Frühe Epilepsiechirurgie lohnt sich

Werden Kinder mit Epilepsie rechtzeitig operiert, haben sie auf dem Arbeitsmarkt ähnlich gute Chancen wie Personen ohne Anfallsleiden – jedenfalls dann, wenn sie nach der Op. anfallsfrei bleiben. Hinweis: Das Wichtigste in Kürze zu dieser Studie finden Sie am Ende des Artikels. Eine rechtzeitige Entfernung des Epilepsiezentrums oder eine Hemisphärotomie kann einen großen Teil der therapierefraktären Kinder von ihrem Anfallsleiden befreien und für eine weitgehend normale kognitive Entwicklung sorgen, wohingegen fortgesetzte Anfälle dem Gehirn schaden und die Entwicklung stören. „Die allermeisten Kinder können nach einer Op. zum ersten Mal in ihrem Leben ihren IQ halten“, erläuterte Professor Martin Staudt von der Schön Klinik Vogtareuth im Gespräch mit „Springer Medizin“. Dies scheint nun eine aktuelle schwedische Studie zu bestätigen. Wie Neurologen um Dr. Jesper Reinholdson von der Universität in Göteborg berichten, ist die Beschäftigungsquote von Kindern, die vor der Op. einen IQ von über 70 Punkten aufweisen und durch den Eingriff anfallsfrei werden, 20 Jahre später ähnlich hoch wie in der übrigen Bevölkerung. Das Team um Reinholdson hatte das Schicksal von Patienten aus allen sechs schwedischen epilepsiechirurgischen Zentren analysiert. Berücksichtigt wurden Personen, die in ihrer Kindheit in den Jahren 1995 bis 2012 aufgrund ihrer Epilepsie operiert worden und bei mindestens einer der nachfolgenden Befragungen volljährig waren. Im Anschluss an die Op. wurden die Patienten in der Regel alle fünf Jahre ausführlich befragt, wobei sich die Forscher auch für Ausbildung und Berufsleben interessierten. Insgesamt konnten sie Angaben zu 203 von 356 operierten Kindern auswerten. Die übrigen starben vor dem Erwachsenenalter, waren nicht mehr auffindbar oder mussten als Erwachsene erneut aufgrund ihrer Epilepsie operiert werden. Zwei Drittel anfallsfrei Im Schnitt waren die Kinder bei der Op. knapp 14 Jahre alt, zwei Drittel hatten zuvor einen IQ von mindestens 70 Punkten. Kinder mit einem IQ unter 70 waren deutlich früher erkrankt (mit zwei versus sieben Jahren), entwickelten weitaus häufiger Anfälle (im Median 100 versus 20 pro Monat) und neurologische Defizite (55 versus 17%) als Kinder mit einem höheren IQ. Von den Patienten mit einem IQ über 70 blieben nach der Op. rund zwei Drittel anfallsfrei, dieses Glück hatten weniger als 20% derjenigen mit einem IQ unter 70. Personen mit einer Nachbeobachtungsdauer von nur fünf Jahren und einem präoperativen IQ von 70 oder mehr gingen bei der letzten Befragung zu 44% ganz- oder halbtags einer bezahlten Beschäftigung nach; 10, 15 und 20 Jahre nach der Op., waren es jeweils 69, 71 und 77%. Deutlich schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt hatten Patienten mit einem prächirurgischen IQ unter 70, hier befand sich 5–20 Jahre nach der Op. nur rund jeder Siebte in einem Job. Fast alle Patienten mit einem IQ über 70 vor der Op. und Anfallsfreiheit hinterher erreichten einen Schulabschluss sowie eine Berufs- oder Hochschulausbildung, unter denjenigen mit postoperativen Anfällen war der Anteil nur rund halb so hoch. Von den Patienten mit einem IQ unter 70 vor der Op. gelang niemandem eine Berufsausbildung und nur wenige schafften einen Schulabschluss, auch hier vor allem diejenigen, die nach der Op. anfallsfrei blieben. Vergleichbares Bildungsniveau Verglichen die Forscher Patienten, die vor der Op. einen IQ über 70 hatten und danach anfallsfrei waren, mit gleich alten Personen aus der übrigen Bevölkerung, so gab es über 20 Jahre hinweg praktisch keine Unterschiede bei der Beschäftigungsquote und dem erreichten Bildungsniveau. Wer operiert wird, bevor die kognitive Entwicklung durch die Erkrankung behindert wird und anschließend keine Anfälle mehr aufweist, kann sich auf ein normales Leben mit vergleichbaren beruflichen Chancen wie Menschen ohne Epilepsie freuen. „Je früher wir operieren, umso früher retten wir das neuroplastische Potenzial, umso besser wird das kognitive Resultat dieser Kinder sein“, so Staudt. „Das, was die Kinder bis zur Op. verloren haben, holen sie jedoch nicht wieder auf.“ Die Studie zeigt allerdings auch, dass Kinder mit schweren und früh beginnenden Epilepsiesyndromen durch eine Op. deutlich seltener komplett anfallsfrei werden. Wie gut die Chancen auf ein normales Leben nach einer Op. stehen, hängt damit auch stark von der Art der Erkrankung ab. Das Wichtigste in Kürze Frage: Wie häufig gelingt Kindern mit arzneirefraktärer Epilepsie nach einem hirnchirurgischen Eingriff ein normales Leben? Antwort: Sind die Kinder vor dem Eingriff noch nicht kognitiv eingeschränkt und bleiben sie hinterher anfallsfrei, erreichen sie später ein ähnliches Bildungsniveau und haben vergleichbare Jobchancen wie Menschen ohne Epilepsie. Bedeutung: Die Hirnchirurgie kann vielen Kindern mit Epilepsie ein normales Leben ermöglichen. Einschränkung: Bei früh beginnenden und schweren Epilepsieformen schützt eine Operation viele Jahre nach dem Krankheitsbeginn nicht vor bleibenden kognitiven Defiziten.

Live-Webinar: Aktuelle Leitlinien bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen

Springer Medizin

Frühe Epilepsiechirurgie lohnt sich

Weiterführende Themen

Neu in den Fachgebieten Neurologie und Psychiatrie

Antihypertensiva schützen auch alte Menschen noch vor Demenz

Fünf Dinge, die im Kindernotfall besser zu unterlassen sind

Delir kann Demenz begünstigen

Manche Gestagene können das Risiko für Meningeome erhöhen