Erschienen in:
22.06.2020 | Arterielle Hypertonie | Arzneimitteltherapie
Antihypertensiva immer abends – bloß nicht oder sinnvoll?
verfasst von:
Prof. Dr. J. Schrader, S. Lüders, M. Middeke
Erschienen in:
Die Innere Medizin
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Ausgabe 9/2020
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Zusammenfassung
Die spanische Hygia-Studie hat aufgrund der generellen Empfehlung, Antihypertensiva bevorzugt abends zu verordnen, zu erheblichen Irritationen geführt – insbesondere da die Laienpresse, aber auch medizinische Medien dies geradezu begeistert kommentiert haben. Die Diskussion über die optimale Einnahmezeit für Antihypertensiva zeigt wieder einmal, wie gefährlich der unkritische Umgang mit Studiendaten sein kann. Auf mögliche Risiken wurde dabei nicht hingewiesen. Die Hygia-Studie verglich bei 19.084 Patienten eine morgendliche mit einer abendlichen Einnahme der Antihypertensiva unter Kontrolle einer 48 h-Blutdruckmessung (!). Es zeigte sich eine signifikant bessere Senkung des Blutdrucks und der Rate kardio- und zerebrovaskulärer Ereignisse unter abendlicher Einnahme. Die Daten sind wissenschaftlich wertvoll. Allerdings sind die Schlussfolgerungen aufgrund der Daten nicht nachvollziehbar, widersprechen vielen anderen Studien und sind für bestimmte Patientengruppen gefährlich. Zusätzlich finden sich methodische Mängel. Deshalb ist eine generelle abendliche Einnahme nicht gerechtfertigt und aufgrund der vielfältigen, individuell sehr unterschiedlichen pathophysiologischen Befunde des nächtlichen Blutdruckverhaltens unsinnig. Grundsätzlich ermöglicht die ambulante 24 h-Blutdruckmessung (ABDM) eine bessere Einschätzung des individuellen kardio- und zerebrovaskulären Risikos und verhindert eine Fehleinschätzung des Blutdrucks und damit eine überflüssige bzw. unzureichende Therapie. Die ABDM bietet statt einer generellen Empfehlung die Möglichkeit einer zeitlich individuell angepassten Therapie. Einer abendlichen Einnahme von Antihypertensiva bei der prognostisch ungünstigen nächtlichen Hypertonie sollte immer eine ABDM vorausgehen, um das Risiko nächtlicher ischämischer Risiken durch zu starke Blutdruckabfälle zu vermeiden.