Therapierefraktäre fokale Epilepsien haben im Allgemeinen eine hohe Krankheitslast, weshalb ein epilepsiechirurgischer Eingriff in diesen Fällen oftmals die Therapie der 1. Wahl ist, um Krankheitsfolgen zu mildern und die Lebensqualität zu verbessern [
1,
2]. Insbesondere bei jungen Patienten kann ein hypothalamisches Hamartom (HH) die Ursache einer oftmals therapierefraktären Epilepsie sein [
3]. Begleitend sind HH mit einem höheren Risiko für psychobehaviorale Auffälligkeiten (in bis zu 60 % mit Aggressivität, Hyperaktivität, generalisierter Angststörung oder Phobien) und endokrinologische Störungen wie einer Pubertas praecox verbunden [
3,
4]. Zu der klassischen Anfallssemiologie gehören gelastische (Lach-) oder dakrystische Anfälle (Weinanfälle). Allerdings können im Verlauf mit Ausweitung des epileptischen Netzwerkes auch dialeptische, tonisch-klonische und Sturzanfälle bis hin zu schweren kognitiven Störungen im Sinne einer epileptischen Enzephalopathie beobachtet werden [
3]. Therapierefraktäre Verläufe können dabei einen weitreichenden Einfluss auf die Gesundheit und Lebensqualität des betroffenen Kindes als auch die psychosozialen Strukturen von Familie und Umfeld haben. Damit einhergehend, können hohe direkte, indirekt und intangible Kosten entstehen [
5,
6]. Zwar bietet eine epilepsiechirurgische Behandlung eine realistische Chance auf eine dauerhafte Anfallsfreiheit, birgt aufgrund der zentralen Lage des HH allerdings ein relevantes perioperatives Komplikationsrisiko, welches bei einer mikrochirurgischen Resektion zwischen 8 und 50 % liegt [
7]. Zu den Komplikationen zählen Thalamusinfarkte, Gesichtsfelddefekte, endokrinologische Störungen und Gedächtnisprobleme [
8]. Eine vergleichsweise schonende und dennoch hocheffektive Alternative stellen minimal-invasive Verfahren wie die MR-gestützte stereotaktische Laserthermoablation (SLTA) dar [
9,
10].
Im Folgenden berichten wir über eine junge Patientin im mittleren Kindesalter mit einer medikamentenrefraktären Epilepsie und einer Pubertas praecox bei HH und der Abwägung zwischen einer offenen operativen Therapie und einer SLTA. Darüber hinaus stellen wir den klinischen Verlauf nach dem Eingriff und eine gesundheitsökonomische Analyse dar.
Diskussion
Die SLTA zählt an vielen Zentren, insbesondere in Nordamerika, seit mehreren Jahren als therapeutisches Procedere der ersten Wahl zur Behandlung eines symptomatischen HH [
9,
15]. Eine detaillierte Beschreibung des in Deutschland zunehmend an Bekanntheit gewinnenden Verfahrens bieten die Artikel von Büntjen und Ilse et al. (2017) [
16,
17]. Demgegenüber galt über lange Zeit die mikrochirurgische Resektion als Goldstandard, barg allerdings trotz der bis zu 90 %igen Chance auf Anfallsfreiheit ein ungünstiges Komplikationsrisiko von bis zu 50 % [
7]. Die Komplikationen waren zumeist verursacht durch eine Schädigung der im Bereich des Zugangsweg gelegenen Strukturen wie des Fornix und der Corpora mamillaria mit Gedächtnisstörung, Läsionen des N. oculomotorius oder Thalamusinfarkten aufgrund von Verletzungen suprasellärer/interpedunkulärer Gefäße [
8]. Darüber hinaus besteht durch die Nähe des HH zum Tuber cinereum ein erhöhtes Risiko für hypothalamisch/hypophysäre Insuffizienzen mit Diabetes insipidus, Adipositas, Hypothyreose oder Thermoregulationsstörungen [
8]. Um die Komplikationsrate zu verringern, wurden unterschiedliche Zugangswege (pterional, transventrikulär, transkallosal) und endoskopische Verfahren entwickelt, worunter eine durchgreifende Reduktion des Komplikationsrisikos allerdings nicht gelang [
8,
18].
Eine minimal-invasive Alternative stellt die radiochirurgische Behandlung mittels Gamma-Knife dar. Eine Freiheit von behindernden Anfällen (Engel I) wurde in einer prospektiven Studie an 48 Patienten in 39,6 % (Follow-up: 36 bis 153 Monate) erzielt [
19]. Besonders vorteilhaft konnten im Vergleich zur offenen operativen Therapie nach einer radiochirurgischen Therapie keine permanenten neurologischen Defizite oder Gedächtnisstörungen nachgewiesen werden [
19]. Vorübergehend wurde allerdings eine transiente Zunahme der Anfallshäufigkeit bei 8 Patienten (16,6 %) beobachtet [
19]. Allerdings tritt der therapeutische Effekt der Radiochirurgie zumeist erst mit einer Latenz von mehreren Wochen bis Monaten ein, was bei hochaktiven Epilepsien wie bei der vorgestellten Patientin nachteilig ist und deshalb nicht favorisiert wurde [
19]. Eine Sonderform stellt die interstitielle Radiochirurgie (stereotaktische Brachytherapie) dar, bei der Implantate aus
125I in das HH platziert werden. Schulze-Bonhage et al. konnten bei einem Kollektiv von 24 Patienten nach 2 Jahren in 11 Fällen eine Anfallsfreiheit oder Anfallsreduktion > 90 % beobachten [
20]. Das Verfahren erwies sich im Vergleich zur offenen Resektion als gut verträglich. Bei 5 Patienten entwickelte sich ein transientes Hirnödem, welches durch vorübergehende Kopfschmerzen und Fatigue symptomatisch wurde. Eine anhaltende Störung des Kurzzeitgedächtnisses fand sich in 2 Fällen, eine relevante Gewichtszunahme in 4 Fällen [
20]. Eine Einschränkung des verbalen Gedächtnisses konnte in einer Studie von Wagner et al. allerdings in bis zu 50 % der Fälle auch noch nach über 1 Jahr nachgewiesen werden [
21]. Darüber hinaus steht dem insgesamt relativ geringen unmittelbaren Komplikationsrisiko radiochirurgischer Verfahren ein potenziell erhöhtes Risiko für sekundäre intrakranielle Neoplasien gegenüber [
22]. Zwar legen kürzlich veröffentlichte Studien bei fokalen und einzeitigen Bestrahlungen ein vergleichbares Risiko zur Normalbevölkerung nahe, es fehlen aber weiterhin aussagekräftige Langzeitdaten für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, welche die Hauptzielgruppe bei der Behandlung von HH darstellt [
23]. Insgesamt konnten sich radiochirurgische Verfahren aufgrund des verzögerten Ansprechens und des Komplikationsrisikos in der Behandlung von hypothalamischen Hamartomen nicht durchsetzen und wurden weitgehend von minimal-invasiven thermoablativen wie der SLTA oder der Radiofrequenzablation (RFA) verdrängt, zumal erschwerend hinzukommt, dass die bisherigen Daten ausschließlich aus Single-Center-Studies stammen und aussagekräftige Langzeituntersuchungen bisweilen fehlen.
Die SLTA bietet hierbei die Möglichkeit einer intraoperativen MR-Thermometrie, durch die eine Abschätzung der Ablationszone zur Therapieoptimierung und zum Schutz benachbarter Risikostrukturen möglich ist. In den Anfangsjahren lag die Komplikationsrate mit bis zu 23,5 % zwar noch auf einem mit der offenen Chirurgie vergleichbaren Niveau, konnte mit zunehmender Expertise in spezialisierten Zentren aber auf bis zu 5,4 % reduziert werden, was den Aspekt der „Lernkurve“ und die Abhängigkeit der Komplikationsrate von der Erfahrung der neurochirurgischen Behandler hervorhebt [
9,
24]. Die Anfallsfreiheit nach 1 Jahr lag in einer Studie von Curry et al. (2018) für gelastische Anfälle bei 93 % und zeigte somit ein vergleichbares Ansprechen wie nach offener Resektion, wenngleich ein Engel-IA-Outcome (komplette Anfallsfreiheit) ohne Medikation nur in 12 % zu erzielen war [
9]. Ähnliche Ergebnisse wurden mittels stereotaktischer Radiofrequenzablation veröffentlicht: Eine umfangreiche Studie der Nishi-Niigata-Gruppe aus Japan berichtete in einem Kollektiv von 100 Patienten mit einem medianen Follow-up von 3 Jahren („range“: 1 bis 17 Jahre) von einer Anfallsfreiheit für gelastische Anfälle in 86 % und einer kompletten Anfallsfreiheit in 71 % [
25]. Der höheren Rate an kompletter Anfallsfreiheit standen allerdings ein deutlich höherer Anteil transienter Komplikationen (60 % Horner-Syndrom, 27,9 % Hyperphagie, 22,1 % Hyponatriämie, 22,1 % Hyperthermie, 8,6 % Kurzzeitgedächtnisstörung, 2,9 % intrakranielle Blutung) sowie einer permanenten hypophysären Insuffizienz (2 Patienten; 2 %) gegenüber; zusätzlich berichteten Curry et al. im Vergleich zur Nishi-Niigata Gruppe eine geringere Rate an Re-Operationen (23 % vs. 32 %) [
9,
25].
Während zu Beginn die Auffassung vertreten wurde, dass eine vollständige Resektion oder Ablation des HH notwendig sei, um eine Anfallsfreiheit zu erzielen, stellte sich mit der Zeit heraus, dass zumeist nur ein Teil des HH die eigentliche epileptogene Zone darstellt und entweder eine gezielte Zerstörung oder Diskonnektion vom epileptischen Netzwerk ausreichend ist [
12]. Bourdillon et al. (2020) berichteten in einem rezenten Review, dass durch die kleineren Ablationszonen der stereotaktischen RFA zwar eine zielgenauere Ablation des gesamten HH möglich sei, eine initial vermutete Überlegenheit der RFA hinsichtlich der Anfallsfreiheit allerdings durch die zunehmende Erfahrung mit selektiven Ablationen mittels SLTA und dem Konzept der Diskonnektion bei gleichzeitig günstigerem Komplikationsrisiko relativiert wird [
7]. Eine Möglichkeit zur Determinierung der epileptogenen Zone stellt eine funktionelle MRT zur Messung der „resting state connectivity“ (rs-fMRI) dar, welche ebenfalls präoperativ bei der vorgestellten Patientin durchgeführt wurde [
14]. Die Studie von Boerwinkle et al. zeigte mit einem Engel-I-Outcome bei 91,7 % gegenüber 46,7 % ohne rs-fMRI ein signifikant besseres therapeutisches Ergebnis. Durch das genaue Mapping war eine Schonung der HH-Übergangszone möglich, was sich in einer Komplikationsrate von 0 % widerspiegelte [
14]. In Abb.
2 sind die Trajektorien zu erkennen, welche in dem HH mündeten. In der Verlaufskontrolle ist ein asymptomatischer und prognostisch irrelevanter Gewebedefekt entlang des Zugangswegs zu erkennen. Da das abladierte Gewebe im Vergleich zur Resektion nicht sofort entfernt wird, kann es insbesondere noch in den ersten Tagen und Wochen zu Anfallsrezidiven kommen, bis die Ablationszone durch körpereigene Prozesse abgebaut wurde. Eine suffiziente Einschätzung des Therapieerfolgs kann daher zumeist erst nach 6 bis 12 Monaten erfolgen [
26]. Darüber hinaus kann es auch im weiteren Verlauf zu einer Abnahme der Anfallshäufigkeit und epileptischer Aktivität im EEG im Sinne eines Running-down-Phänomens kommen, bei dem angenommen wird, dass durch die Ablation der primären epileptogenen Zone eines epileptischen Netzwerkes sekundäre Bereiche stumm geschaltet werden [
27]. Da dieser Effekt mit der Dauer der Epilepsie und der Ausbildung robuster epileptischer Netzwerke geringer werden kann, ist eine frühzeitige Behandlung des HH von entscheidender Bedeutung, um die Entstehung extrahypothalamischer epileptogener Zonen zu verhindern [
28].
Neben einer strukturellen Epilepsie können HH endokrinologische Erkrankungen wie eine Pubertas praecox verursachen [
29]. Pathophysiologisch wird eine Stimulation der Gonadotropin-releasing-hormon(GnRH)-Freisetzung durch das HH vermutet. Da die hormonelle Stimulation durch Resektion des HH wegfällt, kann im Anschluss an die Resektion zumeist auch eine rasche Normalisierung des Hormonhaushalts erreicht werden [
30]. Im Falle einer isolierten Pubertas praecox wird als primäre Therapie die verhältnismäßig nebenwirkungsarme Gabe von GnRH-Antagonisten empfohlen [
29].
Während die SLTA in den Vereinigten Staaten bereits in 2011 eingeführt wurde, erfolgte eine CE-Zertifizierung in Europa erst in 2018. Die erste SLTA in Deutschland wurde im März 2019 am Universitätsklinikum Magdeburg bei einem Erwachsenen mit therapierefraktärer Temporallappenepilepsie durch SLTA des rechtsseitigen Amygdala-Hippocampus-Komplexes durchgeführt [
31]. Eine breite Anwendung in Deutschland besteht aktuell nicht, da eine kostendeckende Durchführung der Prozedur bislang im DRG-System nicht abgebildet ist.
Berechnungen zur kostendeckenden Durchführung der Prozedur ergaben für das Universitätsklinikum Frankfurt stationäre Behandlungskosten einschließlich des Materialverbrauches von ca. 60.000 € pro Prozedur. Diese Kosten sind insbesondere dem erwarteten Nutzen bei zu erreichender Anfallsfreiheit gegenüberzusetzen. In dem berichteten Fall konnten die direkten Krankheitskosten von ca. € 12.000,- auf unter € 1000,-/Jahr gesenkt werden. Dies deckt sich mit publizierten gesundheitsökonomischen Berechnungen, die sehr hohe direkte Kosten beim therapierefraktären Verlauf aufzeigen [
5,
32,
33]. Bei Kindern und Jugendlichen sind beim therapierefraktären Verlauf jährliche direkte Kosten in Höhe von 13.850 € und indirekte Kosten in Höhe von 10.760 € für den Arbeitsausfall der Eltern zu erwarten [
5]. Bei Erwachsenen mit therapierefraktären Anfällen betragen die direkten Kosten 8250 € und die indirekten Kosten 9170 € pro Jahr, für Letzteres sind Arbeitslosigkeit, Teilzeitarbeit, Fehltage und Frühberentung aufgrund der Epilepsie zu nennen [
34]. Nach erfolgreicher Epilepsiechirurgie nehmen diese Kosten in der Regel nach 2 bis 3 Jahren ab [
35]. Bei dem geschilderten Fall sind auch Kosten für bereits beantragte Maßnahmen und Hilfsmittel aufgezeigt worden, die sich auf geschätzte € 18.000,-/Jahr allein für die Integrationsassistenz beliefen. Diese werden in Krankheitskostenstudien teilweise nicht berücksichtigt. Darüber hinaus sollten stets auch indirekte Kosten in Betracht gezogen werden, die durch den Arbeitsausfall sowohl bei den Patienten wie bei Eltern oder Betreuenden der Betroffenen entstehen können [
5,
32,
33]. Schwer zu bemessen, aber an diesem Fall nachvollziehbar, sind die hohen intangiblen Kosten für das betroffene Kind und die Eltern, die nach der erfolgreichen SLTA nicht mehr fortbestanden.