Rückschlag für Biotin bei progredienter MS

Eine größere Phase-3-Studie mit hochdosiertem Biotin ergab bei Patienten mit progredienter MS keinen signifikanten Nutzen. Zuvor hatte eine kleinere Studie einen Rückgang der Behinderungen bei jedem achten Patienten nahegelegt. Als vor fünf Jahren auf der AAN-Jahrestagung in Washington die ersten Ergebnisse der Studie SPI mit hochdosiertem Biotin bei progredienter MS (PMS) vorgestellt wurden, klang das noch nach einer Erfolgsgeschichte: In der Untersuchung mit 154 Teilnehmern erzielten knapp 13% unter 300 mg/d Biotin einen anhaltenden Rückgang der MS-Behinderungen, jedoch kein Patient unter Placebo. Vor allem Betroffene mit wenig ausgeprägten Behinderungen (EDSS-Wert 4–5) und einer sekundär progredienten MS schienen zu profitieren. Allerdings war die Studie recht klein, zudem erhielt nur ein Drittel Placebo. Die Folgestudie SPI2 sollte die Wirksamkeit bei einer größeren Zahl von Patienten bestätigen. Dies ist jedoch nicht gelungen. Wie Professor Bruce Cree von der Universität in San Francisco auf dem virtuellen Kongress der europäischen Neurologengesellschaft EAN berichtet hat, ließ sich in der randomisiert-kontrollierten Studie mit 642 Patienten kein signifikanter Nutzen einer Hochdosisbehandlung mit Biotin nachweisen. Kaum Unterschiede zu Placebo Die Studienteilnehmer hatten alle keine aktive MS, also keine überlagernden Schübe oder aktive MRT-Läsionen – für Patienten mit aktiver PMS gibt es bereits Therapien mit Ocrelizumab (primär progrediente MS, PPMS) oder Siponimod (sekundär progrediente MS, SPMS). Dagegen können Ärzte Betroffenen mit nicht aktiver PMS bislang keine krankheitsmodifizierende Therapie anbieten. Empfehlung der Redaktion Neurologische Notfälle – Themenseite Status epilepticus, Schlaganfall oder aber auch Migräne zählen zu den neurologischen Notfällen, mit denen Notärzte konfrontiert werden können. Empfehlungen für die Praxis aber auch aktuelle Nachrichten oder CME-Kurse finden Sie auf der Themenseite. Einschlusskriterien waren ein EDSS-Wert von 3,5–6,5 Punkten und ein Wert von weniger als 40 Sekunden im Timed 25-Foot-Walk (TW25). Die Behinderungen mussten in den zwei Jahren vor der Behandlung zugenommen haben, es durften in dieser Zeit aber keine MS-Schübe aufgetreten sein. Die Hälfte der Patienten bekam für ein Jahr dreimal täglich 100 mg Biotin (MD1003), die übrigen erhielten Placebo. Der primäre Endpunkt war ähnlich definiert wie in SPI: Ein Rückgang des EDSS-Werts um mindestens 1 Punkt bei einem Ausganswert unter 6 Punkten und um mindestens 0,5 Punkte bei höheren Ausgangswerten oder eine Verbesserung beim TW25 um mindestens 20%. Gemessen wurde nach einem Jahr, die Verbesserungen mussten mindestens bis zum 15. Monat der Behandlung anhalten. Anschließend konnten alle Patienten, auch die in der Placebogruppe, für ein weiteres Jahr Biotin erhalten. 54% der Teilnehmer waren Frauen, zwei Drittel hatten eine SPMS, und etwas mehr als die Hälfte eine recht fortgeschrittene Erkrankung mit einem EDSS-Ausgangswert von 6,0 oder 6,5 Punkten. In der Biotingruppe erreichten 12,0% einen Rückgang der Behinderungen – ein ähnliches Ergebnis wie in der vorangegangenen Studie. Allerdings reduzierten sich die Behinderungen auch bei 9,2% unter Placebo. Die Differenz von 2,8 Prozentpunkten oder relativen 31% war statistisch nicht signifikant. Ähnlicher Trend in allen Subgruppen Subgruppenanalysen ergaben ebenfalls keine signifikanten Resultate, wenngleich sich überall ein Trend bei der Behinderungsreduktion zugunsten der Biotintherapie zeigte. Dieser war etwas stärker ausgeprägt bei jüngeren Patienten, Frauen, Normalgewichtigen und niedrigen EDSS-Ausgangswerten. Wurden Veränderungen beim EDSS-Wert und TW25 einzeln betrachtet, zeigten sich ebenfalls keine signifikanten Differenzen, auch nicht beim klinischen Gesamteindruck oder der Zahl der doch noch auftretenden MS-Schübe. Immerhin wurde die Behandlung gut vertragen, es gab unter Biotin nicht häufiger unerwünschte Wirkungen als in der Placebogruppe. Ist dies nun das Ende für Biotin in der MS-Therapie? Nicht unbedingt. Der geringe, wenngleich in allen Subgruppen konsistente Effekt zugunsten der Behandlung legt eine gewisse Wirksamkeit nahe. Vielleicht muss Biotin mit anderen neuroprotektiven Therapeutika kombiniert werden, um eine PMS zu bremsen. Biotin erhöht zum einen die ATP-Versorgung in gestressten demyelinisierten Neuronen und soll dadurch deren Überleben begünstigen, zum anderen werden günstige Effekte für die Remyelinisierung postuliert. Quelle: European Academy of Neurology (EAN) Virtual Congress. Session: MS and related disorders 2. Cree, Bruce. Efficacy and safety results of the phase 3 SPI2 study of MD1003 (high dose Pharmaceutical grade Biotin) in progressive MS. 24.5.2020

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