Zehn Empfehlungen gegen Überversorgung: Woran scheitert die Umsetzung?

Die Choosing-Wisely-Initiative liefert fach- und länderspezifische Empfehlungen, um unnötige Interventionen zu reduzieren. Eine Umfrage unter Schweizer Hausärzten zeigt: Leichter gesagt als getan. Das Wichtigste in Kürze zu dieser Studie finden Sie am Ende des Artikels. Die Choosing-Wisely-Initiative soll diagnostische und therapeutische Maßnahmen, die Patienten nichts nützen oder ihnen sogar schaden, verhindern. 2011 gab es sie erstmals in den USA, inzwischen ist sie in vielen Ländern etabliert. Kern der Kampagne sind fachspezifische Top-5-Listen mit medizinischen Maßnahmen, bei denen eine Überversorgung besteht. Auch für Schweizer Allgemeinmediziner existiert seit 2016 eine solche Liste, die 2021 um fünf weitere Punkte ergänzt wurde. Jetzt hat eine Umfrage ergeben, dass viele Hausärzte und -ärztinnen den Empfehlungen zwar zustimmen, sie aber trotzdem nicht immer umsetzen. Die Befragten waren Teil des Delta-Netzwerks, einer Organisation von Hausärzten in der Westschweiz. Ein Team um Mae Cuérel von der Fachhochschule Westschweiz in Delsberg ermittelte mithilfe von Online-Fragebögen, ob die Teilnehmenden die Listen kennen, ihnen zustimmen, sie umsetzen und welche Faktoren die Umsetzung beeinflussen. Diese zehn Maßnahmen erfolgen oft unüberlegt Um die folgenden zehn Empfehlungen ging es in der Umfrage – bei diesen Interventionen sollte laut der Schweizer Gesellschaft für Innere Medizin (SSGIM) besonders gut abgewogen werden, ob sie wirklich nötig sind, oder gleich darauf verzichtet werden. 1. Eine radiologische Abklärung bei Patienten mit unspezifischen Rückenschmerzen seit weniger als sechs Wochen 2. PSA-Tests zur Früherkennung von Prostatakrebs, ohne Risiken und Vorteile mit dem Patienten zu besprechen 3. Verschreiben von Antibiotika bei Infektionen der oberen Atemwege ohne Anzeichen für eine schwere Erkrankung 4. Röntgen des Thorax bei der präoperativen Abklärung ohne Verdacht auf Erkrankungen in diesem Bereich 5. Langfristige Therapie mit Protonenpumpenhemmern bei gastrointestinalen Symptomen ohne Einsatz der niedrigsten wirksamen Dosis 6. Kein Screening auf oder neues Management von Dyslipidämien bei Personen über 75 Jahren zur Primärprävention 7. Keine MRT des Kniegelenks bei Schmerzen im vorderen Kniebereich ohne Bewegungseinschränkung oder Gelenkerguss ohne adäquate konservative Vorbehandlung 8. Kein Eisenersatz bei asymptomatischen, nicht anämischen Patienten und keine Eiseninfusion ohne vorherige orale Therapie, außer bei schlechter Resorption 9. Keine gewohnheitsmäßige Bestimmung von Calcidiol bei Menschen ohne Risikofaktoren für einen Vitamin-D-Mangel 10. Keine regelmäßigen ausführlichen Gesundheitschecks bei asymptomatischen Personen Von 95 befragten Hausärzten und -ärztinnen kannten 83% die Top 5 von 2016, jedoch nur 56% die erweiterte Top-10-Liste von 2021. Während 70% den Empfehlungen voll zustimmten, berichteten nur 32%, sich in der Praxis immer daran zu halten. Der Anteil der Befragten, der immer oder meistens einer einzelnen Empfehlung folgte, war mit 97% am höchsten für den Rat, die Patienten nicht unbegründet präoperativ zum Röntgen zu schicken. Am niedrigsten war er mit 76% für die Empfehlung, keine unnötigen Vitamin-D-Spiegel-Checks durchzuführen. Patienten kommen mit hohen Erwartungen Warum befolgen nun so wenige Ärzte alle Empfehlungen, obwohl sie sie für richtig halten? Die häufigsten Gründe, sie nicht umzusetzen, waren Druck vonseiten der Patienten (97%), Angst vor Rechtsstreitigkeiten (62%), Zeitmangel (58%) und die Sorge, Patienten zu verlieren (57%). „Die Erwartungen der Patienten sind auch in anderen Industrieländern oft ein Hindernis beim Umsetzen der Choosing-Wisely-Listen“, ergänzen die Forschenden um Cuérel. Überversorgung bei gleichzeitig niedrigem Bewusstsein für die Kosten sei dort kulturell verwurzelt. Mithilfe von Maßnahmen zur Qualitätssicherung und dem Berücksichtigen der Patientenperspektive könne die Umsetzung in der Praxis besser gelingen. „Indem Ärzte erklären, warum eine unnötige Intervention schaden kann, können sie in einem konstruktiven Gespräch mit dem Patienten gemeinsam entscheiden“, raten Cuérel und Kollegen. Das Wichtigste in Kürze Frage: Kennen Schweizer Hausärzte die Choosing-Wisely-Empfehlungen der SSGIM zur Überversorgung, stimmen sie ihnen zu und setzen sie sie um? Antwort: Die Mehrheit kennt die Empfehlungen und hält sie für richtig, aber nur knapp ein Drittel setzt sie immer um. Bedeutung: Hindernisse bei der Umsetzung sind Druck vonseiten der Patienten, Angst vor Rechtsstreitigkeiten, Zeitmangel und die Sorge, Patienten zu verlieren. Einschränkung: Die Anzahl der befragten Ärzte und Ärztinnen war gering.

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