Lebensbedrohlich: Bei Nahrungsaspiration wird oft falsch reagiert

Wenn Klinikpatientinnen oder -patienten sich an Lebensmitteln verschlucken, ist das lebensgefährlich: In einer Analyse aus Japan erstickte rund ein Drittel, ein weiteres Viertel trug bleibende Schäden davon. Offenbar ist das Personal in vielen Kliniken mit dem Problem überfordert. Das Wichtigste in Kürze zu dieser Studie finden Sie am Ende des Artikels. In gewisser Weise darf die späte Trennung von Verdauungs- und Atemwegen bei Menschen als Fehlkonstruktion gelten, schließlich scheint das Problem, sich an etwas zu verschlucken, bei den übrigen Wirbeltierspezies nicht aufzutreten. Letztlich war der evolutionäre Druck wohl aber nicht groß genug – an Bolusaspiration stirbt man eher im höheren Alter nach der reproduktiven Phase. Insofern ist es nicht überraschend, wenn vor allem in Kliniken und Pflegeheimen immer wieder über Todesfälle durch Nahrungsmittel berichtet wird, die den falschen Weg genommen haben. Auf der anderen Seite gibt es auch einfache und bewährte Erste-Hilfe-Maßnahmen wie das Heimlich-Manöver – damit lassen sich Studien zufolge bei drei Vierteln der Betroffenen außerhalb einer Klinik die Atemwege von Fremdkörpern befreien. In starkem Kontrast dazu stehen die Ergebnisse einer japanischen Analyse: Hier gelang es dem Krankenhauspersonal nur selten, den zumeist älteren Klinikpatienten beim ersten Versuch aspirierte Nahrung zu entfernen – mehr als die Hälfte starb oder erlitt bleibende Behinderungen. Absaugen und Thoraxkompression statt Heimlich-Manöver Das Problem scheint gerade in Japan mit seiner recht alten Bevölkerung sehr groß zu sein: Dort sterben jährlich rund 5000 Menschen an Aspiration, mehr als bei Verkehrs- oder anderen Unfällen, berichten Notfallmediziner um Dr. Tatsuya Norii von der Universität in Albuquerque in den USA. Umso erstaunlicher sei es, dass wenig über die Umstände bekannt sei, die zu der hohen Mortalität bei Aspiration in Kliniken führten. Das Team um Norii schaute daher in einer japanischen Datenbank mit Angaben aus über 1500 Kliniken nach dem Umständen und den Konsequenzen von Vorfällen, bei denen sich stationär aufgenommene Personen verschluckt hatten. Aus den Jahren 2010–2021 fanden sie insgesamt 300 Berichte zu Personen, die sich in den Kliniken an Nahrungsmitteln verschluckt hatten und deswegen eine notfallmäßige Intervention benötigten. Etwa 70% waren über 70 Jahre alt, die allermeisten verschluckten sich beim Essen im Krankenzimmer, bei der Hälfte waren Zeugen gegenwärtig, bei lediglich 16% hatte man zuvor das Schluckvermögen untersucht. 23% befanden sich in der Psychiatrie, 16% auf internistischen Stationen. Am häufigsten hatte das Personal als Erstintervention versucht, durch Absaugen die Atemwege zu befreien (in 31% der Fälle), gefolgt von Schlägen oder Kompressionen im Brustbereich (20%) und Schlägen auf den Rücken (16%). Nur 8% probierten ein Heimlich-Manöver bzw. eine Abdomenkompression. In einem Fall kam sogar ein Staubsauger zum Einsatz. Nur 12% der Erstinterventionen erfolgreich Letztlich scheiterten die Erstinterventionen aber in den meisten Fällen und waren nur bei 12% erfolgreich. 17% kamen mit Absaugen zum Ziel, 10% mit Schlägen auf den Rücken und immerhin 20% mit einem Heimlich-Manöver bzw. einer Abdomenkompression. In keinem Fall waren Schläge im Brustbereich oder eine Thoraxkompression erfolgreich. Bei fünf Personen versuchte es das Personal mit Magill-Zangen – und schaffte es jedes Mal auf Anhieb, den Fremdkörper herauszuziehen. Mit bloßen Fingern gelang dies in 13% der Fälle. Trotz aller Versuche starben 31% der Patientinnen und Patienten, zu denen ein Bericht angefertigt worden war, weiteren 27% wurde eine „hohe Wahrscheinlichkeit für bleibende Behinderungen“ attestiert. Fasste das Team um Norii diese beiden Gruppen als schlechtes Ergebnis zusammen, so hatten solche Personen seltener Schläge auf den Rücken (11% versus 23%), dafür häufiger eine Thoraxkompression (27% versus 10%) bekommen als solche mit gutem Outcome. Bei einem guten Ergebnis war die Erstintervention erwartungsgemäß deutlich häufiger erfolgreich (bei 19% versus 7%). Dies, so Norii und Mitarbeitende, unterstreiche die Bedeutung eines erfolgreichen ersten Versuchs. Keine signifikanten Unterschiede gab es hingegen beim Ergebnis von Personen mit beobachtetem und unbeobachtetem Verschlucken. Bedenklich sei, dass das Klinikpersonal nur selten die empfohlene Reihenfolge – Schläge auf den Rücken plus Abdomenkompression – angewandt habe und stattdessen zum Absaugen oder zu wirkungslosen Maßnahmen tendierte. Hier sei offenbar noch Aufklärung nötig, so das Team um Norii. Allerdings sei es durchaus eine Herausforderung, Personen im Rollstuhl oder im Bett geeigneten Maßnahmen zu unterziehen. Magill-Zangen hätten sich zwar auch in dieser Analyse als sehr wirksam erwiesen, könnten aber nur zum Einsatz kommen, wenn der Fremdkörper sichtbar sei. Auffällig bleibt jedoch die insgesamt sehr geringe Erfolgsrate – auch beim Heimlich-Manöver. Ein Grund könnten ein hohes Alter sowie Komorbiditäten sein, auch dürfte ein Reporting-Bias vorliegen: Wenig komplizierte Fälle wurden vermutlich nicht an die Datenbank gemeldet. Das Wichtigste in Kürze Frage: Wie ergeht es Menschen, die sich in einer Klinik beim Essen verschlucken und zu ersticken drohen? Antwort: In einer Analyse von 300 Berichten aus japanischen Kliniken erstickte rund ein Drittel, ein weiteres Viertel trug bleibende Schäden davon. Häufig ergriff das Klinikpersonal ungeeignete Maßnahmen zur Befreiung der Atemwege. Bedeutung: Offenbar ist noch ein gewisser Aufklärungsbedarf in Kliniken nötig. Einschränkung: Daten ausschließlich aus Japan, Reporting-Bias wahrscheinlich.

Springer Medizin

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