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2013 | Buch

Geriatrische Notfallversorgung

Strategien und Konzepte

herausgegeben von: Georg Pinter, Rudolf Likar, Walter Schippinger, Herbert Janig, Olivia Kada, Karl Cernic

Verlag: Springer Vienna

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Über dieses Buch

Aufgrund der demographischen und ökonomischen Entwicklung erlangt die Behandlung geriatrischer Patienten steigende Bedeutung. Am Beispiel der Zentralen Notfallaufnahme am Klinikum Klagenfurt wird ein Modell für eine spezifische geriatrische Notfallversorgung präsentiert, die hochbetagten multimorbiden Patienten gerecht wird. Das Buch spannt den Bogen von der hausärztlichen Akut- über die intrahospitale Notfallversorgung bis zur Pflegeheimmedizin. Im medizinischen Bereich werden Schnittstellen zwischen eindimensionaler und geriatrischer Sicht beleuchtet. Weitere erfolgreiche Projekte aus D, A und CH, in denen durch organisatorische Veränderungen eine massive Auswirkung auf Patientenströme aus Pflegeheimen gezeigt wurde, vervollständigen das Werk. Es richtet sich an Führungskräfte mit gesundheitsökonomischer Ausrichtung im Gesundheitswesen, an Pflegedienstleitungen, Mediziner (Geriater, Notfallmediziner und Hausärzte) und Studierende der Gesundheitsökonomie/-management, Pflegewissenschaft und Public Health.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter

Strukturen – Rahmenbedingungen und Voraussetzungen für die geriatrische Notfallversorgung

Frontmatter
1. Fallbeschreibungen
Zusammenfassung
Herr XY, ein 78‑jähriger Herr, trifft sich mit seinem Bekannten beim täglichen Spaziergang. Er beklagt sich über Kopfschmerzen und wiederholt auftretende Schwindelattacken. Außerdem müsse er zuletzt vermehrt v. a. in der Nacht die Toilette aufsuchen. Er trinke jedoch auch mehr, da das ständige Gefühl der Mundtrockenheit immer schlimmer würde. Nach dem vertrauten Gespräch mit dem Bekannten und der Beendigung der gewohnten Route konsumiert man wie jeden Tag ein „kühles Bier“ im Stammlokal.
Nach gutem Zureden der Vertrauensperson beschließt Herr XY, die nahe gelegene Notfallaufnahme des Krankenhauses aufzusuchen, da sich sein „Unwohlsein“ von selbst wohl nicht bessern würde.
Die Beschwerden beschreibt der Patient zum Zeitpunkt der Aufnahme an der Zentralen Notfallaufnahme des Krankenhauses folgendermaßen: er habe seit heute Nachmittag vermehrt Kopfschmerzen, verbunden mit Schwindelattacken, und empfinde ein allgemeines Unwohlsein und das Gefühl einer starken Mundtrockenheit.
Herr XY ist seit vielen Jahren starker Raucher (50 py [pack years]), leidet an einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung, kommt auffällig oft zu Sturz. Zur potenziellen Sturzursache kann die Patientenanamnese leider keine wertvollen Hinweise liefern, da der Patient hier äußerst widersprüchliche Aussagen tätigt. Sofern aus der Anamnese erhebbar, handelt es sich nicht um synkopale Ereignisse, sondern eher um Sturzgeschehen, die möglicherweise auf eine lokomotorische Ursache zurückzuführen sind. Es besteht auch der Verdacht auf einen Alkoholabusus.
Heike Muchar, Georg Pinter
2. Steigende Lebenserwartung – länger gesund oder krank?
Zusammenfassung
Die Lebenserwartung der Österreicherinnen und Österreicher hat sich seit Beginn der statistischen Aufzeichnungen vor 140 Jahren mehr als verdoppelt: Konnte ein um 1870 in den „Alpenländern“ der Monarchie geborenes Kind auf Grund der damals beobachteten Mortalitätsraten ein Lebensalter von etwa 35 Jahren erwarten, so lag dieser Wert zuletzt bei etwa 80 Jahren (◘ Tab. 2.1 ). Innerhalb weniger Generationen hat sich damit die Lebenserwartung in Österreich um ca. 45 Jahre erhöht, und ein Ende des Anstiegs ist nicht in Sicht.
Die Lebenserwartung ist eine zusammenfassende Maßzahl der Sterblichkeit in unterschiedlichen Altersgruppen. Steigende Lebenserwartung bedeutet, dass in zumindest einer Altersgruppe das Mortalitätsrisiko zurückgeht. Mittels demografischer Dekompositionsmethoden kann beziffert werden, wie hoch der Mortalitätsrückgang pro Altersgruppe die Entwicklung der Lebenserwartung beeinflusst hat (◘ Tab. 2.2).
Johannes Klotz
3. Anspruch und Wirklichkeit der Health Professionals in der Arbeit mit älteren Menschen
Zusammenfassung
In der Geriatrie werden häufig Narrationen benutzt, um die Komplexität der Fragestellungen und Lösungsansätze darzustellen. Im Folgenden wird an Hand einer Krankengeschichte das Spannungsfeld zwischen Anspruch und Wirklichkeit von Health Professionals dargestellt. Diese Konflikte sind in der Literatur nur teilweise und oft auch nur narrativ dokumentiert [1], [2].
Eine 82‑jährige Witwe stürzt nach einem abendlichen Besuch bei ihrer Tochter und ihrem Enkel auf der Treppe zu ihrer Wohnung im 1. Stock. Sie kann alleine nicht mehr aufstehen, und nach mehreren Versuchen, Hilfe herbeizurufen, gelingt es ihr unter Schmerzen, ihre Tochter anzurufen, die die Rettung verständigt. Nach ca. einer halben Stunde trifft das Sanitäterteam ein und bringt die Patientin in eine unfallchirurgische Ambulanz. Die Lagerung auf der Transportliege verursacht starke Schmerzen, ebenso der Transport. Nach Aufnahme der Daten kommt sie zur Erstuntersuchung, vom diensthabenden Turnusarzt werden Blut abgenommen, Analgetika verabreicht und die Zuweisung zum Röntgen eingegeben. Die Vigilanz der Patientin verschlechtert sich zunehmend. Mit Hilfe der in der Zwischenzeit eingetroffenen Tochter (diese musste ihrerseits die weitere Betreuung ihres 5‑jährigen Sohnes organisieren) wird mit vielfachen Rückfragen an diese eine Anamnese erstellt.
Die Patientin hat nach ca. 2 Stunden deutlich weniger Schmerzen, ist aber noch immer durch besonders bei Bewegung auftretende heftige Schmerzen beeinträchtigt und zusätzlich durch die analgetische Medikation verlangsamt.
Thomas Egger
4. Somatische Veränderungen im Alter
Zusammenfassung
Altern stellt einen komplexen, multifaktoriellen Prozess dar, der in Abhängigkeit vom jeweiligen Organsystem schon früh beginnen kann. So zeigen sich z. B. an der Niere schon ab dem 40. Lebensjahr Veränderungen der Organdurchblutung, die bereits als Beginn eines Alterungsprozesses gesehen werden. Die Alterungsvorgänge haben im Allgemeinen eine Abnahme der Funktionalität der Organsysteme zur Folge. Diese physiologischen altersassoziierten Rückbildungsprozesse führen nicht immer zu einer für den Betroffenen spürbaren Funktionsbeeinträchtigung, bewirken jedoch eine Einschränkung der Fähigkeiten von verschiedenen Homöostase-erhaltenden biologischen Prozessen.
Im Folgenden werden die altersbedingten Veränderungen einzelner Organsysteme kurz dargestellt. In ◘ Tab. 4.1 werden wichtige altersphysiologische Veränderungen verschiedener Organsysteme und die damit assoziierten Dysfunktionen und Erkrankungen zusammengefasst.
Uwe Langsenlehner, Heike Muchar, Walter Schippinger
5. Psychologische Aspekte der geriatrischen Notfallversorgung
Zusammenfassung
Die Bevölkerungsentwicklung in den industrialisierten Ländern ist durch einen dramatischen Anstieg des Anteils der über 60‑Jährigen an der Gesamtbevölkerung charakterisiert. Er beträgt derzeit etwa 20 % und wird sich bis zum Jahr 2026 auf etwa 31 % erhöhen. Dadurch gewinnt auch die Versorgung älterer Menschen mit körperlichen und psychischen Problemen einen immer höheren Stellenwert. Altern wird dabei als ein multifaktorielles Geschehen betrachtet und beinhaltet den zeitlichen Aspekt (Altern in Jahren), den biologischen Aspekt (Altern des Körpers), den psychologischen Aspekt (subjektives Altern), den sozialen Aspekt (Altern in der Gesellschaft), den kontextuellen Aspekt (Umweltbedingungen des Alterns) und den systemischen Aspekt (Zusammenspiel aller dieser Faktoren für erfolgreiches Altern).
Psychologische, psychotherapeutische und psychosoziale Aspekte werden neben medizinischen Faktoren als wesentlich für einen positiven Alterungsprozess angesehen [1], [2]. Diese betreffen
  • präventive Maßnahmen zur Vermeidung bzw. zur Reduktion pathologischer Alterungsprozesse,
  • die psychodiagnostische Erfassung von Defiziten und Ressourcen im Rahmen des geriatrischen Assessments,
  • spezifische klinisch-psychologische, psychotherapeutische und psychosoziale Interventionen zur Behandlung von Menschen mit verschiedenen Krankheitsbildern,
  • Fortbildung, Supervision und Unterstützung von professionellen und nicht professionellen Betreuungspersonen,
  • das Entlassungsmanagement
  • Überlegungen zur Milieugestaltung und Planung von ambulanten und stationären Betreuungsformen.
Gerald Gatterer
6. Notfallbehandlung in der Alterspsychiatrie/Gerontopsychiatrie
Zusammenfassung
Die Diagnostik und Behandlung in der Akutpsychiatrie stützt sich in erster Linie auf die fundierte klinische Erfahrung vieler Kollegen, die dieses Expertenwissen einerseits in Lehrbüchern [1], [2], [3] publiziert haben, andererseits aber auch in die Formulierungen verschiedenster internationaler und nationaler Leitlinien und Konsensuspapiere [4], [5], [6], [7] eingebracht haben. Es gibt nur eine geringe Anzahl an Studien, die zu diesem Thema durchgeführt wurden, und besonders in der Notfallversorgung der Patienten in der Alterspsychiatrie ist sehr wenig zu finden.
Auch ist es üblich, sich an den Erfahrungen in der Allgemeinpsychiatrie zu orientieren, in weiterer Folge die Behandlung auf Patienten im höheren Alter umzulegen, unter der besonderen Berücksichtigung der körperlichen und psychischen Besonderheiten des älteren und alten Menschen. In den letzten Jahren hat sich, aufgrund der demografischen Entwicklung, die Aufmerksamkeit auch auf die psychiatrische Versorgung älterer Menschen gerichtet. Es bleibt die Hoffnung, dass es zukünftig vertiefte Forschung geben wird, um gezieltere Erkenntnisse in der Diagnostik und Behandlung des älteren und alten Patienten zu gewinnen.
Die allgemeine Haltung und das Vorgehen in der psychiatrischen Notfallversorgung sollen folgende grundsätzliche Aspekte beinhalten:
Christian Jagsch
7. Zentrale Notfallaufnahme (ZNA) und Zentrale Notaufnahme für ältere Menschen
Strategie, Führung und Organisation, Hintergründe, Entwicklungsoptionen
Zusammenfassung
Die Begriffsdeutung der Zentralen Notaufnahme (ZNA) ist im deutschsprachigen Raum nicht ganz deckungsgleich mit dem angelsächsischen Verständnis des „Emergency Department“. Dies v. a. auch deshalb, weil es in Deutschland und Österreich keinen Facharzt für Notfallmedizin gibt [1], [2]. Befasst man sich etwas näher mit Zentralen Notaufnahmen, so finden sich unterschiedlichste Ausprägungen und Lösungen wie auch Interpretationen dieser Einrichtungen [3]. In vielen Ländern wird die Diskussion über die Notwendigkeit von interdisziplinären Notfallaufnahmen gar nicht mehr geführt, da die Vorteile für Patienten und Krankenhäuser ohnehin offensichtlich sind [2]. In Österreich ist zu beobachten, dass dieser Erkenntnis zunehmend Rechnung getragen wird und Neubauprojekte durchweg die Errichtung einer Zentralen Interdisziplinären Notfallaufnahme vorsehen [1]. Vorreiterrolle hat hierbei das Klinikum Klagenfurt, das im Jahr 2010 erstmals in Österreich eine ZNA eröffnete. Diese hatte bereits im 1. Betriebsjahr ein Aufkommen von nahezu 60.000 ambulanten und 9000 stationären Patienten zu bewältigen.
Karl Cernic, Rudolf Likar, Georg Pinter
8. Identifikation und subjektive Wahrnehmung von Beeinträchtigungsmustern bei ehemaligen geriatrischen Patienten
Zusammenfassung
Der demografische Wandel ist in vollem Gange und stellt uns, eine alternde Gesellschaft, vor enorme Herausforderungen. Dies verdeutlicht sich an der Verschiebung der Altersstruktur hin zu alten Menschen: Derzeit beträgt der Anteil der über 80‑Jährigen an der europäischen Gesamtbevölkerung ca. 4 %, das sind in etwa 350.000 Menschen in Österreich. Dieser Prozentsatz wird sich in den nächsten 40 Jahren auf 12 % erhöhen [1]. Alter, insbesondere Hochaltrigkeit, ist von einer erhöhten Vulnerabilität für altersspezifische Funktionsverluste gekennzeichnet; Multimorbidität, Mobilitätsprobleme und Schmerz nehmen ab dem 80. Lebensjahr deutlich zu [2, 3] und sind häufig Grund für eine stationäre Aufnahme. Im Alter wird der kurative medizinische Behandlungsansatz durch präventive und rehabilitative Aspekte erweitert, die sich auf die Leistungsfähigkeit und die allgemeinen Alltagsbedingungen beziehen [4]. Grundlage dafür ist eine umfassende Beurteilung der Patienten anhand eines geriatrischen Assessments, das neben krankheitsspezifischen Parametern auch die subjektive Beurteilung des Gesundheitszustands berücksichtigt. Diesen allgemeinen Überlegungen folgend wurde an der akutgeriatrischen Abteilung des Klinikums Klagenfurt am Wörthersee ein geriatrisches Basisassessment (GBA) standardmäßig implementiert. Die dort seit April 2008 verwendete Screeningbatterie dient zur umfassenden Beurteilung des körperlichen, mentalen und sozialen Gesundheitszustands der Patienten. Die Datensammlung selbst obliegt allen Berufsgruppen in der Geriatrie (Ergotherapie, Logopädie, Medizin, Pflege, Sozialarbeit, Physiotherapie und Psychologie). Die vorliegende Studie untersucht potenzielle Unterschiede zwischen objektiv messbaren (GBA) und subjektiv wahrgenommenen Beeinträchtigungen ehemaliger geriatrischer Patienten, da die gesundheitsbezogene Selbstwahrnehmung als Prädiktor für zukünftige gesundheitsrelevante Ereignisse geeignet zu sein scheint [5, 6]. Bisherige Studien näherten sich dieser Thematik über univariate Operationalisierungen des subjektiv wahrgenommenen Gesundheitszustands [7, 8, 9], jedoch scheint die kognitive Konstruktion der Antwort auf die Frage „Wie würden Sie im Allgemeinen Ihren Gesundheitszustand einschätzen?“ unter simultaner Berücksichtigung mehrerer Bewertungsdimensionen zu geschehen [10, 11]. Um diese Mehrdimensionalität entsprechend zu berücksichtigen, stellt die vorliegende Arbeit mit Hilfe von Latent-Class‑/Profile-Modellen identifizierte Beeinträchtigungstypen ehemaliger geriatrischer Patienten vor. Diese Typologie wurde im nächsten Schritt in Form von fiktiven Fallvignetten einer Teilstichprobe vorgelegt, um potenziell abweichende Beeinträchtigungswahrnehmungen zu identifizieren.
Brigitte Jenull, Wolfgang Wiedermann, Georg Pinter
9. Palliativmedizin – Sterben und Tod älterer Menschen
Zusammenfassung
Der Begriff „Palliativmedizin“ leitet sich vom lateinischen Verb palliare (= mit einem Mantel umhüllen, einhüllen) ab. Palliativmedizin möchte demnach schützend, umhüllend wirken, wenn Heilung, also Kuration, nicht mehr möglich ist. Das Ziel palliativmedizinischer Maßnahmen ist es, die Lebensqualität und Lebenszufriedenheit unheilbar kranker Menschen zu verbessern und zu erhalten. Ursprünglich wurde das Betreuungskonzept der Palliativmedizin für Menschen mit unheilbaren Tumorerkrankungen entwickelt, jedoch sollten die Prinzipien der Palliation bei allen nicht kurativ behandelbaren Erkrankungen angewandt werden.
Herbert Janig, Rudolf Likar, Walter Schippinger, Barbara Traar, Georg Pinter

Geriatrische Notfallmedizin

Frontmatter
10. Ethische Aspekte der Notfallversorgung geriatrischer Patienten
Zusammenfassung
Die erstaunlichen technischen, diagnostischen und therapeutischen Erfolge der Medizin in den letzten Jahrzehnten haben zu einer fundamentalen Änderung des Machbaren in der Akutversorgung geführt. Geriatrische Patienten sind in diesem Rahmen besonders vulnerabel; einerseits aufgrund ihrer zunehmenden Multimorbidität und Frailty, anderseits, da sie sehr große Gefahr laufen, die Achtung vor ihrer Persönlichkeit im „System Akutkrankenhaus“, das in der Regel unter großem Zeitdruck arbeitet und entscheidet, zu verlieren. Die medizinische Herausforderung ist oft mit ethischen Problemen im Grenzbereich zwischen Leben und Tod gekoppelt. Multimorbide, gebrechliche (frail) Patienten, die im Akutkrankenhaus aufgenommen werden, bedürfen einer besonderen Fürsorge, um das Risiko der Destabilisierung während und nach dem Aufenthalt so gering wie nur möglich zu halten.
Bevor überhaupt überlegt werden kann, an welchen Punkten es eine therapeutische Über- oder Unterversorgung im geriatrischen Notfall geben könnte, sollte zunächst klar definiert werden, was unter angewandter Ethik verstanden werden soll und was die 4 ethischen Prinzipien nach Beauchamp und Childress beinhalten, die die Basis ethischer Entscheidungen in der Medizin darstellen [1].
Frühwald, Monique Weissenberger-Leduc
11. Triage/Ersteinschätzung für Ältere
Zusammenfassung
Die Anzahl betagter Patienten in der Notaufnahme nimmt stetig zu. In der Literatur wird der Anteil älterer Patienten in der Notaufnahme zwischen 12 und 21 % angegeben [1]. Daten aus dem Klinikum Nürnberg, einem Haus der Maximalversorgung mit ca. 80.000 Notaufnahmevisitationen pro Jahr, zeigen, dass Patienten, die älter als 70 Jahre sind, bereits 30,6 % und Patienten, die über 80 Jahre alt sind, 14,6 % aller in der Notaufnahme behandelten Patienten ausmachen. Aufgrund der demografischen Entwicklung ist in den kommenden Jahren auch im Bereich der Notfallmedizin mit einem weiteren Anstieg betagter Patienten zu rechnen.
Ältere Patienten sind multimorbide, verbringen im Gegensatz zu jüngeren Patienten, unabhängig von der aufnehmenden Fachrichtung, eine längere Zeit in der Notaufnahme, zeigen eine höhere Erkrankungsschwere und weisen einen höheren Ressourcenverbrauch auf [2], [1]. Viele der Patienten leiden an einem oder mehreren geriatrischen Syndromen wie Immobilität, akut aufgetretenen oder chronisch kognitiven Einschränkungen und Urininkontinenz. Genau diese geriatrischen Syndrome sind es aber, die in der Notfallsituation häufig unerkannt bleiben.
Hans Jürgen Heppner, Katrin Singler
12. Klinischer Pfad – Implementierung
Zusammenfassung
Eine Fraktur des hüftnahen Oberschenkels ist für die Betroffenen nach wie vor ein sehr einschneidendes Ereignis und resultiert für viele Patienten in einer Einschränkung im täglichen Leben und den alltäglichen Verrichtungen, in einer Einschränkung der Mobilität und des Aktivitätsradius mit der Notwendigkeit, Gehhilfen zu verwenden, in einer Beeinträchtigung des allgemeinen Gesundheitszustands und nicht selten der Notwendigkeit einer Unterbringung in einer Pflegeeinrichtung. Die allgemeine wie auch die spezifische Komplikationsrate im Rahmen der Versorgung ist nach wie vor sehr hoch, ebenso wie die Krankenhaus- und auch die 1‑Jahres-Sterblichkeit.
This report makes depressing reading. Too often it suggests a pattern of ‘one size fits all medicine’ being applied to a heterogenous population with varying needs and falling short in ways which are both predictable and preventable“[1].
Mit diesem einleitenden Absatz beschreibt der Vorsitzende des NCEPOD (National Confidential Enquiry into Patient Outcome and Death) Bertie Leigh in seinem Vorwort zur Erfassung der Versorgung betagter Menschen, die sich einer Operation unterziehen müssen, treffend die umfassende Problematik des englischen Gesundheitssystems im Umgang mit alten Menschen. Der medizinische Alltag zeigt aber auch, dass dies für andere westliche Gesundheitssysteme, einschließlich des österreichischen, ohne Abstriche zutrifft.
Ernst Müller, Karl Cernic
13. Das Geriatrie Board Graz
Zusammenfassung
Die Behandlung akut erkrankter, multimorbider alter Menschen erfordert eine spezifisch geriatrische Behandlungsplanung. Geriatrische Patienten sind durch bestehende Multimorbidität und zusätzliche Funktionsdefizite auf somatischer, psychischer und sozialer Ebene in dem Sinne besonders vulnerabel, dass diese Menschen ein besonders hohes Risiko haben, durch eine hinzugetretene Akuterkrankung in ihrer Funktionalität weiter beeinträchtigt zu werden. Oft sind dadurch der Verlust der Selbstständigkeit und der Verlust der Fähigkeit, zu Hause leben zu können, verbunden.
Die geriatrische Versorgung dieser Patienten erfordert daher die enge Kooperation und Kommunikation zwischen Ärzten, diplomiertem Pflegepersonal, Physiotherapeuten, Psychologen, Ergotherapeuten, Sozialarbeitern und bei Bedarf auch Diätologen und Logopäden. Die Vertreter dieser unterschiedlichen Berufsgruppen müssen daher unter Leitung eines geriatrisch ausgebildeten Arztes ein Behandlungsziel und folglich einen Behandlungsplan für jeden einzelnen geriatrischen Patienten festlegen.
Innerhalb einer Abteilung, an der ein Patient betreut wird, wie z. B. an einer Abteilung für Akutgeriatrie und Remobilisation (AG/R), ist eine solche interdisziplinäre Kommunikation, Kooperation und Behandlungsplanung gelebter Standard und ist längst zur Selbstverständlichkeit geworden, ohne die eine optimale Patientenbetreuung nicht mehr vorstellbar wäre.
Walter Schippinger, Stepan Vinzenz
14. Geriatrischer Konsiliardienst – GEKO
Hochqualitative geriatrische Versorgung von Patienten in Pflegeheimen durch einen internistisch-fachärztlichen Konsiliardienst und deren Auswirkung in der Landeshauptstadt Graz
Zusammenfassung
Die demografische Entwicklung in den Ländern der westlichen Industriestaaten zählt zu den großen Herausforderungen für die Planungen der Sozial- und Gesundheitssysteme des 21. Jahrhunderts. Eine steigende Lebenserwartung der Menschen steht einer abnehmenden Geburtenrate gegenüber, was zu einer Alterung der Bevölkerung führt. Gemäß Prognosen der Statistik Austria wird der Anteil der 15 bis 59‑Jährigen in Österreich von 62 % im Jahre 2012 auf 52,2 % im Jahr 2050 absinken. Gleichzeitig wird prognostiziert, dass der Anteil der Menschen, die 60 Jahre und älter sind, von 23,5 % im Jahr 2012 auf 34,5 % im Jahr 2050 ansteigen wird [1].
Durch diese Veränderungen in der Alterszusammensetzung der Bevölkerung ergibt sich die Annahme, dass künftig eine größere Zahl betagter, pflegebedürftiger Menschen einer sinkenden Anzahl jüngerer Angehöriger, die Pflegeaufgaben übernehmen könnten, gegenüberstehen wird. Es werden künftig also voraussichtlich mehr Menschen Hochaltrigkeit erreichen. Höheres Alter ist jedoch ein wesentlicher Risikofaktor für das Auftreten von Immobilität und Pflegebedürftigkeit. Aufgrund dieser Konstellation ist anzunehmen, dass in der Zukunft ein stärkerer Bedarf an Langzeitpflege-Einrichtungen wie Pflegeheimen gegeben sein wird [2], [3].
Höheres Alter ist jedoch auch mit Multimorbidität, also dem Auftreten mehrerer gleichzeitig bestehender Erkrankungen, die einer Behandlung bedürfen, assoziiert. Der Begriff Multimorbidität umspannt dabei Gesundheitsstörungen des bio-psycho-sozialen Spektrums geriatrischer Medizin.
Walter Schippinger, Erwin H. Pilgram, Gerd Hartinger
15. Versorgung optimieren, vermeidbare Krankenhaustransporte reduzieren
Eine Interventionsstudie in Kärntner Pflegeheimen
Zusammenfassung
Die meisten von uns haben im privaten Kontext oder in der beruflichen Praxis wohl schon das eine oder andere Mal den Eindruck gewonnen, dass ältere Menschen von einer Behandlung vor Ort in ihrem gewohnten Umfeld mehr profitieren würden als von einem Transport ins Krankenhaus. In der Tat birgt ein Krankenhausaufenthalt Gefahren für die Gesundheit des älteren Menschen. Diese „hazards of hospitalization“ umfassen v. a. iatrogene Komplikationen, Funktionseinbußen, Delir und Inkontinenz [1]. Die Bewältigungsfähigkeit von Pflegeheimbewohnern wird durch Wechsel des Versorgungssettings stark gefordert oder gar überfordert, die Wiedereingewöhnung im Pflegeheim fällt schwer. Diese Problematik wird in der Literatur unter Termini wie „relocation stress“ oder „transfer trauma“ diskutiert (für einen Überblick siehe [2]). Trotz dieser Gefahren sind die Krankenhaustransportraten aus Pflegeheimen hoch [3], da die Pflegeheime mit den gegebenen Ressourcen und Rahmenbedingungen dem wachsenden Betreuungsbedarf der multimorbiden Bewohner nicht immer gewachsen sind. Die geringe fachärztliche Versorgung [4], die lückenhafte Erreichbarkeit von Hausärzten [5] und der Mangel an Pflegefachpersonal sind dabei besonders problematisch. Die retrospektive Analyse von Routinedaten erbrachte, dass Pflegeheimbewohner in Kärnten (Österreich) im Schnitt 3- bis 4‑mal pro Jahr zu ambulanten oder stationären Behandlungen ins Krankenhaus gebracht werden [6]. Eine rezente Studie zeigt, dass Pflegeheimbewohner doppelt so häufig hospitalisiert werden wie nicht institutionalisierte Gleichaltrige [7]. Aber sind all diese, für die Bewohner belastenden Transporte wirklich nötig? Dieser Frage wird im folgenden Abschnitt nachgegangen.
Olivia Kada, Herbert Janig, Rudolf Likar, Georg Pinter
16. Die INKA am Albertinen-Krankenhaus Hamburg
Eine allgemeinmedizinisch konzipierte Notaufnahmestation mit akutgeriatrischem Schwerpunkt
Zusammenfassung
Die Notfallversorgung in deutschen Krankenhäusern steht vor großen Aufgaben: Die stationäre Bettenzahl sinkt flächendeckend [1], die Zahl der Notfallzuführungen in die Kliniken dagegen steigt [2]. Die Patienten werden älter, zunehmend chronisch krank [3] und multimorbide. Die medizinischen Fachgebiete spezialisieren sich immer mehr, wodurch in den Krankenhäusern der Anteil an Generalisten abnehmen wird [4]. Den Notaufnahmen werden zunehmend betagte und hochbetagte Patienten zugeführt, die keiner Fachabteilung eindeutig zuzuordnen sind und die keiner hoch spezialisierten, aber dennoch einer stationären Behandlung bedürfen. In Deutschland müssten diese Patienten in vielen Fachabteilungen systembedingt (DRG) einer weiterführenden Diagnostik bzw. weiteren Prozeduren unterzogen werden, um nicht als Fehlbelegungen vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) beanstandet zu werden. Ob solcherlei Diagnostik gerechtfertigt ist, wird kontrovers diskutiert [5]. Im ungünstigsten Fall werden solche Patienten nicht stationär aufgenommen, obwohl dies medizinisch indiziert ist und von zuweisendem Arzt, Angehörigen und vom Patienten selbst gefordert wird.
Michael Groening

Versorgungsmodelle

Frontmatter
17. Risikomanagement in einer Zentralen Notaufnahme
Steigender Anspruch und komplexe Realität
Zusammenfassung
„Errare humanum est“, jeder Mensch macht unweigerlich Fehler, niemand macht Fehler prinzipiell absichtlich, und nahezu jeder Fehler hat eine systemische Komponente.
Viele Studien haben gezeigt, dass Fehler gerade in dem komplexen System Krankenhaus ein relevantes Problem darstellen, und dort v. a. im Akutbereich. Eine Vielzahl von Faktoren und das Versagen oder Fehlen von Schutzmechanismen führen zum Endpunkt medizinischer Behandlungsfehler, der in der Statistik der Todesursachen an prominenter Stelle rangiert.
Eine Zentrale Notaufnahme (ZNA) als Drehscheibe in einem Akutspital ist ein Hochrisikobereich; die hohe Komplexität durch Zeitdruck, Unplanbarkeit, Interdisziplinarität und Multiprofessionalität mit zahlreichen Schnittstellen bietet mannigfaltige Fehlerquellen.
Eine wesentliche Schlüsselerkenntnis ist, dass sich die Arbeitsumgebung v. a. an den Akteuren orientieren muss. Es gilt, individuelle medizinische Dienstleistungen als hochqualitative Kernprozesse strukturiert abzubilden und ein optimales, auf den Menschen mit seinen Stärken und Schwächen abgestimmtes Umfeld zu etablieren, um Spitzenleistungen verantwortungsvoll und fehlerfrei erbringen zu können.
Michael Moser
18. Einrichtungen der Akutgeriatrie und Remobilisation in Österreich
Zusammenfassung
Die Reformen im Gesundheitswesen mit den strukturellen Anpassungen und Neuentwicklungen führen zu laufenden Veränderungen der Gesundheitseinrichtungen für ältere Patienten. Eine Übersicht über die Situation der Akutgeriatrien/Remobilisation (AG/R) soll Klarheit schaffen. Die medizinischen Strukturen sind vorwiegend das Produkt gesundheitspolitischer Entscheidungen; die Einflussnahme durch Ärzte ist erforderlich, um eine qualitativ hochwertige Entwicklung zu gewährleisten. Die in praktischer Arbeit erfahrenen Ärzte müssen ihre Kenntnisse einbringen können. Die Statistik zeigt europaweit eine Bettenreduktion im Akutbereich, eine Kompression der Diagnostik und Therapie auf weniger Aufenthaltstage im Krankenhaus [1].
Dadurch entsteht die Notwendigkeit, für eine bestimmte Gruppe älterer Patienten spezialisierte Strukturen zu entwickeln. Ältere Menschen benötigen aufgrund der erhöhten Komplikationshäufigkeit, Funktionalitätseinschränkungen bei akuter Erkrankung und Multimorbidität häufiger längere Behandlungszeiten. Die Altersgruppe wächst, und das zunehmende medizinische Wissen über diese Population ermöglicht verbesserte Behandlungsmethoden an dafür entwickelten Gesundheitseinrichtungen.
Peter Dovjak
19. Geriatrische Notfallmedizin – Medizinische Aspekte in der Behandlung geriatrischer Patienten
Zusammenfassung
Speziell in der Notfallmedizin müssen Ärzte in der Lage sein, in kurzer Zeit Situationen richtig einzuschätzen und ohne Verzug die nötigen Gegenmaßnahmen einzuleiten. In diesen Momenten stellen Guideline-basierte SOPs ein wichtiges Hilfsmittel zur raschen Abschätzung und richtigen Reaktion in bedrohlichen Situationen dar. Wenn dann allerdings, wie oft im Falle von älteren, multimorbiden Menschen, die Probleme des Patienten nicht in den so mühsam erarbeiteten Horizont unserer Kenntnisse passen wollen, stoßen wir schnell an die Grenzen unserer Fähigkeiten.
Schon heute stellen ältere Menschen den Großteil der Patienten in Notfallaufnahmen.
So waren im Jahr 2011 an unserer Zentralen Notfallaufnahme im Klinikum Klagenfurt von den ambulant internistisch vorgestellten Patienten 30 % älter als 65 Jahre und 8 % älter als 85 Jahre.
Von den über die Notfallaufnahme stationär aufgenommenen Patienten waren 54 % älter als 65 Jahre und 14 % sogar älter als 85 Jahre. Außerdem waren 31 % aller an der Intensivstation aufgenommen Patienten 75 Jahre oder älter. Wir können also von einer zunehmenden Konzentrierung geriatrischer Patienten bei steigender Intensität der Betreuung sprechen.
Die Behandlung geriatrischer Patienten in der Notfallaufnahme ist demgemäß nicht nur ein Thema der Zukunft, sondern bereits seit langem existierender klinischer Alltag. Verglichen mit jüngeren Patientengruppen, weisen sie einige wichtige Besonderheiten auf.
Arnulf Isak
20. Geriatrische Notfallversorgung in der Allgemeinpraxis
Zusammenfassung
Voller Freunde war meine Welt, Als mein Leben noch licht war; Nun, da der Nebel einfällt, Ist keiner mehr sichtbar.“ – Hermann Hesse
Die Daten aus der Allgemeinmedizin, aus der Praxis eines Landarztes sind nicht die randomisierten, doppelblinden, riesigen Fallzahlen; sondern die Kasuistiken, die im besten Falle exemplarisch sind und im Leser Emotionen hervorrufen. Nahezu jeder hat persönliche, eigene Erfahrungen mit Notfällen, die manchmal sanft, oft aber wie eine Mure die nüchterne Lektüre unterbrechen.
Dieter Schmidt
21. Neurologische Erkrankungen im Alter
Zusammenfassung
Neurologische Erkrankungen spielen in der „geriatrischen Notfallversorgung“ eine bedeutende Rolle. Der Behandlungserfolg hängt bei vielen neurologischen Krankheiten davon ab, ob die Diagnose frühzeitig und richtig gestellt wird und eine ursachengerechte Behandlung schnell eingeleitet wird. Daraus ergibt sich, dass eine primäre Versorgung dieser Patienten auf neurologischem Facharztstandard erfolgen muss. Aufgrund der Kürze dieses Beitrages kann nur ein Auszug der wichtigsten und häufigsten Krankheitsbilder beschrieben werden. Verschiedene relevante Krankheiten, wie z. B. das Delir, werden an anderer Stelle dieses Buches beschrieben. Der Schwerpunkt des Inhalts liegt in diagnostischen und differenzialdiagnostischen Überlegungen sowie in der Beschreibung von Therapiemöglichkeiten in der Akutphase unter besonderer Berücksichtigung des geriatrischen Patienten. Risikofaktoren und Primärprävention der jeweiligen Erkrankungen werden in diesem Beitrag über „Geriatrische Notfallversorgung“ nicht berücksichtigt.
Gerald Pichler, Jörg Weber
22. Schmerzmessung und Schmerztherapie im Alter
Zusammenfassung
Der vorliegende Beitrag zeigt, basierend auf der aktuellen wissenschaftlichen Literatur, aber auch auf den Therapieerfahrungen der Autorinnen und Autoren aus verschiedenen Fachrichtungen, dass Schmerzdiagnostik und ‑therapie im Alter eine Reihe von Spezifika berücksichtigen muss. Eine wesentliche Herausforderung besteht darin, ältere und betagte Menschen als Schmerzpatienten ausreichend zu erkennen, Schmerzen bei ihnen systematisch zu erfassen und sie entsprechend diesen Erkenntnissen ausreichend zu behandeln.
Eine ausführlichere Darstellung des Problems unter Berücksichtigung weiterer ethischer und therapeutischer Aspekte sowie häufiger Indikationen findet sich in einem aktuellen Konsensus-Statement der Autorengruppe [1].
Rudolf Likar, Georg Pinter
23. Schmerzmessung bei kognitiv beeinträchtigten Patienten mit der Doloplus‑2-Skala
Zusammenfassung
Schmerzmessung bei kognitiv beeinträchtigten Menschen stellte bis vor Kurzem ein vernachlässigtes Gebiet in der Diagnostik und Behandlung von Schmerzen dar.
In einer repräsentativen Untersuchung, bei der über 65‑Jährige in Kärnten befragt wurden, geben 50–60 % an, seit mehreren Jahren unter Schmerzen zu leiden, die Hälfte von ihnen leidet sogar unter starken bis sehr starken Schmerzen [12]. Der chronische Schmerz ist ein multifaktorielles Geschehen, das ein umfassendes und interdisziplinäres Therapiekonzept erfordert. Mit jedem unzureichend behandelten Schmerzdurchbruch nehmen Schmerzintensität und ‑folgen wie Depression, Schlafprobleme, eingeschränkte soziale Kontakte und damit verbundene Vereinsamung weiter zu [2]. In einer schwedischen bevölkerungsbezogenen Studie berichteten drei Viertel der über 75‑jährigen Personen über chronische Schmerzen, ein Drittel davon über schwere und schwerste Dauerschmerzen [8]. Bei älteren, kognitiv beeinträchtigen Patienten, die in Institutionen leben, beträgt die Prävalenz der Schmerzen zwischen 45 und 84 % [15], [9].
Kornelia Gatternig, Alexander Hammerschlag, Ingo Kager, Rudolf Likar, Wolfgang Pipam, Reinhard Sittl, Walburga Stampfer-Lackner, Georg Pinter
24. Obstruktive Lungenerkrankungen im Alter – Asthma und COPD
Zusammenfassung
Die größte Herausforderung der nächsten Jahre ist die zunehmende Alterung der Bevölkerung. Obstruktive Lungenerkrankungen zählen zu den häufigsten Erkrankungen, und alleine die COPD (chronisch-obstruktive Lungenerkrankung) wird die vierthäufigste Todesursache im Jahr 2020 sein. Die Häufigkeit der obstruktiven Erkrankungen wird für die COPD mit 10–25 % der über 60- bis 70‑Jährigen, für das Asthma mit ca. 10 % der über 65‑Jährigen und für unklare Dyspnoe zusätzlich mit 15 % angegeben [1]. Die Zahlen der COPD in Österreich überschreiten diese Werte deutlich: mit einer Prävalenz von bis zu 50 % der über 70‑Jährigen [2], [3]. Asthma bronchiale, insbesondere allergisches Asthma, ist beim älteren Patienten unterdiagnostiziert und auch untertherapiert, wobei wir von ca. 10 % der älteren Bevölkerung ausgehen müssen.
Die COPD ist die häufigste obstruktive Lungenerkrankung des Alters, und die Prävalenz steigt auch mit dem Alter und mit der Exposition zu Tabakrauch und anderen inhalativen Noxen. Im Unterschied zum Asthma wird die COPD anhand der Spirometrie klassifiziert und nach den GOLD Kriterien entsprechend behandelt [4]. Dies unabhängig von der bestehenden Symptomatik.
Alter per se verschlechtert den Gesundheitszustand von COPD nicht, altersabhängige Faktoren wie soziale Isolation oder Immobilität verschlechtern den Allgemeinzustand bei bestehender COPD sehr wohl [5].
Christian Geltner
25. Sturz im Alter
Zusammenfassung
In den vergangen Jahrzehnten hat die Lebenserwartung weltweit zugenommen, wobei insbesondere die ältere Population über 60 Jahren stark angewachsen ist. Nach jüngsten Schätzungen werden dem besagten Alterssegment bis zum Jahre 2050 weltweit rund 2 Milliarden Menschen angehören [1]. Obwohl der stete Anstieg der Lebenserwartung eine der größten Errungenschaften der modernen Medizin ist, nehmen mit fortschreitendem Alter auch die gesundheitlichen Probleme zu [2]. Diese meist chronischen Erkrankungen mit Auswirkungen auf Funktionalität und Unabhängigkeit der Senioren stellen zukünftig eine der wichtigsten Herausforderungen für das Gesundheitssystem und die geriatrische Versorgung älterer Menschen dar [1].
Der Begriff Alter ist neben der chronologischen Komponente durch eine Kombination von anatomischen, physiologischen und biochemischen Veränderungen bestimmt [3]. Erfolgreiches Altern beinhaltet deshalb in erster Linie die biologische Altersdimension mit dem Ziel, die Autonomie bis ins hohe Alter zu erhalten [4]. Eine solche Unabhängigkeit bis zum Lebensende wird als „würdevolles“ Altern beschrieben, wobei das Wohnen im eigenen Heim, ein aktiver Lebensstil und die Teilnahme an sozialen Aktivitäten wichtige Voraussetzungen dafür sind [5].
Yves J. Gschwind, Stephanie A. Bridenbaugh, Reto W. Kressig
26. Diabetische Entgleisung im Alter
Zusammenfassung
Gerade bei älteren Patienten und Patientinnen hat die Diagnose Diabetes mellitus Typ 2 eine große klinische Relevanz. Die Prävalenz in der Bevölkerungsgruppe der über 70‑Jährigen beträgt 20–25 %. In Pflegewohnheimen kann der Anteil der Diabetiker/innen bis zu 50 % betragen.
Das Alter alleine gibt keine ausreichende Information über den funktionellen Status einer Person. Hier spielen zahlreiche Faktoren wie Multimorbidität und der typische geriatrische Komplex von Immobilität, Instabilität, intellektuellem Abbau, Inkontinenz und Immundefizienz eine Rolle. Auch Sehschwäche oder Einschränkungen der Motorik durch Gelenkerkrankungen oder Tremor müssen berücksichtigt werden [1], [2].
Da die Heterogenität in dieser Altersgruppe sehr hoch ist, werden die Therapieziele individuell festgesetzt. Für rüstige Seniorinnen und Senioren ohne wesentliche funktionelle Beeinträchtigungen („Go-Go“) sollte die Therapie so gewählt werden, dass sie nicht in ihren Aktivitäten eingeschränkt werden. Im Einverständnis mit den Patienten und bei gegebener guter Mitarbeit kann durchaus ein Therapieziel von zumindest HbA1c < 7 %, bei niedrigem Hypoglykämierisiko sogar < 6,5 %, angestrebt werden.
Für die durch Komorbiditäten eingeschränkten Patienten („Slow-Go“) sind v. a. die Therapiesicherheit, d. h. eine geringe Hypoglykämiegefahr, und gute Verträglichkeit (erhöhtes Arzneimittelnebenwirkungsrisiko bei altersbedingt eingeschränkten Organfunktionen) wesentliche Kriterien der Therapieauswahl. Der angestrebte Therapiezielbereich liegt bei einem HbA1c zwischen 7 und 8 %.
Antonella de de Campo, Kurt Possnig
27. Kardiologische Therapie bei Hochbetagten
Zusammenfassung
Angesichts der demografischen Bevölkerungsentwicklung ist die Kardiologie immer häufiger aufgefordert, sich mit Therapieentscheidungen bei hochbetagten Menschen zu beschäftigen. Dabei sind neben Komorbiditäten stets auch Patientenwünsche besonders zu berücksichtigen. Therapieziele verlagern sich mit zunehmendem Alter regelmäßig von Morbiditäts- bzw. Mortalitätsreduktion hin zu Verbesserung der Lebensqualität. Diese komplexen Anforderungen an kardiologische Behandlungsstrategien implizieren die Intensivierung eines interdisziplinären Vorgehens bei verschiedenen Krankheitsentitäten. Folgendes Kapitel setzt sich vorwiegend mit den verschiedenen Manifestationsformen der koronaren Herzkrankheit auseinander, da diese die häufigste Ursache kardiologischer Notfälle in einem geriatrischen Patientenkollektiv ist. Diverse andere Erkrankungen des Herzens sind im fortgeschrittenen Alter natürlich ebenfalls von großer Bedeutung, bedürfen aber seltener einer Notfallversorgung, sondern erfordern eher ein elektives oder zumindest semi-elektives Patientenmanagement. Aus diesem Grund werden sie in diesem Kapitel nicht im Detail beleuchtet, weshalb dieser Beitrag keinesfalls einen Anspruch auf Gesamtheit stellen kann. Zu den hier nicht ausführlich behandelten Erkrankungen gehören z. B. die im Folgenden aufgeführten.
Hannes Alber, Otmar Pachinger
28. Elektrolytentgleisungen im Alter
Zusammenfassung
Die Hyponatriämie ist die häufigste Elektrolytstörung im Alter. Weniger als 10 % der Patienten werden mit einer Hyponatriämie stationär aufgenommen. Während des Aufenthalts entwickeln jedoch bis zu 30 % diese Elektrolytstörung, dafür sind in erster Linie Medikamente verantwortlich. Vor einer weiteren Diagnostik muss die sog. Pseudohyponatriämie (280–296 mosmol/kg) ausgeschlossen werden. Von einer Pseudohyponatriämie spricht man, wenn der Wasseranteil durch eine deutlich erhöhte Hyperlipoproteinämie oder Hyperproteinämie verringert wird. Eine schwere Hyponatriämie besteht, wenn der Serumnatriumwert von 120 mmol/l unterschritten wird. Ein Natriummangel muss immer langsam ausgeglichen werden, da eine zu rasche Korrektur zu einer zentralen pontinen Myelinolyse führt, bei der es zu einer demyelinisierenden Hirnstammläsion kommt. Besonders Alkoholiker und betagte Menschen haben hierfür ein hohes Risiko. Die Regulierung des Natriums wird über das Gehirn und die Nieren abgewickelt, mit dem Ziel, eine konstante Osmolalität des Intra- und Extrazellulärraums aufrechtzuerhalten. Eine Hyponatriämie bedeutet nicht per se einen Natriummangel (z. B. bei Herzinsuffizienz).
  • Serumnatrium < 135 mmol/l
  • Osmolalität < 280 mosmol/kg
Bei einer Hyponatriämie sind Flüssigkeit und Natrium reduziert.
  • Diarrhö
  • Erbrechen
  • Peritonitis
  • Pankreatitis
  • Diuretika
  • Nebennierenrindeninsuffizienz
  • Nierenversagen (polyurische Phase)
  • Osmotische Diurese (Diabetes mellitus)
  • Exsikkose (stehende Hautfalten)
  • Hypotonie
  • Tachykardie
Thomas Rabold

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29. Onkologische Notfälle bei geriatrischen Patienten
Zusammenfassung
Unter onkologischen Notfällen versteht man kritische klinische Zustände, die durch die Tumorerkrankung selbst oder durch eingeleitete Therapiemaßnahmen entstehen, dadurch zu einer massiven Beeinträchtigung der Vitalparameter führen und die, unbehandelt bzw. nicht rechtzeitig diagnostiziert, vital bedrohliche Gefährdungen darstellen. Aufgrund von hohen Krebsinzidenzen und der Möglichkeit, auch in fortgeschrittenen Tumorstadien aggressive zytostatische und radiotherapeutische Behandlungen durchzuführen, nimmt die Häufigkeit von Tumorerkrankungs- und therapiebedingten Notfällen zu. Viele dieser bedrohlichen Situationen können nur in einem gut kooperierenden interdisziplinären Team, das hohe Expertise im Umgang mit onkologischen Krankheitsbildern hat, erfolgreich und sicher behandelt werden. Es können auch onkologische Notfälle als Erstsymptomatik einer Tumorerkrankung bei Patienten und Patientinnen auftreten, bei denen eine Krebsdiagnose zuvor noch nicht gestellt wurde.
Uwe Langsenlehner, Walter Schippinger
30. Aspekte der Polypharmazie beim alten Patienten
Zusammenfassung
Von den derzeit in Österreich ca.12.330 zugelassenen Humanarzneimitteln (Stand 2012) sind rund 32 % rezeptfrei in der Apotheke erhältlich. Neben den vom Arzt verordneten Arzneimitteln erfolgt zusätzlich Selbstmedikation mit registrierten und nicht registrierten sog. Over The Counter (OTC)-Produkten. So nimmt ein Patient ab dem 60. Lebensjahr im Mittel 3 rezeptpflichtige Arzneimittel ein, zwischen dem 75. und dem 85. Lebensjahr bereits mehr als 8 vom Arzt verordnete Medikamente. Die Häufigkeit an theoretisch möglichen Arzneimittelinteraktionen korreliert mit der Anzahl an Arzneimitteln [26]: Bei einer Anzahl von 5 Arzneimitteln gibt es theoretisch schon 10 mögliche Arzneimittelinteraktionen; bei 7 Arzneimitteln bereits 21 Interaktionen (◘ Abb. 30.1). Die Polypharmakotherapie beim alten Patienten, meist verursacht durch Multimorbididät, physiologische Veränderungen im Alter und damit verbundene Änderungen im Arzneistoffmetabolismus, und die adjuvante Selbstmedikation erhöhen in Summe das Risiko für das Auftreten unerwünschter und teilweise unerwarteter Arzneimittelwirkungen (UAW). Oftmals werden UAW als solche nicht erkannt, sondern als neu aufgetretene Krankheiten bewertet und therapiert. Daraus resultieren Verschreibungskaskaden, die wiederum das Risiko weiterer UAW erhöhen.
Ingrid Friedl
31. Pflege in der geriatrischen Notfallversorgung
Die tägliche Herausforderung
Zusammenfassung
A frail, dying, elderly widow’s voice becomes so hard to hear against all the noises of contemporary private practice“ [1].
Altersabhängige Krankheiten, insbesondere jene, welche mit kognitiven Störungen assoziiert sind, gewinnen durch den demografischen Wandel im Gesundheits- und Sozialsystem immer größere Bedeutung. Die Krankenhäuser, insbesondere die Notfallaufnahmen, werden vor immer größere Herausforderungen gestellt und sind oft mit diesen Patienten überfordert [2]. Der alte Mensch mit seiner multiplen Komorbidität, Polypharmazie, funktionellen und kognitiven Defiziten und veränderter klinischer Symptomatik ist nicht geeignet für eine schnelle Diagnostik und Behandlung. Dies ist aber ein Hauptziel der Notaufnahme [3]. Dieses Kapitel versucht die Komplexität des geriatrischen Patienten für den gesamten Akutbereich zu skizzieren. In weiterer Folge geht es um den Versuch, Möglichkeiten aufzuzeigen, wie diese Situation sowohl für Patienten und Personal als auch für die Krankenhausträger verbessert werden kann.
Generell muss vorausgeschickt werden, dass bzgl. Einweisungsdiagnosen 2 große Bereiche unterschieden werden müssen.
Monique Weissenberger-Leduc, Michaela Zmaritz
Backmatter
Metadaten
Titel
Geriatrische Notfallversorgung
herausgegeben von
Georg Pinter
Rudolf Likar
Walter Schippinger
Herbert Janig
Olivia Kada
Karl Cernic
Copyright-Jahr
2013
Verlag
Springer Vienna
Electronic ISBN
978-3-7091-1581-7
Print ISBN
978-3-7091-1580-0
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-7091-1581-7

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