Wir berichten von einer 46-jährigen Patientin, die sich mit intermittierenden Wahrnehmungsstörungen bei Nahrungskarenz in unserer Notaufnahme vorstellte.
Diagnostik
Im diagnostischen Fastentest wurde bereits nach 7 h eine hyperinsulinämische Hypoglykämie festgestellt. Bei unauffälliger Sonographie wurde eine 68Ga-HA-DOTATATE-Positronenemissionstomographie-Computertomographie durchgeführt; das Bild passte zu einer neuroendokrinen Neoplasie, was den Verdacht auf ein Insulinom lenkte.
Therapie und Verlauf
Es erfolgte die Verlegung in ein externes Krankenhaus zur operativen Therapie, anschließend war die Patientin symptomfrei.
Folgerung
Bei Präsentation von multiplen Symptomen passend zu einer Hypoglykämie sollte differenzialdiagnostisch auch an ein Insulinom gedacht werden.
Hinweise
Redaktion
H. Haller, Hannover (Schriftleitung)
B. Salzberger, Regensburg
C.C. Sieber, Nürnberg
Obwohl das Insulinom der häufigste hormonaktive Tumor des Pankreas ist, ist es insgesamt eine seltene Entität. In der Literatur gibt es einige Fallbeispiele, die verdeutlichen, wie unterschiedlich die Symptome sein können und dass es zum Teil mehrere Jahre bis zur Diagnose dauert [1, 4, 13]. Dieser Fallbericht stellt eine Patientin mit unterschiedlichen neuroglykopenischen Symptomen vor, bei der auch aufgrund einer seit wenigen Jahren etablierten Diagnostik zügig das Insulinom lokalisiert werden konnte.
Anamnese
Die 46-jährige Patientin stellte sich initial in der hauseigenen zentralen Notaufnahme mit Schwindel und Wahrnehmungsstörungen im Sinne von vermindertem Hörvermögen und Bewusstseinsverminderung vor. Sie berichtete über seit mehreren Wochen bestehende Kribbelparästhesien an den unteren Extremitäten sowie ein Taubheitsgefühl im Mundbereich nach mehrstündiger Nahrungskarenz. Eine Besserung nach Nahrungszufuhr war gegeben. Eine Gewichtszunahme bestand nicht. An Vorerkrankungen war ein Uterusmyom bekannt. Die Familienanamnese zeigte einen insulinpflichtigen Diabetes mellitus Typ 1 beim Onkel sowie beim Neffen.
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Klinischer Befund
Die klinische Untersuchung der Patientin (167 cm, 66 kg, Body-Mass-Index 23,7 kg/m2) zeigte einen unauffälligen Befund.
Laboruntersuchung
Laborchemisch zeigten sich keine Auffälligkeiten bis auf einen Blutzuckerwert von 35 mg/dl. Bei symptomatischen Hypoglykämien wurde die Patientin zur weiteren Diagnostik stationär aufgenommen.
Weitere Diagnostik
Sonographisch war nur der Pankreaskopf einsehbar, der sich unauffällig präsentierte.
In einem Fastentest (Tab. 1) zeigte sich die Patientin nach 7 h symptomatisch im Sinne einer Bewusstseinstrübung bei venösem Blutzuckerwert von 25 mg/dl. Der Fastentest sollte bereits bei Erreichen des Grenzwerts von 45 mg/dl abgebrochen werden, wenn zugleich Symptome bestehen, da die diagnostische Sensitivität und Spezifität bereits ausreichen und eine Weiterführung gegebenenfalls eine unnötige Gefährdung des Patienten darstellen könnte. Im vorliegenden Fall traten bei 37 mg/dl keine Symptome auf, sodass das Kontrollintervall unter strenger klinischer Kontrolle verlängert wurde.
Tab. 1
Fastentest
Blutzucker venös (mg/dl)
Insulin (µU/ml)
C‑Peptid (ng/ml)
Proinsulin (pmol/l)
I 07:10 Uhr
72
8,83
1,18
–
II 09:15 Uhr
144
37,83
4,03
–
III 10:15 Uhr
56
15,83
2,19
–
IV 11:10 Uhr
37
13,23
1,62
–
V 14:30 Uhr
25
9,33
1,24
18,9
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Bei deutlich erhöhtem Insulin- und C‑Peptid-Spiegel sowie erhöhtem Proinsulin stellte sich der Verdacht auf ein Insulinom. Laborchemisch und klinisch ergab sich kein weiterer Anhalt für das Vorliegen einer multiplen endokrinen Neoplasie Typ 1 (MEN1).
Bei zum Teil fehlender Expertise sowie aus Kapazitätsgründen in Bezug auf die alternativen Bildgebungen ließen wir zeitnah eine 68Ga-HA-DOTATATE-Positronenemissionstomographie-Computertomographie (PET-CT) extern als diagnostische Maßnahme durchführen. Hier zeigte sich eine fokale pathologische HA-DOTATATE-Akkumulation am Übergang vom Caput zum Corpus des Pankreas (6 × 6 × 6 mm, Abb. 1) passend zu einem Somatostatinrezeptor(SSR)-positiven Insulinom. Darüber hinaus ergab sich kein Nachweis weiterer pathologischer HA-DOTATATE-Akkumulationen (Abb. 2).
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×
Chromogranin A als Tumormarker zeigte sich mit 83,3 ng/ml normwertig (Norm 27–94 ng/ml).
Diagnose
Insulinom im Bereich des Pankreashalses
Therapie und Verlauf
Mit der Diagnose eines Insulinoms im Bereich des Pankreashalses wurde die Patientin zur chirurgischen Intervention verlegt. Es erfolgte die laparoskopisch assistierte zentrale Pankreasresektion mit Anastomosierung des Pankreasschwanzes als Pankreatogastrostomie.
In der histologischen Untersuchung wurde ein 1,2 cm großer neuroendokriner Tumor im Stadium pT1, R0, G2, L0, V0 nach der 8. Auflage der Union-for-International-Cancer-Control(UICC)-Klassifikation bestätigt. In der Färbung mit dem Proliferationsmarker Ki-67 zeigten sich fokal 4 % positive Kerne (Abb. 3 und 4).
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Die postoperativen Blutzuckerwerte waren normwertig. Es erfolgte die Vorstellung der Patientin in der interdisziplinären Tumorkonferenz, in der eine regelmäßige onkologische Nachsorge empfohlen wurde.
Diskussion
Das Insulinom ist der häufigste hormonaktive Tumor des Pankreas. Es präsentiert sich durch die Whipple-Trias mit Symptomen einer Hypoglykämie, Nachweis von erniedrigten Blutzuckerwerten sowie dem Verschwinden der Symptome nach Glukosegabe [3]. Insgesamt sind Frauen mit etwa 60 % häufiger betroffen, der Häufigkeitsgipfel liegt über dem 40. Lebensjahr [15]. Trotz vielfältiger Diagnostik kann bis zur Diagnose des Insulinoms eine lange Zeit vergehen, zum einen aufgrund der vielfältigen Symptome, zum anderen aufgrund des unregelmäßigen Auftretens der Symptome und der Besserung durch selbstständige Nahrungszufuhr [1, 4].
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Bei Insulinomen sollte an eine MEN1-Gendiagnostik gedacht werden
Bei Insulinomen sollte an eine MEN1-Gendiagnostik gedacht werden, insbesondere wenn das Patientenalter unter 30 Jahren liegt [9]. Zumindest sollte aber ein biochemisches Screening mit Bestimmung von Serumkalzium, PTH und Prolaktin erfolgen, um einen primären Hyperparathyreoidismus und ein Prolaktinom als häufigste Manifestationsformen auszuschließen [14].
Diagnostik
Die Durchführung eines 72 h-Hungerversuchs ist der Goldstandard für die biochemische Diagnose eines Insulinoms. Während des Versuchs sollten Insulin‑, Proinsulin- und C‑Peptid-Spiegel im Blut bestimmt werden, um differenzialdiagnostisch auch eine Hypoglycaemia factitia mit Selbstverabreichung von blutzuckersenkenden Mitteln auszuschließen [7].
Die Wertigkeit einer SSR-PET/CT im Falle eines Insulinoms ist nicht vollständig geklärt
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Allerdings kann eine Hyperinsulinämie nicht zwangsläufig durch den Fastentest ausgeschlossen werden, da bei manchen Patienten mit einem Insulinom (<10 %) nur postprandial (<4 h nach Nahrungsaufnahme) Hypoglykämien auftreten. Bei Verdacht sollte ein verlängerter oraler Glukosetoleranztest (oGTT) durchgeführt werden, in dem sich eine veränderte Insulinsekretion zeigt, im Gegensatz zu Patienten mit reaktiver postprandialer Hypoglykämie, die eine adäquate Gegenregulation zeigen [5].
Synaptophysin als Marker von Small-dense-core-Vesikeln, die in den meisten neuroendokrinen Neoplasien vorhanden sind, sollte laut Leitlinie zusätzlich bestimmt werden [11]. Um weitere Ursachen einer Hypoglykämie auszuschließen, hätte die Diagnostik im hier vorgestellten Fall beispielsweise um eine Sulfonylharnstoffbestimmung im Blut oder Urin (Ausschluss Hypoglycaemia factitia) sowie eine Bestimmung von Insulinantikörpern zum Ausschluss eines Hirata-Syndroms (Antiinsulinantikörpersyndrom) ergänzt werden können [16].
Nach positiver Labordiagnostik und bei Verdacht auf einen neuroendokrinen Tumor gibt es unterschiedliche Möglichkeiten zur Lokalisationsdiagnostik. Zunächst wird eine nichtinvasive Bildgebung empfohlen (transabdominelle Sonographie des Abdomens, Computertomographie, Magnetresonanztomographie). Sollte diese unauffällig sein, sind ein endoskopischer Ultraschall sowie der intraarterielle Kalziumstimulationstest (ASVS) weitere Möglichkeiten zur Lokalisationsdiagnostik [5]. Zudem kann ergänzend die Durchführung einer Bildgebung mit Somatostatinanaloga bei neuroendokrinen Tumoren erwogen werden. Die Wertigkeit einer SSR-PET/CT im Falle eines Insulinoms ist nicht vollständig geklärt, da Insulinome zum Teil keine SSR exprimieren. In Studien werden allerdings hohe Sensitivitäten bis 90 % angegeben, vor allem mit 68Ga-DOTATATE, das an SSR2 bindet [12].
Therapie
Bei einem Erwachsenen sind ungefähr 90 % der Insulinome solitär, gutartig und kleiner als 3 cm [10]. Insulinome sollten chirurgisch (laparoskopisch vs. offen-chirurgisch) reseziert werden. Ist eine operative Entfernung des Insulinoms nicht möglich, kann eine symptomorientierte Therapie mittels endoskopischer Ultraschalluntersuchung und ablativer Therapie durch Alkoholinjektion in den Tumor in Erwägung gezogen werden [2]. Eine weitere Option besteht in der Radiopeptidtherapie mit β‑Strahler-markierten SSR-Liganden wie 177Lu-DOTATATE (Lutathera®, Advanced Accelerator Applications, Saint-Genis-Pouilly, Frankreich) sowie der Einnahme von Diazoxid. Diazoxid greift an der β‑Zelle supprimierend in die Insulinproduktion ein und stimuliert die Glykogenolyse. Hierbei sollte bedacht werden, dass ein erhebliches Nebenwirkungspotenzial (Flüssigkeitsretention, Hirsutismus) besteht [6, 8].
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Nachsorge
Die Datenlage zum Thema Nachsorge ist sehr begrenzt [5]. Laut der deutschen S2k-Leitlinie von 2018 wird, basierend auf einem Expertenkonsensus, eine Nachsorge bei allen Patienten mit einer neuroendokrinen Neoplasie empfohlen. Diese sollte in einem spezialisierten Zentrum erfolgen, in dem die entsprechende Diagnostik sowie Vorstellung in einem interdisziplinären Tumorboard gewährleistet werden können. Das Kontrollintervall hängt von der Größe, dem Differenzierungsgrad und Hinweisen auf eine hereditäre Genese ab [14].
Fazit für die Praxis
Liegt eine Whipple-Trias vor, sollte insbesondere bei Patienten ohne bekannten Diabetes auch an ein Insulinom gedacht werden.
Über 90 % der Insulinome sind gutartig, <2 cm groß und haben eine gute Prognose.
Der 72 h-Fastentest ist der Goldstandard zur Diagnose eines Insulinoms.
Die operative Entfernung sollte als kurative Therapie angestrebt werden.
Im diagnostischen Algorithmus folgt nach der positiven Labordiagnostik die Lokalisationsdiagnostik mittels Endosonographie, wobei die DOTATATE-Positronenemissionstomographie-Computertomographie eine Zusatzdiagnostik darstellt, welche die Diagnosestellung erleichtern kann.
Die Diagnose- und Therapieplanung sowie die Nachsorge sollten interdisziplinär im Rahmen eines spezialisierten Tumorboards für neuroendokrine Neoplasien erfolgen.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt
S. Ravens und L. Scheit geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien. Für Bildmaterial oder anderweitige Angaben innerhalb des Manuskripts, über die Patienten zu identifizieren sind, liegt von ihnen und/oder ihren gesetzlichen Vertretern eine schriftliche Einwilligung vor.
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