Erfolge der Hepatitis-B-Impfung
Eine Auflistung aller Erfolge liegt außerhalb der Möglichkeiten dieses kurzen Beitrags. Seit dem Jahr 1984 wurde die Hepatitis-B-Impfung für Kinder und zunehmend auch für Neugeborene in immer mehr Ländern eingeführt. Laut Fortschrittsbericht der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu HIV, Virushepatitis und anderen sexuell übertragbaren Infektionen (STI) von 2021 haben fast alle Länder diese Impfprogramme eingeführt (außer Island und Finnland – wegen kaum vorhandener HBV-Prävalenz; [
40]). Bei sachgerechter Durchführung gibt es keine wesentlichen Zweifel an der Wirksamkeit dieser Maßnahmen.
Die Impfquote bei Kindern mit allen 3 empfohlenen Dosen soll im Jahr 2020 laut WHO 90 % erreicht haben, wobei die HB-Impfung Teil einer penta- oder hexavalenten Impfung gegen eine Reihe von pädiatrisch relevanten Erregern ist. Zu gering ist mit ca. 50 % noch die Verabreichung monovalenter HB-Impfungen bei Neugeborenen von HBsAg-positiven Müttern oder bei unbekanntem maternalen HBsAg-Status direkt nach der Geburt („birth dose“). Die weltweit geschätzte Prävalenz von HBsAg-positiven HBV-Infektionen bei den unter 5‑jährigen Kindern liegt zurzeit (2021) bei 0,94 % [
40], während sie in den Jahren 1980–2000 vor der breiten Einführung der Impfung auf 4,7 % geschätzt wurde [
41]. Regional kann die Erfolgsrate je nach Ausgangslage und Einführung der Impfung jedoch deutlich höher sein.
In einem Überblick von 2010 berichtet Din-Shinn Chen, einer der Pioniere der HB-Impfung in Taiwan, dass in 13 von 19 Ländern mit entsprechenden Studien die HBsAg-Prävalenz nach Einführung der Impfung um mehr als 90 % bis zu 100 % abnahm [
42]. In Taiwan wurde die allgemeine Impfung der Neugeborenen 1984 eingeführt. 30 Jahre später waren die ungeimpften über 30-Jährigen zu 6,7 % HBsAg-positiv, die etwas jüngeren Geimpften nur noch zu 0,5 % [
43]. Darüber hinaus zeigte sich schon bei den 6‑ bis 19-jährigen Geimpften gegenüber den ungeimpften Gleichaltrigen eine 3fach niedrigere Inzidenz des HBV-assoziierten hepatozellulären Karzinoms [
44]. Damit kann die Hepatitis-B-Impfung als erste Impfung gegen eine menschliche Krebserkrankung bezeichnet werden. Die großen Erfolge der Impfung bei erwachsenen Personen mit hohem beruflichen oder medizinischem Expositionsrisiko wurden bereits oben kurz erwähnt.
Jetzt hat die WHO das durchaus realistische Ziel vorgegeben, die Inzidenz neuer HBV-Infektionen bis 2030 um 90 % zu reduzieren [
40]. Zu dessen Erreichung ist nicht nur eine konsequente Impfkampagne nötig, sondern es sind auch verbesserte Impfstoffe wünschenswert.
Herausforderungen
Es gibt eine Reihe von Situationen, bei denen die Impfung ganz oder teilweise versagt, die hier kurz diskutiert werden sollen.
Die große Häufigkeit von Durchbrüchen bei hoher maternaler Virämie um 100 Mio. HBV-DNA-Molekülen/mL wurde in einer Studie von 2013 in den USA mit 18 % (15/88) bestätigt [
45], während eine andere Studie in Thailand bei etwa gleicher maternaler Viruslast nur 2 % (3/147) fand [
46]. Anzumerken ist, dass die Studie in den USA den Kindern nur die üblichen 3 Dosen des aktiven Impfstoffs verabreichte, die Studie in Thailand jedoch 5 Dosen gab. Eine Studie in Vietnam von 2010 fand andererseits sogar 33,8 % (23/68) Durchbrüche bei Kindern von HBeAg-positiven Müttern, wobei allerdings nur die aktive Impfung direkt nach der Geburt, aber kein HBIG und später nur 2 weitere Dosen gegeben wurden [
47].
Bei zwar heterogener Datenlage ist die unvollständige Schutzwirkung der aktiv/passiven Immunisierung von Neugeborenen nicht wegzuleugnen. Daher hat die WHO kürzlich empfohlen, bei HBsAg-positiven Schwangeren die Viruslast oder ersatzweise das HBeAg zu bestimmen und bei hoher Viruslast oder positivem HBeAg die Schwangere ab der 28. Woche mit einem antiviralen Mittel gegen HBV, vorzugsweise mit Tenofovir zur Senkung der Viruslast zu behandeln [
48]. Wäre die aktive Immunisierung noch zuverlässiger wirksam, könnte in Ländern mit eingeschränkter Infrastruktur der Schutz der Neugeborenen viel einfacher erreicht werden und die Therapie während der Schwangerschaft mit einem Nucleotidanalogon wie Tenofovir unterbleiben.
Alle internationalen Leitlinien und auch die neue S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) zur Prophylaxe, Diagnostik und Therapie der Hepatitis-B-Virusinfektion ([
49], Empfehlung 5.9.1) sowie der Ständigen Impfkommission (STIKO; [
50]) empfehlen eine HBIG-Gabe zusätzlich zur aktiven Impfung bei Neugeborenen von HBsAg-positiven Müttern. Erwiesen ist die Nützlichkeit der HBIG-Gabe jedoch nicht. Für hoch entwickelte Länder mag dies eine Marginalie sein, aber in Ländern mit eingeschränkter Infrastruktur ist das Erfordernis einer durchgängig verfügbaren Kühlkette nur für die sofortige HBIG-Gabe nach der Geburt ein wesentliches Hindernis, während der aktive Impfstoff sehr wärmestabil ist.
Eine im Grunde unbeantwortete Frage ist, nach welchen objektiven Kriterien bei Wiederholungs- und Auffrischimpfungen die Zahl der Dosen und die Abstände zwischen deren Verabreichung bestimmt werden. Während erster und zweiter Impfung werden übereinstimmend 4–6 Wochen empfohlen, danach 6–12 Monate. Gerade die dritte oder gar vierte Impfung wird oft unterlassen, was zu einem unvollständigen Schutz führt. Ob überhaupt eine Testung auf Anti-HBs und gegebenenfalls eine Auffrischungsimpfung nötig sind, wird international kontrovers diskutiert. Die deutschen Leitlinien beschränken diese Maßnahme auf Personen mit erhöhtem Risiko für eine HBV-Infektion oder für deren schwereren Verlauf.
Eine frühe große Feldstudie in Hämodialysestationen zeigte, dass der HBsAg-Subtyp
ad bzw. HBV-Subgenotyp A2 des MSD-Plasmaimpfstoffs auch gegen einen HBV-Stamm mit HBsAg/ay zuverlässig schützte [
53]. Danach wurde die universelle Schutzwirkung eines Impfstoffs mit einem HBsAg-Subtyp als gegeben erachtet. Überraschend zeigte sich 2010 bei geimpften, dennoch frisch infizierten Erwachsenen ein HBsAg-Subtyp- bzw. ein HBV-Subgenotypeffekt: Bei einigen frisch infizierten US-amerikanischen Blutspendern mit Impfung zeigte sich gehäuft eine HBV-Infektion mit unterschiedlichen Non-A2-Subgenotypen, während bei den nicht geimpften frisch infizierten Spendern meist der in den USA vorherrschende HBV-Subgenotyp A2 vorlag, der auch für den MSD-Impfstoff verwendet wurde. Man beachte, dass die meisten dieser geimpften und dann infizierten Spender einen nachweisbaren Anti-HBs-Titer hatten, allerdings unter 100 IU/L, was auch die Relevanz einer quantitativen Anti-HBs-Bestimmung belegt [
54].
HBsAg-Subtypeffekte könnten eventuell auch die unterschiedlichen Schutzraten der Impfstoffe bei der perinatalen Übertragung erklären. Bei den Impfungen zur Verhinderung perinataler Übertragungen war die Immunisierung mit dem HBsAg/ad im Impfstoff Recombivax HB® gegen HBV mit HBsAg-Subtyp
ad doppelt so wirksam wie gegen HBV mit HBsAg/ay [
19]. In Taiwan wurde nach Einführung der universellen Hepatitis-B-Impfung eine Verschiebung der Prävalenz der HBV-Genotypen nach perinataler Übertragung von B nach C beobachtet, wobei der Genotyp B meistens den gleichen HBsAg-Subtyp
adw2 hat wie der aktive Impfstoff, Genotyp C dagegen
adr [
55]. Auch in China hat sich die Prävalenz der HBV-Genotypen und HBsAg-Subtypen nach Einführung der Impfung verschoben [
56]. Einige der HBsAg-Impfstoffe verwenden nicht den Subtyp
adw2 wie MSD und GSK, sondern die regional vorherrschenden Subtypen, wie z. B. in Korea oder Japan HBsAg/
adr [
31]. In Japan wurden bei einer Studie weniger Durchbrüche mit HBsAg-Persistenz (1/158) als in den USA beobachtet [
57].
Häufiger werden Mutationen des HBsAg bei reaktivierten okkulten HBV-Infektionen unter Immunsuppressionen, speziell der B‑Lymphozyten nachgewiesen [
58]. Bemerkenswert ist ein Fall von Reaktivierung bei einem Lymphompatienten, der Jahre früher gegen HBV geimpft worden war, dann aber in einem endemischen Gebiet inapparent mit HBV infiziert wurde. Die HBV-Infektion wurde okkult und blieb es, bis wegen des Lymphoms eine Depletion der B‑Lymphozyten erforderlich wurde. Im Verlauf entwickelte sich eine massive HB-Virämie mit einer Escape-Mutante, die sich vom HBV-Genotyp D4 ableitete, der bereits 7 Austausche in der HBs-Antigenschleife im Vergleich zum Genotyp A2 im Impfstoff aufweist. Die dann schließlich reaktivierte Variante hatte noch 5 weitere Mutationen [
59]. Solche zwar seltenen, dann aber besonders anti-HBs-resistenten Varianten sind ein Grund, stärker und/oder breiter wirksame Impfstoffe zu entwickeln.
Reaktivierungen einer okkulten HBV-Infektion sind insgesamt selten, die okkulte HBV-Infektion selbst ist dagegen sehr häufig, auch nach erfolgreicher Impfung. Poovorawan fand 20 Jahre nach seinem erfolgreichen Schutzversuch bei seinen Probanden zwar keine einzige neue chronische HBV-Infektion, aber 22,8 % hatten Anti-HBc, genauso häufig wie die ungeimpfte Kontrollgruppe [
60]. Diese Form der okkulten HBV-Infektion ist an sich unbedenklich, aber das Reaktivierungsrisiko (s. oben) lässt es wünschenswert erscheinen, dass wirksamere HB-Impfungen auch diesen Verlauf möglichst unterbinden, was 2013 auch die STIKO mit folgenden Sätzen beschrieb: „Ziel der Impfung gegen Hepatitis B ist die Verhinderung der akuten klinischen Hepatitis und von chronischer Infektion mit dem Hepatitis-B-Virus (HBV). Darüber hinaus ist eine Verhinderung sämtlicher Infektionsformen (einschließlich okkulter Infektionen) erstrebenswert“ [
61].
Die beiden präS1-haltigen Impfstoffe nahmen eine unterschiedliche Entwicklung. Die Fa. Medeva wurde von der Fa. Powderject übernommen, die das Projekt kurzerhand beendete. Der israelische Impfstoff wurde in Israel erfolgreich eingeführt, aber blieb mit einigen wenigen Ausnahmen international lange Zeit weitgehend unbeachtet.
Umgekehrt sind Durchbrüche bei etwas höhen Werten nicht ganz selten, je nach Immunkonstitution der Probanden, z. B. bei Hämodialysepatienten. Daher empfehlen einige nationale Leitlinien, so auch die deutsche [
49], eine Boosterimpfung bei Personen mit hohem Infektionsrisiko bei Werten unter 100 IU/L. Was eine IU Anti-HBs hinsichtlich der HBV-
neutralisierenden Schutzwirkung bedeutet, ist nicht bekannt. Die Göttinger Gruppe hat gemessen, dass eine IU des 1. IS 0,906 µg HBsAg
binden kann; wesentliche Unterschiede zwischen den HBsAg-Subtypen gab es damals nicht [
64]. Dieses Ergebnis kann helfen, z. B. grob abzuschätzen, mit wie viel HBsAg-haltigem Blut, z. B. durch eine Fehltransfusion, ein Patient belastet werden kann, ohne infiziert zu werden. Eine klare Beziehung zwischen den IU und derjenigen Anti-HBs-Dosis, die eine bekannte Zahl von infektiösen HBV-Partikeln zu 50 % in einer hoch suszeptiblen Zelllinie neutralisieren kann, ist aber nie ermittelt worden, nicht zuletzt deswegen, weil es bis vor Kurzem solche Zelllinien nicht gab.
Der 1. IS ist seit Langem aufgebraucht und wurde durch den 2. IS ersetzt. Auch dieser IS ist ein HBIG, aber diesmal wurde es aus geimpften Spendern gewonnen. Man kann bezweifeln, dass der 2. IS Antikörper gegen die PräS-Epitope hat und dass er Antikörper gegen die HBsAg-Subtypdeterminanten y oder r oder gar a4 hat. Die IU bleibt weiter willkürlich definiert, ist nunmehr aber vielleicht in unklarer Weise verändert. Zumindest erneute Bindungsstudien, Subtypanalysen und nach Möglichkeit Neutralisationstests wären wünschenswert.
Perspektiven für bessere HB-Impfstoffe
Noch geeigneter ist in dieser Hinsicht wohl das Core-Partikel des HBV (HBcAg). Chronisch infizierte HBV-Träger produzieren meistens riesige Anti-HBc-Mengen, die wegen der HBs-Hülle des HBV nicht schützen, aber – soweit bekannt – auch nicht schaden. HBcAg-Partikel stimulieren die Antikörperbildung auch ohne T‑Zellepitope, enthalten aber auch zusätzlich T‑Zellepitope. HBcAg-Partikel exponieren ihr einziges B‑Zellhauptepitop an der Spitze von „Spikes“. Es kann gentechnisch oder biochemisch durch viele andere Peptidsequenzen ersetzt oder besetzt werden. Dieter Glebes Gruppe in Gießen setzte in Zusammenarbeit mit der Gruppe von Paul Pumpens in Riga Teilpeptide aus der PräS1-Domäne in die Spitze dieser Spikes ein, immunisierte Mäuse mit diesem rekombinanten HBcAg und maß die neutralisierende Wirkung der erhaltenen Antiseren. Auf diese Weise konnten die Epitope der neutralisierenden PräS1-Antikörper in der HBV-Rezeptorbindungsstelle exakt kartiert werden. Die in den immunisierten Mäusen erhaltenen wirksamsten Antiseren konnten in einer Verdünnung von 1:5000 die Infektiosität von 10
6 HBV-Partikeln für suszeptible Leberzellkulturen neutralisieren, was einem „normalen“ Antiserum oder HBIG mit dem enormen Titer von 100.000 IU/L Anti-HBs entspräche [
65].
Das Konzept wurde von David Milichs Gruppe mit dem Ziel eines therapeutischen HBV-Impfstoffs vertieft [
66]. Die Gruppe verwendete die ähnlich strukturierten Core-Partikel des Woodchuck-Hepatitis-Virus (WHV) als Träger für die neutralisierenden HBV-PräS1-Epitope und behandelte damit ein immuntolerantes HBV-transgenes Mausmodell für die menschliche chronische Hepatitis B. Die Tiere entwickelten neutralisierende Antikörper, die chimäre Mäuse mit menschlichen Hepatozyten vor HBV schützten.
Diese beiden PräS1-Impfstoffkonzepte ohne S‑HBsAg zielen auf eine Immuntherapie der chronischen Hepatitis B (CHB) und sind zurzeit wohl noch weit von einer klinischen Testphase entfernt. Es spräche jedoch theoretisch nichts dagegen, diese Impfstoffe bei erwiesener therapeutischer Wirksamkeit auch für die Prophylaxe, speziell postexpositionell bei den Neugeborenen von hochvirämischen Müttern zu entwickeln.
Daneben wurden von GSK ähnliche, noch stärker wirkende Adjuvanzien (AS01, AS03) zusammen mit dem P24-HBsAg erprobt. Damit genügten ähnlich wie bei Heplisav-B® 2 Dosen, um 100 % Serokonversion und 100-mal höhere Anti-HBs-Titer als mit dem Aluminiumadjuvans zu erzielen. Hier sind allerdings verstärkte Nebenwirkungen zu verzeichnen [
67]. Es bleibt offen, ob bessere HBV-Antigene, wie z. B. bei Sci-B-Vac®, zusammen mit stärkeren Adjuvanzien noch bessere Ergebnisse bringen könnten.
HBV-Antigene exprimierende DNA oder Virusvektoren als HBV-Impfstoffe sind seit Langem in Tiermodellen vielfach untersucht worden. Die Forschung am Menschen war bislang noch nicht soweit gediehen, dass sie hier diskutiert werden sollten. Das Beispiel Coronaviren zeigt jedoch, dass sich das rasch ändern könnte.