Schwerhörigkeit lässt Depressionsrisiko steigen

Ältere Menschen mit Schwerhörigkeit entwickeln häufiger Depressionen als Personen ohne dieses Handicap, das bestätigen die Ergebnisse einer großen Longitudinalstudie aus Südkorea. Die Autoren fordern eine effizientere Behandlung der Schwerhörigkeit im Alter. Das Wichtigste in Kürze zu dieser Studie finden Sie am Ende des Artikels. Ob zwischen Hörstörungen im Alter und der Entwicklung von Depressionen ein kausaler Zusammenhang besteht, ist nicht ganz einfach nachzuweisen. Querschnittstudien sind hierfür wegen der möglicherweise bidirektionalen Assoziation eher ungeeignet. Ein Team aus Südkorea hat sich dem Problem in Form einer großen Longitudinalstudie gewidmet, die auf Daten eines nationalen Versicherungsträgers (National Health Insurance Service, NHIS) basiert. Von den 254.466 Teilnehmenden über 60 Jahren hatten im Lauf der 16-jährigen Nachbeobachtung 26.085 eine Depression entwickelt (Personen mit vorbestehender Depression waren ausgeschlossen). Insgesamt umfasste die Analyse gut 3,4 Millionen Personenjahre. Empfehlung der Redaktion Hörstörungen – Themenseite Schwerhörigkeit und andere Hörstörungen können viele Ursachen haben – vom Tumor im Kleinhirnbrückenwinkel bis zum Cerumen obturans. Alles zur Diagnostik und Therapie finden Sie hier. Depressionsrisiko um den Faktor 1,5 erhöht Wie das Team um Hye Jun Kim vom Seoul National University College of Medicine berichtet, war die Wahrscheinlichkeit einer im Studienverlauf neu aufgetretenen Depression 1,5-mal größer, wenn zu Beginn eine Schwerhörigkeit bestanden hatte. In der vollständig adjustierten Analyse (unter Berücksichtigung von Alter, Geschlecht, Einkommen, BMI, Rauchstatus und Begleiterkrankungen) betrug die Hazard Ratio (aHR) noch 1,11. Bei der Messung der Schwerhörigkeit hatte man zur bestmöglichen Objektivierung drei Kriterien angelegt: Hörverlust von mindestens 60 dB auf beiden Ohren oder Hörverlust von mindestens 80 dB auf einem und mindestens 40 dB auf dem anderen Ohr oder Beeinträchtigung der Erkennung in normalem Tempo gesprochener Worte um mindestens 50% auf beiden Ohren. In einer Subgruppenanalyse waren folgende Faktoren signifikant mit der Entwicklung einer Depression infolge des Hörverlusts verknüpft: Alter ab 65 Jahre, geringes Haushaltseinkommen, die Abwesenheit von Bluthochdruck und die Abwesenheit von Typ-2-Diabetes. Zusätzlich fanden die Forschenden eine signifikante Interaktion zwischen Schwerhörigkeit und Alter: So hatten Personen unter 65 Jahren ein höheres Risiko, eine Depression zu entwickeln als Senioren ab 65 Jahren (aHR 1,29 bzw. 1,15). Nach Kim und seinen Kollegen stehen die Ergebnisse ihrer Longitudinalstudie im Einklang mit früheren Studien, vor allem auch mit solchen, die ebenfalls objektive Hörtests angewendet hatten. Einsamkeit, kognitive Belastung, Inaktivität Welche genauen Mechanismen dem gefundenen Zusammenhang zugrunde lägen, sei noch unklar, so das Forschungsteam. Am häufigsten angeführt werde die These von der sozialen Isolation und Einsamkeit, woran Schwerhörige oft litten und welche die Entstehung von Depressionen nachweislich begünstigten. Laut Kim und Kollegen beteiligen sich Hörgeschädigte außerdem weniger an Aktivitäten, die Freude machen. Dies und das immer häufigere Angewiesensein auf fremde Hilfe stünden im Verdacht, Depressionen zu begünstigen. Ein weiterer Grund könne die kognitive Belastung sein, die es für Schwerhörige bedeute, wenn sie versuchten, Gesprächen zu folgen. Alles zusammen trage dazu bei, dass sich die Betroffen einem zunehmend inaktiven Lebensstil hingäben. Das Forscherteam benennt auch potenzielle biologische Zusammenhänge: Sowohl bei Schwerhörigen als auch bei Patienten mit Depressionen seien neurologische Abbauvorgänge nachgewiesen worden, was für eine mögliche gemeinsame Ätiologie spreche. Ferner habe man zeigen können, dass bei Erwachsenen mit Schwerhörigkeit Bereiche des frontalen Kortex weniger aktiv seien und dass bei ihnen im Alter eine beschleunigte Hirnschrumpfung, vor allem im rechten Schläfenlappen stattfinde. Hörstörungen im Alter gehören behandelt! In der verbesserten Behandlung von Altersschwerhörigkeit sehen Kim et al. möglicherweise „einen der effektivsten Ansätze zur Minimierung des Risikos für Depressionen im Alter“. Dazu müssten die Ergebnisse ihrer Studie allerdings noch bestätigt werden. Diese sei zwar die bislang größte Longitudinalstudie zum Thema; allerdings könne auch hier eine reverse Kausalität nicht ausgeschlossen werden, unter anderem, weil man den Einfluss therapeutischer Maßnahmen, sowohl gegen die Schwerhörigkeit als auch gegen die Depression, nicht explizit untersucht habe. Auch kognitive Beeinträchtigungen bzw. Demenz seien nicht in die adjustierte Analyse eingeflossen. Kim und sein Team ziehen dennoch eine klare Konsequenz: „Schwerhörigkeit im Alter muss behandelt werden, um das Risiko, eine Depression zu entwickeln, zu senken und ein gesundes Altwerden zu ermöglichen.“ Das Wichtigste in Kürze Frage: Risiko der Neuentwicklung von Depressionen bei Senioren mit und ohne bestehende Schwerhörigkeit. Antwort: Im Lauf von insgesamt gut 3,4 Millionen Personenjahren war Schwerhörigkeit mit einem signifikant erhöhten Risiko für das spätere Auftreten von Depressionen assoziiert (adjustierte Hazard Ratio, aHR 1,11; 95% KI: 1,01–1,21; p = 0,033). Das Risiko einer Depression war bei unter 65-Jährigen höher als bei Senioren ab 65 Jahren (aHR 1,29 bzw. 1,15). Bedeutung: Schwerhörigkeit im Alter sollte effizient behandelt werden; darin besteht möglicherweise eine Chance, das Depressionsrisiko zu senken. Einschränkung: Retrospektive Bevölkerungsstudie mit Verzerrungsrisiken; kognitive Beeinträchtigungen nicht berücksichtigt.

Springer Medizin

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