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13.11.2019 | Endokrinopathien mit Diabetes mellitus | Interview | Nachrichten

Diabetes-Sonderformen

Das Diabetes-Risiko im Auge behalten

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Interviewt wurde:
Prof. Dr. med. Baptist Gallwitz
Das Interview führte:
Tanja Fabsits

Neben Typ-1- und Typ-2-Diabetes gibt es auch andere Formen der Erkrankung, wie etwa den durch Steroideinnahme induzierten Diabetes. Auf solche Sonderformen der Stoffwechselerkrankung sollten Kollegen aller Fachdisziplinen achten, wünscht sich Prof. Dr. Baptist Gallwitz, kommissarischer Direktor der Abteilung für Diabetologie, Endokrinologie und Nephrologie und Leiter der endokrinologischen Ambulanz am Universitätsklinikum Tübingen sowie langjähriges Vorstandsmitglied der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG).

Welche Sonderformen des Diabetes gibt es? 

Gallwitz: Nicht jede Diabetes-Erkrankung lässt sich Diabetes-Typ-1 oder -Typ-2 zuordnen. Diabetes tritt häufig auch als Folge einer anderen Grunderkrankung auf. Hier spielen etwa hormonelle Erkrankungen eine Rolle, bei denen es zu einem Überschuss an Gegenspieler-Hormonen gegen Insulin im Blut kommt. Ein Beispiel für eine solche Erkrankung ist das Cushing-Syndrom, der Hyperkortisolismus. Der Überschuss an Cortisol im Blut von Cushing-Patienten bewirkt, dass Zucker aus der Leber in der Blutbahn bereitgestellt wird, was in der Folge zu Diabetes führen kann. Ein anderes Beispiel ist die – selten auftretende – Akromegalie, bei der es zu einer vermehrten Ausschüttung von Wachstumshormonen kommt. 

Daneben können auch Erkrankungen der Bauchspeicheldrüse, wie etwa chronische Entzündungen, zu Diabetes führen. Hier ist die Einstellung des Diabetes oft besonders schwierig, weil die Verdauung der Patienten nicht optimal funktioniert. 

Auch Operationen, bei denen große Teile der Bauchspeicheldrüse entfernt wurden, begünstigen das Entstehen von Diabetes. Eine erblich bedingte Erkrankung, die mit einer Erkrankung der Bauchspeicheldrüse einhergeht ist die Mukoviszidose.

Zudem kann das Entstehen von Diabetes durch einige Medikamente begünstigt werden. Auch hier spielt Kortison wieder eine wichtige Rolle. Daneben können auch Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRIs), die bei der Therapie einer Depression zum Einsatz kommen, den Appetit ankurbeln, zu einer Körpergewichtszunahme führen und so das Auftreten von Diabetes begünstigen.

Auch die Immuntherapie mit Interferon oder mit anderen immunmodulierenden Medikamenten, die bei Krebstherapie oder chronisch-entzündlichen Erkrankungen zum Einsatz kommen, kann sekundär zu einer Diabetesform führen, die einem Typ-1-Diabetes ähnelt. 

Außerdem gibt es spezielle genetisch prädisponierte Diabetesformen. In betroffenen Familien kommt es in fast jeder Generation zu einer Manifestation von Diabetes.   

Bei medikamenten-induzierten Diabetesformen und Diabetes, der aufgrund einer anderen Erkrankung auftritt, ist wichtig die Grunderkrankung möglichst gut zu behandeln. Dadurch bessert sich häufig auch der Diabetes. 

Patienten mit einer Bauchspeicheldrüsenerkrankung, die zu Diabetes führt, etwa brauchen häufig Insulin. Benötigt jemand Kortison, sollte der Arzt darauf achten, die Kortisontherapie möglichst kurz und niedrig dosiert zu gestalten.  

Ist die Polypharmazie hier ein Problem?

Ein gutes interdisziplinäres Konzept für den Patienten ist auf jeden Fall wichtig. Dazu gehört auch das Einbinden nicht-medikamentöser Maßnahmen, die den Stoffwechsel unterstützen, ins Therapiekonzept. Je mehr sich die Betroffenen bewegen, umso besser natürlich. 

Ab welchen Dosierungen und ab welcher Therapiedauer steigt bei einer Behandlung mit Kortison das Risiko Diabetes zu entwickeln?

Es gibt verschiedene Kortison-Abkömmlinge, die synthetisch hergestellt werden und unterschiedlich stark wirksam sind. Ein synthetisches Kortison-Präparat, das therapeutisch breit eingesetzt wird, ist das Prednisolon. Es ist etwa vier bis fünf Mal potenter als das körpereigene Kortison. Langfristige tägliche Einnahmen von – individuell unterschiedlich – über fünf bis zehn Milligramm pro Tag sind eine Schwelle, bei der man sich des möglichen Risikos bewusst sein sollte. 

Ein bis zwei Wochen Kortisontherapie sind häufig kein Problem, eine längere Behandlung kann problematisch werden. Hier ist auch eine klare Dosis-Wirkungsbeziehung bekannt: Je höher dosiert und je länger Kortison verabreicht wird, umso höher ist das Risiko, Diabetes zu entwickeln.

Ist Kortison-induzierter Diabetes bei rascher Diagnose reversibel?

Bei rascher Diagnose und wenn die Kortisontherapie abgesetzt werden kann, ist der Diabetes häufig reversibel. Schwieriger wird es, wenn der Patient viele Familienangehörige mit Typ-2-Diabetes hat.

Es ist wichtig, wenn die Zuckerwerte hoch sind, zu behandeln, denn eine lange schlecht eingestellte Stoffwechsellage erhöht das Risiko, dass die Diabeteserkrankung dauerhaft bestehen bleibt. 

An welchen Symptomen lässt sich beginnender Diabetes erkennen?

Die behandelnden Ärzte sollten zunächst wissen, dass eine Kortisontherapie Diabetes auslösen kann. Wenn Patienten über längere Zeit höhere Blutzuckerwerte haben, klagen sie über eher unspezifische Beschwerden wie schlechtere Belastbarkeit, Müdigkeit, manchmal ein vermehrtes Durstgefühl oder schlechter heilende Hautwunden. 

Bei Patienten, die hohe Kortisondosen bekommen, bei Patienten, die familiär vorbelastet oder übergewichtig sind und bei Patienten, deren Blutdruck erhöht ist sollte der Blutzucker regelmäßig gemessen werden. Es ist eine einfache Maßnahme bei einer länger dauernden Kortisontherapie den Patienten zu schulen seinen Blutzucker selbst zu messen (Abb. 1). Sind die Blutzuckerwerte nicht mehr im Zielbereich kann eine Therapie begonnen und eine Reduktion der Kortisongabe überlegt werden. 

Was raten Sie, wenn ein Patient – zum Beispiel aufgrund einer rheumatischen Erkrankung – eine Kortisontherapie erhält und weder eine Reduktion der Kortisongabe noch eine Lebensstilmodifikation möglich sind?

In so einem Fall muss man schauen, ob man interdisziplinär weiterkommt. Hier sind Rheumatologen, Diabetologen, aber auch Physiotherapeuten und Ernährunsgberater gefordert. 

Manchmal gibt es die eine oder andere Möglichkeit Kortison einzusparen indem es durch andere Medikamente – wie etwa Azathioprin, das stoffwechselneutral wirkt – ersetzt wird. Manchmal lässt sich vielleicht durch eine Modulation der begleitenden Schmerztherapie regulierend in die Kortisontherapie eingreifen. Und je nachdem, welche Gelenke betroffen sind, lässt sich vielleicht doch eine Bewegungsart finden, die dem Patienten möglich ist. Eventuell kann auch die Ernährung optimiert werden.

Was sind Ihre Erfahrungen bezüglich des Diabetes-Risikos beim Einsatz von Biologika?

Kleinere Studien haben gezeigt, dass Biologika das Diabetes-Risiko zum Teil erhöhen. Regelmäßige Blutzuckerkontrollen begleitend zur Therapie können bei bestimmten Patienten sinnvoll sein. Dann wäre auch gut, den Blutzucker-Langzeitwert HbA1c zu erfassen, um Aufschluss über die Stoffwechsellage der vergangenen drei Monate zu erhalten. Idealerweise lernt der Patient selbst seinen Blutzucker zu messen – spätestens wenn eine Insulintherapie nötig wird, muss jeder Diabetes-Patient das ohnehin können.


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Literatur

Die Langversion dieses Interviews wurde in rheuma plus 6/2019 / SpringerMedizin.at veröffentlicht.

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