Konservative Therapie als Primärtherapie
Unzweifelhaft wird die weit überwiegende Mehrheit der Glaukompatienten primär konservativ therapiert. Nach Einschätzung der behandelnden Ophthalmologen sind Nebenwirkungen dabei auffällig weit verbreitet, wenngleich deren Schwere als zumeist mild eingestuft wird. Am häufigsten werden in Deutschland Prostaglandinanaloga verschieben, gefolgt von Carboanhydrase-Inhibitoren und Betablockern [
8], was auch dem Verschreibungsmuster in anderen Regionen der Erde entspricht [
11,
13,
25]. Eine Monotherapie erhalten dabei etwas über die Hälfte der Patienten, zwei Wirkstoffe ein weiteres Viertel und etwa zwanzig Prozent drei oder sogar mehr Wirkstoffe [
13], wobei sich Nebenwirkungen je nach Wirkstoffklasse und Applikationshäufigkeit unterscheiden. Trotz der eher geringen Schwere der Nebenwirkungen stellt eine Mehrheit der Befragten überwiegend eine Beeinträchtigung der Lebensqualität durch die Lokaltherapie fest.
Insofern überrascht es wenig, dass die Quote der mangelnden Therapietreue (Nonadhärenz) unter Patienten auf durchschnittlich ein Drittel eingeschätzt wird, was in etwa auch den Ergebnissen aus Patientenbefragungen und Krankenkassendaten entspricht [
10,
24]. Somit lässt sich feststellen, dass die konservative Lokaltherapie generell als zumutbare Behandlungsform angesehen wird, deren alltägliche Umsetzbarkeit für die Patienten dennoch Probleme aufwirft.
Rolle der verschiedenen interventionellen Therapieverfahren
Im Vergleich der verschiedenen interventionellen Therapieverfahren stellt sich eine Präferenz für die Trabekulektomie heraus, die insgesamt fast 94 % der Befragten für sinnvoll halten. Diese Bewertung bestätigt sich in verschiedenen vergleichenden Studien verschiedener Therapieverfahren, worin sich immer wieder eine bessere und langfristigere Drucksenkung durch die Trabekulektomie darstellt [
15,
20].
Auch die selektive Lasertrabekuloplastik (SLT) erreicht unter den befragten Augenärzten eine auffallend hohe Wertschätzung, wohingegen die Argon-Lasertrabekuloplastik (ALT) ebenso wie auch die Trabekelaspiration deutlich zurückfällt. Offenbar hat sich die Erkenntnis früherer Vergleiche zwischen ALT und SLT durchgesetzt, die SLT als schonenderes und zudem leichter wiederholbares Therapieverfahren bei gleicher klinischer Wirksamkeit zu bevorzugen [
6,
26].
Unter allen Befragten führen 37 % die SLT durch, wohingegen nur etwa jeder sechste (17 %) glaukomchirurgisch tätig ist, und davon wiederum führen zwei Drittel die Trabekulektomie durch. Diese Zahlen weisen auf eine auffällige Diskrepanz der interventionellen Therapieoptionen hin: den am häufigsten praktizierten MIGS und der SLT, die nach den Erkenntnissen der LiGHT-Studie
1 sogar als Primärtherapie diskutiert wird [
5,
17], steht die als am sinnvollsten eingestufte Trabekulektomie gegenüber. Es lässt sich für die Breite der Glaukomversorgung somit eine Tendenz erkennen, zunächst einfachere Verfahren mit geringerem Nachsorgebedarf zu präferieren und die Trabekulektomie als chirurgische Option für schwerere klinische Verläufe vorzusehen.
Eine hohe Bedeutung wird auch minimal-invasiven glaukomchirurgischen Verfahren (MIGS) zugeschrieben, die unter den glaukomchirurgisch Tätigen in dieser Umfrage sogar am häufigsten durchgeführt wird. Ihr Vorteil besteht in wie bei der SLT ebenfalls in einer einfacheren Nachsorge und adäquater initialer Drucksenkung, wenngleich fraglich ist, wie langfristig dieser Effekt anhält [
1,
2,
12,
16]. Hierzu ist ein genauerer Vergleich auch der verschiedenen MIGS-Verfahren je nach Größe der Stents und nach Positionierung (trabekulär, suprachorioidal oder subkonjunktival) sinnvoll. In dieser Befragung musste jedoch auf eine detailliertere Abfrage der Bewertung einzelner MIGS-Verfahren verzichtet werden, weshalb wir keine Einschätzung zu einzelnen MIGS-Verfahren berichten können.
In einer ähnlichen Umfrage unter Glaukomchirurgen in Amerika kam heraus, dass MIGS und Trabekulektomie auch die am ehesten präferierten chirurgischen Verfahren sind, die die Chirurgen selbst an sich durchgeführt haben würden, wenn sie selbst Patienten wären [
3]. In den USA stellen mittlerweile MIGS die am weitaus häufigste Form der Glaukomoperationen dar, die in über 75 % der Fälle durchgeführt wird [
9]. Auch aus Japan wurde beschrieben, dass MIGS einen immer größeren Einfluss bei der Wahl der Operationsoptionen einnehmen, wenngleich die Trabekulektomie noch immer von etwa zwei Dritteln der Glaukomchirurgen als die Glaukom-Operation der ersten Wahl ansehen [
7].
Dass technisch schwierigere Operationsmethoden wie Ventilimplantationen, Viskokanalostomien oder auch die tiefe Sklerektomie nur eine mittlere Bewertung erfahren, liegt sicher auch an der Tatsache, dass nur relativ wenige Befragte diese Operationen selbst durchführen und vielen diese Verfahren zu wenig geläufig sind. Es liegt nahe, dass eine Aufklärung und Beratung über die verschiedenen verfügbaren Therapieoptionen, die gerade mit der Diagnosestellung und dem Beginn der Therapie für Patienten eminent wichtig ist, eine detaillierte Kenntnis der verschiedenen Verfahren und ihrer Outcomes erfordert. Die kritischen offenen Kommentare, die mehr Systematik, Leitlinien und mehr Austausch einfordern, sind daher als Anstoß zu verstehen, die verschiedenen Therapieansätze besser zu vermitteln und die Grenzen zwischen konservativer und interventioneller Glaukomtherapie sowie zwischen ambulanter und stationärer Versorgung zu überwinden.
Die Erkenntnisse dieser Umfrage zeigen einen Querschnitt durch die Glaukomversorgung in der Alltagspraxis. Sie mögen die tatsächliche Versorgungssituation etwas beschönigen, indem sich vermutlich eher Augenärzte an der Umfrage beteiligt haben, die ohnehin ein Interesse an der Glaukomversorgung haben. Insofern ist anzunehmen, dass ein explizites Zieldruckkonzept im Versorgungsalltag wahrscheinlich doch etwas weniger häufig verfolgt wird, der Anteil der konservativ therapierten Patienten noch höher sein könnte oder auch die verschiedenen interventionellen Verfahren etwas weniger Bedeutung haben könnten, als es hier dargestellt wurde. Da es sich um ein Querschnittsbild der Versorgungssituation handelt und der Umfang der Umfrage begrenzt werden musste, mussten im Vorfeld einige detailliertere Fragen etwa zu den Vorstellungen zur Ätiologie der Glaukome oder zum Therapiekonzept gestrichen werden. Ebenso musste auf eine differenzierte Bewertung einzelner Operationsverfahren verzichtet werden. Weiterführende Untersuchungen könnten daher einzelne Versorgungsfragen vertiefen wie z. B. zum Krankheitskonzept, zur Therapieinitiierung oder auch zur Frage, welches Wissen Patienten über ihre Erkrankung haben und welche Informationen besser vermittelt werden könnten. Auch die Analyse der Bewertung der verschiedenen MIGS-Verfahren und -Produkte könnte Aufschluss darüber geben, welche Verfahren sich in der Praxis am ehesten durchgesetzt haben und welche Erwartungen an weitere Entwicklungen bestehen.
Die Erfahrungen aus der Breitenversorgung sind sehr wertvoll als Querschnittsbild der aktuellen Glaukomversorgung. Sie offenbaren ein Nebeneinander sehr verschiedener Behandlungswege und nennen Ansätze für Verbesserungen, wie den Wunsch vieler Befragten die Glaukomversorgung übersichtlicher darzustellen.