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06.07.2020 | Diagnostik in der Gastroenterologie | Nachrichten

Task-Force aus Kanada:

„Keine Vorsorge-Gastroskopie für GERD-Patienten!“

verfasst von: Dr. Elke Oberhofer

Refluxpatienten sollten nicht routinemäßig per Gastroskopie auf das Vorliegen eines Adenokarzinoms oder dessen Vorstufen in der Speiseröhre gescreent werden. Das ist das Fazit einer aktuellen kanadischen Leitlinie. Die dieser Empfehlung zugrundeliegende Datenbasis ist allerdings recht dünn.

Gegen eine routinemäßige Vorsorgegastroskopie bei Patienten mit gastroösophagealer Refluxkrankheit (GERD) hat sich die Canadian Task Force on Preventive Health Care in einer kürzlich publizierten Leitlinie ausgesprochen. Die Empfehlung gilt ausdrücklich nicht für Patienten mit Alarmsymptomen wie Dysphagie, Blutungen im Gastrointestinaltrakt, Anämie, Gewichtsverlust oder rezidivierendem Erbrechen. Diese sollten per Gastroskopie auf das Vorliegen eines Adenokarzinoms oder dessen Vorstufen gescreent werden, ebenso wie Patienten mit bereits diagnostiziertem Barrett-Ösophagus.

Adenokarzinome oft erst in späten Stadien entdeckt

Es ist bekannt, dass Patienten mit chronischem symptomatischem Reflux ein erhöhtes Risiko für die Entstehung eines Barrett-Ösophagus (intestinale Metaplasie) haben. Dieser wiederum kann unbehandelt über Dysplasiestadien bis zum Adenokarzinom der Speiseröhre fortschreiten, wobei das jährliche Progressionsrisiko bei hochgradiger Dysplasie bis zu 6% beträgt.

Theoretisch wäre es also denkbar, mithilfe eines endoskopischen Screenings GERD-Patienten mit behandelbaren Karzinomfrühstadien herauszufiltern. Dies wäre umso wünschenswerter, als die meisten Fälle eines Adenokarzinoms der Speiseröhre erst in einem späten Stadium erkannt werden. Entsprechend gering ist die Überlebensrate: Sie beträgt lediglich 15% über fünf Jahre.

Überlebensvorteil nicht belegt

Dafür, dass sich mit einem Screening per Gastroskopie die Sterberate senken lässt, konnte die Task Force um Dr. Stéphane Groulx allerdings auch nach ausführlicher Literaturrecherche keinerlei Evidenz beibringen. Das Team fand lediglich eine retrospektive Kohortenstudie, die zeigen konnte, dass mit dem Screening bei GERD-Patienten signifikant mehr Karzinomfrühstadien entdeckt würden (Stadium 1 gegenüber den Stadien 2 bis 4); jedoch gab es keinen signifikanten Unterschied im Langzeitüberleben (Hazard Ratio, HR 0,93). Das Evidenzniveau dieser Studie wurde als „sehr gering“ eingestuft.

Im Vergleich der verschiedenen Screening-Verfahren konnte keines punkten: Weder die ÖGD (Ösophagogastroduodenoskopie) noch die Kapselendoskopie noch eine transorale oder transnasale Ösophagoskopie ohne Sedierung entdeckten einen Barrett-Ösophagus oder eine Dysplasie signifikant zuverlässiger als die anderen.

Unklare Wirksamkeit der Therapie

Nach Groulx et al. ist es außerdem noch nicht gelungen, die Wirksamkeit einer Therapie des Barrett-Ösophagus zu bestätigen. In Studien trugen sowohl die photodynamische Therapie als auch die Radiofrequenzablation der Barrett-Schleimhaut und die endoskopische Mukosaresektion (mit oder ohne PPI) signifikant zur Eradikation der Dysplasie bei. Laut Task Force ließ sich dies jedoch nur mit sehr geringer bis geringer Evidenz belegen. Der Nutzen im Hinblick auf die Mortalitätssenkung blieb auch in diesen Therapiestudien unklar. Dabei schien die endoskopische Mukosaresektion deutlich mehr Komplikationen in Form von Strikturen und Stenosen nach sich zu ziehen als z. B. die Radiofrequenzablation. Und auch die photodynamische Therapie war in dieser Hinsicht nicht ohne Risiko.

Die Bereitschaft der Patienten, sich gastroskopieren zu lassen, stuft das Fachgremium als „variabel“ ein. So hätten sich von 1210 zum Screening geladenen Probanden 52% komplett verweigert, indem sie auf die Einladung gar nicht antworteten. Weitere 32% lehnten das Screening explizit ab. Wurden allerdings speziell Refluxpatienten befragt, ergab sich eine zumindest mittelgradige Screeningbereitschaft (6 von 9 Punkten).

Die Task Force begründet ihre Entscheidung gegen eine Screening-Empfehlung nicht zuletzt auch mit dem Hinweis auf knappe finanzielle Ressourcen.

„Wir können nicht auf Alarmsymptome warten!“

Dennoch ist für Experten wie Sander Veldhuyzen van Zanten von der University Alberta das letzte Wort zum Screening noch nicht gesprochen: Die Gastroskopie sei „ein sicheres und gut toleriertes Verfahren“, mit dem man überdies nicht nur Ösophaguskarzinome diagnostizieren könne. Abzuwarten, bis sich Alarmsymptome zeigten, könne darin resultieren, dass das zugrundeliegende Adenokarzinom inoperabel sei.

Wenngleich sich die meisten internationalen Fachgesellschaften gegen ein breites Screening auf Barrett-Ösophagus und Adenokarzinome aussprechen, gibt es nach Veldhuyzen van Zanten auch Empfehlungen, bspw. vom American College of Gastroenterology, die Gastroskopie zumindest in Fällen mit etablierten Risikofaktoren zu erwägen: Dies betreffe männliche Patienten jenseits der 50 mit chronischen (seit mehr als fünf Jahren bestehenden) oder häufigen GERD-Symptomen und zusätzlichen Risikofaktoren wie Rauchen oder Adipositas.

Literatur

Groulx S et al. Guideline on screening for esophageal adenocarcinoma in patients with chronic gastroesophageal reflux disease. CMAJ 2020; 192: E768–77; https://doi.org/10.1503/cmaj.190814

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