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Erschienen in: Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie 3/2020

10.07.2020 | Begutachtung | Übersicht

Gutachtenflut in der Maßregelvollstreckung

Klinische Probleme und (mögliche) Lösungen

verfasst von: Dr. Beate Eusterschulte, Dr. Petra Born

Erschienen in: Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie | Ausgabe 3/2020

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Zusammenfassung

Mit der am 01.08.2016 in Kraft getretenen Novellierung des Rechts der Unterbringung gemäß § 63 StGB wurde der Abstand der zwingenden externen Begutachtung von jeweils 5 Jahren auf 3 und nach 6 Jahren auf 2 Jahre verkürzt, beginnend mit dem 01.08.2018. Ziel des Gesetzgebers war es, die Dauer der Unterbringungen zu verkürzen. Es fehlt nicht nur an Nachweisen dafür, dass enger getaktete externe Begutachtungen zu einer Verkürzung der Aufenthaltsdauer führen könnten, es gibt tatsächlich Hinweise für das Gegenteil. Zugleich werden die ohnehin bestehenden Probleme der starren Begutachtungsfristen verschärft. Der Beitrag skizziert die konkreten Auswirkungen aus der Sicht der ärztlichen Leitung einer Maßregelvollzugsklinik.
Fußnoten
1
Der Beitrag führte eine auf der Tagung der Hessischen Justizakademie vom 30.01.2019 in Marburg zum Thema „Gutachten zu Prognose und Behandlung – Möglichkeiten und Grenzen“ geführte Diskussion fort und war Gegenstand der Vorträge der Autoren dieses und des anschießenden Beitrags beim Kongress der DGPPN am 28.11.2019 in Berlin.
 
2
Bundesgesetzblatt 2016 Teil I Nr. 34 vom 14.07.2016.
 
3
So „titelt“ die Presserklärung des Deutschen Bundestages zur öffentlichen Anhörung von 7 Sachverständigen zu diesem Gesetzesentwurf: „‚Lex Mollath‘ unter der Lupe“. (Anführungsstriche im Original). „Die Zunahme der Einweisungen und der Unterbringungsdauer hat der Bundesregierung eine Novelle der einschlägigen Vorschriften geboten erscheinen lassen. Die öffentliche Diskussion über Missstände, vor allem im Zusammenhang mit dem Fall Gustl Mollath, tat ein Übriges“ (Deutscher Bundestag 2016).
 
4
Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26.01.1998.
 
5
„… die durchschnittliche Unterbringungsdauer wird auf acht Jahre geschätzt“ (Pollähne 2015).
 
6
§ 13 dieses Gesetzes: „Auf am 1. August 2016 bereits anhängige Vollstreckungsverfahren ist § 463 Absatz 4 Satz 2 und 8 der Strafprozessordnung in der seit dem 1. August 2016 geltenden Fassung erst ab dem 1. August 2018 anwendbar.“
 
7
Ceus consulting und FOGS (2018).
 
8
Eine Besserung ist nicht in Sicht: Der immer größer werdenden Zahl von erfahrenen Sachverständigen, die aus Altersgründen nicht mehr tätig werden, steht eine zunehmend geringere Zahl nachrückender Gutachter gegenüber; zum Beispiel zertifiziert die DGPPN jährlich selten mehr als 5 Psychiater. Neben den erheblichen Fortbildungsanstrengungen, die ja erst nach Studium und Facharztausbildung einsetzen können, machen Angesprochene ihre „lifetime balance“ und zunehmend auch die Gefahr von zivilrechtlichen Haftungen geltend.
 
9
Aufgrund der Verzögerungen zwischen Gutachtenauftrag, Gutachtenerstattung und Beschlussfassung verschieben sich Zahlenanteile natürlich. Da es hier um ein Rechenbeispiel geht, werden diese Verzögerungen ignoriert. Das Beschlussdatum wird mit dem Gutachtendatum gleichgesetzt. Die Gruppe der länger als 10 Jahre Untergebrachten wurde in 5 Kohorten unterteilt.
 
10
Zum Beispiel BVerfG (2019), stattgebender Kammerbeschluss vom 03.07.2019 – 2 BvR 2256/17 – , juris, mit weiteren Nachweisen.
 
11
Die Gerichtskosten eines Strafverfahrens beruhen nicht auf der vorsätzlich begangenen, unerlaubten Handlung im Sinne des § 302 Nr. 1 InsO. Sie werden also von der Restschuldbefreiung erfasst.
 
12
Unter einer Straßenlaterne steht ein Betrunkener und sucht und sucht. Ein Polizist kommt daher, fragt ihn, was er verloren habe, und der Mann antwortet: „Meinen Schlüssel.“ Nun suchen beide. Schließlich will der Polizist wissen, ob der Mann sicher ist, den Schlüssel gerade hier verloren zu haben, und jener antwortet: „Nein, nicht hier, sondern dort hinten – aber dort ist es viel zu finster“ (Watzlawick 1983, S. 27–30).
 
13
So wies eine Sachverständige im Rahmen der öffentlichen Anhörung zum Gesetzesentwurf am 16.02.2016 daraufhin, dass bei schweren Triebanomalien wie sadistischen Persönlichkeitsstörungen 6 Jahre Behandlung nicht ausreichen. In ihrer Einrichtung liege der durchschnittliche Aufenthalt von Sexualstraftätern bei 11 Jahren. Sie begrüßte jedoch die Absicht im Gesetzentwurf, bereits nach 3 Jahren und damit früher als jetzt mit einem externen Gutachten die Fortdauer der Unterbringung zu überprüfen. Bei Einsatz entsprechender Behandlungsmethoden ließen sich innerhalb von 3 Jahren Entwicklungen sehen. Dies erfordere aber einen erheblichen Personaleinsatz, der auch finanziert werden müsse (Deutscher Bundestag 2016).
 
14
Auf den Umstand, dass eine Befristung der Unterbringung, und zwar auf 10 Jahre, aus ihrer Sicht ausreichend sei, wies eine weitere Sachverständigte im Rahmen der öffentlichen Anhörung zum Gesetzesentwurf am 16.02.2016 hin. „Allerdings müsse es dann entsprechend gut ausgestattete Heime geben, die die Betreuung übernehmen können. Auch forensische Tageskliniken könnten in vielen Fällen sinnvoll sein. An beidem fehle es aber derzeit, weshalb Patienten länger in der geschlossenen Psychiatrie bleiben müssten. Erhebliche Probleme gebe es zudem bei der Kostenübernahme für derartige alternative Behandlungsformen“ (Deutscher Bundestag 2016).
 
Literatur
Zurück zum Zitat BVerfGE (2019) Entscheidungssammlung des Bundesverfassungsgerichts, zit. nach Band, Seite BVerfGE (2019) Entscheidungssammlung des Bundesverfassungsgerichts, zit. nach Band, Seite
Zurück zum Zitat Ceus consulting, FOGS (2018) Kerndatensatz im Maßregelvollzug: Auswertungen 2016. ceus/FOGS, Bad Godesberg Ceus consulting, FOGS (2018) Kerndatensatz im Maßregelvollzug: Auswertungen 2016. ceus/FOGS, Bad Godesberg
Zurück zum Zitat Deutscher Bundestag (2006) Gesetzentwurf der Bundesregierung. Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt. Drucksache 16/1110 vom 31. März 2006 Deutscher Bundestag (2006) Gesetzentwurf der Bundesregierung. Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt. Drucksache 16/1110 vom 31. März 2006
Zurück zum Zitat Deutscher Bundestag (2018) Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Niema Movassat, Dr. André Hahn, Gökay Akbulut, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/19/049/1904959.pdf. Zugegriffen: 30. Apr. 2020. (Drucksache 19/4589 – Handhabung und Bewertung des Maßregelvollzugs seit der Novellierung 2016) Deutscher Bundestag (2018) Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Niema Movassat, Dr. André Hahn, Gökay Akbulut, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. http://​dipbt.​bundestag.​de/​dip21/​btd/​19/​049/​1904959.​pdf. Zugegriffen: 30. Apr. 2020. (Drucksache 19/4589 – Handhabung und Bewertung des Maßregelvollzugs seit der Novellierung 2016)
Zurück zum Zitat Watzlawick P (1983) Anleitung zum Unglücklichsein. Piper, München Watzlawick P (1983) Anleitung zum Unglücklichsein. Piper, München
Metadaten
Titel
Gutachtenflut in der Maßregelvollstreckung
Klinische Probleme und (mögliche) Lösungen
verfasst von
Dr. Beate Eusterschulte
Dr. Petra Born
Publikationsdatum
10.07.2020
Verlag
Springer Berlin Heidelberg
Schlagwörter
Begutachtung
Begutachtung
Erschienen in
Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie / Ausgabe 3/2020
Print ISSN: 1862-7072
Elektronische ISSN: 1862-7080
DOI
https://doi.org/10.1007/s11757-020-00604-1

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