Skip to main content
Erschienen in: Die Innere Medizin 7/2022

Open Access 17.02.2022 | Aneurysmen | Kasuistiken

Tiefe Venenthrombose als Primärsymptom eines abdominellen Aortenaneurysmas

Beidseitige 4-Etagen-TVT durch infrarenales Bauchaortenaneurysma (15 cm Durchmesser) mit vollständiger Kompression der V. cava inferior

verfasst von: Dr. med. D. Körfer, C. Uhl, K. Meisenbacher, M. Dufner, N. Frey, D. Böckler, M. S. Bischoff

Erschienen in: Die Innere Medizin | Ausgabe 7/2022

Zusammenfassung

Ein 70-jähriger adipöser Patient (Body-Mass-Index [BMI] 46,7 kg/m2) stellte sich mit ausgeprägter Schmerzsymptomatik beider Beine bei klinischem Vollbild einer tiefen Venenthrombose vor. Duplexsonographisch bestätigte sich eine 4‑Etagen-Thrombose. Nach frustranem venösem Rekanalisationsversuch erfolgte CT-angiographisch der Nachweis eines abdominellen Aortenaneurysmas von 15 cm maximalem Querdurchmesser mit vollständiger Kompression der V. cava inferior. Zur venösen Dekompression sowie der Rupturprophylaxe wurde eine offen-chirurgische Aneurysmaausschaltung durchgeführt.
Hinweise

Redaktion

H. Haller, Hannover (Schriftleitung)
B. Salzberger, Regensburg
C.C. Sieber, Nürnberg
QR-Code scannen & Beitrag online lesen
Ein abdominelles Aortenaneurysma (AAA) wächst meist über Jahre unentdeckt. Als Notfall wird es oftmals erst im Rahmen von Ruptur oder Embolisation klinisch relevant. Wie im Folgenden berichtet, kann sich ein AAA jedoch auch mit eher ungewöhnlicher Symptomatik präsentieren.

Falldarstellung

Anamnese

Ein 70-jähriger Patient stellte sich mit einer progredienten beidseitigen Beinschwellung seit drei Monaten in der interdisziplinären Notaufnahme vor. Als Vorerkrankungen bestanden eine Adipositas Grad III (BMI 46,7 kg/m2), ein Asthma bronchiale, eine arterielle Hypertonie sowie eine linksseitige Gonarthrose. Ein aktuell sistierter Nikotinabusus wurde mit kumulativ 30 „pack years“ angegeben. Die Dauermedikation bestand aus Furosemid, Spironolacton, Tiotropiumbromid und Beclometason/Formoterol und wurde um Novaminsulfon ergänzt. Erkrankungen des oberflächlichen oder tiefen Venensystems waren bisher nicht diagnostiziert worden.

Klinischer Befund

Klinisch zeigte sich eine ausgeprägte ödematöse Schwellung beider Beine mit livider Verfärbung, begleitet von starkem Druckschmerz und Überwärmung. Der Wells-Score lag bei 3. Zudem waren bereits trophische Veränderungen an den Unterschenkeln im Sinne einer Dermatosklerose sowie Atrophie blanche vorhanden (Abb. 1). Bezüglich des peripheren Pulsstatus waren Leistenpulse tastbar und die Fußpulse beidseits dopplerbar. Der Knöchel-Arm-Index war schmerzbedingt nicht zu erheben. Abdominelle Schmerzen bestanden nicht, ebenso kein Fieber. Im Rahmen der differenzialdiagnostischen Überlegungen bestand keine respiratorische Insuffizienz, Einflussstauung oder akute Verschlechterung der körperlichen Belastbarkeit. Ferner fanden sich keine Leberhautzeichen und keine Proteinurie oder sonstige Urinauffälligkeiten.

Diagnose

  • In der farbcodierten Duplexsonographie (FKDS) ergab sich der Nachweis einer tiefen Beinvenenthrombose (TVT) mit Beteiligung der distalen Beckenetagen beidseits. Weiter proximal gelegene Abschnitte waren aufgrund der Adipositas nicht einsehbar. Die klinischen Zeichen der chronisch venösen Insuffizienz (CVI) wurden als postthrombotisches Syndrom (PTS) gewertet. Es erfolgte die stationäre angiologische Aufnahme mit gewichtsadaptierter Vollantikoagulation und Kompressionstherapie zur Phlebographie in Rekanalisationsbereitschaft. Im Rahmen der durchgeführten Intervention ließ sich die V. cava inferior (VCI) bei Verlegung des Lumens weder phlebographisch darstellen noch endovenös passieren. Nach Abbruch der Intervention erfolgte zur weiteren Diagnostik eine computertomographische Angiographie (CTA) des Abdomens. Hierbei zeigte sich der überraschende Zufallsbefund eines sehr großen infrarenalen AAA mit einem Maximaldurchmesser von 15 cm, welches die VCI vollständig komprimierte (Abb. 2). Zudem bestätigte sich die Thrombose der distal gelegenen Venen mit ausgeprägter variköser Kollateralisierung betont pelvin und im Unterbauch.

Therapie und Verlauf

Im Rahmen einer konsiliarischen gefäßchirurgischen Vorstellung wurde die Indikation zur dringlichen offen-operativen Aneurysmaausschaltung gestellt. Das AAA wurde aufgrund der VCI-Kompression mit resultierender TVT als symptomatisch gewertet. Die Indikationsstellung erfolgte somit sowohl leitliniengerecht zur Rupturprophylaxe als auch zur venösen Dekompression. Die operative Versorgung (Abb. 3) erfolgte mittels aortoaortaler Rohrprotheseninterposition.
Nach dreitätiger intensivmedizinischer Überwachung wurde der Patient auf die Normalstation rückverlegt. Hier konnte eine frühe Mobilisation erreicht werden. Leitliniengerecht wurde die Therapie der CVI (CEAP-Klassifikation: C4b) um intermittierende pneumatische Kompression (IPK) ergänzt. Der Patient konnte am elften postoperativen Tag mit oraler Vollantikoagulation (Apixaban 5 mg 1‑0-1) entlassen werden. An diesem Tag zeigten sich in der FKDS teilrekanalisierte Beckenvenen (Vv. iliacae communes et externae). Von einem weiteren interventionellen Rekanalisationsversuch des tiefen Venensystems wurde abgesehen.

Diskussion

Die vorliegende Kasuistik beschreibt eine ausgeprägte beidseitige Mehr-Etagen-Thrombose als Primärsymptom eines großen abdominellen Aortenaneurysmas.
Die AAA-Prävalenz beträgt bei 70-jährigen Männern 2,4 % [9]. Hierbei sind betroffene Patienten meist asymptomatisch. Als Symptomatik werden klassischerweise persistierende abdominelle Schmerzen oder Flanken- bzw. Rückenschmerzen (im Sinne eines drohenden Rupturzeichens) sowie eine arterielle Embolisation mit konsekutiver peripherer Minderperfusion definiert. Im Falle einer Symptomatik ist eine dringliche, ggf. notfallmäßige Aneurysmaausschaltung indiziert.
Im vorliegenden Fall ergab sich der akute Handlungsbedarf aus zwei Aspekten. Vordergründig bestand bei dem Patienten eine ausgeprägte TVT mit Schmerzen und trophischen Störungen beider Beine, bedingt durch das große AAA. Im Sinne einer adäquaten Schmerzreduktion wurde eine kausale Therapie – die Dekompression der VCI – indiziert. Zum anderen lag der AAA-Durchmesser bei 15 cm. Leitliniengerecht ist die Indikation zur operativen Ausschaltung im Sinne der Rupturprophylaxe bei männlichen Patienten ab 5,5 cm Durchmesser gegeben. Das erwartete Rupturrisiko bei 15 cm Durchmesser kann aus der aktuellen Studienlage nicht ermittelt werden. Ab 7 cm liegt dieses jedoch bei 32,5 % pro Jahr [3].
Das Phänomen einer vollständigen Kompression der VCI durch ein AAA mit resultierender TVT ist sehr selten und nur in Einzelfällen beschrieben [1, 2, 6, 8]. Die angewandten Therapieverfahren umfassen neben offenen auch endovaskuläre Aneurysmaausschaltungen (EVAR), wobei Letzteres aufgrund der verzögerten Aneurysmasackregredienz zur Dekompression ungeeignet ist. Die Diagnose erfolgt mittels CTA oder Magnetresonanzangiographie (MRA). Begleitaneurysmen der Iliakalarterien können ein zusätzliches venöses Abflusshindernis darstellen [8]. Ebenfalls ist ein Fall von einseitiger Beinschwellung durch ein AAA mit aortokavaler Fistel beschrieben [10]. Im Vergleich zur gesunden Allgemeinbevölkerung haben Patienten mit Aortenaneurysmen ein 1,88-fach erhöhtes Risiko für eine TVT, wobei eine abdominelle Aneurysmamanifestation im Gegensatz zur thorakalen das Risiko noch weiter erhöht [4].
Der diagnostische Goldstandard zur Erkennung eines AAA ist die Abdomensonographie. Die Genauigkeit dieser Untersuchung kann bei adipösen Patienten allerdings eingeschränkt sein [5]. Demzufolge sollte eine frühzeitige Eskalation der diagnostischen Maßnahmen im Sinne einer Schnittbildgebung bei entsprechenden Patienten evaluiert werden. Wenngleich selten ursächlich für eine TVT, sollten abdominelle Raumforderungen differenzialdiagnostisch miterfasst werden. Die Lagebeziehung zur VCI lässt aortale Pathologien hierbei in den Fokus rücken.
Neben der seltenen Ursache des venösen Kompressionssyndroms sollten Differenzialdiagnosen der beidseitigen Beinschwellung berücksichtigt werden. Im Sinne einer akuten Erkrankung stehen hierbei die TVT und die kardiale Dekompensation im Vordergrund. Zu chronischen Ursachen gehören u. a. die CVI, das Lymphödem, eine Hepato- oder Nephropathie und die Rechtsherzinsuffizienz. Im vorliegenden Fall ergab sich aus dem klinischen Befund der Verdacht auf eine TVT. Zur genaueren Eingrenzung sollte eine gezielte laborchemische und apparative Diagnostik ergänzt werden. Hierzu zählen zum Ausschluss einer kardialen Genese ein Elektrokardiogramm und eine Echokardiographie. Bei potenziell medikamentös bedingten Ödemen sollte eine kritische Analyse der Dauermedikation erfolgen.
Die konservativen Maßnahmen des PTS umfassen Kompressionstherapie, IPK, Gehtraining und Krankengymnastik mit begleitender Antikoagulation. Nach Ausschöpfen dieser Behandlungsmethoden sollte zunächst endovaskulär (z. B. Stentangioplastie) therapiert werden. Bei ausbleibendem Erfolg sind offen-chirurgische Therapien wie venöse Bypassanlagen angezeigt [7]. Im vorliegenden Fall kann bei deutlicher Abnahme der Beschwerden vorerst auf eskalierende Maßnahmen verzichtet werden. Genannte konservative Maßnahmen sind obligat in der weiteren ambulanten Behandlung.

Fazit für die Praxis

  • Ein AAA kann in seltenen Fällen eine tiefe Becken‑/Beinvenenthrombose verursachen.
  • Intraabdominelle Raumforderungen sollten insbesondere bei beidseitiger 4‑Etagen-TVT differenzialdiagnostisch in Betracht gezogen werden.
  • Die Indikation zur Schnittbildgebung sollte großzügig und frühzeitig gestellt werden.
  • Ein AAA (>5,5 cm) ist bei Cava-Kompression mit TVT als symptomatisch einzustufen und bedarf dringlicher Therapie, wobei die offen-chirurgische Ausschaltung zur Dekompression endovaskulären Verfahren (EVAR) prinzipiell vorzuziehen ist.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

D. Körfer, C. Uhl, K. Meisenbacher, M. Dufner, N. Frey, D. Böckler und M.S. Bischoff geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien. Für Bildmaterial oder anderweitige Angaben innerhalb des Manuskripts, über die Patienten zu identifizieren sind, liegt von ihnen und/oder ihren gesetzlichen Vertretern eine schriftliche Einwilligung vor.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
Die in diesem Artikel enthaltenen Bilder und sonstiges Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der Abbildungslegende nichts anderes ergibt. Sofern das betreffende Material nicht unter der genannten Creative Commons Lizenz steht und die betreffende Handlung nicht nach gesetzlichen Vorschriften erlaubt ist, ist für die oben aufgeführten Weiterverwendungen des Materials die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers einzuholen.
Weitere Details zur Lizenz entnehmen Sie bitte der Lizenzinformation auf http://​creativecommons.​org/​licenses/​by/​4.​0/​deed.​de.

Unsere Produktempfehlungen

Die Innere Medizin

Print-Titel

  • Die wichtigsten diagnostischen und therapeutischen Entwicklungen
  • Das fortgeschriebene Handbuch der Inneren Medizin
  • Aktuelle klinische Studien kritisch kommentiert
  • Ausführliche Übersichten mit klaren Handlungsempfehlungen 

e.Med Interdisziplinär

Kombi-Abonnement

Für Ihren Erfolg in Klinik und Praxis - Die beste Hilfe in Ihrem Arbeitsalltag

Mit e.Med Interdisziplinär erhalten Sie Zugang zu allen CME-Fortbildungen und Fachzeitschriften auf SpringerMedizin.de.

e.Dent – Das Online-Abo der Zahnmedizin

Online-Abonnement

Mit e.Dent erhalten Sie Zugang zu allen zahnmedizinischen Fortbildungen und unseren zahnmedizinischen und ausgesuchten medizinischen Zeitschriften.

Weitere Produktempfehlungen anzeigen
Literatur
8.
Zurück zum Zitat Schmitz PH, Van Beek AJ, Risseeuw GA (1997) Deep venous thrombosis of the right leg caused by compression by an abdominal aortic aneurysm. Ned Tijdschr Geneeskd 141:1060–1064PubMed Schmitz PH, Van Beek AJ, Risseeuw GA (1997) Deep venous thrombosis of the right leg caused by compression by an abdominal aortic aneurysm. Ned Tijdschr Geneeskd 141:1060–1064PubMed
Metadaten
Titel
Tiefe Venenthrombose als Primärsymptom eines abdominellen Aortenaneurysmas
Beidseitige 4-Etagen-TVT durch infrarenales Bauchaortenaneurysma (15 cm Durchmesser) mit vollständiger Kompression der V. cava inferior
verfasst von
Dr. med. D. Körfer
C. Uhl
K. Meisenbacher
M. Dufner
N. Frey
D. Böckler
M. S. Bischoff
Publikationsdatum
17.02.2022

Weitere Artikel der Ausgabe 7/2022

Die Innere Medizin 7/2022 Zur Ausgabe

Mitteilungen des BDI

Mitteilungen des BDI

Passend zum Thema

ANZEIGE

Bei Immuntherapien das erhöhte Thromboserisiko beachten

Unter modernen Systemtherapien versechsfacht sich das VTE-Risiko. Warum diese Daten relevant für die Behandlung krebsassoziierter Thrombosen sind, erläutert Prof. F. Langer im Interview. So kann es durch Immuntherapien zu inflammatorischen Syndromen z.B. im GI-Trakt kommen. Nebenwirkungen wie Durchfall oder Mukositis haben dann Einfluss auf die Wirksamkeit oraler Antikoagulantien. Aber auch in punkto Blutungsrisiko ist Vorsicht geboten. Wann hier bevorzugt NMH eingesetzt werden sollten, erläutert Prof. Langer im Interview.

ANZEIGE

CAT-Management ist ganz einfach – oder doch nicht?

Krebsassoziierte venöse Thromboembolien (CAT) haben in den vergangenen Jahren stetig zugenommen. Was hat der Anstieg mit modernen Antitumortherapien zu tun? Venöse Thromboembolien sind relevante Morbiditäts- und Mortalitätsfaktoren in der Onkologie. Besonders hoch sind die Risiken bei Tumoren des Abdominalraums. Eine antithrombotische Primärprophylaxe ist daher gerade bei gastrointestinalen (GI-) Tumoren auch im ambulanten Setting wichtig.

ANZEIGE

Management von Thromboembolien bei Krebspatienten

Die Thromboembolie ist neben Infektionen die zweithäufigste Todesursache bei Krebspatienten. Die Behandlung der CAT (cancer associated thrombosis) ist komplex und orientiert sich am individuellen Patienten. Angesichts einer Vielzahl zur Verfügung stehender medikamentöser Behandlungsoptionen finden Sie hier Video-Experteninterviews, Sonderpublikationen und aktuelle Behandlungsalgorithmen zur Therapieentscheidung auf Basis von Expertenempfehlungen.

LEO Pharma GmbH