bietet sich der Vergleich zur digitalen Fotografie und der sicheren Verwahrung von Fotos in diversen Cloudsystemen an (adäquate Passwords, entsprechende Verschlüsselung und 2‑Faktor-Authentifizierung vorausgesetzt). Dabei spielt es keine Rolle, welche Kamera (ob Smartphone oder hochwertige Digitalkamera) verwendet wird. Das Einlesen der Fotografien erfolgt unkompliziert, und die gespeicherten Informationen (sei es prozessiert durch die Kamera oder lediglich die rohen Informationen des Kamerasensors) stehen interoperabel unterschiedlichsten Softwarelösungen zur Verfügung. Es besteht die Möglichkeit, auf Cloudsysteme zurückzugreifen, es kann aber auch eine rein lokale Speicherung auf Festplatten oder privaten Servern erfolgen.
Gesundheitsdaten sind mit allen verfügbaren Mitteln zu schützen. Das Teilen von Daten diverser Diabetestechnologien über proprietäre Lösungen von Diabetestechnologieanbietenden zwischen Erkrankten und Diabetesfachpersonen ist mittlerweile im klinischen Alltag Routine, erfolgt aber immer erst nach entsprechender Zustimmung und auf Wunsch der Patient:innen. Unterschiedliche Systeme machen es im klinischen Alltag aufwendig, da sie und auch ihre Anwendung nicht einheitlich sind und eine Interoperabilität aller Diabetestechnologien mit einer Plattform nicht zur Verfügung steht.

Regulatorische Aspekte

Die Anwendung von „medical devices“ (auch Apps und Software) wird durch die Medical Device Regulation (MDR) der EU (Europäische Union) geregelt. Bereits Anwendungen zur Visualisierung von Gesundheitsdaten wie Glukosewerten sind als „medical devices“ zu werten (Kategorie I oder IIa). Lediglich selbst geführte (digitale) Diabetestagebücher und Nachschlagewerke sind von der MDR ausgenommen. Um aus erhobenen Glukosedaten und vorherigen Insulingaben im Rahmen einer intensivierten Insulintherapie adäquate, algorithmusgestützte Entscheidungshilfen für die Insulindosierung zu entwickeln und verfügbar zu machen, sind diese regulatorischen Vorgaben einzuhalten. Demzufolge sind entsprechende Studien für die Anwendung derartiger Devices erforderlich. Entsprechend aufwendig und sorgfältig gilt es, vor einer Einführung neuer technologischer Möglichkeiten (auch bei mobilen Apps) die Erfüllung dieser regulatorischen Voraussetzungen zu prüfen und entsprechend vorzugehen.

Anwendung neuer Technologien (Anwendungsfreundlichkeit)

Um die Option der Anwendung von Diabetestechnologien möglichst vielen Menschen mit Diabetes anzubieten und v. a. die Ausschöpfung deren Nutzen im individuellen Einsatz zu gewährleisten, ist es erforderlich, in Zukunft vermehrt Augenmerk auf die Anwendungsprozesse und den berichteten Nutzen für Anwender:innen zu legen. Benutzungsfreundlichkeit und auch Fokus auf die direkte Bedienung, v. a. bei komplexen Diabetestechnologien, sind für die Anwendungszufriedenheit wesentliche Faktoren.

Fazit für die Praxis

  • Die Implementierung neuer Diabetestechnologien in der klinischen Praxis benötigt immer auch entsprechende Prozesse für die Ausschöpfung des höchstmöglichen Nutzens.
  • Die technologischen Eckpunkte und Alleinstellungsmerkmale der einzelnen Produkte sind nahezu immer gut und grafisch ansprechend dargestellt. Die Abläufe und Prozesse für die tägliche Anwendung durch Fachpersonen müssen aber meist in Eigenregie im klinischen Alltag etabliert und Hürden mit IT-Systemen (IT: Informationstechnologie) überwunden werden.
  • Die Anwendung von Diabetestechnologien benötigt neben entsprechend geschultem Personal, Implementationskonzepten, prozessualen und akademischen Leitlinien auch eine Strategie, deren Potenzial und Nutzen möglichst vielen Menschen mit Diabetes mellitus und Fachpersonen weltweit zur Verfügung zu stellen.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

M. Laimer gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden vom Autor keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
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Metadaten
Titel
Diabetestechnologie abseits von Insulinpumpen und Sensoren
verfasst von
Prof. Dr. med. Markus Laimer
Publikationsdatum
23.09.2022
Verlag
Springer Medizin
Schlagwörter
Insuline
Insuline
Erschienen in
Die Diabetologie / Ausgabe 8/2022
Print ISSN: 2731-7447
Elektronische ISSN: 2731-7455
DOI
https://doi.org/10.1007/s11428-022-00959-5

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