Lauterbachs lange Agenda für 2023

Das Gesundheitsjahr 2023 wird anspruchsvoll – in der Coronavirus-Pandemie sind viele Reformen liegen geblieben. In diesem Jahr will und muss Bundesgesundheitsminister Lauterbach liefern. Ein Überblick über seine Vorhaben. Lange galt Professor Karl Lauterbach als Corona-Minister. Inzwischen hat er seinen Kalender vollgepackt mit Projekten. Für das neue Jahr hat sich der Bundesgesundheitsminister viel vorgenommen. Ein Blick auf seine Agenda: Lauterbachs Agenda für 2023 In Arbeit Arzneimittel-Gesetz E-Rezept Barrierefreiheit Cannabis Im Laufe des Jahres Öffentlicher Gesundheitsdienst Digitalagentur Patientenrechte Long-COVID Frühjahr 2023 Medizinstudium Digitalstrategie 1. Halbjahr 2023 Versorgungsgesetze Gesundheitsdatennutzungsgesetz GKV-Finanzierung Physiotherapie 3. Quartal 2023 Pflegeversicherung Krankenhaus-Reform Bürokratie-Entlastung Ausblick Auf Eis gelegt: Ärztliches Honorar Für 2024 vorgesehen: Opt-Out bei elektronischer Patientenakte In Arbeit Arzneimittel-Gesetz „Die Engpässe in der Versorgung bekämpfen wir entschieden“, heißt es im Koalitionsvertrag unter der Zwischenüberschrift „Versorgung mit Arzneimitteln und Impfstoffen“. Eckpunkte zu einem dementsprechenden „Arzneimittel-Gesetz“ präsentierte der Bundesgesundheitsminister Mitte Dezember, ein Referentenentwurf steht noch aus. Danach soll es vor allem hinsichtlich der beiden wichtigsten Steuerungsinstrumente im Generikamarkt – Festbeträge und Rabattausschreibungen – Lockerungen geben, um die Anbietervielfalt zu fördern: Unter anderem ist geplant, dass bei Rabattausschreibungen für Onkologika und Antibiotika ein zusätzlicher Los-Zuschlag nach dem Kriterium ‚Anteil der Wirkstoffproduktion in der EU‘ vergeben wird“. Außerdem sollen Rabattpartner zu einer „mehrmonatigen, versorgungsnahen Lagerhaltung“ verpflichtet werden. Für Wirkstoffe, die in der pädiatrischen Versorgung essenziell sind, soll es künftig generell keine Festbeträge oder Rabattverträge mehr geben; Hersteller sollen entgegen dem bestehenden Preismoratorium ihre Abgabepreise um bis zu 50 Prozent anheben dürfen. In Wirkstoff-Teilmärkten, die nurmehr von wenigen Anbietern bedient werden, soll bei sich abzeichnenden Nachschubproblemen ein bestehender Festbetrag um 50 Prozent angehoben oder sogar ganz aufgegeben werden können. Weitere Bausteine des „Arzneimittel-Gesetzes“ sind eine bessere, weil systematisch praktizierte Engpass-Früherkennung durch die Arzneimittelbehörde BfArM sowie Erleichterungen der Aut-idem-Substitution in der Apotheke. E-Rezept Eine Erfolgsgeschichte ist das elektronische Rezept (E-Rezept) bislang leider nicht. In einem Stufenplan sollte der bundesweite Rollout im September 2022 starten – zunächst in den beiden KV-Regionen Schleswig-Holstein und Westfalen-Lippe. Die KV-Schleswig-Holstein stieg noch vor dem Start aus der Einführungsphase des digitalen Rezeptes aus – wegen einer haftungsrelevanten Entscheidung des Landesdatenschutzbeauftragten. Der schleswig-holsteinische Landesdatenschützer hatte den vom Praxisverwaltungssystem erzeugten datenlosen Transfer-QR-Code nämlich als Gesundheitsdaten eingestuft. Die auf dem Markt frei erhältlichen Apps aus dem Apothekenumfeld ermöglichten jeder Person, die – befugt oder unbefugt – im Besitz des QR-Codes ist, Verordnungsdaten einzusehen, hieß es. Für diesen möglichen Missbrauch müssten die verordnenden Ärztinnen und Ärzte unter Umständen haften. In Westfalen-Lippe startete der Rollout zwar mit rund 250 Praxen und elf PVS-Herstellern, wurde aber am 3. November wieder gestoppt. Vorläufig, wie es hieß. Auch hier aus Datenschutzgründen, aber auf Bundesebene: Der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber hatte zuvor eine Nutzung der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) ohne PIN-Eingabe zur Einlösung des E-Rezepts abgelehnt. Es bestehe das Risiko des Datenmissbrauchs in Apotheken. Ohne die niedrigschwellige Authentifizierung der Patienten via eGK sei eine weitere Beteiligung an der Erprobung aber nicht möglich, so die Position der KV. Kein Wunder also, dass im BMG-Fahrplan das E-Rezept nur mit „laufend“ vermerkt ist. Immerhin ist die Einlösung des E-Rezepts via elektronische Gesundheitskarte in Vorbereitung. Voraussichtlich Mitte 2023 soll das datenschutzkonforme Verfahren dafür stehen, dann könnte der Rollout weiterlaufen. Barriere-Freiheit Laut Koalitionsvertrag hätte der Aktionsplan für ein diverses, inklusives und barrierefreies Gesundheitswesen bis Ende 2022 stehen sollen. Noch laufen aber wohl die internen Vorbereitungen im Bundesgesundheitsministerium. Inklusion und Barrierefreiheit sollen dabei nicht nur die Gesundheitsversorgung und Kommunikation mit Patientinnen und Patienten betreffen, sondern auch Aus- und Weiterbildung ärztlicher und nicht-ärztlicher Berufe. Und: Digitalisierung soll gezielt für mehr Inklusion eingesetzt werden. Cannabis Cannabis und sein Besitz sollen nach dem Willen der Koalition in Deutschland hoffähig werden. Nur für Erwachsene, nur in lizenzierten Geschäften, nur mit qualitätskontrollierter Ware und streng limitiert auf eine straffreie Höchstmenge von 20 bis 30 Gramm. Sogar der Anbau von bis zu drei Pflanzen im eigenen Garten oder auf dem Balkon soll möglich werden. Selbstverständlich soll das angezeigt werden müssen, und auch das Finanzamt gönnt sich einen „Zug aus der Tüte“. Sprich: Eine „Cannabis-Steuer“ ist Teil des Projekts. Ziele sind das Zurückdrängen des Schwarzmarktes, ohne den Konsum auszudehnen, und ein besserer Kinder- und Jugendschutz. Diese Prämissen der Gesetzgebung sollen Gutachter parallel zum Gesetzgebungsverfahren in Augenschein nehmen. Bislang gibt es nur ein Eckpunktepapier, wenn auch mit 41 Punkten sehr ausgefeilt. Sie enthalten auch die Vorgabe, die Maßnahme zu evaluieren. Es gilt die Fragen zu beantworten: Wie wirkt sich eine Legalisierung auf den Gesundheits-, Kinder- und Jugendschutz aus? Was bedeutet sie für die Sicherheit im Straßenverkehr? Die Pläne haben einen Haken. Bislang ist unklar, ob das Europarecht und internationale Abkommen mit den Plänen der AmpelKoalition überhaupt vereinbar sind. Das EU-Recht verbiete den Anbau von Cannabis, heißt es dazu aus Brüssel. Auch die UN-Konvention gegen illegalen Drogenhandel von 1988 dürfte betroffen sein. Ankommen dürfte es auf die Interpretationsspielräume, die die völkerrechtlichen Vorgaben zulassen. Das Beispiel der Niederlande zeigt, welche Blüten die europäische Rechtslage treiben kann. So wird der Konsum von Cannabis im Nachbarland weitgehend geduldet und gilt als entkriminalisiert. Den Betreibern der Coffee-Shops, die das Rauschmittel vertreiben, ist es trotzdem eigentlich verboten, die Ware zu erwerben oder selbst anzubauen. Malta hat bereits 2021 für Volljährige den Besitz von sieben Gramm Cannabis und den Eigenanbau von vier Pflanzen erlaubt. Luxemburg hat Mitte 2022 einen Gesetzentwurf vorgelegt, der den Eigenanbau von Cannabis zuhause in geringem Umfang erlauben soll. Italien hat den Anbau von Hanfpflanzen zuhause bereits 2019 erlaubt. In Portugal drohen für den Besitz von Drogen für Konsumenten seit 2001 keine Gefängnisstrafen mehr. Somit ist derzeit nicht klar, ob der deutsche Plan möglicherweise zunächst in einer gesamteuropäischen Debatte mündet. Nachfragen bei Europaabgeordneten haben bislang nicht mehr als die Antwort ergeben: Man sei bei diesem Thema im Moment nicht sprechfähig. Im Laufe des Jahres Öffentlicher Gesundheitsdienst Die Corona-Pandemie hat die Bedeutung des Öffentlichen Gesundheitsdiensts (ÖGD) für Deutschland aufgezeigt – aber auch die Defizite, mit denen die bundesweit knapp 400 Gesundheitsämter arbeiten müssen. Defizite in Sachen Personal, Entlohnung und Digitalisierung. In unrühmlicher Erinnerung sind vor allem die antiquierten Übertragungswege der gemeldeten Infektionszahlen, die teils händisch in Tabellen übertragen und dann per Fax weitergeleitet wurden. Um dem abzuhelfen, beschloss die damalige Bundesregierung aus CDU und SPD im September 2020 zusammen mit den Ländern den „Pakt für den öffentlichen Gesundheitsdienst“. Bis 2026 will der Bund das Projekt mit mehr als vier Milliarden Euro unterstützen. Mit den Mitteln sollen in den nächsten Jahren unter anderem 5000 neue Stellen im ÖGD geschaffen, eine bessere Bezahlung der Amtsärzte gewährleistet und die technische Ausstattung verbessert werden. 5000 neue Stellen im ÖGD will der Bund mit dem „Pakt für den öffentlichen Gesundheitsdienst“ in den nächsten Jahren unter anderem schaffen. Bis 2026 unterstützt er das Projekt mit mehr als vier Milliarden Euro. Einer der Schwerpunkte in der BMG-Arbeitsplanung für 2023 ist nun ausdrücklich die „Weiterentwicklung“ des ÖGD-Pakts. Im Juni vorigen Jahres zog das Bundesgesundheitsministerium – inzwischen unter der Leitung des SPD-Politikers Karl Lauterbach – eine erste Zwischenbilanz. Von Anfang 2020 bis Ende 2021 seien im ÖGD insgesamt 2290 unbefristete Stellen neu geschaffen, hieß es unter Verweis auf Zahlen des Statistischen Bundesamts. Rund 1780 dieser Stellen seien durch den Pakt finanziert worden, davon rund 1600 in den örtlichen Gesundheitsämtern. 440 Stellen für Ärztinnen und Ärzte sowie Zahnärztinnen und Zahnärzte wurden innerhalb der zwei Jahre neu geschaffen, 365 davon mit Hilfe des ÖGD-Pakts. Auf Verwaltungs- und Fachpersonal entfielen jeweils rund 900 unbefristete Stellen. Weiterhin wird für 2023 zum Thema ÖGD der Aufbau des Bundesinstituts für öffentliche Gesundheit angekündigt. Nach den bisher bekannten Plänen sollen darin alle Public-Health-Aktivitäten, die Gesundheitskommunikation und die Vernetzung des ÖGD angesiedelt sein. Auch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung geht darin auf. Konkretere Pläne stehen noch aus. Im vergangenen Oktober antwortete Lauterbach im Bundestag auf eine entsprechende Frage, das Institut werde für die Stärkung der Vorsorge „ein Segen“ sein. Es solle sich aus der sich damit verbessernden Gesundheit der Bevölkerung finanzieren. Einen Stellenplan für die Behörde gebe es noch nicht. An diesem Projekt, so heißt es aus dem BMG, werde aktuell „mit Hochdruck“ gearbeitet. Digitalagentur Die Gesellschaft für Telematikanwendungen (gematik) soll laut Ampel-Koalitionsvertrag zu einer digitalen Gesundheitsagentur ausgebaut werden. Was das genau bedeutet, ist noch unklar. Im November forderte die Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbands Dr. Doris Pfeiffer in einem Gastbeitrag in der Ärzte Zeitung, dass sich die gematik einerseits auf Spezifikationen und Vorgaben, Zulassung und Aufsicht beschränken solle. Es sei andererseits aber auch ihre Aufgabe, „die fachliche Zusammenarbeit von Akteurinnen und Akteuren des Gesundheitswesens, Industrie und weiteren Stakeholdern zu managen“. Was auch immer die Aufgabenbeschreibung der Digitalagentur sein wird, die Entwicklung der gematik dorthin soll in diesem Jahr starten. Patientenrechte Dieses Jahr feiert das Patientenrechtegesetz seinen zehnten Geburtstag. Ein guter Zeitpunkt, es aufzuhübschen. Patientinnen und Patienten sollen eine bessere Position bei Behandlungsfehlern erhalten. Gleichzeitig soll ein Härtefallfonds – allerdings mit gedeckelten Ansprüchen – eingeführt werden. Long-COVID Der Koalitionsvertrag sieht die Schaffung eines bundesweiten Netzwerkes von Kompetenzzentren und interdisziplinären Ambulanzen zum Wissensaustauschvor. Der Gemeinsame Bundesausschuss soll bis Ende 2023 in einer Richtlinie Regelungen für eine berufsgruppenübergreifende, koordinierte und strukturierte Versorgung beschließen (Paragraf 92 Abs. 6c SGB V). In einer Stellungnahme der Unparteiischen G-BA-Mitglieder zur öffentlichen Anhörung des Krankenhauspflegeentlastungsgesetzes machten diese aber deutlich, dass eine Umsetzung der Vorgaben nur schrittweise erfolgen könne. So gebe es für die Diagnose bislang keine verlässlichen Marker. Zudem stünden für die Versorgung von Post- bzw. Long-COVID noch keine kausalen Therapien zur Verfügung und es existierten bislang keine S2k- oder S3-Leitlinien. Frühjahr 2023 Medizinstudium Kommt dieses Jahr nun doch wieder etwas Zug in die Novellierung der Ärztlichen Approbationsordnung (ÄApprO)? Wir erinnern uns, der Masterplan Medizinstudium 2020 erblickte 2015 das Licht der Welt. Es dauerte dennoch bis November 2020, bis ein erster Reformentwurf (noch unter der Ägide von Jens Spahn) vorlag. Mit dem Ergebnis, dass zunächst ein Streit über die Kosten der Reform entbrannte, fürchteten die Bundesländer doch eine regelrechte Explosion der Ausgaben. Kein Wunder, denn nach Berechnungen des Medizinischen Fakultätentages (MFT) soll die neue Approbationsordnung mit Mehrkosten von 400 bis 500 Millionen Euro verbunden sein. Die Länder hatten zuletzt im Mai 2021 in einer Bundesratsentschließung vom Bund eine „faire Kostenteilung“ gefordert. An den Mehrkosten wird sich der Bund wohl nicht beteiligen. Aber es dürfte im Frühjahr 2023 tatsächlich einen überarbeiteten Entwurf der Approbationsordnung geben. Das steht nicht nur in der Arbeitsagenda des Bundesgesundheitsministers, auch die Bundesregierung hat den Termin Ende November 2022 in ihrer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der Unions-Bundestagsfraktion schriftlich genannt. Bemerkenswert ist dabei, dass Lauterbach die Allgemeinmedizin weiter stärken will. Sie soll Teil aller Phasen des Studiums werden. Und obwohl man beim Medizinischen Fakultätentag in Essen im Juni 2022 noch davon ausging, dass finanziell entweder die Reform des Medizinstudiums oder die Ausweitung der Medizinstudienplätze, sicher aber nicht beides, zu stemmen sei, sieht der BMG-Fahrplan auch die Erhöhung der Studienplatzzahlen vor. Bleibt die Frage offen, ob die Länder dieses Mal mitspielen. Digitalstrategie Im Frühjahr will Lauterbachs Ministerium die Digitalisierungsstrategie fürs Gesundheitswesen und die Pflege vorstellen. Im vergangenen Jahr liefen dazu bereits Befragungen von Stakeholdern sowie acht Fachforen mit Akteuren aus dem Gesundheitswesen. Die Strategie solle nicht im stillen Kämmerlein, sondern in einem breiten Beteiligungsprozess entstehen, so die klare Aussage von Sebastian Zilch im November auf dem 45. Deutschen Krankenhaustag in Düsseldorf. Zilch leitet im Ministerium die Unterabteilung, die für die gematik, die Telematikinfrastuktur und für E-Health zuständig ist. Inhalte der Strategie sollen neben einer Vision und Zielen für das Digitalisierungsvorhaben auch die Ausarbeitung von Rahmenbedingungen und Voraussetzungen für eine erfolgreiche Umsetzung sein. Steht die Strategie, sollen erste Elemente bis 2025 oder sogar eher umgesetzt werden. 1. Halbjahr 2023 Versorgungsgesetze Vieles hat sich 2022 um die Krankenhäuser gedreht. Nun wird endlich auch der ambulante Sektor etwas in den Fokus rücken. 2023 soll es im Zuge der Krankenhausreform zumindest ein „kleines“ Versorgungsgesetz geben, wie Bundesgesundheitsministerium (BMG) und Bundesländer in der vergangenen Woche vereinbarten. Der Inhalt: die sektorübergreifende Versorgung und die Schaffung von Primärversorgungszentren zur Sicherung der ambulanten Versorgung vor allem in ländlichen und strukturschwachen Gebieten. Bei letzteren will man sich Baden-Württemberg zum Vorbild nehmen. Darüber hinaus plant das Bundesgesundheitsministerium laut einer aktualisierten Agenda, auch die Gesundheitskioske auf die Schiene zu setzen. In ihnen sollen neben der Vermittlung von Behandlungen, Prävention und Gesundheitsförderung auch einfache medizinische Routineaufgaben durchgeführt werden. Als Beispiel genannt wurde bisher das Blutdruckmessen. Weitere vorgesehene Regelungsinhalte eines „Versorgungsgesetzes I“: Die Gründung kommunaler MVZ soll erleichtert werden, ein Maßnahmepaket zur Stärkung von Gesundheitsregionen geschnürt und der Gemeinsame Bundesausschuss reformiert werden (vorgesehen sind die Beschleunigung der Entscheidungen und die Stärkung der Stimme der Pflege und Patientenvertreter im Gremium). Geplant ist außerdem, den Ländern in den ärztlichen Zulassungsausschüssen mehr Rechte zu geben, die Transparenz über die Servicequalität von Kranken- und Pflegekassen zu erhöhen sowie „alternative Terminvermittlungsangebote“ finanziell zu fördern. In einem späteren Versorgungsgesetz II, das ausweislich der Agenda die Stärkung des Zugangs zur gesundheitlichen Versorgung zum Ziel hat, strebt das Ministerium unter anderem an, den Zugang zur ambulanten psychotherapeutischen Versorgung zu verbessern. Vor allem für Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen sollen die Wartezeiten auf einen Behandlungsplatz verkürzt werden. Für Vertragsärzte und Kassenärztliche Vereinigungen von Interesse: Der Direktzugang zu den Heilmittelerbringern soll geregelt, eine schnellere Übermittlung von Abrechnungsdaten durch die KVen eingeführt und Investoren MVZ eingebremst werden durch weitere Regeln zur Gründung, Zulassung, zum Betrieb und zur Transparenz von MVZ. Gesundheitsdatennutzungsgesetz Gesundheitsdaten besser für die Versorgung und Forschung nutzen, das ist eine Lehre, die man auf EU-Ebene aus der Pandemie gezogen hat. Seit Mai 2022 laufen die Verhandlungen für einen Verordnungsentwurf zum European Health Data Space (EHDS) – einen Europäischen Gesundheitsdatenraum. Dieser soll auch ermöglichen, dass Leistungen im Gesundheitssystem künftig problemlos europaweit genutzt werden können – etwa das Einlösen eines E-Rezeptes. Die Grundlagen für den EHDS sollen bis 2025 stehen. Gleichzeitig sieht der Koalitionsvertrag der Ampel aber auch ein Gesundheitsdatennutzungsgesetz vor, über das ein nationaler Gesundheitsdatenraum geschaffen werden soll. Zwei Dinge, die sich nicht widersprechen, sondern zusammengehören, wenn sie gut umgesetzt werden. Der nationale Datenraum soll die Verfügbarkeit von Daten für die Sekundärnutzung fördern und Anknüpfungspunkt an den EHDS sein. Eckpunkte für das Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG) will das Bundesgesundheitsministerium im ersten Halbjahr 2023 vorlegen. Damit könnte das Gesetz vor dem EHDS in Kraft treten. GKV-Finanzierung Bis Mai dieses Jahres will das Bundesgesundheitsministerium „Empfehlungen für eine stabile, verlässliche und solidarische Finanzierung der GKV“ vorlegen. Der Gesetzentwurf wird mehr Substanz haben müssen als der Notstopfen des GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes, den die Ampel-Koalition im Herbst verabschiedet hat. Darüber, was der Entwurf enthalten wird, lässt sich der Vorhabenplanung des BMG für das laufende Jahr kaum etwas entnehmen. „Umsetzung der koalitionsvertraglich vereinbarten Maßnahmen im Spannungsfeld der angespannten Haushaltslage“, heißt es dort. Mit Spannungsfeld ist milde umschrieben, dass die Ampel-Partner sich beispielsweise vorgenommen haben, die Beiträge für ALG-2-Bezieher aus Steuermitteln zu finanzieren. Bislang übernimmt überwiegend die GKV diese de facto sozialpolitische Aufgabe. Seit Jahren fordern die Kassen hier Entlastung – die Größenordnung der Mehrausgaben zulasten des Bundeshaushalts dürfte bei acht bis zehn Milliarden Euro pro Jahr liegen. Hinzu kommt im Koalitionsvertrag das Bekenntnis, den Bundeszuschuss zur GKV „regelhaft zu dynamisieren“. Seit 2017 war dieser mit 14,0 beziehungsweise 14,5 Milliarden Euro konstant geblieben und wurde erst im Zuge der Corona-Pandemie aufgestockt. Für 2023 hat die Koalition nach langem Gezerre auf die 14,5 Milliarden drei Milliarden oben draufgelegt – davon eine Milliarde Euro als Darlehen. Drei Milliarden Euro legt die Ampel-Koalition für 2023 auf den Bundeszuschuss zur GKV oben drauf. Eine Milliarde Euro davon sind ein Darlehen. Die wenigen auf Einsparpotenziale zielenden Hinweise im Koalitionsvertrag sind mit der teilweisen Neuordnung des Arzneimittel-Gesetzes AMNOG im Finanzstabilisierungsgesetz bereits verfrühstückt worden. Zudem konnte das Finanzloch von mindestens 17 Milliarden Euro in diesem Jahr nur gegenfinanziert werden, indem die letzten Rückstellungen der Kassen zugunsten des Gesundheitsfonds requiriert werden. Doch dies ist ein Einmaleffekt, 2024 werden viele Kassen kaum mehr als 0,2 Monatsausgaben (die gesetzlich vorgeschrieben sind) in der Reserve haben. Viele Strukturreformen, die für 2023 auf der Agenda stehen, werden keine kurzfristigen Einsparungen zu Gunsten der GKV generieren – etwa die stärkere Ambulantisierung von bisher stationär erbrachten Leistungen. Von daher entspricht es vermutlich den faktischen Machtverhältnissen am Kabinettstisch, dass zum Beispiel die Verordnung über die Pflegepersonalbemessung im Krankenhaus „im Einvernehmen“ mit dem Bundesfinanzministerium erfolgen soll. Bis dato gibt es für Lauterbach offenbar nur eine rote Linie: Leistungskürzungen für GKV-Patienten hat er wiederholt ausgeschlossen. Physiotherapie Bundesgesundheitsminister Professor Karl Lauterbach hat sich wiederholt für eine Vollakademisierung der Teilgruppe der Physiotherapeuten ausgesprochen. Dagegen soll die Gruppe der Masseure und Medizinischen Bademeister wie bisher fachschulisch ausgebildet werden. Der Reformprozess, der im ersten Halbjahr mit einem Referentenentwurf starten soll, bildet den Auftakt für neue Berufsgesetze auch in der Ergotherapie und Logopädie. Mit diesem Kurswechsel zieht die Koalition die Konsequenz aus der schleppenden Akademisierung im Zuge der Modellstudiengänge, die seit 2009 aufgelegt wurden. Zuletzt wurden nur rund sechs Prozent der angehenden Physiotherapeuten im Rahmen eines primärqualifizierenden Studiengangs ausgebildet. 3. Quartal 2023 Pflegeversicherung Die Strukturreformen bei der Finanzierung der Sozialen Pflegeversicherung (SPV) will Lauterbach bis Juli 2023 angehen – für diesen Zeitpunkt ist ein entsprechendes Reformgesetz terminiert. Bestandteil soll auch die Umsetzung der vom Bundesverfassungsgericht verlangten Staffelung des Beitragssatzes je nach Kinderzahl sein. Diese muss bis Ende Juli stehen. In einer nächsten Stufe, die das Ministerium noch nicht genau definiert hat, sollen langfristige Strukturreformen erfolgen. Die SPV hatte Ende 2022 ein Defizit von rund 2,2 Milliarden Euro eingefahren. Bürokratie-Entlastung „Durch ein Bürokratieabbaupaket bauen wir Hürden für eine gute Versorgung der Patientinnen und Patienten ab“, heißt es so schön im Koalitionsvertrag der Ampel. Dabei sollten das SGB V und weitere Normen vor allem daraufhin überprüft werden, ob der technische Fortschritt Dokumentationspflichten nicht überflüssig macht. Fest steht, Lauterbach will die Sache angehen. Bis zum 30. September 2023 sollen Empfehlungen für einen möglichen Bürokratieabbau vorliegen. Diese sollen dann die Grundlage für den Entwurf eines Bürokratieentlastungsgesetzes bilden. Die Idee des Bürokratieabbaus ist nicht neu, ebenfalls einem „Bürokratieentlastungsgesetz“ – genauer dem 3. Bürokratieentlastungsgesetz aus dem Juni 2019 – verdanken Praxen, Kassen und Arbeitgeber die Einführung der elektronischen AU. Ausblick Auf Eis gelegt: Ärztliches Honorar Kommt da was in diesem Jahr, so ganz außerplanmäßig? Nachdem ein ganzes Jahr lang die im Koalitionsvertrag versprochene Entbudgetierung bei den Hausärzten kein Thema war, überraschte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach Ende 2022 die niedergelassenen Ärzte damit, zumindest schon einmal bei den Pädiatern die Budgets abschaffen zu wollen. In der Kindermedizin solle künftig jede Leistung zu festen Preisen vergütet werden, sagte Lauterbach. Nicht nur die Pädiater waren elektrisiert. Auch der Rest der Vertragsärzteschaft witterte nach der Niederlage bei den TSVG-Neupatienten vorsichtig Morgenluft. Sofort meldeten sich verschiedene Verbände und wiesen den Minister darauf hin, dass auch anderen Arztgruppen der Deckel vom Honorartopf genommen werden müsste. Nach nicht einmal einer Woche war der schöne Traum schon wieder geplatzt. Wie sich herausstellte, meinte Lauterbach mit Entbudgetierung erst einmal nichts anderes, als dass KBV und Krankenkassen sich aufgrund eines nicht vorhersehbaren Anstiegs des morbiditätsbedingten Behandlungsbedarfs auf zusätzliches Geld einigen sollen. Der Honorartopf für die Pädiater würde damit einmalig erhöht – eine dauerhafte Entbudgetierung ist dies aber natürlich nicht. Noch nicht einmal den kleinsten Lichtschimmer gibt es bei der GOÄ. Ein Entwurf wurde zwar von der Bundesärztekammer (wieder einmal) an das Ministerium geschickt. Doch dort weigert man sich hartnäckig, das Konvolut anzuschauen – aus Angst davor, dass es für die Bürgerversicherung ein Präjudiz schaffen könnte. Für 2024 vorgesehen: Opt-Out-Verfahren bei ePA Und auch ein Projekt für das Jahr 2024 wirft schon seinen Schatten voraus: das Opt-Out-Verfahren bei der elektronischen Patientenakte (ePA). Der Sachverständigenrat Gesundheit hatte schon im Frühjahr 2021 ein Opt-out-Verfahren für die ePA empfohlen. Opt-out bedeutet, jede Kassenpatientin/jeder Kassenpatient erhält automatisch eine elektronische Patientenakte und kann ihr, will sie oder er die Akte nicht nutzen, widersprechen. Anfang November hat die Gesellschafterversammlung der gematik beschlossen, noch in dieser Legislaturperiode die Opt-out-Lösung für die ePA funktionsfähig umsetzen zu wollen. Und auch Minister Lauterbach hat sich das Ziel gesetzt, „schnellstmöglich“ den Umbau der ePA hinzubekommen. Unter Vorbehalt des Gesetzgebungsprozesses soll die Opt-out-Regelung ab 2024 nutzbar sein – sie soll Teil eines Digitalisierungsgesetzes werden. Die notwendigen technischen und gesetzgeberischen Aktivitäten sollen dabei parallel laufen. Gut für die Verbreitung der Akte wäre es allemal: Aktuell werden laut TI-Dashboard der gematik bundesweit gerade einmal 582.871 ePA (Stand 6. Januar) genutzt. (chb, bar, af, juk, reh, fst, cw) Quelle: Ärzte Zeitung

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